Domenico Scarlatti

Domenico Scarlatti
Domenico Scarlatti, porträtiert von Domingo Antonio Velasco (1738)

Giuseppe Domenico Scarlatti (* 26. Oktober 1685 in Neapel; † 23. Juli 1757 in Madrid) war ein italienischer Komponist und Cembalist. Seine Hauptbedeutung liegt in seinen Sonaten für Cembalo, die zum Originellsten ihres Genres in seinem Jahrhundert zählen. [1]

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Domenico Scarlatti war der Sohn des zu seiner Zeit äußerst bekannten und sehr produktiven Komponisten Alessandro Scarlatti. Ebenso wie sein älterer Bruder Pietro Filippo Scarlatti ergriff auch Domenico den Beruf des Tonsetzers; seine ersten Opern wurden bereits ab 1703 in Neapel aufgeführt, darunter "L'Ottavia ristituita". Bereits 1701 war er hier für die Hofkapelle als Organist und Komponist tätig und nahm Unterricht bei Franceso Gasparini. 1702 reiste er nach Florenz, wo er zusammen mit seinem Vater in Diensten von Prinz Fernando de' Medici stand.

In den ersten Jahrzehnten hatte Domenico Scarlattis Karriere nichts Außergewöhnliches an sich. Sie führte ihn nach Venedig (1707) und brachte ihm Anstellungen bei der im Exil lebenden polnischen Königin Maria Casimira Sobieska in Rom, beim Vatikan sowie beim Kardinal Pietro Ottoboni ein. Weder Domenicos Produktivität noch seine Bekanntheit konnten sich mit der seines Vaters messen, und seine Musik aus dieser Zeit – überwiegend Vokalwerke, von denen nur noch wenige erhalten sind – blieb konventionell. In Venedig lernte er Georg Friedrich Händel kennen; beide freundeten sich trotz ihrer Rivalität an. Scarlatti wandte bereits in Venedig bei Spielen von Tasteninstrumenten alle zehn Finger an und schien durch seine Virtuosität das Publikum zu beeindrucken. Dazu ein englischer Reisender und Kollege des berühmten Vaters:

„Ihm sei gewesen, als ob zehn Mal Hundert Teufel gesessen wären, nie zuvor hatte er ein derart hinreißendes Spiel gehört.“

1719 wurde Scarlatti Musiklehrer und Hofkapellmeister am königlichen Hofe in Lissabon, wo er neben Vokal- und Orchesterwerken vor allem Suiten für Cembalo und Hammerklavier schrieb. Er unterrichtete hier die portugiesische Prinzessin Maria Barbara am Cembalo und folgte ihr nach Madrid, als sie Ferdinand VI heiratete. Die spätere Königin litt an starkem Asthma, erwies sich aber als große Muskliebhaberin, die viel übte. Die musikalischen Werke aus der Lissaboner Schaffensperiode sind verloren, da nahezu das gesamte Notenmaterial der dortigen Bibliotheken durch das große Erdbeben von 1755 verloren gingen. Doch der große Erfolg begann sich erst infolge dreier Ereignisse einzustellen: Der Tod seines Vaters im Jahr 1725, seine ungewöhnlich späte Heirat 1728 und seine Übersiedelung an den spanischen Hof 1733. Davor verbrachte er vier Jahre in Sevilla, wo er die Musik der spanischen Zigeuner, den Flamenco, kennenlernte.

Domenico Scarlatti war schon früh für sein höchst virtuoses Cembalospiel bekannt. Einer Anekdote zufolge lieferte er sich in Rom einen Wettkampf mit Händel: Während Händel im Orgelspiel siegte, entschied Scarlatti das Cembalospiel für sich.

Späte Jahre - Die Sonaten

Nach seiner Übersiedlung nach Spanien widmete sich Scarlatti praktisch ausschließlich dem Cembalo. Offenbar durch die räumliche Entfernung von seiner Heimat und die innerliche Lösung von seinem Vater befreit sowie beeinflusst durch die spanische Musik, schuf er von 1738 an ein sehr umfangreiches Werk von 555 (erhaltenen) Cembalo-Sonaten. Diese Sonaten sind es, die Domenico Scarlattis Ruhm begründeten. Die Sonaten K81 und K88-91 sind keine ausschließlichen Cembalosonaten, sondern Sonaten für Cello und Basso Continuo.

