Helen Schüngel-Straumann

Helen Schüngel-Straumann

Helen Schüngel-Straumann (* 5. Mai 1940 in St. Gallen) ist eine römisch-katholische Theologin.

Inhaltsverzeichnis

Jugend und Ausbildung

Helen Schüngel-Straumann ist in einer streng katholischen Familie aufgewachsen. Sie ist gerne katholisch da sie sich darin weltweit zuhause fühlt. Als 16-Jährige spürte sie den großen Wunsch Priesterin zu werden, stellte sich aber dann die falsche Frage „Warum bin ich nur ein Mädchen?“ und fand das ungerecht. Erst später erkannte sie, dass es ja ungerecht ist, dass Mädchen zu diesem Dienst nicht zugelassen werden.

Da ihr Vater Zollbeamter war, wuchs sie in fünf verschiedenen Schweizer Kantonen auf und besuchte während ihrer Berufstätigkeit in Zürich das Abendgymnasium. Erst 1960 konnte sie ihr Theologiestudium in Tübingen beginnen. Nach weiteren Studien am Institut Catholique de Paris und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn promovierte sie 1969 – nach Aufhebung der sogenannten „Weiheklausel“ – als erste Laiin in katholischer Theologie (Altes Testament). Darauf folgte ein schwieriger Weg an verschiedenen Schulen und Hochschulen, der 1975 zu einer akademischen Ratsstelle an der Pädagogischen Hochschule Bonn, später an der Universität Köln, führte.

Engagement für Anerkennung der Frauen

Seit den 70er Jahren beschäftigt sie theologisch das Problem der Situation von Frauen in Kirche und Theologie immer stärker; sie gehört zu der Generation von Theologinnen, die bei den verschiedenen Treffen und Gründungen feministischer Theologie von Anfang an dabei waren. Nach mehrfachen Bewerbungen und zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen wurde sie 1987 auf einen Lehrstuhl für Biblische Theologie an der Universität Kassel berufen. Seit den 80er Jahren nahm sie teil an zahlreichen Tagungen und hielt Vorträge zu feministischer Exegese in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie ist Mitglied mehrerer exegetischer Vereinigungen: der Society of Biblical Literature,[1] der International Organization for the Study of the Old Testament (IOSOT)[2] und vor allem auch der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen,[3] deren Präsidentin sie 1995–1997 war.

Standpunkte

Maria Magdalena

Bis vor wenigen Jahrzehnten stand es im Interesse der Mehrzahl der Männer, die Frauen dienstbereit und für ihre Zwecke untergeordnet zu halten.[4] Im Laufe der ersten Jahrhunderte Christentumsgeschichte wurden die Texte des Neuen Testaments patriarchalisch, wie am Beispiel Maria Magdalenas (Maria von Magdala; sie wird nach ihrer Herkunft und nicht nach ihrem Mann benannt) ersichtlich ist. In der Anfangszeit des Christentums gab es führende Frauen als Jüngerinnen und Apostelinnen wie Maria Magdalena eine war. In der Kirche ging sie aber als Dirne und Sünderin in der Geschichte ein, da damals im männlichen Blick die bezeugten Frauen nur entweder Heilige oder Dirnen waren. Aus keinem Zeugnis des Neuen Testaments geht hervor, dass die ledige Maria Magdalena einen Beruf gehabt oder damit Geld auf diese Weise verdient hätte.

Gemäß dem Buch von Elisabeth Moltmann-Wendel[5] hat man im Verlauf der Tradition des Neuen Testaments sieben namentlich genannte Marias mit Maria Magdalena vermischt. So hat die unbekannte Frau und stadtbekannte Sünderin, welche Jesus die Füße salbte, absolut nichts mit Maria Magdalena zu tun. Sie wird zwar im Lukasevangelium im vorgängigen Kapitel ohne Namen genannt. Auch die Maria von Bethanien, die Schwester des Lazarus und der Martha, ist nicht identisch mit Maria Magdalena. Das einzige, was zwei der Marias miteinander gemeinsam hatten ist ein Salbgefäß.

Das Neue Testament ist von Generationen von Männern geprägt, ausgewählt und zum Teil zusammengestrichen. Maria Magdalena (Maria war im Neuen Testament der häufigste Frauenname) ist in allen vier Evangelien die weibliche Hauptperson in der Ostergeschichte und ist in (Mt 28 EU) sowie (Joh 20 EU) die Erste welcher der auferstandene Jesus erscheint und die die anderen Jünger beauftragt, die Osterbotschaft zu verkünden.

