- Flaschenhalseffekt
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Ein Genetischer Flaschenhals ist ein Begriff aus der Populationsgenetik. Er bezeichnet die starke genetische Verarmung und die damit verbundene Änderung der Allelfrequenzen, die durch Reduktion auf eine sehr kleine, oft nur aus wenigen Individuen bestehende Population hervorgerufen wird („Founder-Effekt“). Beim Erhalt stark gefährdeter Arten stellt dies ein zentrales Problem dar, da ein Fehler in der Erbinformation eines Allels nicht durch ein zweites gesundes Allel ausgeglichen werden kann (vgl. rezessive Erbkrankheiten). Dies kann zu Inzuchtdepression führen. Je nach Umständen der weiteren Entwicklung kann es aber auch zu Purging kommen.
Inhaltsverzeichnis
Auftreten von genetischen Flaschenhälsen
Wildtiere
Etliche Arten sind in den letzten zweihundert Jahren durch genetische Flaschenhälse gegangen oder gehen gerade durch solche hindurch, unter anderem der Davidshirsch, der Kalifornische Kondor (Gymnogyps californianus), die Arabische Oryxantilope (Oryx leucoryx), der Alpensteinbock (Capra ibex), der Kakapo (Strigops habroptilus), der Wisent (Bison bonasus) und das Przewalski-Pferd (Equus przewalski). In den oben genannten Fällen gehen alle heute lebenden Tiere auf Zahlen von etwa einem Dutzend bis unter Hundert Individuen zurück. Der Gepard (Acinonyx jubatus) ist in vorgeschichtlicher Zeit durch einen so extrem engen genetischen Flaschenhals gegangen[1], dass heute ohne Abstoßungsreaktion Gewebe von einem Geparden auf einen beliebigen anderen übertragen werden kann, was sonst nur bei eineiigen Zwillingen der Fall ist.
Bei Zoo-Tieren, von denen man aus Platzgründen nur wenige Individuen halten kann - so zum Beispiel Elefanten oder Nashörner - werden genetisch unterschiedliche Zuchttiere aufwendig aus anderen Zoos importiert, um die genetische Vielfalt zu erhalten und Inzucht zu vermeiden. Noch wichtiger wird diese Überlegung, wenn Zuchttiere ausgewildert werden sollen.
Haustierzucht
Auch in der Haustierzucht sind genetische Flaschenhälse keine Seltenheit und treten insbesondere bei Rassehunden, Rassekatzen und kleinen Heimtieren (z.B. Goldhamster) auf. Das hat insbesondere bei Hunden und Katzen zur Folge, dass gewisse in der gesamten Population seltene Erbkrankheiten bei bestimmten Rassen sehr häufig auftreten.
Bei der Etablierung von Inzuchtlinien wird absichtlich ein genetischer Flaschenhals herbeigeführt, um die Variabilität des Phänotyps innerhalb der Linie so weit wie möglich zu reduzieren.
Genetischer Flaschenhals beim Menschen
Nach einer Hypothese (Toba-Katastrophen-Theorie) des Anthropologen Stanley Ambrose ist auch die Spezies Homo sapiens durch einen solchen Flaschenhals gegangen: Die Super-Eruption des Vulkans Toba (Sumatra) vor ca. 75.000 Jahren mit der nachfolgenden extremen Kälteperiode (vulkanischer Winter) liegt recht genau in dem Zeitraum, in dem ein Flaschenhals von etwa 1.000 bis 10.000 Individuen der Spezies Homo sapiens aufgetreten sein müsste, um die heute beobachtete (angesichts der Gesamtentwicklungsdauer überraschend) geringe genetische Vielfalt des modernen Menschen zu erklären.
Diese These ist seit Anfang der 2000er populär, da sie zwei widerstreitende Ansichten der genetischen Entwicklung von Homo sapiens verbindet. Auf der einen Seite wird eine gleichmäßige Ausbreitung beginnend in Afrika gesehen (Wiege der Menschheit), die auch an den mitochondrialen Unterschieden nachweislich abzulesen ist, und die übergreifend fast gleiche genetische Ausstattung aller heutigen Menschen erklärt (mitochondriale Eva und Adam des Y-Chromosoms). Demgegenüber besteht die Ansicht, dass nach der ersten Ausbreitung eine isolierte Entwicklung auftrat, in deren Folge sich die augenscheinlichen menschlichen Rassen entwickeln konnten (Großrassen), und so die dazu notwendigen stabilen Gene erklärt, die den lokalen Unterschieden unterliegen. Erst später trat dann wieder eine Vermischung der Populationen auf, die zu einer Angleichung der genetischen Ausstattung führte.
Nunmehr kann die These aufgestellt werden, dass eine erste große Ausbreitungswelle vor 100.000 bis 130.000 Jahren auftrat. Die entstandenen Populationen wurden jedoch durch den vulkanischen Winter vor 75.000 Jahren isoliert und weitgehend ausgerottet, wobei nur in Afrika eine größere Population überlebte. Diese afrikanische Population breitete sich (erneut) rasch aus, und überlagerte genetisch die verbliebenen Populationsgruppen. Dadurch sind die genetischen Unterschiede der menschlichen Rassen allgemein sehr gering, wobei dennoch einige augenscheinliche Unterschiede bestehen, für deren Ausbildung stabiler Gene der Zeitraum sonst zu kurz ist (Hominisation vor 160.000 Jahren).
Eine angelehnte These geht von einem wiederkehrenden genetischen Flaschenhals während der eiszeitlichen Perioden aus. Die Menschheit war dabei permanent vom Aussterben bedroht, und besonders in den Randzonen des Globus wurden die Populationen immer wieder isoliert und stark ausgedünnt, während die afrikanische Population davon weniger betroffen war. Auf diese Weise ergeben sich immer wieder Wanderungsbewegungen von dort, die die ausgedünnten Regionen immer wieder auffüllten, wobei einige der isoliert entwickelten Eigenschaften (Inzuchtdepression) erhalten blieben. Dies kann die beobachtete genetische Variation ebenfalls erklären, ist jedoch kaum fundiert, während der Ansatz des Einzelereignisses des vulkanischen Winters recht gut die vorhandenen Beobachtungen der Genforscher erklärt.
Einzelnachweise
Siehe auch
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