Ergativsprache

Ergativsprache

Ergativsprachen sind ein Typ von Sprachen, deren Kasussystem anders organisiert ist als in Sprachen, die Nominativ- und Akkusativkasus unterscheiden (und auch anders als in Aktivsprachen). In einem Nominativ-Akkusativ-System trägt das einzige Argument eines intransitiven Verbs denselben Kasus wie das erste Argument des transitiven Verbs (sie werden beide "Subjekt" genannt), für das zweite Argument des transitiven Verbs existiert ein zusätzlicher, spezieller Kasus (der Akkusativ). Der Idealtyp einer Ergativsprache ist spiegelbildlich organisiert: Das erste Argument des transitiven Verbs erhält einen zusätzlichen, speziellen Kasus (Ergativ), und das intransitive Verb vergibt denselben Kasus, den das zweite Argument der transitiven Konstruktion trägt.

Ergativsprachen werfen Fragen nach der Allgemeingültigkeit des Begriffs "Subjekt" auf; ihre grammatischen Eigenschaften sind bei genauerer Analyse jedoch uneinheitlich, sodass Effekte einer Kategorie "Subjekt" in solchen Sprachen in unterschiedlichem Maß gefunden werden können.

Inhaltsverzeichnis

Morphologische Ergativität

Bei Ergativsprachen kommt der Kasus (Fall) Ergativ oft neben dem Nominativ vor. Ergative Sprachen verwenden für das Subjekt eines intransitiven Verbs und das Patiens eines transitiven Verbs denselben grammatikalischen Fall, der Absolutiv genannt wird und insofern dem Nominativ in Akkusativsprachen entspricht, als er meistens unmarkiert bleibt. Für das Agens, also das handelnde Subjekt von transitiven Verben wird ein anderer Fall verwendet, nämlich der Ergativ.

Ein Beispiel für Ergativität im Baskischen:

Ume-a erori da.
Kind-def.abs.sg fallen-prf.3sg
Das Kind ist hingefallen.
Emakume-ak gizon-a ikusi du.
Frau-def.erg.sg Mann-def.abs.sg sehen-prf.3sg
Die Frau hat den Mann gesehen.

Wenn man es anschaulicher machen will, nimmt man an, die Endung des Absolutiv im Deutschen wäre -u, die des Ergativs -o (oder jeweils irgendeine andere). Dann ergäben sich folgende Formen:

Das Kindu ist hingefallen

und:

Die Frauo hat den Mannu gesehen.

Schema

  Agens Patiens
transitiv Ergativ Absolutiv
intransitiv Absolutiv Absolutiv

Ergativische Konstruktion und Nominativ-Akkusativ-Konstruktion im Vergleich:

Transitiv
Subjekt (Agens)
Transitiv
Objekt (Patiens)
Intransitiv
Subjekt
Ergativ-Absolutiv-Schema Ergativ Absolutiv Absolutiv
Nominativ-Akkusativ-Schema Nominativ Akkusativ Nominativ

Bekannte Ergativsprachen sind Baskisch, Sumerisch, Burushaski, Dyirbal (eine australische Sprache), Zazaisch, Kurmandschi und Tibetisch.

Einige indoarische Sprachen wie Paschtu (in Afghanistan), Hindi, Kurmandschi haben in den Tempora der Präsensgruppe Akkusativkonstruktion, in denen der Perfektgruppe dagegen Ergativkonstruktion.

Syntaktische Ergativität

Einige Sprachen, die über morphologische Ergativität verfügen, weisen zusätzlich syntaktische Ergativität auf.

In Ergativsprachen ohne syntaktische Ergativität ist – genau wie in Akkusativsprachen – das Subjekt stets das Agens transitiver Verben und das einzige Argument intransitiver Verben. In Sprachen mit syntaktischer Ergativität hingegen ist das Subjekt das Argument, das im Absolutiv steht, also das Patiens transitiver und das einzige Argument intransitiver Verben. Meistens jedoch tritt syntaktische Ergativität nur in einigen Konstruktionen auf, in den übrigen verhält sich die Sprache akkusativisch.

Sichtbar wird syntaktische Ergativität zum Beispiel bei der Satzverbindung der Teilsätze: Ergativsprachen folgern auf ein fehlendes Argument im Absolutiv. Im Deutschen interpretieren wir den Satz „Der Schüler sah die Lehrerin und ging weg“ als „Der Schüler sah die Lehrerin und der Schüler ging weg“. Hingegen würde in Ergativsprachen das absolutive Argument des ersten Satzteils als Subjekt des zweiten, intransitiven Verbs angenommen. „Der Schüler (ERG) sah die Lehrerin (ABS) und ging weg“ wird interpretiert als „Der Schüler (ERG) sah die Lehrerin (ABS) und die Lehrerin (ABS) ging weg“. Ein Satz dieser Art kann bei Muttersprachlern einer bestimmten Sprache als Test dienen, um herauszufinden, ob die betreffende Sprache syntaktisch eine Ergativ- oder eine Akkusativsprache ist.

Sprachen mit syntaktischer Ergativität sind beispielsweise Archi, Baskisch, Warlpiri und Tschuktschisch (optional).

Ergativsprachen verfügen im Allgemeinen über keine Passivformen. Sie haben aber ein Antipassiv, wobei das direkte Objekt gelöscht wird und das Subjekt vom Ergativ in den Absolutiv wechselt, das heißt das Verb wird intransitiv.

Gespaltene Ergativität

Gespaltene Ergativität bzw. Split-Ergativität tritt in Sprachen auf, die außer dem Ergativmuster noch ein weiteres Ausrichtungsmuster verwenden.

Dies kann entweder von der Verbform abhängen wie beispielsweise im Georgischen oder im Zazaischen – hier verlangen bestimmte Tempora Ergativ-, andere Akkusativmarkierung – oder es richtet sich nach den Argumenten des Verbs wie im Dyirbal, wo Pronomen ein Akkusativ- und Nomen ein Ergativmuster zeigen (s. auch Belebtheitshierarchie). Auch das Sumerische ist ein Beispiel für gespaltene Ergativität.

Einige indoiranische Sprachen wie Paschtu (in Afghanistan), Hindi, Kurmandschi haben in den Zeiten der Präsensgruppe Akkusativkonstruktion, in denen der Perfektgruppe dagegen Ergativkonstruktion. Dies geht darauf zurück, dass das Partizip Perfekt bei transitiven Verben passivische Bedeutung hat, bei intransitiven natürlich aktivische. Das kennen wir vom Deutschen: "gesehen" wird passivisch verstanden, im Gegensatz zu "gegangen". So bildet man das Perfekt im Hindi wie im Deutschen als "ich bin gegangen". Würde man sagen "ich bin gesehen", so würde das in beiden Sprachen passivisch verstanden. Daher sagt man im Deutschen "ich habe gesehen", im Hindi (das kein Verb "haben" kennt) "durch mich ist gesehen".

Siehe auch

Andere Systeme:

Oberbegriff:

Literatur


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