Die altkirchliche Tradition hat Maria Magdalena apostola apostolorum genannt, Apostelin der Apostel. Gemäß der Definition des Paulus in (1 Kor 15,1–11 EU) kann nur jemand, der Jesus begegnet ist, einen Verkündigungsauftrag erhalten und diesen Titel beanspruchen. Maria Magdalena war die Erste die diesen Auftrag hatte; darauf und auf seine Begegnung mit Jesus begründete Paulus sein Apostelsein. Ihm wurde sein Apostolat nie abgesprochen.

Kritik an Kritik

Heutzutage können kritische feministische Standpunkte in exegestisch-akademischen Zeitschriften problemlos veröffentlicht werden. Hingegen ist eine Vermittlung solcher Überlegungen an die Basis sehr problematisch. Zwischen Exegeten und Dogmatikern gibt es eine Diskrepanz. Dogmatiker lesen die Bibel wie ein Lehrbuch, was die Bibel aber nicht ist.

Amtsverständnis und Strukturen

In den ersten Jahrhunderten gab es das Amtsverständnis und die Ämterstrukturen wie sie später entstanden noch nicht. Diesbezüglich war damals noch Vieles offen. Bis weit ins erste Jahrtausend hinein gab es eine Vielzahl von Frauen, welche kirchliche Ämter innehatten und an vielen Orten wirkten. Die Kirche war auch nicht so vernetzt wie heute, und was man z.B. in Syrien machte, war in Nordafrika nicht sofort bekannt. Trotzdem gab es eine Einheit: Man traf sich auf Konzilien und legte Grundlagen fest. Die heutigen Strukturen erstarrten erst später im Mittelalter. Sie sind überhaupt nicht zwingend und man könnte daran viel ändern: sie sollten demokratischer und paritätischer sein, ausgerichtet auf Gleichberechtigung (besonders bei Entscheidungen) für Männer und Frauen.

Um das Amtsverständnis zu ändern müsste entweder Druck von oben kommen, was aber leider nicht zu erwarten sei. Der Druck von unten müsste so stark werden, dass sich die heutige Situation einfach nicht mehr halten ließe.

II. Vatikanum

Dieses jüngste Konzil hat Vieles zum Positiven verändert. Dessen Initiator Papst Johannes XXIII. erklärte die Frauen zu einem der großen Anliegen der Zeit. Wenn er länger gelebt hätte, wäre vielleicht noch Einiges mehr geschehen und man hätte über die Zulassung der Frauen offener gesprochen. Die damalige Eingabe von Gertrud Heinzelmann zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur Frauenordination, die vermutlich zu früh erfolgte, nahm man nicht ernst, durch alle Zeitungen wurde sie nur lächerlich gemacht.

Derzeitiger Papst

An Papst Benedikt XVI. bemängelt Helen Schüngel-Straumann sein inexistentes Gespür für Frauen und deren Anliegen, auch der Theologinnen. Sein vordringliches Anliegen sei die Beendigung des Schismas mit der Orthodoxie und der Piusbruderschaft, welches die frauenfeindlichen Strömungen noch steigern und somit den Frauen noch weniger Rechte einräumen würde. Damit opfere er die Interessen der Frauen, obwohl diese in der römisch-katholischen Kirche die Mehrheit stellen.

Leitungspositionen

In den heute strengeren Prüfungen um Lehrerlaubnisse für Frauen erkennt Helen Schüngel-Straumann die Rückschritte in der Haltung der Kirche gegenüber den Frauen. Einigen hochqualifizierten, kirchlich engagierten Frauen sei in den letzten Jahren die Lehrerlaubnis nicht zuerkannt worden. Gemeindeleitungen durch Frauen wären derzeit eher in der Schwebe. Es gäbe die großen Namen (wie z.B. Kardinal König, Wien) nicht mehr. Ein separater Lehrstuhl für Feminismus als Spielplatz für Frauen parallel zum Männer-Lehrstuhl – wo diese die alten Sachen wie bisher machen können – davon hält sie nichts. Jedes Fach sollte man gründlich feministisch-gendermäßig hinterfragen, d.h. man sollte die Kirchengeschichte feministisch überprüfen, die Exegese feministisch betreiben, die dogmatischen Strukturen feministisch-kritisch durchleuchten und miteinander reden.

