Gravitationsmodell (Ökonomie)

Gravitationsmodell (Ökonomie)

Gravitationsmodelle sind in der Ökonomie empirische Modelle, die die bilateralen Handelsströme zwischen zwei Ländern in Anlehnung an das Newtonsches Gravitationsgesetz der Physik beschreibt.[1] Das traditionelle ökonomische Gravitationsmodell basiert auf der Annahme, dass der Handel zwischen zwei Ländern abhängig ist von der Marktgröße und der Entfernung der Partnerländer.[2]

Inhaltsverzeichnis

Berechnung

In unten gezeigte Gleichung kennzeichnet Xi,j die Exporte von Land i nach Land j, Yi, Yj die Bruttoinlandsprodukte der betrachteten Volkswirtschaften und Di,j ist ein Distanzfaktor. Die Buchstaben c, ci, cj, a, b, e und f sind Konstanten, welche empirischen Schätzungen unterliegen.


X_{i,j}= c c_i c_j \frac { \left( (Y_i)^a (Y_j)^b \right)} {(1+eD_{i,j} )^f} [3]

Naturwissenschaftlicher Hintergrund des Gravitationsmodells

Der Ursprung des Gravitationsmodells liegt in der Naturwissenschaft. Isaac Newton (1643-1727) legte den Grundstein für die klassische Mechanik. Einer seiner bedeutenden Ansätze ist das Gravitationsgesetz, erstmals formuliert 1687 in seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Dieses besagt, dass die gravitationsbedingte Anziehungskraft F zwischen zwei Körpern direkt proportional ist zum Produkt der Massen m1 und m2 der beiden Körper und indirekt proportional zum Quadrat ihrer Entfernung r:

F= G \frac{m_1  m_2}{r^2}

mit der Gravitationskonstante G.

Das Gravitationsmodell wurde bereits in den vierziger Jahren auf unterschiedliche Bereiche übertragen. Beispielsweise kam man im Rahmen der Migrationsforschung zu der Erkenntnis, dass, je weiter zwei Orte voneinander entfernt liegen, desto weniger Angehörige einer Population sich auf den Weg begeben.

Gravitationsmodell in der klassischen Wirtschaftslehre

In den sechziger Jahren erfolgte die Übertragung des physikalischen Begriffs der Gravitation auf die klassische Wirtschaftslehre. Die spezielle Verwendung zur Erklärung internationaler Handelsströme wurde erstmals von Jan Tinbergen (1962) [4]und Pentti Pöyhönen (1963) [5] formuliert, auf Problemstellungen der Außenhandelstheorie übertragen und mündete nach weiteren Beiträgen von James E. Anderson (1979) [6], Bergstrand (1985)[7] und Alan V. Deardorff (1998) [8] in das nachfolgend dargestellte „Gravitationsmodell des Welthandels“.

Das Gravitationsmodell des Welthandels basiert im Wesentlichen auf den Annahmen, dass sich, bei ceteris paribus hinsichtlich weiterer Einflussfaktoren, die Außenhandelsaktivitäten eines Landes

  • (A) positiv proportional zu seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) verhalten sowie
  • (B) eine zunehmende geografische Entfernung negativ wirkt.

Die Annahme (A) beruht dabei auf der Überlegung, dass bei steigendem Bruttoinlandsprodukt absolut mehr exportiert sowie importiert wird. Daraus folgt dass, je höher das im Inland erwirtschaftete Einkommen ist, umso mehr absolut importiert werden kann, und je mehr im Inland produziert wird, umso mehr absolut exportiert werden kann. Das BIP der beiden Länder steht also für die Angebots- und Nachfragestärke der Länder. Die Begründung für (B) liegt in den sich mit zunehmender geografischer Entfernung erhöhenden Transaktionskosten für Handelsaktivitäten, welche sich auf diese hemmend auswirken. Die Distanzvariable kann somit als Maß für die Raumüberwindungskosten beim Außenhandel interpretiert werden. Die Grundaussagen des Modells lassen sich in nachfolgender Formel zusammenfassen:


T_{i,j}= A  \frac {Y_i Y_j}{D_{i,j}}


Dabei bezeichnet Ti,j den Außenhandelsumsatz zwischen zwei Ländern als Summe der von i an j exportierten und durch i von j importierten Güter und Dienstleistungen. Yi und Yj beschreiben das jeweilige Bruttoinlandsprodukt von i und j und Di,j bildet die geografische Entfernung zwischen den beiden Ländern ab. Die Größe A repräsentiert eine Konstante. [9]

