- Hauskirchenbewegung
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Eine Hauskirchenbewegung ist ein sozio-kulturelles und sozial-psychologisches Phänomen, aus dem einfache Erscheinungsformen von Kirche, bzw. Gemeinde hervorgehen, die sich konfessions- und denominationsübergreifend durch Multiplikation über mehr als drei Gemeindegenerationen in einer Gesellschaft ausbreiten.
Inhaltsverzeichnis
Die Hausgemeinde in der Hauskirchenbewegung
Eine Hausgemeinde oder eine Hauskirche ist ein Gruppe von Christen, die sich frei und unabhängig von einer Konfession oder Denomination und ohne ein spezielles Kirchengebäude versammelt. Die Gemeinschaft wird dabei wichtiger genommen als die gottesdienstliche Ordnung oder das religiöse Programm. Das Gemeindeleben geht über den Rahmen der gottesdienstlichen Veranstaltung hinaus und bezieht den Alltag der "Hausgenossen" ein.
Hausgemeinden werden auch als "einfache Gemeinden/ Kirchen" oder als organische Gemeinden/ Kirchen bezeichnet. Sie wollen ohne Klerus, ohne kirchliches Dogma, ohne Liturgie und ohne Kirchengebäude in Einfachheit als christliche Gemeinde leben, und sich auf das konzentrieren, was sie als das Wesentliche im christlichen Glauben ansehen. Dennoch beinhaltet ein wichtiger Teil ihrer Versammlungen auch das Abendmahl, die Taufe, die Apostolische Lehre und das Gebet.
Die Gemeinde, bzw. Kirche wird dabei nicht als statische Organisation, sondern als lebendiger Organismus verstanden. Der Vergleich mit der Familie oder der erweiterten Familie (oikos) wird dabei häufig gebraucht. In ihr sind weniger feste Strukturen, Kirchenordnungen und religiöse Rituale wichtig, als mehr die Bedürfnisse der geistlichen Familie die sich zum Volk Gottes zugehörig weiß. Geistliche Eltern erziehen in ihr geistliche Söhne und Töchter, die selbst wieder fähig werden, ihre eigene Familie (oikos) zu gründen.
Hauskirchenbewegungen haben ihr Vorbild in der Kirche des ersten Jahrhunderts, wie sie im Neuen Testament und in frühkirchlichen Schriften beschrieben wird. Kirchenväter wie Cyprian erklären deren rasche Ausbreitung als eine Genealogie von Gemeinden. Das Gemeindeleben spielte sich im privaten Umfeld und in den Häusern, bzw. Wohnungen der Christen ab, Kirchengebäude und Gemeindeorganisationen gab es noch nicht. Stattdessen war die einzelne Gemeinde unabhängig und bezog sich direkt auf die inspirierte Leitung durch den Heiligen Geist (siehe Apg.13,1-2). Später entstanden in den verschiedenen Regionen und Provinzen des Römischen Reiches Gemeindenetzwerke, mit einem lockeren Zusammenhalt, in denen wandernde Apostel, Propheten und Lehrer von Gemeinde zu Gemeinde zogen und ihren Dienst taten. Das Neue Testament, die „Lehre der 12 Apostel“ Didache und Schriften der Apostolisichen Väter geben Hinweise über diese ersten Ordnungen in einer damals flachen Kirchenstruktur. Mit der Entwicklung der ersten christlichen Gemeinden zur institutionellen Kirche im Römischen Reich veränderte sich das grundlegend. Trotzdem gab es in der Kirchengeschichte bis heute immer wieder solche Hauskirchenbewegungen.
