Wanderer (Unternehmen)

Wanderer (Unternehmen)
Wanderer-Werke AG
Logo der Wanderer-Werke AG
Rechtsform Aktiengesellschaft
ISIN DE0007756009
Gründung 1885
Sitz Augsburg
Leitung Oliver Bialowons (Sprecher des Vorstands)
Gerhard Schmidt (Mitglied des Vorstands)
Mitarbeiter 4.415 (Jahresdurchschnitt 2007)[1]
Umsatz 577,7 Mio € (GJ 2007)
Bilanzsumme 647,0 Mio € (GJ 2007)
Website Wanderer-Werke AG
Wanderer-Annonce 1898

Das Unternehmen Wanderer war ein bedeutender deutscher Hersteller von Fahrrädern, Motorrädern, Autos, Lieferwagen, Werkzeugmaschinen und Büromaschinen. Heute ist die Wanderer-Werke AG eine Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb, erbringt jedoch zentrale Dienstleistungen für einzelne Spartengesellschaften.

Den Namen „Wanderer“ bezogen die beiden Firmengründer Winklhofer & Jaenicke aus der Übersetzung der Bezeichnung „Rover“, die der Engländer Starley seinen Modellen gab.

Inhaltsverzeichnis

Firmengeschichte bis 1945

Die Wurzeln von Wanderer gehen bis in das Jahr 1885 zurück. In diesem Jahr gründeten Johann Baptist Winklhofer und Richard Adolf Jaenicke in Chemnitz (Sachsen) die am 26. Februar 1885 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft „Chemnitzer Velociped-Depôt Winklhofer & Jaenicke“ zum Verkauf und zur Reparatur von Fahrrädern. Wenig später fertigten sie bereits einige Hochräder selbst an und ab dem Winter 1885/1886 wurde eine fabrikmäßige Herstellung vorbereitet. Winklhofer und Jaenicke firmierten daher ab 4. Januar 1887 als „Chemnitzer Veloziped-Fabrik Winklhofer & Jaenicke“.

Wanderer-Werke in Schönau bei Chemnitz (1920)

1894 erwarben Winklhofer und Jaenicke ein Areal von 19.000 m² in Schönau bei Chemnitz und bauten dort ein Verwaltungs- und Lagerhaus mit 52 Metern Front, einen Shedbau mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche, ein Maschinenhaus, ein Kesselhaus, einen Stall und Wagenremise. Für sich selbst errichteten die Unternehmer gegenüber ein Doppelhaus. Um 1900 war Wanderer zu einem bedeutenden Unternehmen auf dem Fahrradmarkt geworden und hielt verschiedene Patente, unter anderem für die erste deutsche Zweigang-Nabenschaltung.

Ab 1899 beginnt Wanderer mit der Serienproduktion von Fräsmaschinen.[2] Dieser Schritt war maßgeblich dadurch motiviert, dass die zur damaligen Zeit auf dem Markt verfügbaren Fräsmaschinen nicht die Genauigkeitsanforderungen Winkelhofers und Jaenickes erfüllten.

Das erste Motorrad wurde 1902 gebaut, 1903/04 begann die Serienproduktion von Schreibmaschinen der Marke „Continental" und 1909 die von Additons- bzw. Zweispeziesrechenmaschinen. 1905 kam der erste Autoprototyp „Wanderermobil“, 1907 kam der zweite und 1911 wurde auf dem Berliner Autosalon der Wanderer 5/12 PS Typ W1 gezeigt. 1913 konnte die Automobilserienproduktion aufgenommen werden.

Wanderer „Continental“ Schreibmaschine
Wanderer Mofa 1906

„Wir hatten einen ganz niedlichen, kleinen Wagen im Auge, kleiner als alle bisher gebauten Wagen, niedrig im Anschaffungspreis, sparsam im Benzin-, Gummi- und Ölverbrauch, anspruchslos im Platzbedarf, aber großen Wagen gleich an Schnelligkeit und im Nehmen von Steigungen“, schrieb Winklhofer später.

