Geopolitik

Geopolitik

Als Geopolitik wird die sozial-, vor allem aber politikwissenschaftliche Interpretation geographischer Gegebenheiten bezeichnet. Für militärische Erwägungen ist vor allem die Subdisziplin der Geostrategie von Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der schwedische Wissenschaftler Rudolf Kjellén prägte den Begriff der Geopolitik im Jahre 1899. [1] Als geistigen Anreger seiner Überlegungen hierzu nannte Kjellen den deutschen Geographen Friedrich Ratzel, der 1897 sein Buch „Politische Geographie“ veröffentlicht hatte.

Die Geopolitik versucht die geographischen Gegebenheiten mit politischen Zusammenhängen zu verknüpfen und analysiert die Verbindung zwischen beiden Gegebenheiten.

Erster bis Zweiter Weltkrieg

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Kjellens Gedanken und sein Begriff vor allem in Westeuropa und Deutschland von einer Anzahl Wissenschaftler aufgegriffen und erweitert. In Deutschland war Karl Haushofer als "Leitfigur der deutschen Geopolitik" verantwortlich dafür, dass Geopolitik zur Wissenschaft über Raumzusammenhänge und deren Wechselwirkung auf die Politik wurde.[2] Weitere Vertreter waren Erich Obst, Hermann Lautensach und Otto Maull. Für England sind Halford Mackinder mit der im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts maßgebenden Heartland-Theorie und James Fairgrieve, für Frankreich Paul Vidal de la Blache und Camille Vallaux zu nennen.

Karl Haushofer gründete 1924 die „Zeitschrift für Geopolitik“, die zu einem Propagandaorgan der nationalsozialistischen Ideologie wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen Bruch in der geopolitischen Forschung in Deutschland. Die Nähe Haushofers zum Nationalsozialismus, die imperialen Züge seines Werkes und die Nutzung seiner Schriften für die NS-Diktatur zur Begründung "lebensraumschaffender Vernichtungskriege" hatten den Begriff der Geopolitik in Nachkriegsdeutschland diskreditiert.[3] Carl Troll wies die Schuld an der nationalsozialistischen Verwendung und Instrumentalisierung geographischer Forschung dem "geopolitischen Sonderweg" Haushofers zu[4] und verwendete zur Abgrenzung den Begriff der Politischen Geographie.

Eine Wiederaufnahme geopolitischer Debatten in der deutschen Forschung wird mit dem Historikerstreit[5] konstatiert, der auch die „Mittellage“ Deutschlands thematisierte. Nach 1989 stellt der Hamburger Geograph Jürgen Ossenbrügge[5] eine regelrechte Inflation des Begriffes in der deutschen Debatte und eine damit verbundene erneute Rezeption der fortgeführten geopolitischen Forschung im Ausland fest.

21. Jahrhundert

Im Ausland, insbesondere im angloamerikanischen Raum, Frankreich und Russland ist der Begriff Geopolitik weiterhin gebräuchlich. Gegenwärtig wird der Begriff insbesondere im angelsächsischen Raum dazu benutzt, um die (unterschiedlich konzeptualisierten) räumlichen Kontrollstrategien moderner Staaten zu beschreiben, ohne dass dabei eine direkte territoriale Kontrolle über die betroffenen Räume vorliegen muss.“[6]

Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts kommt der Begriff Geopolitik auch in der deutschen Presse und Politikwissenschaft wieder häufiger vor (Heinz Brill, Heinrich Jordis von Lohausen u.a.). So wird der Begriff etwa als erweiterter Begriff von Imperialismus gefasst, indem nicht nur offene Gewalt zwischen Staaten, sondern auch Konfliktformen unterhalb eines offenen Gewaltaustrags Gegenstand der Untersuchung sind.[6]