Sie liegen uns nicht in Form von Autographen vor, sondern sind als Kopien in verschiedenen Bänden zusammengefasst. Sehr oft folgen dort zwei Sonaten mit gleicher Tonart aufeinander oder unterscheiden sich nur im Tongeschlecht. Diese Abschriften entstanden schwerpunktmäßig in den letzten Lebensjahren Scarlattis. Es gibt allerdings keinen Beleg dafür, ob die Sonaten auch in diesem Zeitrahmen komponiert worden sind; auch ist nicht klar, ob die tonartliche Kopplung vom Komponisten beabsichtigt war.

Scarlatti verstarb an einem Samstag, dem 23. Juli in seinem Haus in der Calle de Leganitos 35 in Madrid und wurde im Kloster Convento de San Norberto beigesetzt, welches 1864 abgerissen wurde, weshalb sein Grab heute nicht mehr erhalten ist. Über den Privatmann ist sehr wenig bekannt. Er soll ein höflicher aber auch zurückhaltender Mann gewesen sein, so dass manche ihn für einen Einzelgänger halten. Er war ein leidenschaftlicher Glückspieler, der oft große Schulden machte, welche von seiner Gönnerin, der spanischen Königin Maria Barbara immer großzügig beglichen wurden.

Verzeichnisse

Mehrere Autoren haben Werkverzeichnisse erstellt. Heute wird für die Klaviersonaten fast durchgängig dasjenige von Ralph Kirkpatrick verwendet (abgekürzt mit K). Er orientierte sich dabei an den Datumsangaben der uns überlieferten Abschriften und der wenigen veröffentlichten Werke. Zwar ist auch dieses Verzeichnis nicht chronologisch, dürfte aber einen Fortschritt gegenüber Sammlungen darstellen, die sich an stilistischen Kriterien orientieren, wie die lange benutzte Ausgabe von Alessandro Longo (Longo-Verzeichnis). In dieser sind die Sonaten zudem nach eigenem Ermessen zu Suiten angeordnet.

2006 entdeckte Daniel Laumans unter den von Gaspar Smit (1767-1819) angelegten Claviermanuskripten von Avila eine weitere, bis dahin unbekannte Sonate von Scarlatti: "Sonata / Don Domenico Escarlati / punto alto" und führte sie 2007 am Cembalo wieder auf.

Charakteristika der Sonaten

Insgesamt sind die Sonaten schwer auf einen Nenner zu bringen, jedoch gibt es einige Grundmerkmale. Die Sonaten sind zweiteilig; beide Teile werden wiederholt.

Steht die Sonate in Dur, so moduliert der erste Teil meistens von der Tonika zur Dominante. Der im zweiten Teil anschließende harmonische Verlauf führt von der Dominante zur Tonika zurück. Es gibt auch einige Dur-Sonaten, deren beide Teile in Moll enden, oder solche Sonaten, deren zweiter Teil nicht auf der Dominante beginnt, sondern in einer entlegeneren Tonart. Dies sind nur einige Besonderheiten.

Steht die Sonate in Moll, so moduliert der erste Teil meistens von der Moll-Tonika zur Tonikaparallele. Der zweite Teil moduliert wieder zurück in die Tonika.

Unabhängig davon, ob es sich um eine Sonate in Dur oder um eine in Moll handelt, weisen die Sonaten im ersten Teil mehrere Motive auf, die oft auch im zweiten Teil wieder auftauchen.

Es kommt häufig zu motivischer Arbeit, die harmonische Textur ist dicht und führt in entferntere Tonarten. Ein weiteres Kennzeichen ist die Verwendung repetitiver Strukturen. Manche der Sonaten wirken durchaus wie ein Archetypus der sich wenige Jahrzehnte später etablierenden Klaviersonate, wie sie etwa in Wien weiterentwickelt wurde. Scarlattis Klavierwerk hat damit eine Brückenfunktion zwischen Barock und Klassik. Barbara Zuber nennt sie in einer Publikation „Wilde Blumen am Zaun der Klassik“.