Weihe von Frauen

Die erfolgten außerkirchlichen Weihen von Frauen zu Priesterinnen lehnt sie als ein ungangbares Vorgehen, als Sackgasse ab. Um weitere Spannungen abzubauen sei erfahrungsgemäß ein Konsens zu suchen. Ihr ist die Einheit der Kirche ein großes Anliegen und sehr wichtiges Ziel. Parallelstrukturen wie z.B. die feministische Theologie seinen für eine gewisse Zeit ganz nützlich mit dem Ziel, irgendwann wieder zusammenzukommen.

Sie glaubt, dass die Mehrzahl der feministischen Theologinnen am Priesteramt nicht interessiert ist, da dieses Amt dermaßen männlich geprägt ist, dass es von Frauen gar nicht ausfüllbar und ihnen somit nicht zumutbar ist.

Die Verlautbarung von Papst Johannes Paul II. wonach über die Priesterweihe von Frauen nicht mehr diskutiert werde, hält Helen Schüngel-Straumann für eine seltsame Vorgabe, da man den Frauen das Denken ja nicht verbieten könne. Damit würde nur das Gegenteil erreicht. Die Frage nach dem Priesteramt sei der Lackmustest für die Kirche, das Kriterium dafür, wie ernst die Frauenfrage genommen werde. Dass die heilige Schrift verbiete, Frauen zu ordinieren, sei völlig falsch, im Gegenteil, von der Intention der neutestamentlichen Aussagen sei es sogar gefordert.

Frauenbegabung

Es würde gesagt, dass Frauen als besondere Gabe zum Dienen geeignet wären. Auch werde betont, dass das Priesteramt ein Dienst sei. Der Papst nennt sich Servus servorum Dei (Diener der Diener Gottes), d.h. sozusagen der oberste Diener. Wenn Frauen aber hier Mitsprache erfragen, wird ihnen willkürlich Machtgier nachgesagt.

Mauerfall

Helen Schüngel-Straumann fordert in der römisch-katholischen Kirche einen Mauerfall wie aus ihrer persönlichen Erinnerung in Berlin. Dieses historische Geschehen kam damals ohne Vorahnung von jemandem, ganz plötzlich und überraschend; so könnte das nach ihrer Vorstellung auch in der Kirche passieren. Sie meint, dass man so etwas nicht „machen“ oder inszenieren könne, das passiere vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie glaubt an den Heiligen Geist und an Wunder, oder dass wieder einmal ein charismatischer Mensch wie Johannes XXIII. zum Papst gewählt würde.

Zitate

  • Nicht nur der Mann ist „Abbild Gottes“ – wie Paulus zugeschrieben wird ((1 Kor 11 EU). Im Buch Genesis (Gen 1,27 EU) ist nachzulesen, dass Gott den Menschen nach seinem Bild als Mann und Frau erschuf.[6]
  • Bei der Gleichstellung von Frau und Mann geht es nicht um ein Randproblem. Alle aktuellen Weltprobleme wie Zerstörung der Schöpfung und Krieg spielen bei der Benachteiligung der Frauen eine Rolle. Wenn die Männer nicht bereit sind, ihre Macht zu teilen, wird es weder in der Kirche noch in der Gesellschaft eine gute Zukunft geben.[7]
  • Thomas von Aquin ist von unzutreffenden biologischen Voraussetzungen ausgegangen und hat damit zu einem falschen Frauenbild beigetragen, welches sich auch nach 800 Jahren hartnäckig zeigt (z.B. als „Amtsunfähigkeit“).[8]

Aus Vortragsmanuskripten:

  • Im Verlauf der Kirchengeschichte wurde die Frau als „zweitklassig in der Schöpfungsordnung aber erstklassig in der Sündenordnung“ eingeschätzt.
  • Nur eine Minderheit von feministischen Theologinnen kämpft für die Weihe von Frauen zu Priesterinnen, die Mehrheit engagiert sich für die vorrangige Änderung von kirchlichen Strukturen.

Schriften (Auswahl)

Mehrere Werke wurden in andere Sprachen übersetzt.

