- Elaborierter Code
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Als Soziolekt werden in der Soziolinguistik diejenigen Varietäten bezeichnet, die auf gesellschaftlichen Faktoren beruhen.
Obwohl Soziolekte traditionell als Sonderfall von Dialekten aufgefasst wurden, geht man heute oft auch den umgekehrten Weg und rechnet die Dialekte zu den Soziolekten. Eigentlich aber sind Dialekte alle einer Sprache zugeordneten Varietäten, die man sowohl geographisch (horizontal) als auch nach sozialen Faktoren (vertikal) einordnen kann. Danach wären sowohl die Standardsprache als auch die Umgangssprache in einer bestimmten Ausformung Dialekte (im besonderen Soziolekte).
Wichtige Untersuchungsgebiete der Soziolinguistik sind der spezifische Sprachgebrauch sozialer Schichten und das Auftreten von Sprachbarrieren. In seiner Defizithypothese unterscheidet Basil Bernstein zwischen restringiertem und elaboriertem Sprachcode. Kritik erfuhr Bernsteins Hypothese von Seiten der US-amerikanischen Soziolinguistik der 1970er Jahre, allen voran von William Labov.
Inhaltsverzeichnis
Restringierter Code
Der restringierte Code wird dem Sprachgebrauch bildungsferner Schichten zugeordnet. Basil Bernstein argumentiert mit dieser Kategorisierung, dass der Gebrauch eines Codes eng mit der sozialen Struktur einer bestimmten Kultur verbunden ist. Der restringierte Code ist dort nützlich, wo es eine große Menge geteiltes Wissen unter den Sprechern gibt. Er ermöglicht es dem Sprecher, mit wenigen Worten viel auszudrücken.
Merkmale
- kurze, grammatikalisch einfache, häufig unvollständige Sätze
- begrenzte Anzahl von Adjektiven und Adverbien
- Verwendung von Sprichwörtern
- unpersönliche Sprechweise
- Verstärkungen am Ende des Satzes (z. B. „Weißt eh!“, „Kannst dir eh vorstellen, oder?“, „Weißt du so?“)
- im Vergleich zum elaborierten Code geringerer Wortschatz
- Man nimmt an, dass der Zuhörer das weiß, was man selbst auch weiß.
Beispiel für eine Erzählung im restringierten Code:
Original:
„Die spielen Fußball und er tritt dagegen und er fliegt da raus. Er macht das Fenster kaputt und die schauen und er kommt heraus und schreit sie an, weil sie es kaputt gemacht haben. Deswegen rennen sie weg und dann guckt sie raus und beschimpft sie.“
Elaborierter Code
Der elaborierte Code wird dem gegenüber dem Sprachgebrauch gebildeter Schichten zugeordnet. Basil Bernstein argumentiert mit dieser Kategorisierung, dass der Gebrauch eines Codes eng mit der sozialen Struktur einer bestimmten Gesellschaft verbunden ist. Der elaborierte Code ist dort wichtig, wo es kein geteiltes Wissen gibt.
Merkmale
- häufiger Gebrauch von Fachwörtern
- häufiger Gebrauch des Passivs
- Explizitheit
- grammatikalische Korrektheit
- logische bzw. argumentative Strukturierung
- im Vergleich zum restringierten Code umfangreicherer Wortschatz
Beispiel für eine Erzählung im elaborierten Code:[1]
„Drei Jungen spielen Fußball, einer tritt gegen den Ball. Der Ball fliegt durch die Fensterscheibe, die Jungen schauen dem nach. Ein Mann kommt heraus und schreit sie an, weil sie das Fenster zerbrochen haben. Auf Grund dessen rennen die Jungen wenige Meter weg. Eine Frau, aufgeschreckt durch den Lärm, schaut aus ihrem Fenster und schimpft die Jungen aus.“
Restringierter und elaborierter Code in der Gegenüberstellung
- Mutter zum Kind: „Würdest du mir bitte den Gefallen tun und etwas leiser sein?“ (elaboriert); „Sei leise!“ (restringiert)
- Auf der Straße: „Warum sehen Sie mich so sonderbar an?“ (elaboriert); „Is was?“ oder „Was guckst du?“ (restringiert)
Situationsbedingt können auch höher gebildete Menschen den restringierten Code benutzen (und tun es auch häufig, z. B. im Freundeskreis oder der Familie. Es wäre eine sehr seltsame Familie, die sich nur des elaborierten Codes bedienen würde)[2], während umgekehrt Angehörige unterer Schichten in der Regel den elaborierten Code nicht selbst aktiv benutzen können. Auch das passive Verständnis desselben ist bei niedrigem Bildungsniveau erschwert oder gar unmöglich. In diesem Zusammenhang spricht man deswegen von einer Sprachbarriere in der Gesellschaft.
Schichtunterschiede in der Bedeutung von Wörtern
Auch konnte gezeigt werden, dass ein Wort für Personen aus verschiedenen Schichten verschiedene Bedeutungen haben kann. Oerter untersuchte PH-Studenten und stellte fest, dass sie - je nachdem, welcher Schicht ihre Eltern angehörten - unter einem Wort ganz Verschiedenes verstanden[3]. Ein großer Unterschied bestand hier zwischen zwei Gruppen:
- 1. Gruppe: Kindern von Handwerkern und Selbständigen ohne Abitur
- 2. Gruppe: Kindern von Beamten und Angestellten.
Studenten aus diesen zwei Herkunftsgruppen stellen sich ganz unterschiedliche Dinge unter einem Wort vor. Am größten waren die Unterschiede beim Wort "tüchtig". Beim Wort tüchtig dachten Handwerkerkinder in der Regel an Eigenschaften, die mit Weltgewandtheit und Dominanz zu tun haben. Angestellten- und Beamtenkinder dagegen dachten an Eigenschaften, die mit körperlicher Leistungsfähigkeit und Charakterfestigkeit zu tun hatten. Folgende Antworten wurden am häufigsten auf die Frage, was tüchtig bedeutet, gegeben:
Studenten wurden gefragt: "Was bedeutet 'tüchtig'?" Kinder von Handwerkern* sagten Kinder von Angestellten und Beamten sagten - freundlich
- höflich
- gesellig
- geschickt im Umgang mit anderen Menschen
- draufgängerisch
- sich durchsetzend
- ehrgeizig
- kräftig
- robust
- gesund
- ehrlich
- ordnungsliebend
- aufrecht
Rolf Oerter (1970): Moderne Entwicklungspsychologie. Donauwörth: Verlag Ludwig Auer; S. 488 * Handwerkerkinder = Kinder von Handwerkern und Selbständigen ohne Abitur
Beispiele
- Bergmannssprache
- Seemannssprache
- Studentensprache
- Gefängnis-Jargon
- Jenisch
- Manisch
- Masematte
- Mattenenglisch
- Rotwelsch
- Ruhrdeutsch
Siehe auch
Literatur
- Michael Hoffmann: Funktionale Varietäten des Deutschen - kurz gefasst. Universitäts-Verlag, Potsdam 2007. ISBN 978-3-939469-74-2 (Volltext)
- Georg Schuppener, Bibliographie zur Sondersprachenforschung, Bd. 6, Wiesbaden 2002.
Einzelnachweise
- ↑ Language Codes
- ↑ Language Codes
- ↑ Rolf Oerter (1970): Moderne Entwicklungspsychologie. Donauwörth: Verlag Ludwig Auer; S. 487 und 488
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