Kurmandschi

Kurmandschi

Kurmandschi (kurdisch Kurmancî oder Kirmancî) ist eine der drei kurdischen Sprachen. Etwa 65 % aller Kurden sprechen Kurmandschi. Es wird vorwiegend in der Türkei und in Syrien aber auch im Irak, Iran, Libanon, Armenien und in einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gesprochen. Auch in Europa verbreitet sich Kurmandschi vor allem durch Zuwanderung stark. Unter den Kurdologen ist für Kurmandschi auch die Bezeichnung Nordkurdisch geläufig.

Kurmandschi bildet mit Sorani (Zentralkurdisch) und Südkurdisch die Gruppe der kurdischen Sprachen. Zwischen diesen Sprachen bestehen Unterschiede in Aussprache, Wortschatz und Grammatik. Zudem wird das Sorani-Kurdisch im Gegensatz zum Kurmandschi gewöhnlich mit Persischer Schrift geschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Klassifikation

Politische Situation der Sprache

Türkei

Das Kurmandschi war in den jeweiligen Status quo-Staaten jahrzehntelang Restriktionen und Verboten ausgesetzt. So war das Publizieren, das Ausstrahlen von TV- oder Radiosendungen, das Singen, das Unterrichten der Sprache und von den 1980er bis in die 1990er Jahre sogar das Sprechen der Sprache in der Türkei verboten. Obwohl sich die Situation inzwischen verbessert hat, ist es nach wie vor verboten, in staatlichen Schulen diese Sprache zu unterrichten. Seit Januar 2009 gibt es in der Türkei mit TRT 6 einen kurdisch-sprachigen staatlichen Sender. An der Mardin Artuklu Üniversitesi in Mardin wurden jüngst am Institut für lebende Sprachen Lehrstühle für Kurdische und Süryanische Sprache und Literatur eingerichtet.[1] Die Universität Tunceli bietet seit 2010 ebenfalls neben Zazaki auch Kurmandschi als Wahlfach an.[2]

Andere Staaten

Die Situation in der ehemaligen Sowjetunion war aufgrund deren Minderheitenpolitik besser. So gab es schon in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts kurdische Veröffentlichungen und sogar kurdische Institute in Petersburg und in der Armenischen SSR.

In Nordirak ergab sich in Folge der kurdischen nationalen Bewegung eine ähnliche Situation wie in der Sowjetunion.

Kurmandschi als Literatursprache

Kurmandschi ist die am weitesten verbreitete kurdische Sprache. Sie wird im Nordwest Irak fast ausschließlich, in der Süd-Ost Türkei deutlich überwiegend und teilweise in Nord-Irak und im Westen Irans benutzt. Kurmandschi wird seit den 1930er Jahren mit lateinischen Buchstaben geschrieben.

Grammatik

Alphabet

Das Nordkurdisch wird vorwiegend im kurdisch-lateinischem Alphabet geschrieben. Von den 31 Buchstaben, deren Aussprache weitgehend mit der Schreibung übereinstimmt, sind acht Vokale (a e ê i î o u û) und 23 Konsonanten (b c ç d f g h j k l m n p q r s ş t v w x y z).

Kleinbuchstaben: a b c ç d e ê f g h i î j k l m n o p q r s ş t u û v w x y z
Großbuchstaben: A B C Ç D E Ê F G H I Î J K L M N O P Q R S Ş T U Û V W X Y Z

Daneben gibt es im Nordkurdischen noch den Digraph Xw.

Buchstabe Lautwert Beschreibung
a [a] wie dt. a in "Rasen"
b [b] wie dt. b
c [] wie dsch in "Dschungel"
ç [] wie tsch
d [d] wie dt. d
e [ɛ] kurzes offenes e, wie dt. "ä" in "hätte"
ê [e] langes geschlossenes e wie in "Sehne"
f [f] wie dt. f
g [g] wie dt. g
h [h] wie dt. h
i [ə] kurzer Schwa-Laut, wie das e in dt. "Pause"
î [i] wie in dt. Liebe
j [ʒ] wie in das j in "Journal"
k [k] wie dt. k
l [l] wie dt. l
m [m] wie dt. m
n [n] wie dt. n
o [ɔ] wie in dt. "offen"
p [p] wie dt. p
q [q] weit hinten im Rachen gebildetes k, im dt. ohne Entsprechung
r [r] gerolltes Zungenspitzen-r
s [s] immer stimmlos, wie in "Ast"
ş [ʃ] wie dt. sch
t [t] wie dt. t
u [ʊ] wie engl. u in "kurd"
û [u] langes deutliches u, wie in dt. "Uhr"
v [v] wie dt. w
w [w] wie engl. w in "week"
x [χ] wie dt. ch in "Bach"
y [j] wie dt. j in "Jacke"
z [z] stimmhaftes s wie in "Sonne"

