- Lateinamerika
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Lateinamerika ist ein politisch-kultureller Begriff, der dazu dient, die spanisch- und portugiesischsprachigen Länder Amerikas von den anglo-amerikanischen Ländern Amerikas abzugrenzen.[1] Der Wortteil Latein- bezieht sich auf das Lateinische als Ursprung der romanischen Sprachen. In der heute üblichen Definition des Begriffs werden zu Lateinamerika nur die Länder gezählt, in denen das Spanische oder das Portugiesische vorherrschen. Dazu gehören die Länder Südamerikas (ohne Guyana, Suriname und Französisch-Guayana), Mexiko, Zentralamerika (ohne Belize) und die spanischsprachigen Gebiete der Karibik. Die Länder Lateinamerikas haben zusammen eine Fläche von etwa 20 Millionen km², und die Bevölkerung umfasst rund 500 Millionen Menschen.
Inhaltsverzeichnis
Länder Lateinamerikas
Erweiterte Definitionen
- Im wörtlichen Sinne schließt Lateinamerika auch alle französischsprachigen Gebiete Amerikas (und der Karibik) ein, was in den Vereinigten Staaten auch so definiert wird.
- Haiti hat trotz seiner französischen Amtssprache durch die gemeinsame Geschichte und die Landesgrenze mit der Dominikanischen Republik eine engere Bindung zu den spanisch- und portugiesischsprachigen Staaten als andere Länder der Karibik. Aus diesem Grund wird es manchmal auch zu Lateinamerika gezählt.[1]
- Unter Berücksichtigung, dass in den niederländischen Gebieten Aruba und Niederländische Antillen Papiamento, eine Kreolsprache mit teilweise romanischen Wurzeln, gesprochen wird, werden diese Länder manchmal in die Definition Lateinamerikas eingeschlossen.
- Unter dem Gesichtspunkt der Kolonialgeschichte wird manchmal auch die gesamte Karibik zu Lateinamerika gezählt. In Statistiken internationaler Organisationen wird sie jedoch meist getrennt ausgewiesen (Latin America and the Caribbean).
- Einer weiteren hin und wieder in den USA verwendeten Definition zufolge bezieht sich Lateinamerika auf alle amerikanischen Staaten südlich der Vereinigten Staaten unter Einschluss von Belize, Jamaika, Barbados, Trinidad und Tobago, Guyana, Antigua und Barbuda, St. Lucia, Dominica, Grenada, St. Vincent, St. Kitts und Nevis, der Grenadinen und der Bahamas.
Begriffsgeschichte
Die Bezeichnung Lateinamerika wurde zuerst während der französischen Besetzung von Mexiko (1862–1867) vorgeschlagen, als Napoléon III. Erzherzog Maximilians Interessen unterstützte, Kaiser von Mexiko zu werden. Die Franzosen hofften, dass ein umfassender Begriff vom „lateinischen“ Amerika ihre Absichten unterstützen werde. Das Wort ersetzte die bis dahin gebräuchlichen Begriffe Iberoamerika und Hispanoamerika.[1] Die Mexikaner vertrieben später die Franzosen, aber der Wortteil Latein- blieb.
Sprachen
Die vorherrschende Sprache in den meisten Ländern Lateinamerikas ist Spanisch. In Brasilien, dem bevölkerungsreichsten Land der Region, wird Portugiesisch in seiner brasilianischen Variante gesprochen.
Andere europäische Sprachen, die in Lateinamerika verbreitet sind, sind Englisch (zum Teil in Argentinien, Nicaragua, Panama und Puerto Rico), in geringerem Umfang auch Deutsch (im Süden Brasiliens und Chiles, in Argentinien und in deutschsprachigen Orten Venezuelas, Uruguays und Paraguays), Italienisch (in Brasilien, Argentinien, Uruguay und Venezuela) sowie Walisisch (im Süden Argentiniens).
