- Emmanuel Bove
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Emmanuel Bove, bürgerlich Emmanuel Bobovnikoff (* 20. April 1898 in Paris; † 13. Juli 1945 ebenda), war ein französischer Schriftsteller jüdischer Herkunft.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Sein Vater war ein russischer Lebemann, seine Mutter ein Dienstmädchen aus Luxemburg. Vor und neben seiner schriftstellerischen Arbeit musste er sich, wie so viele andere auch, lange mit Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt verdienen.
Heute gilt Bove als ein Klassiker der Moderne in der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts.
Bove wirft einen Blick hinter die Kulissen des französischen Bürgertums seiner Zeit und entlarvt die scheinheilige Moral einer Gesellschaft, die Regeln aufstellt, um sie heimlich zu brechen.
Ein Beispiel: Menschen und Masken spielt im Ballsaal eines Pariser Hotels. Aus Anlass seiner Aufnahme in die Légion d'Honneur gibt der Schuhfabrikant André Poitou ein Bankett. Dazu hat er Honoratioren, Witwen und sonstige ihm bekannte Leute eingeladen. Alle treten wohlgekleidet auf, die Damen hochtoupiert, es handelt sich um die "gute Gesellschaft". Doch hinter dem Pomp verbergen sich brutale Egoisten, die ihre Garderobe und die guten Sitten dazu nutzen, eigensüchtige Interessen zu verstecken. Ob es nun die Generalswitwe ist, die mit ihrer kreissägenartigen Stimme Aufmerksamkeit erzwingt, oder ein Senator, dessen Abgebrühtheit, hinter Schmeicheleien verborgen, kaum noch zu überbieten ist: ihnen allen geht es nur um die Macht, darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihre Position durch die "richtigen" Kontakte zu verbessern.
Menschen und Masken erschien 1928. Nach seinem Tod war Emmanuel Bove lange vergessen. Ende der 70er Jahre gab es in Frankreich eine Wiederentdeckung, der deutsche Übersetzungen folgten. "Ich habe über meinen nächsten Roman nachgedacht", zitiert das Nachwort den Autor, "seltsam: Ich kenne bereits alles, nur das Thema nicht." Das Buch ist also mehr aus einem Gefühl als aus einem Plan heraus entstanden. Zeigt sich hier das Lebensgefühl eines französischen Juden, der ahnte, wie wenig Verlass auf die "gute Gesellschaft" sein würde? Denn sie lieferte unter Vichy die Juden an die Deutschen aus. Bove floh damals nach Algerien und weigerte sich, seine Bücher in Frankreich erscheinen zu lassen.
Durch Peter Handkes Übersetzungen (in den Jahren 1981 bis 2001) wurde Bove erstmals auch in Deutschland breiter bekannt. In seinem Todesjahr erschien "Le piège" in Frankreich, dt. Die Falle, ein Buch über die Kollaboration in Frankreich. Distanziert schreibt Bove über den Weg des "Widerständlers im Geiste" Bridet durch die kalten Flure der Vichy-Administration. Erstaunlich auch deshalb, weil die Themen der Kollaboration und Résistance in Frankreich bis in die 90er Jahre Reizthemen waren, über die ein kritischer Diskurs erst seit Jacques Chiracs Rede am 16. Juli 1995 offiziell beginnt. Bove bricht diese großen Themen auf alltägliche Situationen herunter, in denen sich sein Antiheld Bridet zwischen Feigheit und Würde, strategischer Anpassung und wirksamem Widerstand selbst langsam eine Schlinge um den Hals zieht.
Sehr ähnlich schreibt Gilles Rozier in Liebe ohne Widerstand (frz. 2003, dt. 2004) über die Grauzone zwischen der Kollaboration mit den mörderischen Nazi-Besatzern und französischem Widerstand, mit weiteren Motiven angereichert.
Zwischen 1926 und 1936 war Bove auch als Reporter (journaliste de faits-divers) für mehrere Zeitungen und Zeitschriften tätig, u.a. für Le Quotidien, Détective und Paris-Soir; die dabei gemachten Erfahrungen mögen mit in die beiden Kriminalromane eingeflossen sein, die Bove 1933 verfasste: Le meurtre de Suzy Pommier und (unter dem Pseudonym Pierre Dugast:) La Toque de Breitschwanz.
