Dritte Welt

Dritte Welt
Aufteilung der Welt in die Blöcke des Kalten Krieges: Erste Welt blau, Zweite Welt rot, Dritte Welt grün

Als Dritte Welt wurden ursprünglich die blockfreien Staaten bezeichnet, die sich im Ost-West-Konflikt des Kalten Krieges weder der Ersten Welt noch der Zweiten Welt zuordnen ließen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und des Ost-West-Konflikts wandelte sich die Bedeutung des Begriffs Dritte Welt von der ursprünglichen Blockfreiheit der bezeichneten Staaten hin zum Synonym für Entwicklungsland.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung des Begriffes

Die Teilnehmerstaaten der Konferenz von Bandung im Jahre 1955 bezeichneten sich selbst als Dritte Welt.

Der Begriff „Dritte Welt“ (frz. Tiers Monde[1]) wurde vom französischen Demographen Alfred Sauvy in seinem Artikel «Trois mondes, une planète» im L’Observateur vom 14. August 1952 geprägt und sollte, in Analogie zum Dritten Stand (frz. Tiers État) vor der Französischen Revolution, jene Länder bezeichnen, welche zwar die Mehrheit der Weltbevölkerung darstellten, aber in der Weltpolitik dennoch rechtlos waren.

« Les pays sous-développés, le 3e monde, sont entrés dans une phase nouvelle (…) enfin ce Tier-Monde ignoré, exploité, méprisé comme le Tiers-État, veut, lui aussi, être quelque chose.[2] »

„Die Unterentwickelten Länder, die dritte Welt, sind in eine neue Phase eingetreten (…) Diese Dritte-Welt, ignoriert, ausgebeutet, verachtet wie der Dritte Stand, will endlich auch etwas sein.“

An der Konferenz in Bandung (auch Bandoeng, Bandoung; Indonesien) vom 18. April 1955 übernahmen die anwesenden 29 Länder aus Asien und Afrika diese Bezeichnung für sich. Sie verstanden sich zwar als eine Vereinigung von armen Ländern, welche nicht nur für eine wirtschaftliche Besserstellung, sondern auch gegen Kolonialismus und Rassismus kämpfte, bei der Wahl der eigenen Bezeichnung als „Dritte Welt“ stand aber bereits eine andere Deutung als die ursprünglich von Sauvy im Vordergrund, nämlich die „Dritte Welt“ als Vereinigung jener Länder, welche keinem der beiden Machtblöcke des Kalten Krieges angehörten. (Diese Länder haben die Bezeichnung „Dritte Welt“ also selbst für sich gewählt, sie ist somit nicht herabwürdigend.)

Nachdem 1961 in Belgrad offiziell die Bewegung der Blockfreien Staaten gegründet wurde, war die Bezeichnung „Dritte Welt“ eng mit dieser Bewegung verknüpft.

Die Bewegung der Blockfreien war aber immer ein heterogenes Gebilde, und so wurde die Bezeichnung „Dritte Welt“ nach und nach immer mehr zum blossen Synonym für „wirtschaftlich unterentwickelte Länder“. Heute wird die Bezeichnung, falls überhaupt, nur noch mit dieser Bedeutung verwendet.

Am Ende seines Lebens widerrief Alfred Sauvy in einem Beitrag für die Zeitung Le Monde vom 14. Februar 1989 die von ihm geprägte Bezeichnung „Dritte Welt“. Es führe zu weit, die Länder Schwarzafrikas und die „Pantherstaaten“ unter einem Begriff zu subsumieren.

Dritte Welt als politischer Begriff

Das Konferenzgebäude in Bandung während des Treffens 1955
Bewegung der Blockfreien Staaten (gegründet 1961): Mitglieder (dunkelblau) und Beobachter (hellblau) (Stand: 2005)
Die Gruppe der 77 wurde 1964 gegründet und hat heute 130 Mitgliedsstaaten.

