Die Hefte des André Walter

Die Hefte des André Walter

Die Hefte des André Walter (frz. Les Cahiers d'André Walter) ist eine Erzählung von André Gide, die 1890 anonym bei Didier-Perrin in Paris erschien. Gide veröffentlichte überarbeitete Fassungen unter seinem Namen zuerst 1925 und dann endgültig 1930 bei G. Crès, ebenfalls in Paris[1].

In einem Roman, den er „Allain“ betitelt, sinnt der junge André Walter seiner verflossenen unglücklichen Liebe zu Emmanuèle nach, wird über dem Schreiben allmählich wahnsinnig und stirbt an „Gehirnfieber“.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Tagebuch-Aufzeichnungen reichen vom 1. Juli bis zum 28. Oktober 1889 und enthalten Rückblenden bis zum März 1886.

Das weiße Heft

André blickt zurück auf den Monat August des Jahres 1887. Emmanuèle zog in das Zimmer seiner 1885 verstorbenen Schwester ein. Es ekelt den Schreiber vor dem Leben, das er leben muss, weil in dem Alter - Anfang zwanzig ist er - „die Leidenschaft ausbricht“. Da sind ihm seine Träume lieber. Er flüchtet sich in Chopins, Schumanns und Bachs Musik[2]. Solche Harmonie beflügelt die Seele, treibt diese zu Emmanuèles Seele hin. André schreibt über Emmanuèles Stimme, dieses „zerbrechliche Gefäß der Gefühle“. Aber Bilder drängen vor. Nackte Paare umschlingen sich beiderseits seines Weges. André schaut im Traum weg, hört jedoch die Küsse. Er schreibt über Emmanuèle, weil er nicht vergessen will. Das Philosophieren, den Verstand, verachtet André zwar nicht, doch er räumt der Seele einen Platz vor dem Geist ein. Denn die Seele ist „das liebende Verlangen“. Deshalb sind seine Heft voll von den Zitaten der Dichter - weil Poeten ihn an manches erinnern. André findet und artikuliert eigene Poesie[3]. Er hofft, kommt vorwärts, sieht Emmanuèles Blick im Traum sogar. Doch ach, bevor seine Mutter stirbt, verlobt sie noch T. und Emmanuèle. André entsagt; gehorcht, hofft aber immer noch. Emmanuèle und T. heiraten.

Das schwarze Heft

André schreibt „wie ein Rasender“ an seinem Roman und kämpft bereits gegen die Chimäre. Die Musik soll im Kampf gegen das Ungeheuer helfen. Da stirbt Madame Emmanuèle T. André arbeitet „besessen“ an „Allain“, dem „Entwurf einer Liebe“. Allain und André werden eins[4]. Die Erinnerung an Emmanuèle wird beim Schreiben zur Qual. André beginnt, den Traum der kommenden Nacht zu fürchten, hat Angst, „verrückt zu werden“. André arbeitet am Roman, vermag nicht mehr zu ruhen. Allain, der ja André ist, wird wahnsinnig. André, also im Wahn, hält sein Werk für „sehr gelungen“. Die Traumbilder sind nicht mehr poetisch, sondern werden fortan vom Wahn diktiert[5]. André stirbt, so bemerkt der Herausgeber von André Walters beiden Heften. Das letzte Bild, das André in sein schwarzes Heft schreibt, erzählt von seiner Liebe zu Emmanuèle - notiert in der Sprache eines Wahnsinnigen[6].

Zitate

  • „Das beste ist, den Dingen ihren Lauf zu lassen.“[7]
  • „Man darf den Dingen nicht nachgeben.“[8]

Selbstzeugnisse

  • Gide schreibt im Vorwort zur Ausgabe 1930: „… wenn ich nicht dieses erste Buch geschrieben hätte, hätte ich die folgenden zweifellos weniger gut geschrieben.“[9]
  • Auf ein Lob Valérys antwortet Gide mit Mallarmé: „Ein Schleier, ausgeworfen als Leichentuch, um eine erloschene Jugend mit Wohlgeruch zu erfüllen.“[10]
  • „Als ich dieses Buch … schrieb, schien es mir zu den wichtigsten auf der ganzen Welt zu gehören, …“[11]
  • Vorbild für Emmanuèle ist Gides spätere Ehefrau Madeleine[12].

