Dornfinger (Gattung)

Dornfinger (Gattung)
Dornfinger
Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), Weibchen

Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), Weibchen

Systematik
Klasse: Spinnentiere (Arachnida)
Ordnung: Webspinnen (Araneae)
Unterordnung: Echte Webspinnen (Araneomorphae)
Familie: Dornfingerspinnen (Miturgidae)
Gattung: Dornfinger
Wissenschaftlicher Name
Cheiracanthium
C. L. Koch, 1839

Die Dornfinger (Cheiracanthium) sind eine Gattung der Spinnen aus der Familie der Dornfingerspinnen (Miturgidae). Mit zurzeit 195 beschriebenen Arten ist die Gattung die größte der Familie. Sie ist weltweit verbreitet. Für Europa sind bisher 25 Arten beschrieben. Typusart der Gattung[1] und zugleich eine für die Giftwirkung auf den Menschen bekannte Art ist der Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium).

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die Arten der Gattung Cheiracanthium sind für mitteleuropäische Verhältnisse mittelgroße bis große Spinnen, die größte europäische Art ist der Ammen-Dornfinger mit einer Körperlänge von bis zu 15 mm. Der Körper ist kräftig, der Vorderkörper (Prosoma) ist länglich oval und meist einfarbig beige bräunlich. Der Hinterkörper (Opisthosoma) ist ebenfalls länglich oval. Er ist bei vielen Arten fast einfarbig grünlich oder bräunlich, bei einer Reihe von Arten zeigt er aber ein breites Mittelband. Die Cheliceren (Kieferklauen) sind auffallend kräftig und bei den Männchen zusätzlich stark verlängert.

Die relativ kleinen Augen sind in zwei dicht hintereinanderliegenden Doppelreihen angeordnet. Anders als bei der ähnlichen Gattung Clubiona ist die hintere Augenreihe dabei nicht deutlich breiter als die vordere.[2][3][4] Die Beine sind recht lang, dabei ist das erste Beinpaar deutlich länger als das zweite Beinpaar, bei Clubiona ist es umgekehrt.[2][3][4] Zudem fehlt im Gegensatz zu Clubiona eine klare foveale Absatzmarke am Prosoma.[3][4]

Lebensweise

Die Arten der Gattung bauen keine Fangnetze. Sie sind nachtaktive Jäger, der Tag wird in Ruhegespinsten verbracht, die je nach Art verschieden exponiert, meist in krautiger Vegetation oder versteckt unter Steinen und in Gestrüpp angelegt werden. Zur Fortpflanzung legen die Weibchen sogenannte Brutgespinste an. Der Eikokon wird an der Innenseite des Brutgespinstes befestigt und dort ebenso wie die Jungspinnen vom Weibchen bewacht.

Bedeutung des Namens

Die Typusart Cheiracanthium punctorium,
Männchen (oben), Weibchen (unten) und Augenstellung,
in dem Werk Die Arachniden von C. L. Koch (1839),
dem Erstbeschreiber der Gattung Cheiracanthium:
der gattungstypische Sporn am ♂ Pedipalpentarsus ist erkennbar[5]

Der deutsche Name „Dornfinger“ ist eine wörtliche Übersetzung der von C. L. Koch 1839 vergebenen Gattungsbezeichnung Cheiracanthium (griech.: ῆ χείρ hē cheir = „die Hand, die Faust, der Arm“; ῆ ἂχανθα hē akantha = „der Dorn“).[6][7] Bei der häufig verwendeten Schreibweise Chiracanthium handelt es sich um eine nach den internationalen Regeln der zoologischen Nomenklatur nicht gerechtfertigte, linguistisch motivierte Korrektur der Umschreibung.[8][9] Der Name bezieht sich auf einen der Gattung eigenen dornartigen Fortsatz an dem Cymbium genannten, umgestalteten Tarsus der männlichen Pedipalpen, der von C. L. Koch bei der Aufstellung der Gattung als Unterscheidungsmerkmal zur Gattung Clubiona herangezogen wurde.[10] Der Name stammt somit aus der Genital-Morphologie der Gattung und weist keine Verbindung mit der Gefährlichkeit durch Biss- oder Giftwirkung einzelner Arten für den Menschen auf, wie man vielleicht glauben könnte.[6][11] Wenn auch unter „Dornfinger“ häufig die Spezies Cheiracanthium punctorium verstanden wird, so gilt die Bezeichnung im ursprünglichen und eigentlichen Sinne jedoch für alle Arten der Gattung Cheiracanthium.[6] Bei der Verwendung der deutschen Bezeichnung „Dornfinger“ sind Verwirrungen und Verwechslungen leicht möglich. Obwohl nicht Cheiracanthium, sondern Miturga wissenschaftlich namengebend für die Familie (Miturgidae) ist,[8] wird als triviale Entsprechung für den Familiennamen doch auch „Dornfingerspinnen“ für die verschiedenen Gattungen der Miturgidae benutzt. Die Dornfinger-„Hysterie“ im Jahr 2006 in Österreich könnte sich zudem an einer südeuropäischen, nach Nordamerika eingeschleppten und rezent wieder seit 1993[12] für Österreich nachgewiesenen Art - Cheiracanthium mildei L. Koch 1864 - entzündet haben, die möglicherweise dorthin eingeschleppt wurde oder eingewandert ist.[6][13]

