Göttinger Septuaginta-Unternehmen

Göttinger Septuaginta-Unternehmen

Das Göttinger Septuaginta-Unternehmen ist ein 1908 gegründetes wissenschaftliches Institut der Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Göttingen. Seine Aufgabe ist es, eine kritische Ausgabe der Septuaginta, der ersten Bibelübersetzung überhaupt, herauszugeben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Septuaginta ist eine Übersetzung des hebräischen Alten Testaments ins Griechische aus dem 3./2. vorchristlichen Jahrhundert und die erste Bibelübersetzung überhaupt. Ihr kommt eine kaum zu überschätzende kultur- und geistesgeschichtliche Bedeutung zu. Deshalb regte bereits im 19. Jahrhundert der Göttinger Orientalist Paul de Lagarde an, eine kritische Textausgabe der Septuaginta zu erarbeiten. Die dazu nötige Sichtung und Erfassung aller erreichbaren griechischen Handschriften und weiteren Belegmaterials erfordert allerdings einen so großen logistischen und wissenschaftlichen Aufwand, dass Lagarde sein Vorhaben nicht umsetzen konnte.

Erst sein Schüler Alfred Rahlfs erreichte in Zusammenarbeit mit einer Reihe prominenter Wissenschaftler aus Göttingen, dass der preußische Staat die nötigen Ressourcen für ein solches Jahrhundertprojekt zur Verfügung stellte: 1908 wurde das Göttinger Septuaginta-Unternehmen als Einrichtung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen gegründet.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1935 leitete Alfred Rahlfs das Unternehmen und schuf die Voraussetzungen für die Editionsarbeit: Fotografien der erreichbaren Handschriften wurden gesammelt und nummeriert (nach den von Rahlfs vergebenen Rahlfs-Sigeln); die verschiedenen Lesarten der Handschriften wurden verglichen und synoptisch dargestellt. Um diese bis heute nicht abgeschlossene Arbeit bewältigen zu können, wurden am Septuaginta-Unternehmen mehrere Mitarbeiterstellen eingerichtet.

Noch unter der Leitung von Alfred Rahlfs gelang es dem Septuaginta-Unternehmen, die ersten Bände der kritischen Ausgabe herauszubringen (Psalmi cum Odis, Genesis). Nachdem absehbar war, dass sich die Erarbeitung der gesamten Septuaginta über einen langen Zeitraum erstrecken würde, gab Rahlfs 1935 auch eine auf den wichtigsten Majuskelhandschriften basierende Handausgabe der Septuaginta heraus, die bis heute ein Standardwerk ist.

Inzwischen sind 23 Bände der kritischen Ausgabe und damit etwa 2/3 der Bücher der Septuaginta erschienen. Anders als von Rahlfs ursprünglich prognostiziert (er schätze die Dauer der Editionsarbeit auf 30 Jahre), werden bis zur endgültigen Fertigstellung der Ausgabe noch Jahrzehnte vergehen, so dass das Gesamtprojekt weit über 100 Jahre in Anspruch nehmen wird. Dieser Zeitrahmen und damit auch die unerwartet lange Existenz des Göttinger Septuaginta-Unternehmens erklärt sich durch die Konzeption der Göttinger Ausgabe.

Konzeption der Göttinger Ausgabe

Das wichtigste Anliegen der Göttinger kritischen Ausgabe ist es, den ursprünglichen Text der Septuaginta (Old Greek) herzustellen und zu veröffentlichen. Die Septuaginta ist nicht im Original, sondern nur in zahlreiche Abschriften (Handschriften) erhalten sowie indirekt bezeugt durch Tochterübersetzungen und Zitate in antiker Literatur. Deshalb erfordert die Herstellung des ursprünglichen Texts die Einsicht in alle diese Belege sowie ein Abwägen zwischen den in den verschiedenen Handschriften bezeugten Lesarten des Textes.

Die zweite Aufgabe der Göttinger Ausgabe besteht darin, in einem textkritischen Apparat alle relevanten, vom ursprünglichen Text abweichenden Lesarten zu dokumentieren und damit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei wird nicht nur das griechische Handschriftenmaterial berücksichtigt, sondern auch Übersetzungen, die von der Septuaginta in andere Sprachen gemacht wurden (Tochterübersetzungen) sowie alle bekannten Zitate der Septuaginta in antiker Literatur.

Diese umfassende Dokumentationsaufgabe bedeutet für jeden herauszugebenden Band (identisch mit je einem biblischen Buch des Kanons der Septuaginta) einen enormen wissenschaftlichen Aufwand. Die Verantwortung für je einen Einzelband trägt dabei der jeweilige Herausgeber oder die Herausgeberin. In der Regel handelt es sich dabei um Alttestamentler.

Die Fülle des zu berücksichtigenden und zu dokumentierenden Materials erklärt die lange Dauer des Projekts. Im Jahr 2008 feierte das Göttinger Septuaginta-Unternehmen sein 100jähriges Bestehen, ohne dass absehbar ist, wann die Göttinger kritische Ausgabe abgeschlossen werden kann.

Leitung und Ausstattung

Das Göttinger Septuaginta-Unternehmen wird von einer Leitungskommission geleitet, der derzeit zehn Professoren, überwiegend Theologen, angehören.

Bisherige Vorsitzende der Leitungskommission
  1. Eduard Schwartz (1908–1909)
  2. Jacob Wackernagel (1909–1915)
  3. Alfred Bertholet (1915–1928)
  4. Walter Bauer (1928–1946)
  5. Kurt Latte (1952–1956)
  6. Joachim Jeremias (1956–1970)
  7. Walther Zimmerli (1970–1979)
  8. Rudolf Smend (1979–2001)
  9. Reinhard Gregor Kratz (seit 2001)

Seit seiner Gründung verfügt das Göttinger Septuaginta-Unternehmen über mehrere Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte. Sitz des Unternehmens ist das ehemalige Wohnhaus Paul de Lagardes im Friedländer Weg in Göttingen. Das Septuaginta-Unternehmen verfügt über eine umfassende Fachbibliothek.

Siehe auch

  • Liste bekannter Philologen der Septuaginta

Literatur

  • Göttinger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Vetus Testamentum Graecum auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum. Göttingen 1924ff. (Die Göttinger kritische Ausgabe der Septuaginta; bisher sind 23 Bände erschienen)
  • Alfred Rahlfs (Hrsg.): Septuaginta, id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes. Stuttgart 1935, zahlreiche Neuauflagen, zuletzt Editio altera quam recognovit et emendavit Robert Hanhart, Stuttgart 2006. (Handausgabe der Septuaginta)
  • Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens. Zeitschrift mit zahlreichen Ausgaben, 1909ff.

Weblinks


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