Faktorieller Survey

Faktorieller Survey

"Im Rahmen des faktoriellen Surveys, auch Vignettenanalyse genannt, werden spezifische Einstellungen und Meinungen mittels Vignetten erhoben. Eine Vignette ist eine aus einzelnen Vignettenbausteinen (Faktoren oder Merkmale) bestehende Kurzgeschichte, Situations- oder Personenbeschreibung, deren Zusammenstellung in systematischer, faktorieller Art und Weise variiert wird. Die auf diese Weise konstruierten Vignetten werden den Respondenten zur Beurteilung anhand einer je nach Fragestellung vorgegebenen Beurteilungsskala vorgelegt. Ziel der anschließenden statistischen Analyse ist die Feststellung der Bedeutung der einzelnen Faktoren bezüglich der Vignettenurteile sowie die Identifizierung und Erklärung von Unterschieden zwischen den Respondenten oder Gruppen von Respondenten.

Die Besonderheit des faktoriellen Surveys liegt daher vor allem im speziellen Erhebungsdesign, mit dem es möglich wird, sich stark konditional und situativ bedingten Fragestellungen anzunähern, da die Befragten mit konkreten Vignetten-Szenarien und nicht mit einzelnen, abstrakten Werten konfrontiert werden. Der faktorielle Survey ist üblicherweise Teil eines Fragebogens, wo unter anderem auch respondentenspezifische Inhalte erhoben werden, die ebenfalls in die Analyse der Vignettenurteile eingehen können." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.117-118)

Inhaltsverzeichnis

Die Geburtsstunde und das Erwachsenwerden der faktoriellen Survey

Die treibende Kraft hinter der Vignettenanalyse war Peter H. Rossi, der im Rahmen seiner Dissertation im Jahre 1951 diese neue Erhebungsmethode vorgestellt hatte. "Innovativ waren dabei vor allem die konkreten Situationsbeschreibunge, die durch faktorielle Variationen der Vignettenmerkmale erstellt wurden. Faktorielle Surveys wurden seither vor allem zur Untersuchung normativer Einstellungen bzw. zur empirischen Analyse sozialer Normen eingesetzt (z. B. Jasso und Opp 1997; Beck und Opp 2001; Rossi und Anderson 1982)." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.118)

Vignettenselektion

"Falls eine Vignettenpopulation so groß ist, dass nicht alle Vignetten (auch unter Anwendung von Setbildung) ausgeschöpft werden können, sind grundsätzlich drei Vorgehensweisen bei der Vignettenselektion unterscheidbar:

Die Reduktion der Vignetten kann durch eine

  • experimentelle Auswahl
  • zufällige Auswahl
  • inhaltlich begründete Auswahl erfolgen

Ein kleines Beispiel mit den Faktoren A, B und C zu jeweils zwei Faktorstufen (a0; a1; b0; b1; c0; c1) soll im Folgenden den Unterschied der Auswahlverfahren veranschaulichen. Vollständig faktorielles 2× 2 ×2-Vignettendesign, bestehend aus acht Vignetten:" (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.121)

C=c0 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b0c0 a0b1c0
A = a1 a1b0c0 a1b1c0
C=c1 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b0c1 a0b1c1
A = a1 a1b0c1 a1b1c1

Experimentelle Auswahl

"Bei der experimentellen Auswahl erfolgt die Vignettenselektion entsprechend einem experimentellen Versuchsplan in systematisch geplanter Weise. Man spricht in diesem Fall von einem fraktionalisierten Design (z.B. Kirk 1968: Seite 665ff; Cochran und Cox 1950: Seite 244ff.) Die systematische Auswahl basiert auf dem Gedanken, dass durch die Vignettenselektion möglichst wenig Informationen verloren gehen soll. Darüber hinaus wird dieser Informationsverlust gezielt geplant." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.121)

Um das zu veranschaulichen, werden die obigen Vignetten entsprechend reduziert. In der nächsten Tabelle wird ein faktorielles Design gezeigt, in dem Vignetten so gewählt wurden, dass jeder Haupteffekt gleich häufig vorkommt (nämlich je zwei Mal):

C=c0 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b0c0
A = a1 a1b1c0
C=c1 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b1c1
A = a1 a1b0c1

Randomisierte Vignettenselektion

"Bei einer randomisierten Vignettenselektion wird eine Zufallsstichprobe ohne Zurücklegen aus der Vignettenpopulation gezogen. (vgl. Jasso 1992; Beck und Opp 2001). Im Gegensatz zur experimentellen Vorgehensweise wird hier sofort klar, dass daraus keine systematisch geplante, sondern eine zufällige und komplexe Vermischung von Effekten resultiert." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.123)

"Diese Vorgehensweise dürfte aber kaum im Interesse des Forschers sein, denn üblicherweise möchte man die Hypothesen über alle Haupt- und zumindest einige Wechselwirkungseffekte unvermischt testen. Nachdem bei der Zufallsauswahl aber prinzipiell mit der Vermischung aller beliebigen Effekte gerechnet werden muss, bleibt häufig nur die nachträgliche Annahme, dass zumindest die mit den Haupteffekten vermischten Wechselwirkungseffekte gleich Null sind, was inhaltlich häufig sehr problematisch ist. Darüber hinaus kommt es, bedingt durch die Zufallsauswahl, zu einem ungleich häufigen Auftreten der einzelnen Faktorstufen im Design (Nonorthogonalität), sodass es neben der vollständigen Vermischung von Effekten auch zu einer partiellen Vermischung und somit zu einer weniger effizienten Schätzung der Effekte kommt." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.123)