Systematik

Die Gattung Cheiracanthium war - aus Gründen der Praktikabilität und trotz deutlicher Bedenken an einer verwandtschaftlichen Zugehörigkeit - noch bis vor kurzer Zeit in die Familie Clubionidae (Sackspinnen) gestellt worden.[14] 1997 wurde sie von Ramírez et al. in die Unterfamilie Eutichurinae der Familie Miturgidae (Dornfingerspinnen) transferiert.[15] Zwar machte Deeleman-Reinhold diesen Transfer bereits 2001 wieder rückgängig,[16] doch wurde diese erneute Zuweisung zu den Clubionidae in dem Katalog von Platnick bisher nicht übernommen. Weltweit wurden bis 2007 195 Arten der Gattung Cheiracanthium beschrieben, von denen 25 in Europa vorkommen.[8]

Giftwirkung bei Menschen

Eine Reihe der größeren Arten der Gattung kann dem Menschen relevante Vergiftungen zufügen. Dazu zählt in Europa der Cheiracanthium punctorium, sowie die im südlichen Europa verbreitete Art Cheiracanthium mildei. Der Biss selbst und die anschließenden klinischen Symptome - im anglophonen Schrifttum zuweilen als Chiracanthism[17] oder Cheiracanthism[18] geführt - werden in der Literatur sehr unterschiedlich beschrieben, da offenbar häufig Vergiftungen ohne ausreichende Sicherheit Arten der Gattung Cheiracanthium zugeschrieben wurden.[19] [20] Die Bisse werden gelegentlich kaum wahrgenommen, meist aber als ähnlich schmerzhaft wie ein Wespen- oder Bienenstich empfunden. Fast immer stellt sich an der Bissstelle nach einigen Minuten ein brennender Schmerz ein. Diese Schmerzen dehnen sich dann innerhalb von Minuten oder einigen Stunden auf die gesamte gebissene Gliedmaße aus. Bei Bissen in die Finger treten fast immer Schmerzen und Druckempfindlichkeit in den Lymphknoten der Achselhöhlen auf. Selten sind schwerere Verläufe mit Schüttelfrost, Schwindel, Erbrechen, leichtem Fieber oder Kreislaufversagen. Nach 24–30 Stunden sind die Symptome meist vollständig abgeklungen. Berichte über dauerhaftere Schädigungen oder gar Todesfälle gibt es nicht. Bisse bei Kindern und empfindlicheren Erwachsenen sollten ärztlich beobachtet, aber nur symptomatisch behandelt werden. Zu diesem Zweck können analgetische Steroid-Salben, Aspirin oder ein Relaxans (Erschlaffungsmittel) zur Anwendung kommen.[17]

Die in der Literatur häufig zu findende Feststellung, dass Bisse von Arten der Gattung Cheiracanthium auch kleinflächige Nekrosen verursachen, ist so pauschal offenbar falsch. Eine kritische Überprüfung aller publizierten Vergiftungen durch Cheiracanthium-Arten ergab nur in einem Fall eine (durch Cheiracanthium punctorium verursachte) bohnengroße Nekrose an der Bissstelle. Weder in Europa, noch in Amerika und Australien konnten darüber hinaus weitere Nekrosen durch Bisse von Arten der Gattung Cheiracanthium nachgewiesen werden.[19]

In Südafrika warnen Fachpublikationen[21] und Feldführer[22] vor den Bissen diverser Cheiracanthium-Arten, von denen besonders Cheiracanthium lawrencei Roewer, 1951 eine signifikante Giftwirkung auf den Menschen nachgesagt wird. Cheiracanthium-Exemplare sollen dort - laut M. R. Filmer - häufig in den Häusern mit ihren Gespinstsäcken gefunden werden, des nachts über schlafende Menschen laufen und auf leichte Provokationen hin aggressiv beißen.[22] Doch wurden die Verursacher der Bisse in den betreffenden Fällen offenbar nicht oder nicht fachgerecht bestimmt.[23] Auch die beschriebenen Symptome (verhältnismäßige Schmerzlosigkeit, relativ großer Abstand der Bissmarken durch die Cheliceren) werfen Widersprüche auf, die eine Überprüfung nahelegen.[23]

