Ghizeghem

Ghizeghem

Hayne van Ghizeghem (* um 1445, vermutlich in Ghizeghem bei Gent; † vor 1497, vermutlich in Frankreich) war ein franko-flämischer Komponist, Dichter, Lautenist und Sänger.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hayne van Ghizeghem dürfte um 1445 geboren worden sein, vermutlich im Dorf Ghizeghem in der Nähe von Gent. 1457 wird in Rechnungen des Grafen von Charolais und späteren Herzogs Karls des Kühnen vermerkt, dass 22 écus d’or de 48 gros an Constans de Breuwe Languebroeck gezahlt worden seien, der in der Zeit vom 1. November 1456 bis zum 31. Dezember 1457 im Auftrag Karls für Unterhalt und Garderobe des "jeunse fils appelé Hayne van Ghizeghem" gesorgt hatte.

In den 1460er Jahren ist Hayne am burgundischen Hof tätig. Als chantre et valet-chambre (Sänger und Kammerdiener) gehörte er, ebenso wie sein Kollege Adrien Basin, jedoch nicht zur Kapelle. 1467 verzeichnen die Rechnungen Zahlungen von 6 sous pro Tag an Hayne. Auch 1468 erhielt er dieses Salär, darüber hinaus aber auch 45 livres, 18 sous, denn er musste sich für den Krieg mit Lüttich mit einer Equipage ausrüsten. Im September 1468 erhielt Hayne sein Hofkostüm: es bestand aus einer langen schwarzen wollenen Robe mit einem Wams aus schwarzem Satin oder einer kurzen Tunika.

Spätestens Ende der 1460er Jahren war Hayne ein berühmter Komponist und Dichter, obwohl sein aus dieser Zeit überliefertes Oeuvre wahrscheinlich nur die Chanson Amours, amours und De tous biens plaine umfasst. Vermutlich haben ihn seine Pflichten als Höfling so sehr in Anspruch genommen, dass er überhaupt bis etwa 1475 sehr wenig komponiert hat.

Am 6. Juli 1472 wird erwähnt, dass Hayne dem Gefolge des Herzogs angehört, der in dieser Zeit Beauvais en Beauvoisis belagerte. Vielleicht ist Hayne während dieser Kampagne mit Robert Morton in Cambrai gewesen, wovon eine anonyme Chanson (Dijon, MS 517 fol. 155v-156) berichtet. In diesem Falle könnte die Weihe der Kathedrale am 5. Juli 1472 sie nach Cambrai geführt haben. Sicher hat Hayne bei dieser Gelegenheit den in Cambrai lebenden Guillaume Du Fay getroffen.

Wenigstens bis zum 9. Dezember 1476 ist Hayne am Hof tätig gewesen. Er und Adrien Basin haben Karl den Kühnen auf dessen Kriegszug gegen Nancy begleitet, der in einer Katastrophe für Burgund und den Herzog endete. Danach verliert sich Haynes Spur.

Sehr wahrscheinlich hat er an bislang unbekanntem Ort noch einige Jahre gelebt. Dafür spricht die Überlieferungssituation seiner späten Werke, die erst in den 1480er und 1490er Jahren kopiert wurden und allesamt aus dem Umfeld der französischen Krone stammen. Vermutlich hat Hayne also Anstellung beim französischen König gefunden, wofür als weiterer Beleg gelten kann, daß er sich Zuschreibungen mit Alexander Agricola, Johannes Ockeghem und Jehan Fresneau teilt, deren Verbindung zum französischen Königshof feststeht.

Vor 1497 ist Hayne gestorben. In der Déploration sur la mort d’Ockeghem wird berichtet, wie Hayne den verstorbenen Ockeghem empfängt und ihm dessen Motette Ut heremita solus singt, wobei er sich auf der Laute begleitet. Auch dies ist wohl nicht nur ein literarischer Topos, sondern Reflex auf eine längere Zusammenarbeit der beiden Komponisten.