In Anlehnung an die im selben Jahr in Berlin uraufgeführte Operette „Puppchen“ von Jean Gilbert wurde das zierliche Auto (1,5 m breit, 3 m lang) nach einer Aufführung in Chemnitz vom Volksmund Puppchen genannt. Bereits 1913 kam die Weiterentwicklung zum W2, der 15 PS leistete. Zur Ausweitung der Autoproduktion baute Wanderer ein weiteres Werk im Chemnitzer Vorort Siegmar, das 1927 die Produktion aufnahm. Die weitere Entwicklung ging bis zum W8 5/20 PS im Jahre 1926/27. Für den Nachfolger des Puppchen wurde 1930 bei Ferdinand Porsche in Stuttgart die Konstruktion eines Sechszylinder- und zweier Achtzylindermotoren in Auftrag gegeben. Nur der Sechszylinder debütierte 1931 im W14 12/65 PS mit einem Dreiliter-Leichtmetallmotor, denn Probleme des Unternehmens ließen es von der Fahrzeugproduktion abrücken. Auch auf Druck der Dresdner Bank, bei der Wanderer mit 5 Mio. RM verschuldet war, verkaufte Wanderer Lizenzen für die schweren Motorräder an den tschechischen Ingenieur Dr. Fr. Janacek, der damit die Motorradmarke Jawa gründete, und schloss am 29. Juni 1932 einen Kauf- und Pachtvertrag für die Autofabrik der Wanderer-Werke in Siegmar der auf Bestreben der Sächsischen Landesbank gegründeten Auto Union AG. In diesem Konzern wurden neben Audi, DKW und Horch weiterhin Automobile der Mittelklasse unter dem Namen Wanderer gebaut.

1935 kam der W21, ein direkter Konkurrent zum Mercedes-Benz 170 V, auf den Markt. Insgesamt bot Wanderer ab diesem Jahr eine breitgefächerte Modellpalette von sechs Karosserien mit drei Motoren an. Von dem erfolgreichsten Modell, dem W24, wurden rund 24.000 Exemplare hergestellt.

Die Wanderer AG konzentrierte sich sehr erfolgreich auf die Produktion hochwertiger Werkzeugmaschinen, Schreibmaschinen, Rechenmaschinen und Fahrräder. Das Radsportteam des Werkes konnte viele sportliche Erfolge erringen.

PKW-Modelle

Auto Union Wanderer W25K, 1936
Wanderer W25K (1936–1938)
Wanderer W51 Spezial
Wanderer W 23 Cabriolet 1938
Wanderer W 24 Limousine 1939
Wanderer W 51 der Wehrmacht, Russland 1943
Typ Bauzeitraum Zylinder Hubraum Leistung Vmax
W1 (5/12 PS) „Puppchen“ 1912–1913 4 Reihe 1147 cm³ 12 PS (8,8 kW) 70 km/h
W2 (5/15 PS) „Puppchen“ 1913–1914 4 Reihe 1222 cm³ 15 PS (11 kW) 70 km/h
W3 (5/15 PS) „Puppchen“ 1914–1919 4 Reihe 1286 cm³ 15 PS (11 kW) 70 km/h
W4 (5/15 PS) „Puppchen“ 1919–1924 4 Reihe 1306 cm³ 17 PS (12,5 kW) 78 km/h
W6 (6/18 PS) 1921–1923 4 Reihe 1551 cm³ 18 PS (13,2 kW) 80 km/h
W9 (6/24 PS) 1923–1925 4 Reihe 1551 cm³ 24 PS (17,6 kW) 85 km/h
W8 (5/20 PS) „Puppchen“ 1925–1926 4 Reihe 1306 cm³ 20 PS (14,7 kW) 78 km/h
W10/I (6/30 PS) 1926–1928 4 Reihe 1551 cm³ 30 PS (22 kW) 85 km/h
W10/II (8/40 PS) 1927–1929 4 Reihe 1940 cm³ 40 PS (29 kW) 95 km/h
W11 (10/50 PS) 1928–1930 6 Reihe 2540 cm³ 50 PS (37 kW) 90 km/h
W10/IV (6/30 PS) 1930–1932 4 Reihe 1563 cm³ 30 PS (22 kW) 85 km/h
W11 (10/50 PS) 1930–1933 6 Reihe 2540 cm³ 50 PS (37 kW) 97 km/h
W14 (12/65 PS) 1931–1932 6 Reihe 2970-2995 cm³ 65 PS (48 kW) 105 km/h
W15 (6/30 PS) 1932 4 Reihe 1563 cm³ 30 PS (22 kW) 85 km/h
W17 (7/35 PS) 1932–1933 6 Reihe 1690 cm³ 35 PS (25,7 kW) 90 km/h
W20 (8/40 PS) 1932–1933 6 Reihe 1950 cm³ 40 PS (29 kW) 95 km/h
W21 / W235 / W35 1933–1936 6 Reihe 1690 cm³ 35 PS (25,7 kW) 95 km/h
W22 / W240 / W40 1933–1938 6 Reihe 1950 cm³ 40 PS (29 kW) 100 km/h
W245 / W250 1935 6 Reihe 2257 cm³ 50 PS (37 kW) 100–105 km/h
W45 / W50 / W51 Spezial 1936–1938 6 Reihe 2257 cm³ 55 PS (40 kW) 100–105 km/h
W25K 1936–1938 6 Reihe 1950 cm³ 85 PS (62,5 kW) 145 km/h
W52 1937 6 Reihe 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 115 km/h
W24 1937–1940 4 Reihe 1767 cm³ 42 PS (30,9 kW) 105 km/h
W26 1937–1940 6 Reihe 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 115 km/h
W23 1937–1941 6 Reihe 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 105 km/h