Gesicherte Angaben zur Häufigkeit von Bissen gibt es nicht. Auch bei zahlreichen publizierten Mitteilungen zu Vergiftungen ist häufig unklar, ob die Patienten tatsächlich durch eine Art der Gattung Cheiracanthium gebissen wurden, da die Spinne meist nicht zur Bestimmung vorlag oder zum Teil gar nicht gesehen wurde.[19]

Quellen

  • Heiko Bellmann: Kosmos Atlas Spinnentiere Europas. 3. Aufl., 2006. Kosmos, Stuttgart, ISBN 978-3-440-10746-1.
  • Andreas Wolf: Cheiracanthium punctorium - Portrait einer berüchtigten Spinne. Natur und Museum 118; 1988: S. 310-317.

Einzelnachweise

  1. Norman I. Platnick, The world spider catalog, version 8.5, American Museum of Natural History, online at http://research.amnh.org/entomology/spiders/catalog/index.html, hier http://research.amnh.org/entomology/spiders/catalog/MITURGIDAE.html, Last updated June 11, 2007
  2. a b Wolfgang Nentwig, Ambros Hänggi, Christian Kropf & Theo Blick, Spinnen Mitteleuropas/Central European Spiders - An internet identification key, http://www.araneae.unibe.ch Version of 8.XII.2003, URL hier http://www.araneae.unibe.ch/Bestimmung/Familienschluessel/clubionidae/Clubionidae_gesamt nach Heimer & Nentwig 1991 und Roberts 1995
  3. a b c Michael J. Roberts (Übers. & Bearb. Aart P. Noordam), Spinnengids, Tirion, Baarn 1998/1999, S. 1-397, ISBN 90-5210-268-6, hier S. 141
  4. a b c Michael J. Roberts, Die Spinnen von Großbritannien und Irland 3: Atypidae bis Linyphiidae (Farbtafeln) - mit Anmerkungen zur mitteleuropäischen Fauna von Jörg Wunderlich [Original: The Spiders of Greatbritain and Ireland, Vol. 3; Harley Books, 1985], Erich Bauer, Keltern 1985, S. 1-256, ISBN 3-88988-007-X. ISBN 0-946589-07-0, hier Plate 28-30 (Clubiona) gegenüber Plate 31 (Cheiracanthium)
  5. Carl Ludwig Koch (Begründer: Carl Wilhelm Hahn), "Die Arachniden - Getreu nach der Natur abgebildet und beschrieben", C. H. Zeh'sche Buchhandlung, Nürnberg, Sechster Band, 1839, S. 1-156, hier S. 9-11, Tab. CLXXXII, Fig. 434-435 [Originalexemplar von Oxford University, Digitalisiert am 10. Mai 2006 (Google), URL: http://books.google.de/books?id=sxEAAAAAQAAJ&pg=PT7&output=html oder http://books.google.de/books?pg=PT7&id=sxEAAAAAQAAJ, abgerufen am 16.I.2008 über "Google Buchsuche"]
  6. a b c d Niederösterreichisches Landesmuseum: Dornfinger – eine Spinne wird zum Medienstar, Broschüre, 2007, Volltext als pdf
  7. Fritz Clemens Werner, Wortelemente lateinisch-griechischer Fachausdrücke in den biologischen Wissenschaften, Suhrkamp, 1. Aufl. 1972, ISBN 3-518-36564-9, hier S. 82, 157f
  8. a b c [1]N. I. Platnick 2007. The world spider catalog, version 8.0. American Museum of Natural History
  9. Jerzy Prószyński & Wojciech Staręga, Pająki - Aranei, Katalog fauny Polski, 33, Warszawa 1971, S. 1-382, hier S. 224, Fußnote 1
  10. Carl Ludwig Koch (Begründer: Carl Wilhelm Hahn), "Die Arachniden - Getreu nach der Natur abgebildet und beschrieben", C. H. Zeh'sche Buchhandlung, Nürnberg, Sechster Band, 1839, S. 1-156, hier S. 9-11 unter "Cheiracanthium Nutrix" [Originalexemplar von Oxford University, Digitalisiert am 10. Mai 2006 (Google), URL: http://books.google.de/books?id=sxEAAAAAQAAJ&pg=PA11&output=html oder http://books.google.de/books?pg=PA9&id=sxEAAAAAQAAJ#PPA11,M1, abgerufen am 16.I.2008 über "Google Buchsuche"]
  11. Manfred Moritz, KLASSE Arachnida Spinnentiere, in: Dietrich Kühlmann, Rudolf Kilias, Manfred Moritz & Martin Rauschert, Wirbellose Tiere Europas - außer Insekten, Neumann, Radebeul 1993, S. 228-305, hier S. 278
