Die Pastoralsymphonie

Die Pastoralsymphonie

Die Pastoralsymphonie ist eine Erzählung von André Gide, die 1919 unter dem Titel „La Symphonie pastorale“ in der Éditions Gallimard/Paris erschien.[1][2]

Der Herr Pastor beichtet eine Sünde. Der Seelsorger erzählt, wie er seine Ehefrau Amélie und den gemeinsamen Sohn Jacques hintergeht sowie die Geliebte Gertrude in den Tod treibt.

Inhaltsverzeichnis

Zeit und Ort

Die Handlung läuft über zweieinhalb Jahre[3] und führt in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in den Neuenburger Jura in der französischsprachigen Nordwestschweiz. Genannt werden Neuenburg, La Chaux-de-Fonds, La Brévine, das Val Travers und als größere, weiter entfernte Stadt Lausanne.[4]

Handlung

Der Herr Pastor wird zu einer Sterbenden in eine Einöde gerufen und findet in der Strohhütte ein „unsäglich schmutziges“ blindes Mädchen vor, dessen Alter er auf fünfzehn Jahre schätzt. Der Geistliche nimmt die Behinderte, „das seelenlose Fleischbündel“, mit nach Hause zu seiner ordentlichen Amélie. Die Ehefrau ist von Anfang an der Meinung, fünf Kinder - vom Säugling bis zum Studenten - genügen: Claude liegt in der Wiege und Jacques studiert Theologie. Doch Amélie versorgt das Adoptivkind. Es erhält von einem der Pfarrerskinder den Namen Gertrude. Der Pastor erzieht und unterrichtet Gertrude, führt sie sogar nach Neuenburg ins Konzert. Gegeben wird die Pastoralsymphonie. Gertrude erfährt die Wunder dieser Welt, vermutet aber gleichzeitig, dass diese Welt vielleicht gar nicht so schön ist, wie aus dem sinfonischen Kunstwerk herausgehört und gar nicht so schön, wie der Pastor diese unsichtbare Welt beharrlich mit Worten malt.

Zwischen Jacques und Gertrude bahnt sich eine Liebesbeziehung an, die der Pastor höchstens beiläufig und ziemlich widerwillig erwähnt. Es muss etwas Ernstes sein, denn Gertrude fragt z.B. den Pastor, ob eine blinde Frau ein sehendes Kind gebären könne. Als Jacques dem Vater eröffnet, er liebe Gertrude und wolle sie ehelichen, will der Pastor diese Heirat verhindern. Jacques gehorcht. Erleichtert registriert der Vater die Unterwerfung des Sohnes und investiert weiterhin kostbare Freizeit in Gertrudes Fortbildung. Amélie durchschaut die Annäherung ihres Gatten an das blinde junge Mädchen[5], macht aber keine einzige Szene, sondern duldet still und belässt es bei gelegentlichen spitzen Bemerkungen.

Gertrude sagt dem Pastor die Wahrheit ins Gesicht: Er liebe sie. Amélie wisse es und das mache Gertrude traurig, das mache Amélie traurig. Der Pastor wiegelt ab. Nicht weniger sorgt sich Gertrude um Jacques: Liebt der Student sie noch? Der Pastor verneint das: Jacques hat auf Gertrude verzichtet. Gertrude gesteht dem Pastor, sie liebe ihn.

Gertrudes Augen können operiert werden. Der Pastor behält die Neuigkeit zunächst für sich und fürchtet den Tag, an dem Gertrude aus der Lausanner Augenklinik geheilt zurückkehren wird. Der Geistliche presst die Blinde lange an sich und küsst sie auf den Mund.

Als Gertrude nach der geglückten Augenoperation heimkommt, versteht sie sich als Verbrecherin: Gertrude sieht in Amélies Gesicht den Kummer und begeht einen Selbstmordversuch. Der Fluß, in den sie sich stürzte, führt eiskaltes Wasser und Gertrude stirbt an den Folgen ihrer Tat. Zuvor wirft sie dem Pastor vor, er habe ihre Heirat mit Jacques eigennützig hintertrieben. Gertrude bekennt, als sie in das Gesicht von Jacques und seines Vaters sah, habe sie erkannt, sie habe nur Jacques geliebt. Gertrude kann den Pastor nicht mehr sehen.

