- Gesamtdeutsche Volkspartei
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Die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) war eine Partei in der Bundesrepublik Deutschland, die die Westbindung ablehnte, wie sie vom christdemokratischen Bundeskanzler Konrad Adenauer angestrebt worden war.
Die Partei wurde 1952 gegründet, löste sich aber mangels Wahlerfolgen 1957 wieder auf. Viele Mitglieder schlossen sich der SPD an, darunter der einflussreichste Sprecher, Gustav Heinemann, ebenso wie Johannes Rau, beides spätere Bundespräsidenten.
Inhaltsverzeichnis
Gründung
Die späteren Gründer der GVP waren oft von der Bekennenden Kirche beeinflusst, die 1934 entstanden war, um Einflüsse des nationalsozialistischen Staates auf die evangelische Kirche abzuwehren. Sie wandten sich allgemein gegen eine Verbindung von Thron und Altar, gegen Frontdenken und für eine Mitverantwortung der Christen für die (gesamte) Welt. In den Jahren nach 1945 gelang es dieser Richtung nicht, ihren Führungsanspruch in der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber einem traditionelleren Luthertum durchzusetzen. Auch außerhalb der Kirche sahen diese Christen ihre Ansichten wenig vertreten und lehnten beispielsweise den Antikommunismus der CDU ab.[1]
Aktuell politisch kam zum Unbehagen dieser Richtung 1950 die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands hinzu (ausgelöst durch den Korea-Krieg). CDU-Bundesinnenminister Gustav Heinemann, der der Bekennenden Kirche angehört hatte, war mit einem Memorandum von Bundeskanzler Adenauer unzufrieden und trat zurück. Seiner Meinung nach seien die Alliierten seit der Kapitulation für die äußere Sicherheit Deutschlands verantwortlich. Ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag sollte den Westalliierten nicht angeboten werden, da sonst die Spaltung Deutschlands weiter vertieft werden würde. Eine westdeutsche Aufrüstung würde auf Russland provozierend wirken.[2]
Am 21. November 1951 gründete Heinemann in Düsseldorf mit einem Freundeskreis die Notgemeinschaft für den Frieden Europas. Sie hatte zehn Gründungsmitglieder, darunter neben dem CDU-Mitglied Heinemann die Zentrumspolitikerin Helene Wessel, Adolf Scheu und Diether Posser.[3] Der Notgemeinschaft nach müsse nicht nur das westliche, sondern auch das sowjetische Sicherheitsbedürfnis anerkannt werden. Eine westdeutsche Aufrüstung werde "den Eisernen Vorhang dichter schließen" und die Wiedervereinigung werde aussichtsloser. Gesamtdeutschland solle neutralisiert werden.[4]
Die Gruppe bemühte sich um einen Organisationsaufbau und sammelte beispielsweise Unterschriften, kam aber schließlich zum Ergebnis, ihre Ziele am besten als Partei verfolgen zu können. Die Regierungsparteien und auch die oppositionelle SPD seien die Hauptverantwortlichen der falschen Politik und mit ihnen könne nicht zusammengearbeitet werden. Am 29./30. November 1952 erfolgte die Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei in Frankfurt am Main.[5]
Ziele
Außenpolitisch forderte die Partei in ihrem Manifest von der Gründungsversammlung die "sofortige Beseitigung der Aufrüstung zweier deutscher Armeen in West- und Ostdeutschland (...) Gesamtdeutsche Haltung erfordert Unabhängigkeit von Ost und West".[6]
Innenpolitisch kritisierte die Partei das Fehlen einer lebendigen Brücke zwischen Regierung bzw. Parlament und Volk. Volksabstimmungen sollten einführt werden, rassische, religiöse und weltanschauliche Vorurteile abgewandt werden. Das Christentum dürfe nicht beispielsweise gegen den Kommunismus instrumentalisiert werden. Barbara Jobke interpretiert es in ihrer Dissertation so, dass das außenpolitische Leitmotiv der Entspannung auch in der Gesellschaftspolitik zum Tragen kommen sollte.[7] Wirtschaftspolitisch war die Partei nicht an einer genaueren Ausformulierung von Zielen interessiert, auch wegen der großen Unterschiedlichkeit an Vorstellungen in der Anhängerschaft.[8]
Aktivitäten und Auflösung
Anlässlich der Bundestagswahl 1953 ging die GVP ein Wahlbündnis mit dem Block der Mitte / Freisoziale Union ein[9], das aber noch vor der Wahl zerbrach. Sie erreichte nur 1,3 % der abgegebenen Stimmen. Einziger Wahlerfolg waren die 78 Mandate bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 28. Oktober 1956.
Im Jahr 1955 beteiligte sich die GVP an der Paulskirchenbewegung gegen die Wiederbewaffnung.
Nachdem sie auch bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1956 nur 1,6 % erzielt hatte, löste sich die GVP am 19. Mai 1957 auf. Den Mitgliedern wurde ein Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) empfohlen, den Erhard Eppler bereits vollzogen hatte, und in der auch Heinemann und andere GVP-Mitglieder ihre politische Laufbahn fortsetzten. Die Übertritte aus der GVP halfen der SPD, sich langsam auch dem Bürgertum zu öffnen.