In Peru ist Quechua neben Spanisch zweite Amtssprache. Das im Hochland Ecuadors verbreitete, mit Quechua verwandte Kichwa (oder Quichua) ist dort zwar nicht Amtssprache, jedoch verfassungsmäßig anerkannt. In Bolivien haben Aymara, Quechua und Guaraní neben dem Spanischen offiziellen Status. Guaraní ist neben Spanisch eine der offiziellen Sprachen Paraguays, wo es von einer zweisprachigen Mehrheit verwendet wird. An der Karibikküste Nicaraguas haben Englisch sowie indigene Sprachen wie Miskito, Sumo oder Rama offiziellen Status. Kolumbien erkennt alle indigenen Sprachen, die im Land gesprochen werden, als offizielle Sprachen an, doch es handelt sich dabei um weniger als ein Prozent Muttersprachler. Nahuatl ist eine der 62 indigenen Sprachen, die in Mexiko gesprochen werden und die von der Regierung neben Spanisch als Nationalsprachen anerkannt werden. Die bekannteste indigene Sprache in Chile ist Mapudungun („Araukanisch“) der Mapuche in Südchile, daneben sind in Nordchile Aymara und auf der Osterinsel Rapanui verbreitet.
Religion
Aufgrund seiner Kolonialgeschichte ist Lateinamerika überwiegend katholisch geprägt. Etwa 80 % der Lateinamerikaner sind katholisch, obwohl der Einfluss der Kirche vor allem in Brasilien deutlich schwindet (nur noch rund 75 % Katholiken). Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Protestanten und Freikirchen, die heute insgesamt etwa 10 % ausmachen.
Soziale Bewegungen
Soziale Bewegungen fanden sich in indigenen Aufständen gegen die Kolonisierung Lateinamerikas, Sklavenerhebungen, den Unabhängigkeitsbewegungen Anfang des 19. Jahrhunderts oder regionalen Bauernrevolten im 19. und 20. Jahrhundert. „Im 20. Jahrhundert spiegelte sich die Dynamik sozialer Bewegungen in verschiedensten Phänomenen wider: Gewerkschaften und Arbeiterparteien, in nationalistisch-populistischen Bewegungen, in Land- und Stadt-Guerillas und in Studentenbewegungen. Die Indígena-, die Frauenbewegungen und die Menschenrechtsaktivitäten, die sich seit den 1990er-Jahren ihren Platz in der politischen Öffentlichkeit erkämpft haben, gehören zu den so genannten Neuen Sozialen Bewegungen“.[2] Als wichtige Eckpunkte sozialer Bewegungen im 20. Jahrhundert gelten die Mexikanische Revolution mit den Volksbewegungen um die Agrarrevolutionäre Emiliano Zapata und Pancho Villa, sowie die Kubanische Revolution. Eine direkte Folge der Kubanischen Revolution war die Gründung von Guerillabewegungen in vielen Ländern Lateinamerikas.
In Chile versuchte man mit der Unidad Popular und Salvador Allende, auf demokratischem Weg den Sozialismus umzusetzen (1970–73), der durch den Militärputsch unter General Augusto Pinochet gewaltsam beendet wurde. „Pinochets Regime […] wurde zu einem Prototyp des lateinamerikanischen Staatsterrorismus in den 1970er-Jahren: Verfolgung, Folter und das Verschwindenlassen von Tausenden (Desaparecidos).“ Schließlich reiht sich die Sandinistische Revolution in Nicaragua (1979–90), in der soziale Bewegungen wie die Frauenbewegung und christliche Basisgemeinden eine tragende Rolle spielten, in diese Abfolge politischer Ereignisse ein.[2]
Im Zuge des politischen Kampfes gegen die Militärdiktaturen, die beinahe den gesamten Subkontinent während der 1970er Jahre beherrschten, bildeten sich zahlreiche soziale Bewegungen. So organisierten sich etwa in Argentinien die „Abuelas“ und „Madres de la Plaza de Mayo“, die Großmütter und Mütter von der Plaza de Mayo, die Aufklärung über den Aufenthalt ihrer „verschwundenen“ Angehörigen forderten. In Chile entstand während der Diktatur eine Protestbewegung, die schließlich gegen General Pinochet ein Abwahlreferendum erkämpfte. Auch Frauenbewegungen entstanden unter vielen Diktaturen: „Die Suche nach den verschwundenen Männern […] und die auf den Frauen in immer stärkerem Maße lastende Versorgung der Familie führte zu Zusammenschlüssen unterschiedlicher Art: Volksküchen, Einkaufsgruppen, wechselseitige Unterstützungsnetze in behördlichen Fragen usw.“[3]
