- Handschriftenverkäufe der Badischen Landesbibliothek
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Im September des Jahres 2006 wurde zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland seitens einer Landesregierung der Versuch unternommen, in Museen und Bibliotheken verwahrte größere Mengen an Kulturgütern in den Kunst- und Antiquitätenhandel zu geben; der Versuch verursachte einen bis dahin beispiellosen internationalen Protest von Fachleuten, Wissenschaftlern und Bürgern.
Inhaltsverzeichnis
Ereignis und Hintergrund
Am 20. September 2006 wurde bekannt, dass das Land Baden-Württemberg plante, mittelalterliche Handschriften und Inkunabeln aus Beständen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe mit einem geschätzten Wert von 70 Millionen Euro zu verkaufen.[1] Hintergrund war ein geplanter Vergleich zwischen dem Land und dem Haus Baden, das Eigentumsansprüche auf sich in den Museen und Bibliotheken des Landes befindende Gemälde, seltene Drucke und Handschriften - darunter auch die betroffenen Handschriften - im geschätzten Wert von 250 bis 300 Millionen Euro erhebt. 40 Millionen Euro des Erlöses sollten zur Gründung einer „Stiftung Schloss Salem“ verwendet werden, in die auch das bislang im Eigentum des Hauses Baden stehende Schloss selbst eingebracht werden sollte, um dessen Erhalt sicherzustellen. Mit dem anderen Teil sollte das Haus Baden für bereits in die Sanierung des Schlosses getätigte Investitionen entschädigt werden. Das Haus Baden wollte dafür auf die Eigentumsansprüche verzichten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Verband deutscher Kunsthistoriker, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Erzbischof von Freiburg, die Äbte der Deutschen Benediktinerklöster, der Kulturstaatsminister Neumann sowie zahlreiche weitere Wissenschaftler und Personen aus dem In- und Ausland warnten vor dieser möglichen Veräußerung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Zerstückelung der Sammlung als Ganzes sowie der Bände im Einzelnen bedeute.[2]
Rechtslage
Strittig ist die Frage, ob das Eigentumsrecht der genannten Kulturgüter dem Haus Baden als Erben der Großherzöge von Baden oder dem Staat als Erben des Großherzogtums Baden, das heißt also: dem Volk, zusteht. Der Meinung des Hauses Baden steht ein Gutachten des renommierten Rechtswissenschaftlers Prof. Siegfried Reicke (1967) gegenüber sowie seit September 2006 eine verfassungsrechtliche Begründung der Eigentumsrechte des Landes von Prof. Reinhard Mußgnug.[3] Vergleichbare Handschriftenbestände öffentlicher Bibliotheken und Kunstwerke in den landeseigenen Museen galten bisher in der Regel als unveräußerlich.
Vorläufiger Stand
Am 10. Oktober 2006 gab Ministerpräsident Günther Oettinger bekannt, dass zwar an dem angestrebten Vergleich festgehalten werde, das Geld hierfür jedoch durch ein Drei-Säulen-Modell, welches neben dem Land auch private Mäzene sowie Kunst- und Kultureinrichtungen mit einbeziehe, bereitgestellt werden soll.[4] Ein Verkauf von Kulturgütern im Rahmen einer Überprüfung von Sammlungen „im Sinne einer Profilbildung“ sei hierdurch aber nicht ausgeschlossen.
Ziel des Finanzierungsmodells ist zunächst die Abgeltung der Investitionen des Hauses Baden und im Gegenzug der Erwerb der „unbestritten“ in dessen Eigentum stehenden Kunstwerke sowie die Sicherstellung der Erhaltung von Schloss Salem. Zu jenen Kunstwerken zählt Oettinger insbesondere die sogenannte Markgrafentafel von Hans Baldung Grien. Wie der Historiker Dieter Mertens den Akten im Generallandesarchiv in Karlsruhe entnehmen konnte, ist jedoch gerade dieses Kunstwerk bereits 1930 in das Eigentum des Landes übergegangen.[5] Während nach Aussage Oettingers das Haus Baden weiterhin Anspruch auf das Gemälde erhebt,[6] führt die Frankfurter Allgemeine Zeitung weiter Gemälde auf, die laut Mertens bereits dem Land gehören, jedoch von der Regierung des Landes Baden-Württemberg durch den angestrebten Vergleich „gesichert“ werden wollten.[7]
Am 18. Dezember 2007 lag das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Expertengutachten vor, das die Besitzverhältnisse aller Kulturgegenstände klären sollte, auf die das Haus Baden Anspruch erhob. Es kam zu dem Ergebnis, dass der weit überwiegende Teil der strittigen Güter Landeseigentum sei. Die Landesregierung wollte daraufhin dem Haus Baden Gespräche anbieten, um zu einer Lösung auch für das bedrohte Kulturgut Schloss Salem zu kommen.[8]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Archivalia: Werden Spitzen-Handschriften der Badischen Landesbibliothek verkauft?
- ↑ siehe u.a. Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 28. September 2006[1]; Offener Brief des Verbands Deutscher Kunsthistoriker e.V. vom 28. September 2006 [2]; Offener Brief mit über 2500 Unterzeichnern aus der Fachwelt vom 28. September 2006 [3]; Leserbrief von 19 internationalen Kunsthistorikern (u.a. von den Universitäten Harvard, Yale und Princeton) in der F.A.Z. vom 28. September 2006, Nr. 226 / Seite 44 [4]
- ↑ den Beitrag von Reinhard Mußgnug siehe F.A.Z., 29. September 2006, Nr. 227 / Seite 37 [5]
- ↑ Pressemeldung Staatsministerium Baden-Württemberg vom 10. Oktober 2006 [6]
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. November 2006, Nr. 255 / Seite 41 [7]
- ↑ Übersicht bei Archivalia [8]
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. November 2006 s. hier
- ↑ Vgl. http://www.baden-wuerttemberg.de/de/Meldungen/178958.html?referer=88736 [12. Oktober 2011]
Literatur
- Peter Michael Ehrle, Ute Obhof: Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek - Bedrohtes Kulturerbe?. Casimir Katz, Gernsbach 2007, ISBN 978-3-938047-25-5
- Klaus Graf: Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel 2006, in: Kunstchronik 60 (2007), Heft 2, S. 57–61 (online)
Weblinks
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