Praktische Anwendung des Gravitationsmodells

In der Wirtschaftswissenschaft wird das Gravitationsmodell heute insbesondere als Instrument zur Analyse von internationalen Handelsströmen eingesetzt, ebenso als Analyseinstrument zur Messung interregionaler und internationaler Ströme beispielsweise in den Bereichen Tourismus und Einwanderungsstatistik.[10]

Weiterhin lassen sich Handelspotentiale schätzen und Auswirkungen von Integration messen. Aktuelle politische Beispiele für die Verwendung des Ansatzes sind Schätzungen über Potentiale von ausländischen Direktinvestitionen sowie auftretende Probleme, die die EU-Erweiterung mit deren fortschreitender Integration hervorrufen könnte. Die Daten, die für eine Gravitationsanalyse benötigt werden sind leicht zugänglich, beispielsweise über die Bundesbank oder Eurostat. Daten zu den gemeinhin verwandten Variablen werden u.a. von der Datenbank der Welt (Wold Development Indicators) zur Verfügung gestellt.[11]

In verschiedenen Wirtschaftslexika findet man unter dem Begriff Regionalanalyse eine Assoziation zum Gravitationsmodell. [12]

Handelspolitische Einflussfaktoren

Hemmende Einflussfaktoren

  • handelspolitische Determinanten zum Beispiel Zölle, Quoten, Subventionen
  • Fremdartigkeit zwischen Ländern oder Regionen
  • kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern
  • historische Determinanten zum Beispiel Krieg
  • politische Lage

Unterstützende Einflussfaktoren

  • bilaterale und multilaterale Handelsabkommen
  • Existenz von Handelsorganisationen zum Beispiel EFTA, NAFTA, WTO
  • Ähnlichkeit zwischen Ländern oder Regionen zum Beispiel gleiche Muttersprache der Handelspartner
  • politische Ordnung (je liberaler die Länder, desto intensiver wird Handel betrieben)[13]

Die verschiedenen externen Einflussfaktoren zur praktischen Anwendung des Gravitationsmodells zeigen, dass das Modell nicht als gegeben sondern erst nach kritischer Auseinandersetzung einzelner Faktoren betrachtet werden sollte, um nützliche empirische Ergebnisse zu erzielen.

Einzelnachweise

  1. http://www.diw.de/deutsch/internationale_industrieorganisation/29191.html
  2. http://www.diw.de/deutsch/internationale_industrieorganisation/29191.html
  3. Horst Siebert, Außenwirtschaft 7. Auflage, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S. 88
  4. Tinbergen, Jan. Shaping the World Economy–Suggestions for an International Economic Policy, The Twentieth Century Fund (1962).
  5. Pöyhönen, Pentti. “A Tentative Model for the Volume of Trade Between Countries,” Weltwirtschaftliches Archive, Vol. 90 (1963), pp. 93-100.
  6. Anderson, James E. “A Theoretical Foundation for the Gravity Equation,” American Economic Review (March, 1979), pp. 106-16.
  7. Bergstrand, Jeffrey H. “The Gravity Equation in International Trade: Some Microeconomic Foundations and Empirical Evidence,” Review of Economics and Statistics, Vol. 67, (August 1985), pp. 474-81.
  8. Deardorff, Alan V. “Determinants of Bilateral Trade: Does Gravity Work in a Neoclassical World?” The Regionalization of the World Economy, Jeffrey A. Frankel, ed., University of Chicago Press (1998).
  9. http://www.wop.euv-frankfurt-o.de ; Länderdossier Norwegen WS 07/08
  10. http://www.statoek.vwl.uni-mainz.de/Dateien
  11. http://www.diw.de/deutsch/internationale_industrieorganisation/29191.html
  12. Geigant, Haslinger, Sobotka, Westphal, Lexikon der Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, Landsberg am Lech, 1983, S.775-777
  13. http://www.statoek.vwl.uni-mainz.de/Dateien/Arbeitspapier_Nr_34_Gravitationsmodell.pdf

Literatur

  • Horst Siebert: Außenwirtschaft, 7. Auflage, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2000, S. 88
  • Geigant, Haslinger, Sobotka, Westphal: Lexikon der Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, Landsberg am Lech, 1983, S. 775-777

Weblinks


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