  • Der Dekalog – Gottes Gebote (SBS 67); KBW Stuttgart, 1980, ISBN 3-460-03671-0
  • Die Frau am Anfang – Eva und die Folgen; Lit Münster, 1999, ISBN 978-3-8258-3525-5
  • Rûah bewegt die Welt. Gottes schöpferische Lebenskraft in der Krisenzeit des Exils (SBS 151); Kath. Bibelwerk Stuttgart 1992, ISBN 3-460-04511-6
  • Theologie zwischen Zeiten und Kontinenten: für Elisabeth Gössmann; mit Theodor Schneider (Hg.), Freiburg 1993
  • Denn Gott bin ich, und kein Mann. Gottesbilder im Ersten Testament - feministisch betrachtet; Matthias-Grünewald Mainz, 1996 ISBN 978-3-7867-1904-5
  • Das Buch Tobit; Herder Freiburg, 2000; ISBN 978-3-451-26819-9
  • Wörterbuch der Feministischen Theologie (WFT); Gütersloh 1991, 2. Aufl. 2002, Mitherausgeberin; ISBN 978-3-579-00285-9
  • Anfänge feministischer Exegese : gesammelte Beiträge, mit einem orientierenden Nachwort und einer Auswahlbibliographie; Lit Münster, 2002, ISBN 978-3-8258-5753-0
  • Die Frage der Gottebenbildlichkeit der Frau; in: Theologie des Alten Testaments aus der Perspektive von Frauen (Hg. Manfred Oeming), Münster 2003, 63-76
  • Eva, die Frau am Anfang; in: Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne; (Gisela Engel Hg. u.a.), Königstein Taunus 2004, 28-37, ISBN 3-89741-170-9,
  • Zwei weibliche Gegensatzpaare: Ester und Waschti – Lilit und Eva, in: Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments; (Frank-Lothar Hossfeld/Ludger Schwienhorst-Schönberger Hg.), Festschrift für Erich Zenger, Herder Freiburg 2004, 511-531, ISBN 3-451-28319-0
  • Heiliger Geist/Pneumatologie; A. Biblisch, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Bd. 2 (Hg. Peter Eicher), München 2005, 103-108, ISBN 3-466-20456-9
  • Antike Weichenstellungen für eine genderungleiche Rezeption des sog. Sündenfalls, in: Hat das Böse ein Geschlecht? (Hg. Helga Kuhlmann/Stefanie Schäfer Bossert); Stuttgart 2006, 162-169, ISBN 3-17-019017-2
  • „Gott bin ich, kein Mann“: Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede; Schöningh, 2006, ISBN 3-506-71385-X
  • Der Teufel blieb männlich. Kritische Diskussion zur „Bibel in gerechter Sprache“, Feministische, historische und systematische Beiträge; Neukirchen, 2007, Mitherausgeberin, ISBN 978-3-7887-2271-5
  • Zu Entstehung und zur Geschichte der ESWTR - mit Bildern, in: Theologie von Frauen für Frauen? Chancen und Probleme der Rückbindung feministischer Theologie an die Praxis, Beiträge zum Internationalen Kongress anlässlich des zwanzigjährigen Gründungsjubiläums der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) (Irmtraud Fischer Hg.), 86-101, Münster 2007, ISBN 3-8258-0278-7
  • Was hat Feministische Theologie für Kirche und Gesellschaft erbracht? In: Theologie von Frauen für Frauen? (s.o.) 227-260

Einzelnachweise

  1. Society of Biblical Literature SBL (Englisch)
  2. International Organization for the Study of the Old Testament
  3. Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen ESWTR
  4. Aus Interview mit Helen Schüngel-Straumann auf Radio DRS2 am 7. Juni 2009, 08.30h
  5. Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus, Gütersloh 1991, ISBN 3-579-00531-6
  6. [1]sowie oben erwähntes Buch „Die Frau am Anfang – Eva und die Folgen“ 36–45, 126–137 oder “Die Gottebenbildlichkeit der Frau“ (M. Vermin, Heidelberg)
  7. http://www.tagsatzung07.ch/schuengel/index.htm. Referat an der Tagsatzung07 in Basel
  8. Buch „Thomas von Aquin sucht Eva“ 20–25, s. a. Referat an der Tagsatzung07 in Basel

Weblinks


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