Nach dem Abgang der Generäle erlebten die sozialen Bewegungen in Lateinamerika zunächst einen Rückgang ihrer Aktivitäten. Zu Beginn des neuen Jahrtausends trat eine neue Welle von sozialen Bewegungen in Erscheinung. Während die gewerkschaftliche Organisierung geschwächt wurde, erlebten soziale Bewegungen in Verbindung mit indigenen Bewegungen, z. B. in Bolivien und Ecuador, einen Aufschwung. Ein Wesensmerkmal dieser Bewegungen ist deren territoriale Gebundenheit – im Gegensatz zur Orientierung auf die Fabrik bei früheren sozialen Bewegungen. „Das heißt: Stadtviertel schließen sich zusammen, Piqueteros, Arbeitslose blockieren an bestimmten Punkten der Stadt Verkehrsknoten und erheben Forderungen, nicht um den Produktionsprozess stillzulegen, aus dem sie ja heraus gefallen sind, sondern den Zirkulationsprozess.“[4] Dennoch: „Zwar hängen weder Entstehung noch Mobilisierungsschübe oder Organisationsweisen sozialer Bewegungen direkt von materiellen Verhältnissen ab. Dennoch entzünden sie sich immer wieder an Konflikten um unerfüllte Erwartungen, die durchaus auf materiellen Grundlagen fußen. So ist es einerseits nach wie vor der postkoloniale Konflikt um die Landfrage, der soziale Bewegungen auf den Plan ruft. […] Andererseits ist es die angedrohte oder durchgesetzte Rücknahme sozialer Errungenschaften wie beispielsweise der freie Zugang zu Bildung(sinstitutionen), die zum Aufkommen von Bewegungen wie dem größten Studierendenstreik an der größten Universität Lateinamerikas, der UNAM in Mexiko-Stadt, führte.“[5] Weitere Merkmale der aktuellen sozialen Bewegungen sind die Ablehnung des Avantgarde-Konzeptes und ein über Partikularinteressen hinausgehender gesamtgesellschaftlicher Anspruch, der insbesondere bei Prozessen der Demokratisierung relevant wird. Das Verhältnis zwischen Bewegungen und Parteien ist ambivalent: Während etwa in Mexiko und Venezuela die Parteien gegenüber den sozialen Bewegungen an Relevanz verloren haben, geht die Entwicklung mit der MAS (Bewegung zum Sozialismus) in Bolivien und der PT (Arbeiterpartei) in Brasilien in die andere Richtung.[5]
Der Fall Argentinien
Der Volksaufstand in Argentinien im Dezember 2001 führte der Welt die Krise der repräsentativen Demokratie in Lateinamerika deutlich vor Augen. Innerhalb kurzer Zeit wurden mehrere Präsidenten zum Rücktritt gezwungen und verallgemeinerte sich die Parole „¡Que se vayan todos!“ („Sie [die Politiker] sollen alle abhauen!“). Bereits vor, während und nach dieser allgemeinen Erhebung traten soziale Bewegungen in Erscheinung, bei denen sich einige der beschriebenen Aspekte bündelten. Im Zuge des Aufstandes wurden verschiedene Protestformen zusammengeführt und es bildete sich eine Assoziation von unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung heraus. So blockierten Aktivisten der Arbeitslosenbewegung (Piqueteros) Straßen, vereinigten sich Angehörige der Mittelschicht und Arbeiter in den Nachbarschaftsversammlungen (Asambleas), besetzten Arbeiter von ihren Chefs verlassene Fabriken und demonstrierten Menschen aus der Mittelschicht kochtopfschlagend in den Städten Argentiniens (Cacerolazo). Insbesondere Teile der Piqueteros machten dabei einen Politisierungsschub durch: „Von ihren ursprünglichen Forderungen nach mehr Rechten und Wohlfahrtsprogrammen gingen sie dazu über, die herrschende Wirtschaftsordnung insgesamt zu kritisieren und das damit verbundene politische Modell in Frage zu stellen.“[6]
Forschungs- und Dokumentationseinrichtungen zu Lateinamerika
- CEISAL
- Cibera
- GIGA German Institute of Global and Area Studies
- Ibero-Amerikanisches Institut
- Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin
- Österreichisches Lateinamerika-Institut
- Lateinamerika-Zentrum der Universität Hamburg
- REDIAL
- Zentralinstitut für Lateinamerika-Studien der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (ZILAS)[7]
Einzelnachweise
- ↑ a b c Peter Gärtner: „Lateinamerika – Eine Begriffsbestimmung“, in: Quetzal: Politik und Kultur in Lateinamerika. Oktober 2007.
