Erwin Panofsky

Erwin Panofsky

Erwin Panofsky (* 30. März 1892 in Hannover; † 14. März 1968 in Princeton, New Jersey, USA) war ein Kunsthistoriker, der die Ikonologie wesentlich weiterentwickelte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Erwin Panofsky promovierte 1914 bei Wilhelm Vöge in Freiburg über Dürers Kunsttheorie und lehrte ab 1921 als Privatdozent, ab 1927 dann als Professor an der Universität Hamburg. Er lehrte dort, bis er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 und auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurde. Anschließend emigrierte er in die USA. Bis 1935 lehrte er an der New York University, später am Institute for Advanced Studies in Princeton (New Jersey).

Wissenschaftliche Leistung

In den 1920er Jahren veröffentlichte Panofsky mehrere Aufsätze zur kunstwissenschaftlichen Methodik, wobei er an die Philosophie Immanuel Kants sowie an die Arbeiten des Wiener Kunsthistorikers Alois Riegl anschloss. Er griff das von Riegl erfundene Konzept des Kunstwollens auf, und verarbeitete es erstmals 1920 in einem Aufsatz zum Thema "Der Begriff des Kunstwollens". Sein 1925 erschienener Artikel "Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie" schloss direkt daran an. Darin versuchte er, das Kunstwollen als neo-kantianische Kategorie für die Kunstgeschichte einzuführen. Er sah die Eigenschaften "Fülle" bzw. "Form" als die Äquivalente von Kants apriorischen Kategorien "Raum" und "Zeit", d. h. als jene Grundeigenschaften, auf die alle anderen künstlerischen Entscheidungen zurückgeführt werden können. Alle Kunstwerke können seiner Meinung nach auf einer gedachten Skala zwischen diesen beiden Extrempolen eingeordnet werden. In Hamburg begründete Panofsky zusammen mit Aby Warburg, Fritz Saxl und Ernst Cassirer die Hamburger kunsthistorische Schule. Er stand dem Warburg Institut sehr nahe. Sein hauptsächliches Interesse galt der Erforschung der Bedeutung in der Kunst, womit nicht nur der dargestellte Inhalt, sondern auch seine jeweils zeitgenössische Rezeption gemeint war, also das Verstehen des historischen Kontextes und daher auch der gewählten Formen und Motive. Damit setzte sich Panofsky von der damals noch vorherrschenden Herangehensweise der Kunstgeschichte ab, die mittels Stilkritik in erster Linie eine formale, qualitative, zuschreibungsorientierte und chronologische Einordnung ihrer historischen Gegenstände betrieb.

Er entwickelte für das, was er Ikonologie nannte, ein dreistufiges Modell, das einer immer komplexer werdenden Interpretation gerecht werden sollte:

Interpretationsschema

Das von Erwin Panofsky entwickelte Interpretationsschema zur Deutung von Kunstwerken ist in drei Untersuchungsphasen aufgeteilt, die jeweils eine Bedeutungsschicht des zu interpretierenden Kunstwerkes aufdecken sollen.

Die drei Untersuchungsphasen

Vorikonographische Beschreibung

Formen sind für Panofsky Konfigurationen aus Farben-, Linien- und Körpermustern, die wiederum einen Teil der allgemeinen visuellen Welt darstellen. [1] Bei der vorikonographischen Beschreibung sollen Formen als primäre oder natürliche Bedeutungsträger (künstlerische Motive) identifiziert werden. Die Motive können tatsachenhafte oder ausdruckshafte Bedeutung haben. Konfigurationen sollen als Objekte (beispielsweise als Menschen, Pflanzen oder Gegenstände) und gegenseitige Beziehungen der Objekte sollen als Ereignisse (beispielsweise als Gespräch oder Umarmung) identifiziert werden. Diese erkannten Motive haben eine tatsachenhafte Bedeutung. Auch sollen Atmosphären, Stimmungen, Gestiken, Mimiken usw. (Motive mit ausdruckshafter Bedeutung) erkannt werden.[2] Voraussetzungen für die vorikonographische Beschreibung sind die „praktische Erfahrung (Vertrautheit mit Gegenständen und Ereignissen)“ [3] und ggf. literarische Quellen, wenn beispielsweise ein veraltetes Werkzeug nicht erkannt werden kann. Eine präzise Auflistung aller Motive stellt den Abschluss der vorikonographischen Beschreibung dar und die primäre oder natürliche Bedeutung ist erfasst.[4]

Ikonographische Analyse

Hierbei werden Motive und/oder Motivkombinationen (Kompositionen) als sekundäre oder konventionale Bedeutungsträger zu Themen oder Konzepten zugeordnet. Motive sollen als Bilder, Symbole oder Attribute und Kompositionen als Personifikationen, Allegorien oder Anekdoten identifiziert werden.[5] „Es [die sekundäre oder konventionale Bedeutung] wird durch die Erkenntnis erfasst, daß eine männliche Gestalt mit einem Messer den heiligen Bartholomäus repräsentiert, daß eine weibliche Gestalt mit einem Pfirsich in der Hand eine Personifikation der Wahrhaftigkeit ist […] oder daß zwei Gestalten, die auf bestimmte Weise gegeneinander kämpfen, für den Kampf von Laster und Tugend einstehen.“[6] Voraussetzungen für eine ikonographische Analyse sind eine korrekte vorikonographische Beschreibung und die „Kenntnis literarischer Quellen (Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen)“.[7] Schließlich soll ein Thema oder ein Konzept, das bewusst von dem Künstler in dessen Werk integriert wurde, formuliert werden, wodurch die sekundäre oder konventionale Bedeutung aufgedeckt wird.[8]

