Ergenekon-Legende

Ergenekon-Legende

Das Ergenekon ist eine Legende, die vom Zerfall und Wiederaufbau des Göktürkischen Reiches berichtet. Es wird gemeinhin als Ursprungsmythos der türkischen Stämme bzw. der heute existierenden Turkstaaten betrachtet. Die Legende ist nach dem sagenhaften Tal benannt, in dem die fliehenden Göktürken Heimat und Zuflucht fanden.

Inhaltsverzeichnis

Die Legende

Das Ergenekon beginnt mit der Flucht der überlebenden Göktürken (auch Köktürken genannt) nach dem Zerfall ihres einst mächtigen Reiches, den vernichtende Niederlagen durch das chinesische Reich und andere (nicht turkische) Stämme verursachten. Die Völkerflucht führt die Göktürken in ein unwegsames Berggebiet, in dessen Zentrum sie ein riesiges fruchtbares Tal vorfinden. Sie beschließen zunächst, in diesem Tal zu bleiben, und schweißen mittels ihres gesamten Eisenbesitzes den einzigen Zugang zum Tal zu. Hier, in Sicherheit vor ihren Feinden, beginnen die Clans wieder aufzublühen und die Göktürken kommen wieder zu Kräften. Nach mehreren Generationen sind sie so zahlreich, dass das Tal überbevölkert ist, daher beschließen sie, das eiserne Tor einzuschmelzen, um daraus wieder Waffen zu schmieden. Allerdings ist der Völkerzug nun dem Labyrinth aus Pässen, Tälern und Schluchten ausgesetzt, durch die ihre Vorfahren einst gereist kamen. Da aus dieser Generation niemand verblieben ist, irren sie durch die Berge, bis ihnen eine graue Mutterwölfin (die Asena, das Wappentier der Göktürken) begegnet, die sie aus den Bergen führt. Wieder auf den Steppen, erlangen die Göktürken nach zahlreichen Rachefeldzügen ihre alte Bedeutung wieder. Obwohl es ihnen nicht gelingt, die alte Einigkeit zu erhalten, errichten die aus ihnen hervorgehenden Stämme eigene bedeutende Reiche.

Heutige Bedeutung

Alle heute bestehenden Turkstaaten und -stämme, die ihre Identität bewahren konnten, führen ihre Herkunft auf die Zersplitterung der Göktürken zurück. Inwieweit das historisch fundiert ist, ist jedoch unklar, da aus dieser Phase nur chinesische Texte bekannt sind.

So eröffnete man den ersten Zentralasien-Gipfel der Türkischen Republiken nach dem Zerfall der Sowjetunion dadurch, dass die einzeln eintretenden Staatschefs mit einem kleinen Hammer auf ein Stück Eisen schlugen, als Symbol für das eiserne Tor, das die Göktürken beschützte und eingerissen werden musste, um das Weltgeschehen wieder betreten zu können.

Große Bedeutung erlangte das Ergenekon durch die rechte Bewegung in der heutigen Türkei. Die zu diesem Zeitpunkt schon vergessene Legende wurde zum Grundpfeiler der rechten Ideologien, die in der Legende ein Gleichnis für die heutige Lage der Türkei und ihre Pläne für deren Zukunft sahen. Das Reich der Göktürken zerbrach, ähnlich wie das Osmanische Reich, wofür in der Legende, wie auch in der Meinung der rechten Kräfte, hauptsächlich äußere, „nichtturkische“ Völker verantwortlich gemacht werden. Das aber dürfte zumindest für die Göktürken irrelevant und unhistorisch sein, da Stammeszugehörigkeit bzw. Loyalität gegenüber einem Stammesoberhaupt ausschlaggebend für das Weltbild der Reiternomaden war und die Stämme dazu neigten, sich mit nichtturkischen Stämmen zu mischen.