Mit dem sich ausbreitenden Ost-West-Gegensatz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges benannten sich 1955 die afro-asiatischen Länder der Bandung-Konferenz Dritte Welt bzw. dritter Block, um deutlich zu machen, dass sie gewillt waren einen „dritten Weg“ der Blockfreiheit zu beschreiten. Die Länder Lateinamerikas, die seit 1947 im Rahmen des Rio-Paktes an den Westen gebunden waren, schlossen sich dieser Gruppe der blockfreien Staaten zunächst nicht an, sondern erst 1961 mit der Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten.

Das enge blockpolitische Verständnis von Dritter Welt weichte schon Anfang der 1960er Jahre auf, weil der Begriff Blockfreiheit von verschiedenen Ländern nahezu beliebig interpretiert wurde. Außerdem kam die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu den Militärblöcken Warschauer Pakt und NATO hinzu.

Seit der ersten UNCTAD-Konferenz im Jahre 1964 schließt der Begriff „Dritte Welt“ die Länder der Gruppe der 77 ein, zu denen sich dann auch die Länder der Dekolonialisierung gesellten. Die Gruppe der 77 tritt als eine Art Gewerkschaft der Dritten Welt auf, stellte aber von Anfang an eine höchst divergente Gruppe dar, angefangen von der Größe und den wirtschaftlichen Ressourcen der Länder über die verschiedenen politischen Regime bis hin zu den Entwicklungsstilen. Trotz aller Unterschiede versuchte man, gemeinsam gegenüber den Industrieländern aufzutreten und mit der Forderung nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung politischen Einfluss auszuüben. Aufgrund unterschiedlicher Situationen der einzelnen Regionen im Bereich Wirtschaft, Kultur, Historik und Politik schaffte es die Gruppe nicht, sich politisch zu einigen. Der Verband erkannte die Unterschiede der Entwicklungsmerkmale und erlangte Erkenntnis über die Interessengegensätze der einzelnen Regionen. 1973/74 gelang es dem Kartell der OPEC-Länder, mit seiner Preispolitik eine Führungsrolle der Entwicklungsländer im Streben nach einer Umverteilung der Ressourcen im Weltmaßstab zu gewinnen. Doch dies führte letztendlich zu Differenzierungen und Gruppenbildungen der erdölproduzierenden und der energieabhängigen Länder.

Zum Ende des Kalten Krieges verschwand die Zweite Welt und löste somit den Kampf der Blöcke auf. Die Blockfreiheit fand daher auch keine Bedeutung mehr für die Dritte Welt. Als einziges gemeinsames Kriterium der Dritte-Welt-Staaten blieb die Unterentwicklung gegenüber den Industriestaaten. Unterschiedliche Entwicklungstheorien, die von einem globalen Nord-Süd-Konflikt ausgehen, führen zu enormen Auseinandersetzungen über die Verschiedenheit in der Dritten Welt.

Dritte Welt als Oberbegriff für Entwicklungsländer

Hauptartikel: Entwicklungsland
Human Development Report der Vereinten Nationen von 2007

Die Dritte Welt umfasst eine Gruppe von etwa 130 wirtschaftlich unterentwickelten Staaten, die sich vorwiegend auf der Südhalbkugel unserer Erde befinden und Defizite im Bereich der Gesundheit, der Bildung, des Sozialwesens, der Infrastruktur sowie in der Politik aufweisen. Diese Staaten werden als Entwicklungsländer bezeichnet und umfassen rund 76 Prozent der Weltbevölkerung. Im Gegensatz zu den industriell hoch entwickelten Industriestaaten zeichnen sich diese Randgebiete als wirtschaftlich unterentwickelt mit langsamem Fortschritt im Bereich der Industrie aus.

