Die beiden Wanderer

Die beiden Wanderer

Die beiden Wanderer ist ein Märchen (ATU 613). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der 5. Auflage von 1843 an der Stelle 107 (KHM 107).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Ein leichtherziger Schneider und ein griesgrämiger Schuster wandern zusammen. Der Schneider verdient mehr Geld, weil die Leute ihn mögen, und teilt gerne mit dem neidischen Schuster. Durch den Wald zur Königsstadt führen ein Weg von zwei Tagen und einer von sieben. Weil sie nicht wissen, welcher der richtige ist, kauft der Schuster sich für sieben Tage Brot, der Schneider aber nur für zwei. Als sie am dritten Tag noch nicht ankommen und der Schneider am fünften vor Hunger nicht mehr weiter kann, gibt ihm der Schuster ein Stück Brot, sticht ihm aber dafür ein Auge aus. Dies wiederholt sich am siebten Tag. Nach dem Wald lässt der Schuster den blinden Schneider unter einem Galgen liegen. In der Dämmerung spricht ein Gehängter mit einer Krähe auf dem Kopf zum anderen, dass wieder sehen kann, wer sich mit dem Tau wäscht. So geht es dem Schneider in Erfüllung. Er dankt Gott. Unterwegs begegnet er einem braunen Fohlen, das er reiten will, einem Storch, jungen Enten und einem Bienenstock mit Honig, die er essen will, lässt sich aber immer von den Tieren zur Gnade bewegen. In der Stadt ist er bald für seine Fähigkeiten berühmt und wird Hofschneider. Sein ehemaliger Kamerad, der Hofschuster, will ihn unschädlich machen. Er erzählt dem König einmal, der Schneider habe sich vermessen, die vermisste Krone wiederzubeschaffen, dann, das Schloss in Wachs abzubilden, im Schlosshof Wasser sprudeln zu lassen und dem König einen Sohn besorgen zu können. Der König droht dem Schneider mit Verbannung, Kerker und Tod, wenn er es nicht tue, doch ihm helfen die Enten, die Bienen, das Pferd und der Storch. Zu seiner Hochzeit mit der ältesten Königstochter muss ihm der Schuster Schuhe machen und die Stadt verlassen. Er wirft sich vor Wut und Erschöpfung unter dem Galgen hin. Die Krähen hacken ihm die Augen aus, und er rennt in den Wald.

Herkunft

Grimms Anmerkung notiert: Nach einer Erzählung aus dem Holsteinischen (vom Studenten Mein aus Kiel), die besser und vollständiger sei als Die Krähen in früheren Auflagen (was kürzer, im Galgenmotiv ähnlich ist). Sie vergleichen Paulis Schimpf und Ernst, wo ein am Baum gefesselter Diener von Geistern erlauscht, dass ein Kraut sehend macht, und eine Prinzessin heilt, während seinem Herrn dann die Augen ausgestochen werden, sowie die Braunschweiger Sammlung (S. 168–180), Helwigs jüdische Legenden Nr. 23, der Rat der Vögel an Sigurd (Fafnismal, Str. 32), zum heilenden Tau den Speichel, womit Gott heilt oder unschuldiges Kinder- oder Jungfrauenblut (Altdeutsche Wälder 2, 208 und armer Heinrich S. 175 ff.), Braunschweiger Sammlung S. 168–180, Büchlein für die Jugend S. 252–263, Pröhles Märchen für die Jugend Nr. 1, dänisch bei Molbech Nr. 6, norwegisch bei Asbjörnsen Bd. 2, böhmisch bei Kerle Bd. 1, Nr. 7 St. Walpurgis Nachttraum oder die drei Gesellen, ungarisch bei Gaal Nr. 8 die dankbaren Thiere, Mailath die Brüder (Nr. 8), Stier die drei Thiere S. 65, serbisch bei Wuk Nr. 16. Der persische Dichter Nisami erzählt (in Hammers Geschichte der schönen Redekünste Indiens, Wien 1818, S. 116 f.) von Chair, der von Scheer verräterisch beraubt, geblendet und misshandelt, von einem kurdischen Mädchen geheilt wird, die Sultanstochter heilt und schließlich Scheer wiederbegegnet, den dann ein Kurde tötet.

Laut Märchenforscher Hans-Jörg Uther liegt das Märchen in unzähligen Varianten vor und schon auf einem altägyptischen Papyrus als Rechtsstreit und in buddhistischen Schriften den 8. Jahrhunderts als Erzählung der Brüder Gut-Tat und Schlecht-Tat.[1]

Sprache

Die Erzählung verwendet zur treffenden Charakterisierung der Personen viele Redensarten, von denen einige auch heute in Gebrauch sind: Springinsfeld; Lass dir darüber keine grauen Haare wachsen. Auch die rührselige Schilderung mit vielen christlichen Bezügen unterscheidet sich vom schlichteren Erzählstil früherer Ausgaben. Der zentrale Konflikt wird schon im Einleitungssatz ausgedrückt: Berg und Tal begegnen sich nicht, wohl aber die Menschenkinder, zumal gute und böse.[2]

Interpretation

Ulla Wittmann deutet den Gegensatz zwischen dem lebensfrohen Schneider und dem sorgenvollen Schuster auch (subjektal) als Konflikt eines einseitig intellektualisierenden Geistes mit dem Materialismus, den zu integrieren den zunächst schmerzvollen Weg zur Ganzheit ausmacht.[3]

Vgl. Schneider Hänschen und die wissenden Tiere in Ludwig Bechsteins Neues deutsches Märchenbuch.

Literatur

  • Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. Artemis & Winkler Verlag / Patmos Verlag, 19. Auflage, Düsseldorf / Zürich, 1999, ISBN 3-538-06943-3, S. 518–528.
  • Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-003193-1, S. 200–201, S. 487
  • Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 239–242.
  • Ulla Wittmann: Ich Narr vergaß die Zauberdinge. Märchen als Lebenshilfe für Erwachsene. Ansata, Interlaken 1985, ISBN 3-7157-0075-0, S. 27–38.

Weblinks

 Wikisource: Die beiden Wanderer – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 239–242.
  2. Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008, ISBN 978-3-11-019441-8, S. 239–240.
  3. Ulla Wittmann: Ich Narr vergaß die Zauberdinge. Märchen als Lebenshilfe für Erwachsene. Ansata, Interlaken 1985, ISBN 3-7157-0075-0, S. 27–38.

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