Ähnlich wie die Göktürken sollen nach dieser Auffassung die Türken in ein verheißungsvolles Paradies (das Ergenekon-Tal der Goktürken/Anatolien für die Neuzeitlichen) geflohen sein und mussten sich erst einmal regenerieren (die freiwillige Isolation der Göktürken/die politische Isolation der türkischen Republik nach ihrer Gründungsphase), bevor sie erneut ihren Platz in der Weltgeschichte zurück erkämpfen konnten. Das Ziel der Geschichte sei das erneute Aufblühen der türkischen Stämme in Zentralasien und das verheißene Großtürkische Imperium, das sich die rechten Kräfte erträumen. Das Ergenekon und die graue Wölfin sind daher beliebte Motive in der rechten, auch nationalistischen Strömung, die neben der Geschichtsdarstellung auch in deren Musik und Kunst benutzt werden. Auch die Kemalisten machen sich diesen politischen Mythos zunutze. Der Mythos wurde im zeitgenössischen Sprachgebrauch Namensgeber des türkischen Untergrundnetzwerkes Ergenekon und einer Staatsaffäre, die zu langjährigen Ermittlungen und zahlreichen Verhaftungen türkischer Politiker, Professoren, Journalisten, Anwälte und hochrangiger Soldaten führte.[1] [2]

Siehe auch

Literatur

-Türkische Mytologie von Erkan Altiok (Istanbul 1991) - Yilmaz Öztuna Osmanli Devleti Tarihi Band1 (Istanbul 1986 S. 24, Absatz 6, Göktürken und deren Entstehung)

Einzelnachweise

  1. Amnesty International Journal Oktober 2008, Helmut Oberdiek: Der tiefe Staat
  2. Naumann-Stiftung, Türkei Bulletin 07/09

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Ergenekon — ist die Bezeichnung für eine nationalistische mutmaßliche Untergrundorganisation[1] in der Türkei. Das Netzwerk soll 2003 und in den folgenden Jahren durch Terror und Desinformation den Sturz der islamisch geprägten Regierung von… …   Deutsch Wikipedia

  • Ergenekon (Organisation) — Ergenekon ist laut Anklageschrift der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft eine „terroristische Vereinigung“. Laut Pressedarstellungen habe sie nationalistischen Charakter, sei innerhalb staatlicher Strukturen und der Sicherheitskräfte der Türkei …   Deutsch Wikipedia

  • Ergenekon (Terrororganisation) — Ergenekon ist laut Anklageschrift der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft eine „terroristische Vereinigung“. Laut Pressedarstellungen habe sie nationalistischen Charakter, sei innerhalb staatlicher Strukturen und der Sicherheitskräfte der Türkei …   Deutsch Wikipedia

  • Ergenekon Terroroganisation — Ergenekon ist laut Anklageschrift der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft eine „terroristische Vereinigung“. Laut Pressedarstellungen habe sie nationalistischen Charakter, sei innerhalb staatlicher Strukturen und der Sicherheitskräfte der Türkei …   Deutsch Wikipedia

  • Legende (Erzählung) — Dieser Artikel befasst sich mit der Legende als Erzählung. Weiteres siehe unter Legende (Begriffsklärung). Legende (von lateinisch legendum = „zu Lesendes“) bezeichnet ursprünglich eine Geschichte zum Lesen oder auch Vorlesen. Die Abgrenzung zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Ergenekon — 41°1′13.69″N 29°7′10.21″E / 41.0204694, 29.1195028 Ergenekon est le nom d un présumé réseau criminel turc qui se …   Wikipédia en Français

  • Bozkurtlar — Graue Wölfe (türk. Bozkurtlar) ist die Bezeichnung für Mitglieder der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung („Milliyetçi Hareket Partisi“, MHP), die 1961 durch Alparslan Türkeş gegründet wurde. Sie bezeichnen sich selbst …   Deutsch Wikipedia

  • Türkischer Dichter — Türkische Literatur bezeichnet die türkischsprachige Literatur der frühen türkischen Stämme, des Osmanischen Reiches und der türkischen Republik und – weiter gefasst – auch die türkischsprachige Literatur, die außerhalb der Türkei entsteht.… …   Deutsch Wikipedia

  • Graue Wölfe — Logo der Grauen Wölfe Graue Wölfe (türkisch Bozkurtlar, auch Bozkurtçular) ist die Bezeichnung für Mitglieder der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung („Milliyetçi Hareket Partisi“, MHP), die 1961 von Alparslan… …   Deutsch Wikipedia

  • Türkische Literatur — bezeichnet die türkischsprachige Literatur der frühen türkischen Stämme, des Osmanischen Reiches und der türkischen Republik und – weiter gefasst – auch die türkischsprachige Literatur, die außerhalb der Türkei entsteht. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”