Nominale Kategorien

Das Nomen (Substantiv, Adjektiv, Pronomen) des Nordkurdischen besitzt folgende Kategorien:

Nr Kategorie Realisierungen
1 Genus Maskulinum (m) / Femininum (f)
2 Numerus Singular (sg) / Plural (pl)
3 Kasus primär: Rectus / Obliquus; sekundäre Kasus vom Obliquus abgeleitet
4 Definitheit bestimmt (unmarkiert) / unbestimmt (markiert)
5 Attributierung siehe Morpheme

Kasus

Das Nordkurdisch unterscheidet nur zwei Fälle, nämlich den Subjektfall (Casus rectus) und den Objektfall (Casus obliquus) und verfügt damit über eine Zweikasusflexion. Der Casus rectus entspricht dem deutschen Nominativ, während der Casus obliquus Funktionen übernimmt, die in anderen Sprachen üblicherweise mit dem Genitiv, dem Dativ, dem Akkusativ und dem Lokativ ausgedrückt werden. Neben diesen beiden Formen gibt es auch Vokativ.

Casus rectus der Personalpronomen:

Nordkurdisch Deutsch
Ez ich
Tu du
Ew er/Sie/Es
Em wir
Hun ihr/Sie
Ew sie

Casus obliquus der Personalpronomen:

Nordkurdisch Deutsch¹
Min ich, meiner, mir, mich
Te du, deiner, dir, dich
Vî (hier),Wî (dort)² er, seiner, ihm, ihn
vê (hier), Wê (dort)² sie, ihrer, ihr, sie
Me wir, unser, uns, uns
We ihr, euer, euch, euch
Van (hier) Wan (dort)³ sie, ihrer, ihnen, sie

¹Da der Casus obliquus wegen der Ergativität bei transitiven Verben benutzt wird, können die Pronomen für den Nominativ stehen

²Die 3. Person Singular ist im Casus Obliquus sowohl geschlechtspezifisch. Darüber hinaus auch lokativ und würde übersetzt Er hier oder Er dort drüben bedeuten.

³Die 3. Person Plural im Casus Obliquus ist nur lokativ.

Morpheme

Wenn ein Substantiv näher bestimmt werden soll, schmilzt der Substantiv mit dem jeweiligen Morphem. Es gibt verschiedene Morpheme. unten sind nur Beispiele für geschlechtbildende Morpheme.

Man sieht unten eine grobe Auflistung.

Morpheme im Casus rectus

Männlich Singular Weiblich Singular Plural
ê a ên

Beispiele:

Morpheme im Casus rectus

  • Deine Liebe - Evîna te
  • Sein Name - Navê
  • Unsere Kinder - Zarokê me

Morpheme im Casus obliquus

Männlich Singular Weiblich Singular Plural
î ê an

Beispiele:

  • Das Haus eines Mannes - Mala mêrekî
  • Das Kleid der Frau - Kirasê jinê
  • Heimat der Kurden - Welatê Kurdan

Konjugation

Präsens-Normalform

Das Präsens wird im Kurdischen durch das Anhängen eines Präfixes di- und der Personalendung gebildet.

Bsp.: kirin- machen

Deutsch Kurmanci
Ich mache Ez dikim
Du machst Tu dikî
Er/Sie/Es macht Ew dike
Wir machen Em dikin
Ihr macht Hûn dikin
Sie machen Ew dikin

Bei manchen Verben wird das Präfix an den Stamm assimiliert. Als Beispiel ein anderes Wort für Gehen herin. Anstatt des Ez diherim wird die Kurzform Ez darim oder Ez terim benutzt.

