Fangstoß

Fangstoß

Fangstoß ist ein Begriff aus dem Sportklettern und Bergsteigen und bezeichnet die maximale Kraft auf das Seil bei einem Sturz des Kletterers. Der Kletterer spürt diese Kraft als Ruck, wenn der Fall vom Seil gestoppt wird.

Um den Fangstoß gering zu halten, besitzen Kletterseile eine sogenannte Sturzdehnung von bis zu 35 % der eigenen Länge. Je weiter sich ein Seil dehnen kann, desto besser können die abzufangenden Kräfte auf das Seil übertragen und die Übertragung der auftretenden Kräfte auf den Körper reduziert werden. Alle Kletterseile müssen nach Euro-Norm 892 mindestens 5 Normstürze aushalten (d.h. Sturzzahl >= 5). Dennoch sollte aus Sicherheitsgründen das Seil bereits nach einem Normsturz aussortiert werden. Allerdings werden bei normalen Sportkletterstürzen nur Sturzfaktoren <1 erreicht, die das Seil deutlich weniger schädigen als ein Normsturz.

Inhaltsverzeichnis

Normsturz

Der Fangstoß wird bei einem Normsturz gemessen und darf die durch EN bzw. UIAA-Norm festgelegten Werte nicht überschreiten:

  • Einfachseile im Einfachstrang: max. 12 kN
  • Halbseile im Einfachstrang: max. 8 kN
  • Zwillingsseile im Doppelstrang: max. 12 kN

Dabei ist der UIAA Normsturz folgendermaßen definiert: Eine Masse mnorm von 80kg durchfällt eine Fallhöhe hnorm von 2x2.3m mit einer verfügbaren Seillänge lnorm von 2.6m. Der resultierende Norm-Sturzfaktor fnorm= hnorm/lnorm beträgt 1.77, die Fallgeschwindigkeit vnorm = (2ghnorm)1/2 am Ende der Fallhöhe ist 9.5m/sec. In der Praxis ist der Fangstoß kleiner als bei einem UIAA Normsturz, da der Sturzfaktor kleiner als der Norm-Sturzfaktor ist, sobald das Seil durch mehrere Sicherungspunkte läuft. Dadurch ist die verfügbare Seillänge größer, das Seil kann mehr Energie aufnehmen und der Sturz wird bei gleicher Fallhöhe hnorm „weicher“. Gleichzeitig bewirkt die Reibung zwischen Seil und Sicherungspunkten, dass das Seil effektiv steifer wird, wodurch auch der Fangstoß wieder höher wird. Diese beiden gegenläufigen Effekte lassen sich mathematisch beschreiben [1], und zwar sowohl für das gängige, aber unzureichende Seilmodell, bei dem das Seil als ungedämpfter harmonischer Oszillator (HO) beschrieben wird, als auch für ein realistisches Seilmodell, bei dem die innere viskose Reibung im Seil modelliert wird.

Physikalische Betrachtungen zum Fangstoß

Der Fangstoß für ein dynamisches Kletterseil kann für das gängige, aber unzureichende HO Seilmodell leicht berechnet werden. Darin wird die Kraft auf das Seil mit dem Hookeschen Gesetz angenähert. Dieses beschreibt das elastische Verhalten von Festkörpern, deren elastische Verformung ε linear proportional zur anliegenden Spannung σ ist. Die Proportionalitätskonstante ist der Elastizitätsmodul E, eine Materialkonstante, die unabhängig von der Seillänge und dem Seilquerschnitt ist.

 E = \frac{{{\rm{Spannung}}}}{{{\rm{Dehnung}}}} = \frac{\sigma }{\varepsilon } = \frac{{F/q}}{{x/l}}

F: Kraft, q: Querschnittsfläche, x: Ausdehnung (=Δl Längenänderung), l: Länge des Seils. Daraus folgt der bekannte Zusammenhang zwischen Kraft und Dehnung.

 F = \frac{Eq}{l}x

Dabei ist Eq/l=:D die übliche Federkonstante, die von der Länge l abhängt.

Um die Energie zu berechnen, die bei der Dehnung x im Seil steckt, muss man die Kraft nach dem Weg von 0 bis x integrieren .

 Energie = \int_0^x {F dx}  = \frac{Eq}{2l}x^2
Fangstoß in Abhängigkeit vom Sturzfaktor mit E·q = 33.3 [kN]

Für die maximale Seildehnung xmax nach einer Sturzhöhe h setzt man die potentielle Energie mg(h+xmax) gleich der Dehnungsenergie. Beim unteren Umkehrpunkt ist die gesamte potentielle Energie in Dehnungsenergie übergegangen.