Die Hauskirchenbewegung im Neuen Testament
Die Bedeutung der Häuser bei Jesus
- Aussendung der Jünger "wo ihr in ein Haus kommt ...." (Mt.10.12-13 / Luk.10.5) - Im Haus von Maria, Martha und Lazarus (Mt.10.38-39) - Bei der Schwiegermutter des Petrus (Luk 4.38-39) - Salbung im Haus des Pharisäers Simon (Lk.7.36- 38) - Jesus will bei Zachäus ins Haus kommen (Luk.19.5-9) - das Haus des Hauptmann von Kapernaum (Joh.4.53)
Hausgemeinden in der Apostelgeschichte und in den Briefen des neuen Testaments
- brachen zu Hause (Jerusalem) das Brot, nahmen Speise mit Jubel ... (Apg.2,46) - sie lehrten jeden Tag im Tempel und in den Häusern in Jerusalem .... (Apg.5,42) - Saulus ging überall in die Häuser und verwüstete die Gemeinde (Apg.8,3) - das Haus der Maria, der Mutter des Johannes Markus in Jerusalem (Apg.12,12) - Paulus im Haus des Judas und der Jünger in Damaskus (Apg.9,11-19) - Petrus bei Kornelius und seinem ganzen Haus in Cäsarea (Apg.10,25-48) - im Haus des Philippus in Cäsarea (Apg.21,11) - im Haus der Lydia in Philippi (Apg.16,15) - der Kerkermeister von Philippi in seinem Haus (Apg.16,31-34) - im Hause des gottesfürchtigen Titius Justus in Korinth (Apg.18,7) - Krispus und sein Haus in Korinth (Apg.18,8) - Paulus in Troas in einer Hausgemeinde (Apg.20,5-8) - das Haus des Stefanas in Korinth (1.Kor.1.16; 16,15) - die Hausgemeinde im Vorort Kenchräa am Hafen von Korinth (Röm.16.1) - die Gemeinde im Haus v. Priska und Aquila in Korinth (Röm.16.3-5/ 1.Kor.16.19) - Gajus und die Gemeinde in seinem Haus in Korinth (Röm.16,23) - die Hausgenossen der Chloe in Korinth (1.Kor.1.11) - die vom Haus des Aristobul in Rom (Röm.16,10) - die vom Haus des Narzissus, die im Herrn sind, in Rom (Röm.16.11) - Hermas und die Brüder bei ihnen in Rom (Röm.16,14) - Olympas und alle Heiligen bei ihnen in Rom (Röm.16,15) - die aus des Kaisers Haus in Rom (Phil.4,22) - Philemon und die Gemeinde in seinem Hause in Kolossä (Philemon.1,2) - Nympha und die Gemeinde in ihrem Hause in Laodicea (Kol.4,15) - Paulus hatte öffentlich und in den Häusern in Ephesus gelehrt (Apg.20,20) - das Haus des Onesiphorus in Ephesus (2.Tim.1,16-18/ 4,19) - Paulus in seinem eigenen Haus in Rom (Apg. 28,30-31)
Hauskirchenbewegungen in der Kirchengeschichte
Sofern die neutestamentlichen Schriften und die Geschichtsschreibung des Plinius historische Tatsachen wiedergeben, kann daraus abgeleitet werden, dass im ersten Jahrhundert in allen großen und bedeutenden Städten des römischen Reiches (Jerusalem, Rom, Ephesus, Korinth, Antiochien) die Hausgemeinde die vorherrschende Form der Kirche war. Zudem finden sich auch Berichte von der Existenz vieler Hausgemeinden in ländlichen Gegenden. Schon im zweiten Jahrhundert, nach dem Tod der Apostel Jesu setzte eine Veränderung ein. Da wo die Christen die Freiheit hatten, begannen sie eigens erworbene Privathäuser umzubauen, um sie ausschließlich für gottesdienstliche Zwecke zu nutzen. Die Hauskirche von Dura Europos ist die älteste Gemeinde dieser Art und christliche Kirche überhaupt, deren ausgegrabene Ruine heute noch davon zeugt. Dadurch dass es bis ins dritte Jahrhundert immer wieder Christenverfolgungen in unterschiedlicher Stärke gab, wurden diese ersten Kirchengebäude immer wieder geschlossen bzw. zerstört. Nach dem Toleranzedikt von Mailand (312 n. Chr.) endete die Christenverfolgung im Römischen Reich und die Christen konnten, ohne Repressalien zu fürchten, ungehindert Kirchen bauen. Kaiser Konstantin selbst förderte den Bau von prächtigen Kirchen (Basiliken), unter anderem ließ er den Vorläufer des heutigen Petersdom in Rom errichten, wo er das Grab des Petrus vermutete. Dadurch, dass die Katholische Kirche und die Orthodoxe Kirche als christliche Institutionen feste Strukturen annahmen, geriet die Form der Hausgemeinde im römischen Reich mehr und mehr in Vergessenheit.