Firmengeschichte ab 1945

Nach dem Krieg kam es zu einem von der sowjetischen Besatzungsmacht wohlwollend geduldeten Volksentscheid über die entschädigungslose Enteignung von Nazis und Kriegsverbrechern. Dazu gehörten nicht nur die Betriebe, die Rüstungsgüter hergestellt hatten. Aufgrund des Volksentscheids in Sachsen am 30. Juni 1946 wurden sowohl die Wanderer-Werke als auch die Auto-Union in Chemnitz enteignet und in der DDR als Volkseigene Betriebe weitergeführt. Das Autowerk in Siegmar wurde der VVB Fahrzeugbau zugeordnet, der Werkzeugmaschinenbetrieb als VEB Wanderer-Fräsmaschinenbau (ab 1951 VEB Fritz-Heckert-Werk, dem späteren Stammbetrieb des VEB Werkzeugmaschinenkombinat „Fritz-Heckert“) weitergeführt und der Büromaschinenbetrieb in Schönau wurde zum VEB Wanderer-Continental Büromaschinenwerk unter dem Dach der VVB Mechanik. In der Besatzungszeit wurden auch große Teile der nahezu unversehrten Wanderer-Werke demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion verbracht.

Als Folge von Enteignung und Verstaatlichung in der DDR führten Eigentümer und Manager der Wanderer-Werke das Unternehmen in Westdeutschland fort. So tagte im Jahr 1948 in München eine außerordentliche Hauptversammlung der Wanderer-Werke AG und beschloss, den Sitz der Gesellschaft von Chemnitz nach München zu verlegen. Ab 1949 wurden wieder Fahrräder und Mopeds gehandelt, hergestellt von der Firma Meister in Bielefeld. Daraus entwickelte sich die heutige Wanderer-Werke AG; eine Automobilproduktion dieser Marke gibt es nicht mehr.

Ab den 1950er Jahren beteiligte sich die Wanderer-Werke AG auch schrittweise am Unternehmen Exacta Büromaschinen GmbH in Köln und setzte damit auch die eigene Tradition als Büromaschinenhersteller fort. 1953 übernahm Wanderer zunächst 50 % des Aktienkapitals und 1960 ging die Exacta Continental GmbH zu 100 % in Besitz der Wanderer-Werke über. Konsequenterweise wurde der damals größte westdeutsche Büromaschinenproduzent auch in Wanderer-Werke umbenannt. Infolge einer Unternehmenskrise – um mit der rasanten Entwicklung des modernen Computerwesens Schritt halten zu können, hatte Wanderer einen elektronischen Tischrechner die Wanderer Logatronic entworfen, dessen Elektronik Wanderer beim Computerpionier Heinz Nixdorf entwickeln ließ – 1968 wurde die Firma von Nixdorf gekauft und bildete den industriellen Kern der Nixdorf Computer AG.