Form

Der Herr Pastor teilt das Geschehen in zwei Heften seines Tagebuches mit. Zwischen den Notizen klaffen Lücken. Nach der Lektüre geht aus dem Text hervor: Die Ehe des Pastors, mit Kindern gesegnet, war höchstwahrscheinlich schon vor Handlungsbeginn in die Brüche gegangen. Der Tagebuchschreiber verurteilt seine Ehefrau zwar nicht, ist aber mit ihrem Verhalten rundum nicht einverstanden. Das Tagebuch ist ein ganz persönliches, geheimes Dokument. Wenn es gar nicht weitergehen will, fleht der Pastor mehrfach Gott an: „Herr, ich weiß keinen Rat mehr …“[6] Der Tagebuchschreiber stellt sich schonungslos als Opfer seiner Triebe dar.

Zitat

  • „Wenn die Liebe fehlt, greift uns das Böse an.“[7]

Selbstzeugnis

  • „Dieses Thema war mir unangenehm.“[8]

Rezeption

  • Über „kathartisches Schreiben“: In seinem Nachwort „Zu Die Pastoralsymphonie[9] geht Alain Goulet ausführlich auf zwei Schwerpunkte ein. Gide beichte „unter dem Deckmantel seines Pastors“ die homoerotische Neigung, und der unaufrichtige Herr Pastor sei sich seiner Sünde wohl bewusst, tue aber in seinem „zwielichtigen“ tagebuchartigen Bericht alles, um diese Verwerflichkeit mit schönen Worten zu verbrämen.

Verfilmung

Jean Delannoy verfilmte die Erzählung 1946 mit Michèle Morgan als Gertrude, Pierre Blanchar als den Herrn Pastor, Line Noro als Amélie und Jean Desailly als Jacques. Die Musik zum Film schrieb Georges Auric. Das Filmwerk wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1946 preisgekrönt.[10]

In deutschsprachiger Synchronisation erschien der Film unter dem Titel „Und es ward Licht“.[11]

Deutsche Ausgaben

Quelle
  • Raimund Theis (Hrsg.), Peter Schnyder (Hrsg.): André Gide: Die Pastoralsymphonie. Aus dem Französischen übertragen von Gerda Scheffel. Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band X/4, S. 25 - 85. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1997. 363 Seiten, ISBN 3-421-06470-9
Deutschsprachige Erstausgabe
  • André Gide: Die Pastoralsymphonie. Übersetzer: Bernhard Guillemin. Das kleine Propyläen-Buch. Propyläen Verlag Berlin 1925. 132 Seiten. Leinwand
Sekundärliteratur
  • Renée Lang: André Gide und der deutsche Geist (frz.: André Gide et la Pensée Allemande). Übersetzung: Friedrich Hagen. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1953. 266 Seiten
  • Claude Martin: André Gide. Aus dem Französischen übertragen von Ingeborg Esterer. S. 157, 9. Z.v.u. Rowohlt 1963 (Aufl. Juli 1987). 176 Seiten, ISBN 3-499-50089-2

Einzelnachweise

  1. Quelle, S. 6
  2. Lang, S. 53, 19. Z.v.o.: Gar nicht lange nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war es der Franzose Gide, der auf Rilke zuging; ihm ein Exemplar des Buches mit „freundschaftlicher Widmung“ in die Schweiz schickte.
  3. Quelle, S. 27, 15. Z.v.o.
  4. Quelle, S. 27, 37, 45 und 78
  5. Quelle, S. 71, 6. Z.v.o.
  6. Quelle, S. 78, 9. Z.v.u.
  7. Quelle, S. 70, 20. Z.v.o.
  8. von Goulet zitiert im Nachwort der Quelle, S. 315, 2. Z.v.u.
  9. Quelle, S. 315 bis 327 (übersetzt von Annette Theis)
  10. La Symphonie pastorale in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
  11. Und es ward Licht. www.kino.de. Abgerufen am 21. Juni 2009.

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