Trotz der Wahlergebnisse war die GVP dennoch im Bundestag vertreten, und zwar 1952/1953 durch Helene Wessel und Thea Arnold (ehemals Zentrum) und Hans Bodensteiner (davor CSU). Heinemann kam erstmals und Wessel erneut 1957 als SPD-Mitglieder in den Bundestag, über sichere Listenplätze in NRW und Niedersachsen.[10]
Mitglieder und Organisation
Die GVP wurde von 140 Teilnehmern der Gründungsversammlung gegründet und hatte ein vierköpfiges Präsidium statt eines Vorsitzenden. Dazu wurde auf der Gründungsversammlung ein größerer Bundesvorstand gewählt, zunächst mit 28 Mitgliedern. Im Frühjahr 1953 hatte die Partei erst 53 Kreisverbände, vor allem in NRW, Hessen und Baden-Württemberg. Dort entstanden im selben Jahr auch Landesverbände.[11]
Als die Partei sich 1957 auflöste, hatte sie rund tausend Mitglieder, sagte Präsidiumsmitglied Adolf Scheu 1968 der Promovendin Barbara Jobke. Die Parteizeitung hatte 3000 Abonnenten. Anhand eines Fördererkreises, der die Partei finanziell förderte, kommt sie auf eine Sympathisantenzahl von 300.000.[12]
In der Führungsebene überwogen die Bildungsbürger; darunter waren eher wenige Pfarrer, da die Partei nicht mit der Religion Politik machen wollte. Dennoch gab es viele Pfarrer in der Mitgliederschaft, die weit überwiegend protestantisch war. Die Parteiführung wollte ausdrücklich kein protestantisches Gegenstück zur als katholisch empfundenen Union schaffen. In der Öffentlichkeit traten der Protestant Heinemann und die Katholikin Wessel bewusst oft zusammen auf.[13] Diese von oben gewollte Trennung von Politik und Religion bereitete denjenigen Schwierigkeiten, die vor Ort Werbung betrieben und selbst aus kirchlichen Kreisen kamen.[14]
Bekannte Mitglieder der GVP waren:
- Carl Amery
- Thea Arnold
- Hans Bodensteiner
- Erhard Eppler, später Bundesminister
- Diether Posser, später Landesminister
- Johannes Rau, später Bundespräsident
- Gottfried Gurland, später Bürgermeister von Wuppertal
- Robert Scholl
- Jürgen Schmude, später Bundesminister
Wahlen
Die GVP bemühte sich für die Bundestagswahl 1953 um Bündnisse mit mehreren anderen Parteien, etwa mit dem Bund der Deutschen. Sie reichte in allen Ländern Listen ein und trat in 232 von 242 Wahlkreisen an, erhielt am Wahltag aber nur 286.465 der Erststimmen (ein Prozent) und 318.475 Zweitstimmen (1,2 Prozent). Am besten schnitt sie mit 1,7 Prozent in Hessen ab. Das beste Ergebnis hatte die GVP in Heinemanns Wahlkreis Siegen, nämlich 8,5 Prozent.[15]
Bei folgenden Landtagswahlen rief die GVP zur Wahlenthaltung oder zur Wahl der SPD auf. Wegen des hohen Anteils von Protestanten an der Einwohnerschaft Baden-Württembergs versuchte sie es bei der dortigen Landtagswahl am 4. März 1956. Sie errang 50.618 Stimmen, das sind 1,5 Prozent. Bei den NRW-Kommunalwahlen im selben Jahr hingegen schnitt die GVP in einigen Gemeinden, vor allem Siegen, Rheydt und im Landkreis Siegen, recht gut ab und kam insgesamt auf 78 Mandate.
Gespräche mit der SPD über eine Zusammenarbeit bei der Bundestagswahl 1957 ergaben im Februar jenes Jahres, dass die SPD nur ihre eigenen Parteimitglieder auf ihren Listen akzeptieren werde.[16]
Literatur
- Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, ISBN 3-531-11592-8
- Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974
- Diether Koch: Heinemann und die Deutschlandfrage, Kaiser, München 1972, ISBN 3-459-00813-X
- Josef Müller: Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950-1957, Droste-Verlag, Düsseldorf 1990, ISBN 3-7700-5160-2
- Herwart Vorländer: Oral History-Projekt Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Ein Bericht. (In: Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, hrsg. von Herwart Vorländer, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1990, ISBN 3-525-33568-7 [= Kleine Vandenhoeck-Reihe, Band 1552], S. 83-104)
Belege
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 31, 40, 43.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 57-59.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 72.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 79/80, Zitat S. 80.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 115/117.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 127.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 129/130, Zitat S. 130.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 138.
- ↑ Artikel Gemeinsames Wahlprogramm in: GVP-Nachrichten, Jahrgang 1, Nr. 15 (8. Mai 1953), S. 2
- ↑ Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1478-1508, hier S. 1496.
- ↑ Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1478-1508, hier S. 1498.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 123/124.
- ↑ Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1503/1504, hier S. 1494/1495.
- ↑ Barbara Jobke: Aufstieg und Verfall einer wertorientierten Bewegung. Dargestellt am Beispiel der Gesamtdeutschen Volkspartei, Universität, Dissertation Tübingen 1974, S. 176.
- ↑ Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1478-1508, hier S. 1493/1494.
- ↑ Siegfried Heimann: Die Gesamtdeutsche Volkspartei, in: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Band 3, Westdeutscher Verlag, Opladen 1983, S. 1478-1508, hier S. 1494/1495.
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