Deutsch Kurmanci
Ich gehe Ez darim
Du gehst Tu dari
Er/Sie/Es geht Ew dare
Wir gehen Em darin
Ihr geht Hûn darin
Sie gehen Ew darin

Ein anderes Beispiel für ein unregelmäßiges Verb ist wissen mit dem Infinitiv zanîn, wo das Präfix di in einigen wenigen Mundarten weggelassen wird. Dies ist jedoch nicht weit verbreitet.

Deutsch Normalform Kurzform
Ich weiß Ez dizanim Ez zanim
Du weißt Tu dizanî Tu zanî
Er/Sie/Es weiß Ew dizane Ew zane
Wir wissen Em dizanin Em zanin
Ihr wissen Hûn dizanin Hûn zanin
Sie wissen Ew dizanin Ew zanin

Präsens Progressiv

Verlaufsformen wie im Englischen werden gebildet, in dem man ein "e" an die Präsensform anhängt. Allerdings kommt bei der dritten Person Singular die Y-Regel zur Geltung, da am Ende schon ein "e" ist. Da es Verlaufsformen im Deutschen nicht gibt, ist folgendes Beispiel in Englisch.

Englisch Kurmanci
I am going Ez darime
You are going Tu darê
He/She/It is going Ew dareye
We are going Em darine
You are going Hun darine
They are going Ew darine

Futur

Für das Futur wird anstatt di- das Präfix bi- benutzt. Darüber hinaus wird dem Substantiv eine Endung "e" angehängt, die aber unbetont ist, die getrennt geschrieben werden kann oder zusammen.

  • Ich werde Brot verkaufen - Eze nan bifiroşim

Jedoch gibt es viele irreguläre Verben. Aus morphologischen Grunden wird nicht Eze "biherim" sondern:

  • Ich werde gehen - Ez ê herim

Splitergativität

Das Nordkurdische besitzt wie auch andere neuiranische Sprachen eine präteritale Splitergativität. So steht bei transitiven Verben in der Vergangenheitsform der Agens nicht im Rectus, sondern im Obliquus, und das direkte Objekt im Rectus (und nicht Obliquus). Diese Konstruktion lässt sich leicht aus der Entstehung der Vergangenheitsformen aus einem Verbaladjektiv erklären, das bei transitiven Verben eine passive, bei intransitiven Verben eine aktive Bedeutung hatte: statt "ich habe dich gesehen" heißt es eigentlich wörtlich "du [Rectus] (wurdest) durch mich [Obliquus] gesehen". Dieser Konstruktionstyp kommt schon im Altpersischen und in fast allen mitteliranischen Sprachen vor, die neuiranischen haben ihn zum Teil beibehalten.

Perfekt:

Beispiel:

  • MinCasus obliquus tuCasus rectus dîtî. = Ich habe dich gesehen

Aber:

  • EzCasus rectus çûm = Ich bin gegangen.

Hier steht das Agens im Casus rectus, weil „gehen“ ein intransitives Verb ist.

Literatur

Ohne Gewähr:

  • Usso Bedran Barnas und Johanna Salzer: Lehrbuch der kurdischen Sprache. Ein Standardwerk für Anfänger und Fortgeschrittene. 1994, ISBN 390154500x.
  • Paul Ludwig: Kurdisch Wort für Wort. Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2002, ISBN 3894162856 (Kurmandschi).
  • Petra Wurzel: Kurdisch in 15 Lektionen. Komkar, Köln 1992, ISBN 3927213055.
  • Ilhan Kizilhan: Kurdisch einfach lernen. Hackbarth Verlag, St. Georgen 2000, ISBN 3929741261.
  • Abdullah Incekan: Kurdisch kompakt. Lehr- und Übungsbuch mit Lösungsschlüssel und CD. Reichert Verlag, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-89500-720-0.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Kurmandschi – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Offizielle Seite des Institutes für lebende Sprachen
  2. Tunceli Üniversitesi'nde Kürtçe ve Zazaca seçmeli dil oldu Artikel aus der Radikal vom 9. April 2010

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