Am Anfang des vierten Jahrhunderts entstand in Britannien, vermutlich durch christliche, römische Legionäre, die dort stationiert waren, die Iro-Schottische Kirche, innerhalb der die Werte der Hausgemeinde weiterlebten, bis sie im 12. Jahrhundert in der Katholischen Kirche aufging. Auch die Nestorianer, die im vierten Jahrhundert aus einer Kirchenspaltung hervorgingen, breiteten sich bis ins 13. Jahrhundert, zunächst als Hauskirchenbewegung, bis nach China und Südindien aus. Vom 12. bis zum 14. Jahrhundert waren es die Waldenser, die sich in Westeuropa als Hauskirchenbewegung entwickelten. Über sie gibt es Berichte, die davon zeugen, wie sie als Gemeinde konsequent ohne Priester und ohne Liturgie in den Häusern der Familien ihr Glaubensleben praktizierten. Das führte bald zur Verfolgung durch die Katholische Kirche. Im 15. und 16. Jahrhundert war es die Täuferbewegung, die an der Einfachheit und Ursprünglichkeit christlicher Gemeinschaft in den Häusern festhielt. Deshalb wurden sie nicht nur von der Katholischen Kirche, sondern sogar von den Kirchen der Reformation bis auf den Tod verfolgt. Auch bei John Wesley im 17. Jahrhundert und den Methodisten finden sich Ansätze typischen Hausgemeindelebens. Die in der damaligen Erweckung durch die unermüdliche Tätigkeit des Evangelisten und seiner Helfer Bekehrten sammelten sich in sogenannten "Klassen", um in Privathäusern ihr Glaubensleben zu vertiefen.
Hauskirchenbewegungen in unserer Zeit
In den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts entstanden am Rande der Charismatischen Bewegung in England viele neue Hausgemeinden, die aber nach einigen Jahren wieder in konfessionellen Gemeindestrukturen aufgingen. Hier und da gab es in England und in Amerika immer wieder neue Aufbrüche in diese Richtung. Erst Ende der Neunzigerjahre brach in Amerika eine neue Hauskirchenbewegung auf, der zurzeit viele Millionen Christen angehören. In Gemeindeforschungsprojekten von George Barna wurden in den letzten Jahren überraschende Zahlen veröffentlicht.
In Europa gibt es nur wenige Hausgemeinden bzw. Hauskirchennetzwerke, andere Kirchen und Denominationen sind überall vorherrschend. Von einer europäischen oder deutschen Hauskirchenbewegung kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht reden. Ein übergreifendes Konzept gibt es nicht, es besteht kein Interesse eine eigenständige Denomination zu schaffen, es wird gesagt, dass das dem Charakter der Hausgemeinden schaden würde. Es besteht aber in der Regel Interesse an Vernetzung und Zusammenarbeit von Christen aus Hausgemeinden über die Denominationsgrenzen hinweg.
Zurzeit weiß man von Hauskirchenbewegungen in China, in Indien, in Kambodscha, Vietnam, Bangladesh, Kuba und Brasilien. Die größte und älteste von ihnen ist sicherlich die Bewegung in China, zu der schätzungsweise 50 bis 80 Millionen Christen gehören. Auch die Hausgemeinden in Kuba sind zahlreich und befinden sich schon in der zweiten großen Ausbreitungswelle. Diese Bewegungen haben gemeinsam, dass sie mit unterschiedlicher Intensität verfolgt werden. Das hat paradoxer Weise mit zu ihrer starken Ausbreitung beigetragen.
Merkmale einer Hauskirchenbewegung
1. Die Souveränität und das Losgelöstsein von herkömmlichen Gemeinden, Kirchen, Konfessionen und Denominationen ist ein vorrangiges Kennzeichen von echten Hauskirchen.
2. Normalerweise gibt es keinen Pastor, Priester, Lehrer oder ähnliches in der Hauskirche. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Laien und Klerus, man versucht das Priestertum aller Gläubigen ganz praktisch umzusetzen. "Leiter" im weitesten Sinne sind vom Charakter wie Väter und Mütter. Von der Achtung ihnen gegenüber und der Autorität die ihnen eingeräumt wird, verhalten sie sich wie die Ältesten der Gemeinde.