Inhaltlich begründete Vignettenselektion

"Geplanter als die reine Zufallsauswahl an Vignetten ist eine inhaltlich begründete Auswahl an Vignetten. Diese bietet sich insbesondere dann an, wenn sich bestimmte Faktorstufenkombinationen inhaltlich ausschließen oder unplausibel sind. Da für die Vignetten mit bestimmten, unplausiblen Faktorstufenkombinationen keine Messungen durchgeführt werden, tritt auch hier die Problematik der Vermischung und Interpretation von Effekten auf." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.124)

Beispiel: Inhaltlich auf sechs Vignetten reduzierte Vignettenpopulation eines 2 × 2 × 2 Designs:

C=c0 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b0c0 a0b1c0
A = a1 a1b0c0
C=c1 / b=b0 B = b1
A = a0 a0b1c1
A = a1 a1b0c1 a1b1c1

Neben der Vermischung der Effekte kann eine inhaltliche Selektion (aber auch eine zufällige) sehr leicht dazu führen, dass die Verbundenheit der Daten verloren geht. Die Daten werden dann als verbunden bezeichnet, wenn sich alle besetzten Zellen der Faktorstufenkombinationen so verbinden lassen, dass Richtungsänderungen nur in besetzten Zellen durchgeführt werden müssen. Die Verbundenheit der Faktorstufenkombinationen ist eine hinreichende Voraussetzung für die Datenanalyse, sodass zumindest alle Haupteffekte schätzbar bleiben. Bei unverbundenen Daten können nicht mehr alle Haupteffekte geschätzt werden, als Ausweg bleibt nur die Analyse verbundener Subgruppen (für eine ausführliche Thematisierung der Verbundenheit von Daten siehe Searle (1987: Seite 139ff.)" (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.124)

Schlussfolgerung bezüglich Vignettenselektion

"Um komplexe Vermischungsstrukturen, die einer sinnvollen Interpretation der Effekte entgegenstehen, zu vermeiden, sollte bei der Planung eines Vignettendesigns auf eine inhaltliche und zufällige Auswahl verzichtet werden, ausgenommen jene Fälle, in den denen man nur an der Schätzung von Haupteffekten interessiert ist." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.124-125)

"Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei einer Vignettenselektion, wie immer sie auch zustande kommen mag (experimentell, zufällig oder inhaltlich), nicht alle Effekte geschätzt werden können, und dass dadurch diese Effekte mit anderen schätzbaren Effekten vermischt werden. Eine sinnvolle Interpretation der Effekte ist also nur dann möglich, wenn einerseits bekannt ist, welche Effekte mit welchen vermischt sind, und wenn andererseits die vermischten höhere Wechselwirkungseffekte als gleich Null angenommen werden können.

Dies spricht klar für eine experimentelle Vorgehensweise bei der Vignettenseletkion, in der das Aliasing im Vorhinein geplant wird, und gegen eine zufällige Vignettenauswahl, die im Normalfall zu komplexen Vermischungsstrukturen und kaum sinnvoll interpretierbaren Effekten führt. Bei einer zufälligen Vignettenselektion wäre jedenfalls auch im Vorhinein zu prüfen, ob die daraus resultierenden Vermischungsstrukturen hinsichtlich der zu testenden Effekte vertretbar sind, andernfalls wäre eine neuerliche Vignettenselektion auszuprobieren." (Quelle: Peter M. Steiner und Christiane Atzmüller, Experimentelle Vignettendesigns in faktoriellen Surveys, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.58, Heft 1, 2006, S.125)

Beispiel einer faktoriellen Survey

Dem Interviewten werden computergenerierte Situationsbeschreibungen mit Versatzstücken vorgelegt, d. h. mit austauschbaren Satzbestandteilen (hier gekennzeichnet durch Anführungsstriche). Beispiel eines Sets aus drei Vignetten:

  • „Ein“ „20“-„jähriger Mann“ ist von Beruf „Schreiner“. Ist es gerecht, wenn „er“ „100“ Euro verdient?
  • „Eine“ „60“-„jährige Frau“ ist von Beruf „Lehrer“. Ist es gerecht, wenn „sie“ „100“ Euro verdient?
  • „Ein“ „30“-„jährige Mann“ ist von Beruf „Lehrer“. Ist es gerecht, wenn „er“ „1000“ Euro verdient?

Anders als bei der Conjointanalyse sollen die Vignetten meist nicht in eine Reihenfolge gebracht werden (Ranking) sonders auf einer Skala bewertet werden (Rating). Dabei soll der Befragte die schon beantworteten Vignetten im Hinterkopf behalten um sie in Bezug zu einander zu bewerten.

Die „“ werden durch vorgegebene Stücke ersetzt. Jeder Interviewte bekommt einen Stapel (ein Set) solcher ähnlichen, generierten Situationsbeschreibungen (Vignetten). Die Situationen, die komplexe Konstellationen von Merkmalen darstellen (z. B. Grundeinstellungen), sollen von Befragten im Rahmen eines (schriftlichen) Interviews bewertet werden. Hierzu werden die Merkmalsausprägungen der Merkmale (Versatzstücke) zu Situationsbeschreibungen kombiniert. Einige der möglichen und sinnvollen Situationsbeschreibungen werden dann von Befragten beurteilt. Da sich mit einer zusätzlichen Dimension, d. h. austauschbarer Aspekt der Situationsbeschreibung (z. B. Mann/Frau, Einkommen), die Anzahl der Vignetten exponentiell erhöht, können nur wenige Vignetten vom Forscher ausgewählt werden.

Literatur

Klaus Backhaus, u. a.: Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung. Springer, Berlin 2006, ISBN 3540278702.

Siehe auch

Conjoint-Analyse


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