Werke

  • A l’audience (Rondeau cinquain, vierstimmig und nur in talienischen Quellen; zitiert aus Haynes Chanson Allez, regrets; vielleicht nicht echt)
  • Allez, regrets (Rondeau cinquain, Text von Johannes II. von Bourbon)
  • Amours, amours (Rondeau cinquain)
  • Ce n’est pas jeu (Rondeau quatrain)
  • De quatre nuyts (Rondeau cinquain)
  • De tous biens plaine (Rondeau quatrain)
  • De vous aymer (Rondeau cinquain)
  • Gentilz gallans (Rondeau quatrain)
  • Je sçay tout (Rondeau cinquain)
  • La Regretée (Rondeau cinquain layé)
  • Les grans regrets (Rondeau quatrain)
  • Mon souvenir, (Rondeau quatrain)
  • Penser en vous (Rondeau quatrain)
  • Plus n’en auray (Rondeau quatrain(?))
  • Pour ce que j’ay jouy (Rondeau quatrain)
  • Si une fois puis recouvrir (Rondeau quatrain, nur Refrain erhalten);

Werke zweifelhafter Echtheit

Chronologie und Stil

Ende der 1460er Jahre haben mit Sicherheit Amours, amours und De tous biens plaine vorgelegen. Nach gegenwärtiger Forschungslage wurden die Chansons Plus n’en auray, Gentilz gallans, Les grans regrets, De quatre nuyts, Penser en vous, Pour ce que j’ay jouy und La Regretée wahrscheinlich erst in den 1480er und 1490er Jahren komponiert. Es fällt auf, dass die mittleren und späten Werke im Vergleich zu jeweils vorhergehenden Gruppen neue Merkmale aufweist, was durchaus für die kompositorische Entwicklung Haynes sprechen dürfte.

Haynes Chansons gehen zwar nicht über den Standard der Burgundische Chansons hinaus: sie sind Superius-Tenor-Duette, die ein Contratenor in Bassfunktion begleitet. Doch entwickelte Hayne dieses Modell an diesem Typus seine kompositorischen Fähigkeiten zu einer solchen Reife, dass seine Chansons motettische Züge annehmen.

Anfangs überwiegt bei Hayne das Interesse an der Melodie. Die Stimmen teilen miteinander kein melodisches Material. Die Rhythmen sind regulär und unkompliziert.

Später versucht Hayne, die Stimmen in Beziehung zueinander zu setzen. Dies erreicht er durch Einsatz der Imitation und Austausch gemeinsamer Motive. Die Stimmen tendieren zur rhythmischen und melodischen Gleichwertigkeit.

Die fortschrittlichsten Chansons sind Les grans regrets und La Regretée. In La Regretée ist praktisch in jedem Takt das Hauptmotiv nachweisbar. Jeder Teil der Chanson beginnt mit fast fugenmäßigen Imitationen.

Würdigung

Zum ersten Mal wird Hayne von Jean Molinet, der seit 1475 Hofchronist des Burgundischen Herzogs, erwähnt. Etwa 1480 führt Nicole de la Chesnaye († 1505) in La condamnacion des bancquetz Haynes Chansons De tous biens plaine und Allez, regretz auf. Eloy d’Amerval nennt Hayne im Le livre de la deablerie (Paris 1508), Pietro Aaron in seinem Trattato della natura et cognitione di tutti gli tuoni di canto figurato (Venedig 1525). Sogar in Francois Rabelais Roman hat Haynes Werk Eingang gefunden (Buch V, Kapitel 33): Dort werden 180 Chansons aufgezählt, darunter von Hayne: Les grands regrets, Ce n’est pas jeu, Amours, amours.

In Pierre Moulus Motette Mater floreat florescat wird Hayne zusammen mit Jacob Obrecht, Loyset Compère und Pierre de la Rue gefeiert.

Haynes Chanson De tous biens plaine hat für Dutzende Kompositionen den cantus firmus geliefert. Eine der frühesten Kompositionen dürfte Loyset Compères Motette Omnium bonorum plena sein, die sicher vor 1474 entstanden ist.



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