Reiserad aufgebaut auf Wanderer-Rahmen, 2006

Fahrräder mit dem Markennamen „Wanderer“ wurden 1998 bis 2006 von der Firma AT Zweirad GmbH in Altenberge bei Münster hergestellt und von Manufactum vertrieben, die Wanderer-Werke AG trat dabei lediglich als Lizenzgeber des Markennamens auf. Seit 2006 werden Fahrräder mit dem Markennamen „Wanderer“ von der Zwei plus zwei GmbH in Köln entwickelt, in Deutschland hergestellt, und von Manufactum sowie von ausgewählten Fachhändlern vertrieben, wobei die Wanderer-Werke AG dabei ebenfalls lediglich als Lizenzgeber des Markennamens auftreten.

Heute stellt sich die Wanderer-Werke AG als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb mit den Sparten Mailroom Management (über eine 50,1% Beteiligung an der börsennotierten Böwe-Systec-Gruppe), Kraftfahrzeugteile (Carl Kittel Autoteile GmbH; Kittel Supplier GmbH) und Verpackungsmaterialien (Karl Fislage GmbH & Co. KG; Merseburger Verpackung GmbH) dar.

Im Dezember 2008 wurde per Ad-hoc-Mitteilung der Rücktritt des Vorsitzenden und Sprechers Dr. Claus Gerckens bekanntgegeben.[3] Oliver Bialowons übernimmt fortan den Vorsitz. Kurz darauf ernennt der Aufsichtsrat der Tochter Böwe Systec Bialowons dort ebenfalls zum Vorstand, in der zusätzlich geschaffenen Position des Chief Operating Officer (COO). Ebenfalls im Dezember 2008 meldete das Tochterunternehmen Kittel Supplier GmbH vorläufige Insolvenz an.[4]

Im November 2009 wurde der Anteil an der Tochter Böwe Systec an eine von den Gläubigern der Gruppe kontrollierten Treuhandgesellschaft übertragen, die den Verkauf des Aktienpakets betreiben soll.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2010 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Wanderer-Werke AG angeordnet. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde der Augsburger Rechtsanwalt Christian Plail bestellt.

Literatur

  • Gerhard Mirsching: Wanderer. Die Geschichte des Hauses Wanderer und seine Automobile. Verlag Uhle & Kleimann, Lübbecke 1981, ISBN 3-922657-13-3.
  • Hans-Christian Schink und Tilo Richter: Industriearchitektur in Chemnitz 1890–1930. Hrsg. v. Deutschen Werkbund Sachsen e.V., Thom-Verlag, Leipzig 1995, ISBN 3-930383-10-1.
  • Thomas Erdmann: Wanderer Automobile. Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2008, ISBN 3-7688-2522-1.
  • Jörg Feldkamp, Achim Dresler (Hrsg.): 120 Jahre Wanderer 1885–2005. Ein Unternehmen aus Chemnitz und seine Geschichte in der aktuellen Forschung. Zweckverband Sächsisches Industriemuseum, Chemnitz 2005, ISBN 3-934512-13-5.
  • Heiner Matthes, Jörn Richter (Hrsg.): Siegmar-Schönau. Die Stadt vor der Stadt. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Siegmar, Schönau, Reichenbrand und Stelzendorf. 2. Auflage, Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 2004, ISBN 978-3-91018642-2.

Weblinks

 Commons: Wanderer-Werke AG – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Geschäftsbericht 2007 der Wanderer Werke AG
  2. StarragHeckert: Historie. Abgerufen am 15. Juli 2011.
  3. DGAP-Adhoc: Wanderer-Werke AG
  4. Wanderer-Werke AG: Vorläufige Insolvenzverwaltung über die Kittel Supplier GmbH angeordnet, DGAP-Adhoc, 20. Dezember 2008

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