Literatur

Bücher
  • Guy Ankerl, Coexisting contemporary civilizations. Arabo-muslim, bharati, chinese, and western, Genf: INPRESS, 2000. ISBN 2-88155-004-5.
  • Pepe Escobar: Globalistan: How the Globalized World Is Dissolving Into Liquid War. Ann Arbor, Michigan: Nimble Books, Januar 2007. - ISBN 0-9788138-2-0 (10); ISBN 978-0-9788138-2-6 (13) (eine Zusammenschau der aktuellen Krisen und Konflikte mit Schwerpunkt auf Eurasien, basierend auf Reportagen vor Ort; auch ein Atlas; Rezension der Asia Times Online: [1])
  • Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. 2002
  • Albrecht Haushofer: Allgemeine politische Geographie und Geopolitik. Band 1 (mehr nicht erschienen), Heidelberg 1951
  • Heinz Brill: Geopolitik heute - Deutschlands Chance? 1994
  • Heinz Brill: Geopolitische Analysen. 2005; 2. Auflage 2008
  • Karl Haushofer: Geopolitische Grundlagen. 1935
  • Karl Haushofer: Geopolitik des Pazifischen Ozeans. Studien über die Wechselbeziehungen zwischen Geographie und Geschichte., 1938
  • Henning Heske: Haushofers neue Epigonen. Eine Warnung vor der Rehabilitierung der deutschen Geopolitik. In: Geographie und Schule 17, Heft 93, 1995
  • D. Josten: "Gibt es eine Renaissance der Geopolitik?". München/Ravensburg, 2007
  • Henry Kissinger: Diplomacy. 1995
  • Rudolf Kjellen: Der Staat als Lebensform. 1917
  • Krejčí, Oskar: "Geopolitics of the Central European Region. The view from Prague and Bratislava" Bratislava: Veda, 2005. 494 p. (Free download)
  • Kritische Geographie (Hrsg.): Geopolitik. Zur Ideologiekritik politischer Raumkonzepte. 2001.
  • Yves Lacoste: Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik. 1990
  • Halford John Mackinder: Britain and the British Seas. 1904
  • Alfred T. Mahan: Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte. 1898/99 (2 Bände)
  • Otto Maull: Das Wesen der Geopolitik. 1941
  • Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944. Fischer Taschenbuch Verlag, 2004 (englische Originalausgabe 1942).
  • John O'Loughlin, Henning Heske: From 'Geopolitik' to 'Geopolitique': Converting a Discipline for War to a Discipline for Peace. In: Kliot, N. and Waterman, SS. (Hg.): The Political Geography of Conflict and Peace. London: Belhaven Press, 1991
  • Gearóid Ó Tuathail: Critical Geopolitics. 1996
  • Friedrich Ratzel: Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehres und des Krieges. 1897
  • Christian W. Spang: Karl Haushofer Re-examined – Geopolitics as a Factor within Japanese-German Rapprochement in the Inter-War Years?, in: C. W. Spang, R.-H. Wippich (eds.), Japanese-German Relations, 1895-1945. War, Diplomacy and Public Opinion. London, 2006, pp. 139-157.
  • David Criekemans: Geopolitiek, 'geografisch geweten' van de buitenlandse politiek?, Garant, Antwerpen/Apeldoorn, 2007.- 848 p.: ill..- ISBN 90-441-1969-9
  • Tobias ten Brink: Geopolitik - Geschichte und Gegenwart kapitalistischer Staatenkonkurrenz. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2008. ISBN 978-3-89691-123-0
  • Boris Shiryayev: Großmächte auf dem Weg zur neuen Konfrontation?. Das „Great Game“ am Kaspischen Meer: eine Untersuchung der neuen Konfliktlage am Beispiel Kasachstan. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3749-1.
Artikel oder Hauptstücke
  • Criekemans, David. "Geopolitical schools of thought: a concise overview from 1890 till 2015 and beyond". In: Csurgai, Gyula (ed.): Geopolitics: schools of thought, method of analysis and case studies. Geneva: Editions de Penthes & International Centre for Geopolitical Studies, 2009, pp. 5-47
Zeitschriften
  • African Geopolitics
  • Journal of Middle Eastern geopolitics
  • Revue française de géopolitique
  • Zeitschrift für Geopolitik, Verlag Kurt Vowinckel, Heidelberg & Berlin [7]

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Geopolitik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. vgl. Agnew, John A.; Corbidge, Stuart: Mastering space: hegemony, territory and international political economy, London: Routledge 1995, S. 1.
  2. Ulrike Guérot, Andrea Witt, Europas neue Geostrategie Aus Politik und Zeitgeschichte 17/2004
  3. Ulrike Guérot, Andrea Witt, Europas neue Geostrategie Aus Politik und Zeitgeschichte 17/2004
  4. Rainer Sprengel: Kritik der Geopolitik: Ein Deutscher Diskurs, 1914–1944. Akademie Verlag, 1996, ISBN 3-05-003012-7, vgl. auch den Originalartikel Trolls von 1947.
  5. a b Reader von J. Oßenbrügge, Die neue Geopolitik und ihre Raumordnung, abgerufen am 18. August 2008.
  6. a b Tobias ten Brink: Geopolitik - Geschichte und Gegenwart kapitalistischer Staatenkonkurrenz. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, ISBN 978-3-89691-123-0, S. 307., S. 16.
  7. später Leske-Verlag Die Zs. trug öfters verschiedene Unter- oder Beititel, z. B. "Monatshefte für deutsches Auslands-Wissen" oder: "Weltwirtschaft, Weltpolitik und Auslandswissen" oder: "... in Gesellschaft und Politik" oder: "... verbunden mit der Zeitschrift Weltpolitik und Weltwirtschaft."

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