Erstes Grammatisches Traktat

Erstes Grammatisches Traktat

Der Erste Grammatische Traktat ist eine altisländische Abhandlung über die altisländische Sprache.

Diese Abhandlung wurde um 1150 in Island geschrieben. Der Verfasser ist nicht bekannt. In der Sprachwissenschaft heißt er nach seinem Text "der Erste Grammatiker". Die Abhandlung bietet eine genaue Darstellung des altisländischen Lautsystems und macht Vorschläge zu einer konsequenten und genauen Rechtschreibung des Altisländischen. Sie ist die einzige Abhandlung dieser Art in einer mittelalterlichen germanischen Sprache. [1]

Inhaltsverzeichnis

Handschrift

Der Erste Grammatische Traktat wurde später mit drei weiteren grammatischen Abhandlungen einer Handschrift der Prosa-Edda des Snorri Sturluson hinzugefügt. [1] Der ursprüngliche Titel des Traktats ist nicht bekannt. Der Name Erster Grammatischer Traktat ist eine moderne Bezeichnung. [2]

Methode

Der Verfasser identifizierte die Laute seiner Sprache, also des Altisländischen, auf eine Art, mit der strukturalistisch arbeitende Sprachwissenschaftler Phoneme identifizieren würden, nämlich mit Minimalpaaren. Das heißt, der Verfasser verdeutlicht den Bedeutungsunterschied zwischen Wörtern, die sich nur in einem einzigen Laut unterscheiden. Beispiel: sar "Wunde" (Einzahl) gegenüber sǫr "Wunden" (Mehrzahl). [1]

Er konstruierte Beispielsätze, in denen diese Wortpaare vorkamen, damit die unterschiedlichen Bedeutung klar zum Vorschein kamen. Beispiel: Sar veitti maðr mér eitt, sǫr mǫrg veitta ek honum. - "Ein Mann brachte mir eine Wunde (sar) bei, ich brachte ihm viele Wunden (sǫr) bei." [2]

Er identifizierte neun Vokale, sechs Diphthonge und vierzehn Konsonanten. [1]

Forderungen

Vier neue Vokalgrapheme

Er schlug vor, die Grapheme <ę ǫ y ø> für diejenigen Vokale zu verwenden, die mit den lateinischen Vokalgraphemen <a e i o u> nicht eindeutig dargestellt werden können. [1] Im Einzelnen sind dies folgende Grapheme: [2]

  • <ę> für den i-Umlaut von a
  • <ǫ> für den u-Umlaut von a
  • <y> für den i-Umlaut von u
  • <ø> für den i-Umlaut von o

Auf diese Weise kam er also auf neun Vokalgrapheme: <a e i o u ę ǫ y ø>. Die neun Vokale konnten lang oder kurz, nasal oder oral sein.

Zum u-Umlaut: siehe auch Urnordische Sprache, Abschnitt "Umlaut"

Lange und kurze Vokale

Der Akut (acutus, accent aigu) sollte die Länge von Vokalen angeben.

Beispiel: Sú kona gǫfgar goþ, er sjálf er góþ. - "Diejenige Frau verehrt Gott (goþ), die selbst gut (góþ) ist." [2]

Orale und nasale Vokale

Ein Punkt auf dem Vokalzeichen soll die nasale Aussprache von Vokalen deutlich machen.

Beispiel: Har vex á kykvendum, en ha ̇r er fiskr. - "Haar (har) wächst auf Lebewesen, aber der Hai (ha ̇r) ist ein Fisch." [2]

Die Unterscheidung zwischen nasalen und oralen Vokalen verschwand bereits im Altisländischen und wird in der heutigen Schreibweise des Altisländischen nicht berücksichtigt.

Lange und kurze Konsonanten

Lange Konsonanten sollen nach lateinischem Vorbild mit verdoppelten Grapheme angedeutet werden. Der Verfasser fügte jedoch den Vorschlag hinzu, statt Doppelkonsonanten einfache Großbuchstaben zu verwenden (z.B. N statt nn), weil man damit Zeit und Platz sparen könne. [1]

Beispiel: Sá er mestr guðs uina, er mest vill til uiNa. - "Derjenige ist der größte von Gottes Freunden (uina), der am härtesten für ihn arbeiten (uiNa) will." [2]

In der heutigen Schreibweise des Altisländischen würde man vina und vinna schreiben.

Diphthonge

Der Verfasser des Ersten Grammatischen Traktats identifizierte die folgenden sechs Diphthonge:

  • au
  • ea
  • ei
  • ey
  • [2]

Beim Identifizieren der Diphthonge stieß der Verfasser auf die gleichen Schwierigkeiten wie die modernen Sprachwissenschaftler. Er erstellte eine Liste, die sowohl die allgemein anerkannten altisländischen Diphthonge enthält (au, ei, ey) als auch Kombinantionen von Vokalen mit Halbvokalen (ea = ja, = , = ). [2]

Nachwirken

Der Erste Grammatiker ist ein Beispiel für das hohe scholastische Niveau der isländischen Gelehrten. Es ist nicht bekannt, wie groß der Einfluss des Ersten Grammatischen Traktats auf die mittelalterliche isländische Rechtschreibung war. Sein Einfluss auf die moderne isländische Rechtschreibung ist jedoch bedeutend: Als im späten 18. Jahrhundert angefangen wurde, die neuisländische Rechtschreibung zu normieren, orientierte man sich am Ersten Grammatischen Traktat. Auch die Normalisierung der altisländischen Texte orientierte sich am Ersten Grammatischen Traktat. [1] [2]

Literatur

  • Wissenschaftliche Ausgabe des gesamten Traktats mit englischer Übersetzung: Einar Haugen, First Grammatical Treatise, second edition, Longman, London 1972, ISBN 0-582-52491-1
  • Deutsche Übersetzung in: Hans Arens, Sprachwissenschaft - Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart, Band 1, ISBN 3-8072-2077-1; Kapitel 18

Andere frühe Grammatiker oder Grammatiken

  • Auraicept, aus Irland, 7. Jahrhundert, behandelt die irische Sprache, die älteste Studie einer westeuropäischen Sprache, siehe Auraicept na n-Éces in der englischsprachigen Wikipedia
  • Ælfrics Grammatik, um das Jahr 1000, lateinische Grammatik mit altenglischen Texten, siehe Ælfric of Eynsham in der englischsprachigen Wikipedia
  • Donatus, Ars Minor und Ars Maior, lateinische Grammatiken um 350
  • Panini, altindischer Grammatiker

Quellen

  1. a b c d e f g Einar Haugen, Die skandinavischen Sprachen, übersetzt von Magnús Pétursson, Helmut Buske Verlag, Hamburg 1984, ISBN 3-87118-551-5; S. 249-250 = § 10.4.4.
  2. a b c d e f g h i Einar Haugen, First Grammatical Treatise, second edition, Longman, London 1972, ISBN 0-582-52491-1

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