 \frac{Eq}{2l}x_{max}^2 = mg(h + x_{max})

Auflösen nach der maximalen Seildehnung xmax ergibt:

 x_{max} = \frac{mgl}{Eq} + \sqrt {(\frac{mgl}{Eq})^2  + \frac{2mglh}{Eq}}

Für den Fangstoß Fmax = (Eq/l) xmax ergiebt sich dann nach Einsetzen von xmax:

 F_{max} = mg + \sqrt {(mg)^2  + 2mgEq \frac{h}{l}}

Der Fangstoß hängt also nur vom Sturzfaktor f=h/l ab, sowie von der Materialkonstante E, dem Seilquerschnitt q und dem Gewicht des Kletterers. Typische experimentelle Werte für E·q von Einfachseilen liegen in einem Bereich von 30 bis 50 [kN]. Je mehr Seil ausgegeben ist, desto weicher wird das Seil, was die höhere Fallenergie gerade kompensiert. Die maximale Kraft auf den Kletterer ist Fmax reduziert um das Gewicht des Kletterers mg.

Bei einem Nachstiegssturz ohne Schlappseil, also Sturzfaktor h/l=0, erhält man als Fangstoß Fmax =2mg; d.h. eine Belastung mit doppeltem Körpergewicht.

Fangstoß als Funktion der dynamischen Dehnung^(-1) für verschiedene Reibungskonstanten κ.

Dieses einfache ungedämpfte HO-Modell eines Kletterseils kann jedoch das Verhalten realer Seile nur unzureichend erklären. Ganz offensichtlich schwingen reale Seile praktisch nicht nach einem Sturz. Außerdem kann das ungedämpfte HO Modell die experimentellen Werte eines dynamischen Kletterseils nicht richtig erklären, wie die statische und die dynamische Dehnung und ihre Relation zum Fangstoß. Dies kann nur durch Hinzunahme von innerer Reibung im Seil erklärt werden. Auf Basis eines Standard Linear Solid Modells aus der Viskoelastizitätstheorie bekommt man kompliziertere Ausdrücke für den Fangstoß, sowie für die statische und die dynamische Dehnung [2]. Reibung im Seil führt zu Energiedissipation und damit zu einer Verringerung des Fangstoßes im Vergleich zum ungedämpften harmonischen Oszillator-Modell. Die innere Reibung führt auch zu einer zusätzlichen Dehnung des Seils beim Sturz. Im nebenstehenden Diagramm werden die Fangstöße von realen Seilen unter UIAA Normsturzbedingungen als Funktion ihrer gemessenen dynamischen Dehnungen dargestellt. Man sieht auch, dass das HO Modell diese Abhängigkeiten in realen Seilen nicht richtig beschreiben kann.

Sobald das Seil durch mehrere Karabiner läuft, muss eine zusätzliche Reibungsart berücksichtigt werden, die so genannte trockene Reibung zwischen Seil und den Karabinern. Dem letzten geklippten Karabiner kommt bei einem Sturz ein besonderes Gewicht zu, da der Umlenkwinkel für das Seil maximal, d.h. 180° wird. Trockene Reibung führt zu einer effektiven Seillänge, die kleiner ist als die "ausgegebene Seillänge" (das ist die Seillänge zwischen dem Kletternden und Sichernden in ungedehntem Zustand), wodurch der Fangstoß vergrößert wird. Trockene Reibung ist auch für den Seilzug verantwortlich, der immer dann auftritt, wenn das Seil über Felsunebenheiten läuft oder durch mehrere Sicherungspunkte, die nicht auf einer Linie liegen. Dieser Seilzug kann durch ein effektives Gewicht des Seils beschrieben werden, das immer größer gleich dem eigentlichen Seilgewicht ist. Es hängt exponentiell von der Summe der Winkel ab, die beim Einhängen in die Sicherungspunkte entstehen[1].

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Ulrich Leuthäusser: Physics of climbing ropes: fall factors, impact forces and rope drag. 2011, abgerufen am 18. Januar 2011 (pdf, eng).
  2. Ulrich Leuthäusser: Viskoelastische Theorie von Kletterseilen. 2010, abgerufen am 28. Juli 2010 (html, dt).

Literatur

  • Pit Schubert, Pepi Stückl: Alpin-Lehrplan, Bd. 5 (Sicherheit am Berg, Ausrüstung, Sicherung). München: BLV, 2003. ISBN 3-405-16632-2

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