- ↑ a b Bundeszentrale für politische Bildung
- ↑ Dieter Boris: Soziale Bewegungen in Lateinamerika, Hamburg 1998
- ↑ Dieter Boris: Der Neoliberalismus und die Volksbewegungen – Wohin geht die Entwicklung in Lateinamerika?
- ↑ a b Jens Petz Kastner: Modifizierte Stärke - Soziale Bewegungen in Lateinamerika im Überblick
- ↑ Timo Berger: Wenn Arbeitslose mobil machen, fährt gar nichts mehr – Straßenblockaden, Märsche und Nachbarschaftshilfe
- ↑ ZILAS
Literatur
Monographien
- Helen Miller Bailey, Abraham P. Nasatir: Lateinamerika. Von Iberischen Kolonialreichen zu autonomen Republiken. Kindler, München 1969.
- Tulio Halperín Donghi: Geschichte Lateinamerikas von der Unabhängigkeit bis zur Gegenwart. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-40353-2.
- Dieter Nohlen, Franz Nuscheler (Hrsg.): Südamerika. Dietz, Bonn 1995, ISBN 3-8012-0202-X (Handbuch der Dritten Welt, Bd. 2).
- Walter L. Bernecker (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Lateinamerikas. Klett-Cotta, Stuttgart 1996 (3 Bände).
- Hans-Joachim König: Kleine Geschichte Lateinamerikas. Reclam, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-15-010612-9.
- Dieter Nohlen, Franz Nuscheler (Hrsg.): Mittelamerika und Karibik. 3. Auflage. Dietz, Bonn 1995, ISBN 3-8012-0203-8 (Handbuch der Dritten Welt, Bd. 3).
- Barbara Tenenbaum (Hrsg.): Encyclopedia of Latin American History and Culture. Vol. 1-5, Scribner & Macmillan, New York 1996, ISBN 0-684-19253-5.
- Nikolaus Werz: Lateinamerika. Eine Einführung. 2. Aufl., Nomos, Baden-Baden 2008, ISBN 978-3-8329-3586-3.
- Norbert Rehrmann: Lateinamerikanische Geschichte. Kultur, Politik, Wirtschaft im Überblick. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-499-55676-6.
- Romeo Rey: Geschichte Lateinamerikas vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54093-7.
- Stefan Rinke, Georg Fischer, Frederik Schulze (Hrsg.): Geschichte Lateinamerikas vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Quellenband. J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 2009, ISBN 978-3-476-02296-7.
- Dieter Boris: Lateinamerikas Politische Ökonomie: Aufbruch aus historischen Abhängigkeiten im 21. Jahrhundert. VSA, Hamburg 2009.
Fachzeitschriften im deutschen Sprachraum
- Atención: Jahrbuch des Österreichischen Lateinamerika-Instituts
- GIGA Focus Lateinamerika
- Iberoamericana. América Latina – España – Portugal
- ila – Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika
- Lateinamerika Nachrichten
- Lateinamerika-Analysen
- Ibero-Analysen: Dokumente, Berichte und Analysen aus dem Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz
- Matices: Zeitschrift zu Lateinamerika, Spanien und Portugal
- Quetzal: Politik und Kultur in Lateinamerika
- Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas = Anuario de historia de América Latina.
Siehe auch
Weblinks
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