Die Sonaten sind bei Scarlatti in ihrer ursprünglichen Bedeutung als „Klangstück“ bzw. „Spielstück“ in Abgrenzung zur Vokalmusik zu verstehen.

Scarlatti schrieb seine Sonaten hauptsächlich als Übungsstücke für Königin Maria Barbara, der er Klavierunterricht gab. Somit dienten sie zunächst der Klavierunterweisung.

Abgesehen von diesen Charakteristika ist das geradezu Experimentelle vieler Sonaten auffällig. Vor allem Einflüsse des Flamenco, aber auch anderer spanischer Tanzformen verband Domenico Scarlatti mit seinen frühen musikalischen Prägungen zu einem persönlichen Stil. Verblüffend ist, wie nonchalant er volkstümliche Elemente in seine für einen feudalen Rahmen komponierten Sonaten einbaut und profan-alltägliche Klangerfahrungen integriert, imitiert und transzendiert. Ebenso verwendet er Klänge natürlichen Ursprungs, etwa den Singvogelgesang. Wie er hier Verfahrensweisen der Spätromantik und der Programmmusik vorwegnimmt, so setzt er sich auch über die Konventionen seiner Zeit, insbesondere was die Stimmführung angeht, souverän hinweg; manche Stellen mit Acciaccaturen können sogar an Klangcluster erinnern, wie sie systematisch erst im 20. Jahrhundert in die Musik Einzug fanden. [2] [3]

Virtuosität

Auf technischer Ebene betritt Scarlatti mit weiten Sprüngen (Z.B. Takt 80 bis 99 in K. 28), Überkreuzen der Hände (Z. B. in Takt 6 bis 9 in K. 16, Takt 22 ff. in K. 29 oder Takt 23 ff. in K. 53) schnellen Tonrepititionen (Z.B. in Takt 23 bis 30 von K. 211 oder Takt 13 ff. von K. 149), Passagen in Sexten und Oktaven (Z.B. in Takt 66 bis 72 in K. 44), gebrochenen Akkorden und Tonleitern in rasantem Tempo über mehrere Oktaven (Z.B Takt 1 ff. in K. 50), Arpeggien über bis zu vier Oktaven (Z. B. in Takt 30 und 31 in K. 107) eine neue Stufe der Virtuosität, [4] die alles hinter sich lässt, was bis dahin dem Cembalisten abverlangt wurde. [5] Ein späterer Zeitzeuge notierte folgende Aussage von Scarlatti:

"Scarlatti sagte öfter, er wisse recht gut, dass er in seinen Klavierstücken alle Regeln der Komposition beiseitegesetzt habe, es gäbe fast keine andere Regel, worauf ein Mann von Genie zu achten habe, als diese, dem einzigen Sinne, dessen Gegenstand die Musik ist, nicht zu missfallen. Da ihm die Natur zehn Finger gegeben hätte, so sähe er keine Ursache, warum er sie nicht alle zehn gebrauchen sollte!"

Bedeutung der Sonaten

Während sie lange Zeit mehr als „Showstücke“ gespielt wurden - viele erfordern eine große Virtuosität vom Interpreten -, wurden die Sonaten, insbesondere in der Folge der Arbeiten von Ralph Kirkpatrick, seit den 1950er Jahren als vollwertige Kompositionen wiederentdeckt. Die Sonaten von Scarlatti gehören heute zum Repertoire fast jedes Konzertpianisten.

Eine erste, maßstabsetzende Gesamteinspielung der Sonaten erfolgte durch Scott Ross. Aber auch über hundert international bekannte Pianisten haben die Sonaten in den letzten 50 Jahren auf modernen Klavieren eingespielt; es liegen derzeit (September 2011) von wenigstens 411 der 558 Sonaten Klavier-Versionen auf Tonträgern vor; von manchen Nummern gibt es Dutzende von Einspielungen. Eine neue Gesamtaufnahme auf dem Cembalo hat Pieter-Jan Belder eingespielt, eine auf dem Konzertflügel wird gerade von Carlo Grante erarbeitet, die Firma Naxos plant mit verschiedenen Konzertpianisten eine Gesamtaufnahme auf Klavier, von der (November 2010) 14 Teile erschienen sind. Eine neue Gesamtausgabe der Noten ist im Verlag Ricordi erschienen.