  12. Peter Jäger, Spinnenaufsammlungen aus Ostösterreich mit vier Erstnachweisen für Österreich, Arachnologische Mitteilungen, 9, Basel 1995, S. 12-25, hier S. 16 (Online)
  13. Konrad Thaler & Barbara Knoflach, Adventive Spinnentiere in Österreich - mit Ausblicken auf die Nachbarländer (Arachnida ohne Acari), S. 55-76, in: Einwanderer - Neue Tierarten erobern Österreich, S. 275, Stapfia, 37, 1995, S. 1-275 [zugleich: Kataloge des OÖ. Landesmuseums N.F., 84, 1995, 55-76], ISBN 3-900746-78-8, hier S. 57f
  14. Ute Grimm, Die Clubionidae Mitteleuropas: Corinninae und Liocraninae (Arachnida, Araneae), Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg, N. F., 27, Hamburg 1986, 91 S., ISBN 3-490-14596-8, ISSN 0173-7481, hier S. 5, mit Verweis auf Brignoli 1981, S. 544, 546, 555
  15. Martin J. Ramírez, Alexandre B. Bonaldo & Antonio D. Brescovit, Revisión del género Macerio y comentarios sobre la ubicación de Cheiracanthium, Tecution y Helebiona (Araneae, Miturgidae, Eutichurinae) [Revision of the genus Macerio and comments on the placement of Cheiracanthium, Tecution y [and] Helebiona (Araneae, Miturgidae, Eutichurinae)], Iheringia Serie Zoologica, 82, 1997, S. 43-66, hier S. 45
  16. Christa L. Deeleman-Reinhold, Forest spiders of South East Asia: with a revision of the sac and ground spiders (Araneae: Clubionidae, Corinnidae, Liocranidae, Gnaphosidae, Prodidomidae, and Trochanterriidae), Brill, Leiden et al. 2001, S. 1-591, ISBN 90-04-11959-0, hier S. 571
  17. a b Zvonimir Maretić, Spider Venoms and Their Effect, in: Wolfgang Nentwig 1987 (Hg.), Ecophysiology Of Spiders, Springer, Berlin et al. 1987, S. 142-159, ISBN 3-540-17034-0, hier S. 156f
  18. Abdullah Bayram, Nazife Yiğit, Tarık Danışman, İlkay Çorak, Zafer Sancak & Derya Ulaşoğlu, Venomous Spiders of Turkey (Araneae), Journal of Applied Biological Sciences, 1, (3), 2007, S. 33-36, hier S. 34
  19. a b c R. S. Vetter, G. K. Isbister, S. P. Bush & L. J. Boutin: Verified bites by yellow sac spiders (genus Cheiracanthium) in the United States and Australia: where is the necrosis? The American journal of tropical medicine and hygiene 74; 2006: S. 1043-1048
  20. Selbstversuche in Deutschland mit dem Dornfinger siehe P. Sacher: Neue Nachweise der Dornfingerspinne Cheiracanthium punctorium (Arachnida: Clubionidae). Hercynia N. F. 27; 1990: S. 326-334
  21. Richard S. Vetter, Geoffrey K. Isbister, Sean P. Bush & Lisa J. Boutin, Verified Bites by Yellow Sac Spiders (Genus Cheiracanthium) in the United States and Australia: Where is the Necrosis?, American Journal of Tropical Medicine and Hygiene, 74, 2006, S. 1043-1048, hier S. 1046, mit Verweis auf diverse Publikationen von Gerry Newlands et al.
  22. a b z. B. Martin R. Filmer, Southern African Spiders - An Identification Guide, Struik Publishers, Cape Town 1995 (Erstausgabe 1991), S. 1-128, ISBN 1-86825-188-8, hier S. 78
  23. a b Richard S. Vetter, Geoffrey K. Isbister, Sean P. Bush & Lisa J. Boutin, Verified Bites by Yellow Sac Spiders (Genus Cheiracanthium) in the United States and Australia: Where is the Necrosis?, American Journal of Tropical Medicine and Hygiene, 74, 2006, S. 1043-1048, hier S. 1046

Weblinks

 Commons: Cheiracanthium – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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