Rezeption

  • Mallarmé sagt zu Gide: „Ihr Buch ist ein Buch voll Stille … so daß alle Gedanken zwischen den Zeilen zu lesen sind“[13].
  • Maeterlinck schreibt: „Dieses schwermütige und herrliche Brevier des Unberührten ist in gewissen Augenblicken unvergänglich wie die Imitation[14].
  • Valéry schreibt an Gide: „O Dank für diesen Anfang in Moll … Eine gebrochene Musik mit gebrochenen Flügeln zuckt auf und welkt dahin, …“[15]
  • Das Buch ist mit Zitaten überladen. Gide las vor der Niederschrift Platon, Descartes, Spinoza, Leibniz und Schopenhauer[16].
  • Mise en abyme: Der Romanautor André Walter spiegele sich in seiner Figur Allain[17].
  • Vorbild für Emmanuèle sei Gides Cousine Madeleine Rondeaux[18], die er am 8. Oktober 1895 heiratete[19].
  • Gide habe seinen „Allain“ seit der Unterprima geplant[20].
  • Renée Lang[21] rechnet das Buch dem Symbolismus zu. Es gehe im André Walter hauptsächlich „um den christlichen Konflikt von Fleisch und Geist“[22]. Lang zitiert Rémy de Gourmont, der 1891 den (noch anonymen) Autor „einen schwärmerischen und philosophischen Geist in der Nachfolge Goethes“ nennt.[23] Sowohl Werther als auch André Walter verzehrten sich in Liebe zu einer Verheirateten.[24]

Deutsche Ausgaben

Quelle

André Gide: Die Hefte des André Walter. Aus dem Französischen übertragen von Gerhard Kluge und Hans Joachim Kesting. In: ders.: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Hg.: Raimund Theis und Peter Schnyder. Band VII/1, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1991, ISBN 3-421-06467-9. S. 27-154. Nachwort von Hans Joachim Kesting: Zu „Die Hefte des André Walter“, S. 509 - 520. (Grundlage der Übersetzung war eine Ausgabe der Éditions Gallimard, Paris 1952.)

Deutschsprachige Erstausgabe
  • André Gide: Die Aufzeichnungen und Gedichte des André Walter. Mit farbigen Aquarellen von Roland Oudot und Maurice Brianchon. Übersetzer: Gerhard Kluge, Joachim Kesting und Rolf von Höne. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1969. 183 Seiten. Leinen
Sekundärliteratur
  • Renée Lang: André Gide und der deutsche Geist (frz. André Gide et la Pensée Allemande). Übersetzung: Friedrich Hagen. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1953. 266 Seiten
  • Günter Krebber: Untersuchungen zur Ästhetik und Kritik André Gides. Kölner Romanistische Arbeiten. Neue Folge. Heft 13. Genf und Paris 1959. 171 Seiten
  • Claude Martin: André Gide. Aus dem Französischen übertragen von Ingeborg Esterer. Rowohlt 1963 (Aufl. Juli 1987). 176 Seiten, ISBN 3-499-50089-2
  • Hans Hinterhäuser (Hrsg.), Peter Schnyder (Hrsg.), Raimund Theis (Hrsg.): André Gide: Et nunc manet in te. Aus dem Französischen übertragen von Maria Schäfer-Rümelin. S. 431 - 477. Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band IV/4, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1990. 709 Seiten, ISBN 3-421-06464-4

Einzelnachweise

  1. Martin, S. 157, 10. Z.v.o.
  2. „Wagner ist zu überwältigend“, Quelle, S. 131, 19. Z.v.o.
  3. z.B. Quelle, S. 79, 8. Z.v.u.
  4. Quelle, S. 123, Eintrag vom 1. September
  5. Quelle, S. 143, 8. Z.v.u. und auch S. 144 unten, Eintrag „Donnerstag“, 1. und 2. Absatz
  6. Quelle, S. 148, 9. bis 13. Z.v.o.
  7. Quelle, S. 78, 5. Z.v.u.
  8. Quelle, S. 119, 10. Z.v.o.
  9. Quelle, S. 29, 9. Z.v.u.
  10. zitiert von Hans Joachim Kesting in seinem Nachwort, Quelle, S. 511, 15. Z.v.o.
  11. zitiert von Hans Joachim Kesting in seinem Nachwort, Quelle, S. 511, 12. Z.v.u.
  12. Hinterhäuser, S. 443, 16. Z.v.o.
  13. zitiert von Hans Joachim Kesting in seinem Nachwort, Quelle, S. 510, 17. Z.v.u.
  14. zitiert von Hans Joachim Kesting in seinem Nachwort, Quelle, S. 510, 10. Z.v.u.
  15. zitiert von Hans Joachim Kesting in seinem Nachwort, Quelle, S. 511, 6. Z.v.o.
  16. Krebber, S. 18, 8. Z.v.o.
  17. Marianne Kesting, Quelle, S. 523, 11. Z.v.o.
  18. Martin, S. 24, 11. Z.v.u.
  19. Martin, S. 150, 9. Z.v.u.
  20. Martin, S. 41, 5. Z.v.o.
  21. Lang, S. 157, 13. Z.v.u.
  22. Lang, S. 152, 4. Z.v.u.
  23. Lang, S. 154, 10. Z.v.o.
  24. Lang, S. 154, 12. Z.v.u.

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