3. Die einzelne Hausgemeinde wird als Familie bzw. als Großfamilie verstanden. Ihre Strukturen und Beziehungen sind dieser entsprechend nachzuempfunden. Die Überschaubarkeit und das enge Beziehungsgeflecht wird sehr wichtig genommen - es wird als das pulsierende Leben im Leib Jesu angesehen.
4. Das charismatische Gemeindeleben einer Hauskirche soll das Bild der Gemeinde, die in 1.Kor.14,28 beschrieben wird, widerspiegeln: "Was ist nun, Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Sprachenrede, hat eine Offenbarung, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung." (nach der Elberfelder Übers.)Die Beteiligung aller mit ihren Gaben und Fähigkeiten am Gemeindeleben wird in der Hauskirche betont.
5. Besonders Ziel ist es, intensive Beziehungen innerhalb der Hauskirche herzustellen. Einander lieben, einander annehmen, einander dienen, einander korrigieren, einander helfen, füreinander da sein und viele andere "Einanders", wie wir sie in der Bibel finden, stehen im Mittelpunkt der Gemeinschaft.
6. Die gegenseitige Vernetzung wird als Ideal für den Zusammenhalt vieler Hauskirchen in einem losen Verband angestrebt, um den Charakter des Volkes Gottes im größeren Verband einer "geistlichen Sippe" zu leben. Dadurch soll auch die Möglichkeit zur Korrektur geschaffen werden und sichergestellt werden, dass eine Hauskirche nicht in Isolation und Irrlehre abdriftet.
7. Die Dienste aus Epheser 4,11 (Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer) sollen idealerweise innerhalb der Netzwerke von Hauskirchen zirkulieren, um apostolische Lehre und prophetische Einsicht zu vermitteln und, wenn es nötig ist Korrektur und Ausrichtung zugeben.
8. Jüngerschaft soll in der Hausgemeinde groß geschrieben werden. Wichtiger als der Aufbau einer Gemeindeorganisation ist der Aufbau echter Jüngerschaftsbeziehungen, in denen erfahrene Gläubige durch ihr Vorbild "jüngere" Gläubige anleiten, ein Leben in Hingabe und Glaube an Jesus Christus zu führen.
9. Ohne Reproduktion keine echte Hauskirche, das ist die Devise der Hauskirchenbewegung. Durch schnelles Vervielfältigen der kleinen Hausgemeinden entsteht immer wieder eine neue "Frische". Der Heilige Geist kann immer wieder neu führen, die Gefahr der Tradition wird eingedämmt und das Wachstum der Gemeinde erfolgt weniger durch Addition, sondern mehr durch Multiplikation. Eine "Mutterhausgemeinde" kann in kürzester Zeit ein Kind (eine neue Hausgemeinde) zur Welt bringen.
Internetseiten der Hauskirchenbewegung im deutschsprachigen Raum
Literatur
- Garrison, David: „Gemeindegründungsbewegungen“, Freitagsfax Verlag
- Dale, Felicity: Gesunder Start für Hauskirchen, GloryWorld-Medien, 2006, ISBN 3-936322-24-4
- Dale, Tony & Felicity: Einfach(e) Kirche, GloryWorld-Medien, 2003, ISBN 3-936322-05-8
- Simson, Wolfgang: Häuser, die die Welt verändern, C&P Verlag, 1999, ISBN 3-928093-12-6
- Viola, Frank: Ur-Gemeinde: Wie Jesus sich seine Gemeinde eigentlich vorgestellt hatte, Gloryworld-Medien; 2010, ISBN 3-936322-473
- Viola, Frank: Finding Organic Church: A Comprehensive Guide to Starting and Sustaining Authentic Christian Communities, David C. Cook, 2009, ISBN 143476866X
- Gehring, Roger: Hausgemeinde und Mission, 2000, ISBN 3-7655-9438-5
- Fitts, Robert: Die Kirche im Haus – Eine Rückkehr zur Einfachheit, GloryWorld-Medien, 2002, ISBN 3-936322-00-7
- Schutty, Richard: Die erste Gemeinde - die frühe Kirche, Verlag T.A.U.B.E., ISBN 3-936764-03-4, Taube-Lebensdienst
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