Ikonologische Interpretation

Die identifizierten Bildelemente aus den ersten beiden Untersuchungsphasen (Formen, Motive, Themen usw.) sollen als symbolische Werte erkannt werden. Während bei der vorikonographischen Beschreibung und der ikonographischen Analyse die Bildelemente als Eigenschaften und Merkmale des Kunstwerkes behandelt werden, sind diese bei der ikonologischen Interpretation als symbolische Werte, denen beispielsweise nationale, epochale, religiöse oder philosophische Prinzipien zugrunde liegen, zu sehen, so dass die Elemente und das gesamte Kunstwerk in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Das Kunstwerk ist unter diesem Blickwinkel betrachtet ein Zeitdokument und/oder ein Dokument der Persönlichkeit des Künstlers oder Auftraggebers.[9] Bei der ikonologischen Interpretation wird interdisziplinär gearbeitet.[10] Mögliche ikonologische Fragestellungen wären: „Warum hat ein bestimmter Künstler in vielen seiner Werke das gleiche Motiv verwendet?“ oder „Weshalb tauchen in vielen Kunstwerken verschiedener Künstler einer Epoche und Nation die gleichen Themen auf?“ Voraussetzungen für die ikonologische Interpretation sind eine korrekte ikonographische Analyse und die „synthetische Intuition (Vertrautheit mit den wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes)“.[11] Es sollen also symbolische Werte, die der Künstler oft unbewusst in sein Kunstwerk einfließen lassen hat und die sogar von seiner beabsichtigten Aussage abweichen können, aufgezeigt und interpretiert werden, wodurch die eigentliche Bedeutung oder der Gehalt erfasst wird.[12]

Das Korrektivprinzip

Zur Prüfung des Interpretationsschemas soll ein Korrektivprinzip angewendet werden. Die vorikonographische Beschreibung soll mittels der „Stil-Geschichte (Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen Gegenstände und Ereignisse durch Formen ausgedrückt wurden)“ abgesichert werden. Die ikonographische Analyse soll mit der „Typen-Geschichte (Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen bestimmte Themen oder Vorstellungen durch Gegenstände und Ereignisse ausgedrückt wurden)“ geprüft werden. Die ikonologische Interpretation soll mit Hilfe der „Geschichte kultureller Symptome oder Symbole allgemein (Einsicht in die Art und Weise, wie unter wechselnden historischen Bedingungen wesentliche Tendenzen des menschlichen Geistes durch bestimmte Themen und Vorstellungen ausgedrückt wurden)“[13] wenn nötig korrigiert werden.

1955 veröffentlichte Panofsky eine Sammlung von Aufsätzen in einem Sammelband unter dem Titel Meaning in the Visual Arts (Sinn und Deutung in der bildenden Kunst), der inzwischen zu den Klassikern der kunsthistorischen Literatur gehört.

Erwin Panofsky hat zu Lebzeiten und danach viele Auszeichnungen und Preise erhalten. Die Universität Hamburg hat im Jahr 2000, 67 Jahre nach seiner Entlassung, einen Hörsaal nach ihm benannt.

Werke

  • Panofsky, E.: Ikonographie und Ikonologie, in: Kaemmerling, E. (Hg.): Bildende Kunst als Zeichensystem. Ikonographie und Ikonologie, Bd. 1. Theorien – Entwicklung – Probleme, Köln 1994, S. 207-225.
  • Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Leipzig 1924, 2. Auflage Berlin 1960
  • Die deutsche Plastik des elften bis dreizehnten Jahrhunderts. München 1924
  • Die Perspektive als "symbolische Form". Leipzig 1927
  • Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst. Berlin, Leipzig, Teubner, 1930
  • The Codex Huygens and Leonardo da Vinci’s art theory. London 1940
  • Gothic Architecture and scholasticism. Latrobe 1951
  • Early Netherlandish Painting. Cambridge (MA) 1953.
  • Meaning in the Visual Arts. New York 1955
  • A mythological painting by Poussin. Stockholm 1960
  • Das Leben und die Kunst Albrecht Duerers. Darmstadt 1967
  • Problems in Titian, mostly iconographic. New York 1969
  • Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft. Berlin 1974
  • Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Dumont Buchverlag, Köln 1978, ISBN 3-7701-0801-9
  • Die Renaissancen der europäischen Kunst. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004, ISBN 3-518-28483-5
  • Was ist Barock? PHILO & PhiloFineArts, Hamburg 2005. ISBN 3-86572-410-8
  • Dieter Wuttke (Hrsg.): Erwin Panofsky. Korrespondenz 1910-1968. Eine kommentierte Auswahl in fünf Bänden. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden.

Einzelnachweise

  1. Panofsky, E.: Ikonographie und Ikonologie, in: Kaemmerling, E. (Hg.): Bildende Kunst als Zeichensystem. Ikonographie und Ikonologie, Bd. 1. Theorien – Entwicklung – Probleme, Köln 1994, S. 207-225, hier S.207.
  2. Ebd., S. 208 und S. 210.
  3. Ebd., S. 223.
  4. Ebd., S. 210, S. 214.
  5. Ebd., S. 210
  6. Zitat: ebd., S. 210
  7. Ebd., S. 223.
  8. Ebd., S. 210f
  9. Ebd., S. 211ff.
  10. Ebd., S. 221ff
  11. Ebd., S. 223
  12. Ebd., S. 211-214.
  13. Alle Zitate dieses Abschnittes ebd., S. 223.


Weblinks


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