Werke
- Meine Freunde (Originaltitel: Mes amis, 1924), deutsche Übersetzung von Peter Handke, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt am Main ISBN 3-518-01744-6
- Armand (1927), deutsche Übersetzung von Peter Handke, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt am Main ISBN 3-518-01792-6
- Bécon-les-Bruyères (1927), deutsche Übersetzung von Peter Handke, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984 ISBN 3-518-01872-8
- Un soir chez Blutel (1927)
- Die Verbündeten (Originaltitel: La Coalition, 1928), deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-216-30326-8
- Dinah (Originaltitel: La Mort de Dinah, 1928)
- Menschen und Masken (Originaltitel: Coeurs et visages, 1928), ISBN 3-423-13041-5
- Die Liebe des Pierre Neuhart (Originaltitel: L’Amour de Pierre Neuhart, 1928), deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-596-10400-9
- Journal - geschrieben im Winter (Originaltitel: Journal – écrit en hiver, 1931), ISBN 3-905513-10-2
- Schuld (Originaltitel: Un Raskolnikoff, 1932), deutsche Übersetzung und mit einem Nachwort von Thomas Laux, Lilienfeld Verlag, Düsseldorf, 2010 ISBN 978-3-940357-16-8
- La Toque de Breitschwanz (1933), Kriminalroman (unter dem Pseudonym Pierre Dugast)
- Der Mord an Suzy Pommier (Originaltitel: Le Meurtre de Suzy Pommier, 1933), Kriminalroman, deutsche Übersetzung von Barbara Heber-Schärer, ISBN 3-596-11658-9
- Der Stiefsohn (Originaltitel: Le Beau-fils, 1934), ISBN 3-924903-07-7
- Die Ahnung (Originaltitel: Le Pressentiment, 1935), deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-216-30117-6 (HC) und ISBN 3-518-39323-5 (TB)
- Adieu Fombonne (1937)
- Die letzte Nacht (Originaltitel: La dernière nuit, 1939), deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-596-29278-6
- Die Falle (Originaltitel: Le Piège, 1945), deutsche Übersetzung von Bernd Schwibs, ISBN 3-518-22174-4 (HC) und ISBN 3-518-39486-X (TB)
- Flucht in die Nacht (Originaltitel: Départ dans la nuit, 1945), deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-216-30300-4
Erzählungen
- Monsieur Thorpe, deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-379-01461-3
- Ein Vater und seine Tochter, ISBN 3-924903-17-4
- Was ich gesehen habe, deutsche Übersetzung von Daniel Dubbe, in: Krachkultur 9/2001
- Begegnung', deutsche Übersetzung von Thomas Laux, ISBN 3-940357-22-9
Posthume Veröffentlichungen
- Einstellung des Verfahrens (Originaltitel: Non-lieu, 1946 posthum erschienen), deutsche Übersetzung von Thomas Laux in einem Band mit Flucht in die Nacht, ISBN 3-216-30300-4
- Ein Mann, der wusste (Originaltitel: Un homme qui savait, 1986), ISBN 3-905513-16-1
- Ein Außenseiter (Originaltitel Mémoires d’un homme singulier, 1987), deutsche Übersetzung von Dirk Hemjeoltmanns, ISBN 3-924903-37-9
- Colette Salmand (Originaltitel: Un caractère de femme, 1999), ISBN 3-932109-23-6 (zweisprachige Ausgabe)
Literatur
- Thomas Laux Kompensation und Theatralik. Eine Studie zu Emmanuel Boves frühen Romanen 1924 - 1928 Peter Lang, Frankfurt 1989 ISBN 3-631-41736-5 Reihe: Europäische Hochschulschriften, R. 13: Französische Sprache und Literatur; Bd. 137
- Raymond Cousse & Jean-Luc Bitton Emmanuel Bove. (Eine) Biographie Übers. Thomas Laux. Deuticke, Wien 1995 ISBN 3-216-30119-2 und Suhrkamp TB, Frankfurt 1998 ISBN 3-518-39324-3
- Thomas Laux: "Ist Victor Baton einmalig?" Oft gezogen, nie bewiesen: Welche Vergleiche mit Bove sind zwingend? In: Zs. Krachkultur, H. 9, 2001, Hgg. Martin Brinkmann & Fabian Reimann. Bunte Raben, Bremen ISSN 0947-0697
- Brigitta Coenen-Mennemeier Emmanuel Bove. Comédie humaine des Scheiterns Peter Lang, Frankfurt 2006 ISBN 3-631-55163-0
Weblinks
- Literatur von und über Emmanuel Bove im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Emmanuel Bove in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Porträt im Freitag (Zeitung)
- Oleg Jurjew: Ein Raskolnikoff ohne Beil. In: Der Tagesspiegel (Berlin), JURJEWS KLASSIKER
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