Fallrecht

Fallrecht

Fallrecht (engl.: case law) ist eine Methode der Rechtsfindung, die im anglo-amerikanischen Rechtskreis angewandt wird. Im Unterschied zum römisch-europäischen Rechtssystem stützt sich die Rechtsfindung auf Tradition und Präzedenzfälle, die aus früherer Rechtsprechung entstammen.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Grundlegendes Problem beider Rechtsordnungen ist, das für einen gegebenen Streitfall anzuwendende Recht zu finden. Im anglo-amerikanischen Rechtssystem wurden für die juristische Lösung eines Falles vergleichbare, bereits abgeurteilte, Fälle herangezogen, um daraus Urteilsmaxima für den aktuellen Fall zu gewinnen. Versprach beispielsweise jemand, eine Leistung zu erbringen, die er nicht erbringen konnte, so suchte man im Prozess nach früheren Urteilen in vergleichbaren Fällen und urteilte dann analog dem passenden früheren Fall.

Diese so genannte induktive Methode stellt sicher, dass das gesprochene Recht innerhalb einer Rechtsgemeinschaft stets in der Tradition früherer Rechtsurteile bleibt. Der Grundsatz des Stare decisis sichert dieses Rechtsprinzip ab. Dahinter steht die rechtsphilosophische Überzeugung, dass das Recht/Gerechtigkeit als Naturrecht unveränderlich besteht.

Vorgehensweise

Vereinfacht gesagt besteht die Aufgabe des Juristen bei der Anwendung von Fallrecht darin, möglichst viele Präzedenzurteile zu kennen und dann exakt begründen zu können, ob und worin der jeweils aktuell zu behandelnde Fall von den Präzedenzfällen inhaltlich abweicht. Entsprechend gibt es umfangreiche Bibliotheken mit Urteilen und Präzedenzfällen. So kann im anglo-amerikanischen Rechtssystem sehr schnell herausgefunden werden, ob und wann bestimmte Urteile gefällt wurden.

Fallrecht und deutsches Recht

Zu unterscheiden ist hier das Fallrecht als echte Rechtsquelle und Fallrecht in Form richterlicher Rechtsfortbildung (Richterrecht). Deutsches Recht ist grundsätzlich kodifiziertes Recht, das bedeutet, dass nur Gesetze und Verordnungen als Rechtsquelle herangezogen werden können. Fallrecht im Sinne der richterlichen Rechtsfortbildung dagegen ist auch im deutschen Recht häufig vertreten. Neben einigen gewohnheitsrechtlichen Rechtsinstituten, die sich inzwischen von einem konkreten Präzedenzfall gelöst haben, wird Fallrecht vor allem in sehr dynamischen Lebensbereichen angewandt, in denen das kodifizierte Recht der Entwicklung hinterherhinkt. Ein Beispiel für ein solches Rechtsgebiet ist das Medienrecht. Hier findet gerade im Bereich des Urheber- und Internetrechts eine schnell fortschreitende Entwicklung statt, der die z. T. sehr alten Gesetze nicht mehr gerecht werden. Ein Kennzeichen für Fallrecht ist, dass entsprechende Entscheidungen in der Rechtswissenschaft nicht nur mit der Fundstelle, sondern zusätzlich mit einem Namen (z. B. der Stromdiebstahlsfall des Reichsgerichts oder die Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) zitiert werden.

Literatur

  • Stefan Vogenauer: Zur Geschichte des Präjudizienrechts in England. In: ZNR 28 (2006), S. 48-78.
  • Mathias Reimann: Die Erosion der klassischen Formen. Rechtskulturelle Wandlungen des Civil Law im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. In: ebd., S. 209-243.
  • Ders.: Art. Fallrecht. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller und Ruth Schmidt-Wiegand als philologischer Beraterin, Band I: Aachen-Geistliche Bank, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008, Sp. 1482-1489, ISBN 978-3-503-07912-4
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