Der Oberbegriff „Dritte Welt“ unterstellt den Entwicklungsländern gewisse Gemeinsamkeiten, obwohl diese Länder untereinander sehr verschieden sind. Bei genauerem Betrachten kann man erkennen, dass sich die so genannten Dritte-Welt-Länder durch unzählige Merkmale unterscheiden, wie zum Beispiel nach dem Entwicklungsstand, der Wachstumsrate und der Bevölkerungszahl. Diese Unterschiede lassen sich anhand der zwei Teilgruppen der Dritten Welt besonders hervorheben. Die Gruppen werden als die Vierte Welt und die Schwellenländer bezeichnet.[3]

Die Least Developed Countries

Die Vierte Welt (engl.: Least Developed Countries) umfasst mehr als 40 Länder, insbesondere die Staaten des afrikanischen Kontinents, welche im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern durch ihre enorme Unterentwicklung und Armut gekennzeichnet sind. Hinsichtlich ihrer Rohstoffe, ihres Kapitals und ihres Exports sind diese Länder auf Entwicklungshilfe angewiesen und haben somit ungenügende Voraussetzungen für ein Wirtschaftswachstum. Die zudem notwendigen Nahrungsmittelimporte wirken sich immer negativer auf die schon bestehende hohe Auslandsverschuldung aus und diese stellt wiederum eine Blockade für benötigte Auslandskredite dar.

Mit dem Begriff Schwellenländer (engl.: „Newly Industrialized Countries“) werden diejenigen Entwicklungsländer bezeichnet, die aufgrund ihrer schnellen industriellen Ausbreitung ein hohes Wirtschaftswachstum aufweisen. Zu diesen Ländern gehören zum Beispiel Brasilien, China und Singapur. Die Wirtschaft dieser Länder konzentriert sich sehr stark auf den Export, da in den Schwellenländern eine Eigenproduktion von Industriegütern stattfindet. Während die Schwellenländer den Sprung zum Industriestaat fast geschafft haben, stagniert die wirtschaftliche Entwicklung in vielen afrikanischen Ländern, oder ist rückläufig.

Das Verschwinden des Begriffs Dritte Welt weist auf diese Inhomogenität der Länder hin, wodurch Kritiker es nicht für sinnvoll halten, alle Entwicklungsländer mit einem Begriff unter einen Hut zu stecken. Um den verschiedenen Staaten gerecht zu werden, kann es keine allumfassende Theorie geben, die das Ziel der Entfaltung zur modernen Industrienation verfolgt. Es muss demnach versucht werden, die Dritte-Welt-Staaten hinsichtlich ihrer Entwicklung einzeln zu betrachten und die Kritik am Fortschrittsglauben fallen zu lassen, damit sie nicht weiter von den globalen wirtschaftlichen Veränderungen abgegrenzt werden und zunehmend verarmen. Nur so könnten diese Nationen mit allen anderen Staaten der Erde zu Einer Welt vereint werden.[4]

Siehe auch

Literatur

  • Joachim Betz, Stefan Brüne: Jahrbuch Dritte Welt 1995. C. H. Beck Verlag, München 1994, ISBN 978-3406374692.
  • Reinhard Marx, Franz Josef Stegmann: Marktwirtschaft für die „Dritte Welt“?. Bochum 1992.
  • Dieter Nohlen, Franz Nuscheler: Handbuch der Dritten Welt. 8 Bände. Karl Dietz Verlag, Berlin/Bonn 1992–1994, ab ISBN 978-3801202019.
  • Dieter Nohlen: Lexikon Dritte Welt. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002, ISBN 978-3499614682.
  • Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. 3. Auflage. C. H. Beck Verlag, München 2006, ISBN 978-3406480140.
  • Rudolf Wendorff: Dritte Welt und westliche Zivilisation. Grundprobleme der Entwicklungspolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1984, ISBN 978-3531117225.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Das französische «tiers» wird zwar allgemein mit „dritte, dritter“ übersetzt, bedeutet aber nicht „Dritter“ nicht im Sinne einer Aufzählung oder Rangfolge (das wäre «troisième»), sondern „Dritter“ im Sinne von „Aussenstehender“ oder „neu dazugekommener“.
  2. Le Grand Robert de la Langue Française (deuxième edition)
  3. Franz Nuscheler: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik; Bonn 1991; S.48 f.
  4. A. Boeckh: Entwicklungstheorien: Eine Rückschau; in: Dieter Nohlen Franz Nuscheler: Handbuch der Dritten Welt; Bonn 1992

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