Einzelnachweise

  1. Aus dem Vorwort von Ralph Kirkpatrick in Scarlatti - Sixty Sonatas in Two Volumes - Edited in Chronlogical Order from the Manuscript and Eraliest Printed Sources with a Preface by Ralph Kirkpatrick, Volume 1, Schirmer's library of musical classics, distributed by Hal Leonard Publishing Corporation, Seite V: "Domenico Scarlatti was without question the most original keyboard composer of his century, but his true originality became first apparent only in later life. [...] Only with his definitive departure from Italy in 1719, and after his father's death in 1725 does Domenico Scarlatti appear to have developed the style that has rendered him one of the greatest keyboard composers of all time."
  2. Anm.: "Acciaccatura bedeutet ursprünglich einen mit dem Hauptton gleichzeitig ertönenden und von demselben um einen halben Ton entfernten Ton, dessen Zeitdauer viel kürzer ist als die des Haupttons. Der kurz angeschlagene Ton hat einen Farbeffekt. Bei Scarlatti erweitert sich der Begriff der Acciaccatura, bei Kirkpatrick heißt es inneres Pedal und Aufeinanderlegen von Akkorden. Das erinnert manchmal an die in der heutigen Musik verwendete Clusterwirkung. Scarlatti verwendet bei Acciaccaturen kein besonderes Vorzeichen, sondern schreibt die Noten der Acciaccatura in den Akkord hinen, dessen Vortragsweise vom Charakter der Musik und der Vorstellung des Interpreten abhängt. Dementsprechend können die dissonierenden Töne ganz kurz oder lang ertönen, und die Akkorde arpeggiert gespielt werden (wie dies manchmal durch mehrtönige Vorschläge angezeigt ist)." Dazu werden dann zwei kurze Notenbeispiele aus K 175 und K 119 abgebildet; zitiert aus dem Vorwort von György Balla in Közreadjy und Balla: Domenico Scarlatti, 200 Sonate per clavicembalo (pianoforte), II, (Urtext), Editio Musica Budapest, 1978
  3. Anm.: Die Bezeichnung Cluster In Bezug auf Scarlatti und die Acciaccatura sieht Herbert Henck in Herbert Henck: Klaviercluster - Geschichte, Theorie und Praxis einer Klanggestalt, Lit-Verlag, 1. Aufl., 2004, Seite 55 eher zurückhaltend: "Es ist allerdings eine Frage der Einschätzung, ob man die Bezeichnung Cluster dabei gelten lassen will, denn wenn in Scarlattis Klaviermusik gelegentlich auch überraschen moderne Harmonien mit einer clusterähnlichen Häufung dissonanter Nebennoten auftreten, so lassen sich diese, wie Richard Boulanger wohl zu Recht betont, doch stets im Rahmen der Acciaccatura ("Quetschung") erklären. Diese "dem gesamten Barock eigentümliche, oft sicherlich aus dem Stegreif angewandte Art der Akkordbrechung mit Hinzufügung ganz kurz angeschlagener, bzw. gerissener dissonanter Nebentöne verleiht den zu Grunde liegenden Harmonien einen besonderen sinnlichen Reiz, und als Beispiel lassen sich Scarlattis Sonate in D-Dur (K. 119) oder in A-Moll (K. 175) anführen."
  4. Karl Heinrich Wörner, Wolfgang Gratzer, Lenz Meierott: Geschichte der Musik – Ein Studien- und Nachschlagebuch; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1993; Seite 366
  5. Klaus Wolters: Handbuch der Klavierliteratur - Klaviermusik zu zwei Händen, 5. Aufl., Atlantis Musikbuch-Verlag, 2001, Seite 190

Weblinks

 Commons: Domenico Scarlatti – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur von und über Scarlatti

Akustisches

Noten

Sonstiges


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