Henriette Amalie von Anhalt-Dessau (1720–1793)

Henriette Amalie von Anhalt-Dessau (1720–1793)
Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau

Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau (* 7. Dezember 1720 in Dessau; † 5. Dezember 1793 ebenda) war die jüngste Tochter des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau und Anna Luise Föhses.

Leben

Als 21-Jährige gebar sie 1741 einen unehelichen Knaben vom Sohn des Jagdzeugmeisters und weigerte sich, dessen Vater zu heiraten. Dies führte sie in die Verbannung. Während der folgenden elf Jahre lebte sie als Stiftsdame in einem freiweltlichen Frauenstift in Herford. Der Vater Leopold I., der selbst zwei uneheliche Kinder zeugte, versuchte auch weiterhin, seine Tochter standesgemäß zu verheiraten, jedoch alle Heiratspläne scheiterten. Sie lebte in dieser Zeit mit dem um fünfzehn Jahren jüngeren Baron von Rackmann zusammen, der durch ihre Intervention in den Reichsgrafenstand als Baron von Bangert erhoben wurde.

Vermutlich um in der Nähe ihres Sohnes zu sein, der zu einer Frankfurter Bankiersfamilie in Pflege gegeben worden war, erwarb sie zunächst in Bockenheim bei Frankfurt eine große Liegenschaft, auf der später die Villa Passavant, dann die ehemalige Francke-Schule und schließlich das heutige St. Elisabethen-Krankenhaus errichtet wurden. Die Hofgebäude nutzte sie einige Jahre als Residenz, um von hier die Fertigstellung ihres 1753 erworbenen sog. Schlösschens zu überwachen. Nach dem Tode der Prinzessin diente diese erste Liegenschaft als Altersruhesitz für ihren langjährigen Liebhaber, bevor sie 1804 an den Bankier Johann Georg Meyer und von diesem dann 1820 an Samuel Passavant verkauft wurde. 1938 erwarb dann die Stadt Frankfurt das Anwesen und erbaute die ehemalige Franke-Schule. Heute sind von dieser Liegenschaft nur noch einige spärliche Mauerreste an der Ginnheimer Straße und die 1829 von Friedrich Christian Hess errichtete Gartenvilla der Familie Passavant (heute als Kindergarten „Die Arche“ des St.Elisabethen-Krankenhauses genutzt) erhalten.

1753 erwarb die Prinzessin ein Gut, zu dem ein herrschaftliches Haus und eine Orangerie gehörten. Sie ließ umfangreichen Ackerbau betreiben und wurde bald durch Kauf und Anpachtung aller großen Güter in Bockenheim die größte Grundbesitzerin am Ort. Sie führte die Seidenraupenzucht ein, hielt Bienen, ließ Äpfelwein keltern und verkaufte Orangen aus ihrem Gewächshäusern. Sie ließ Spargelkulturen, Obst- und Gemüseplantagen sowie Maulbeerplantagen für ihre Seidenraupen anlegen und veranlasste auf ihren Gütern sowohl Schafhaltung als auch Rinderzucht.

In Kreuznach erwarb sie das Rittergut Bangert und ließ dort anstelle des alten Herrenhauses ebenfalls ein Schlösschen (heute Schlossparkmuseum) im klassizistischen Stil errichten, das um 1775 vollendet war.

Die Prinzessin bewirtschaftete ihre ausgedehnten Güter selbst, sie war begeisterte Landwirtin, offen für Reformen und penibel in der Buchhaltung. Durch sparsames Wirtschaften und finanziellen Weitblick schuf sie sich die Basis für ein unabhängiges und standesgemäßes Leben. Man sagte von ihr, sie sei fünfmal so reich wie der reichste Bauer am Ort. Mit ihrem Vermögen unterstützte sie zahlreiche Künstler, indem sie deren Werke erwarb.

1771 erweiterte sie ihr Landhaus durch Anbauten zum Schloss. In der „Galerie“ im ersten Stock des Gebäudes fanden die annähernd 700 Kunstwerke einen Platz. Neben dem Schloss wurde ein „Marmorbad“ angebaut.

1771/72 In diesem Zeitrahmen starb ihr geliebter Sohn früh, mit ca. 30 Jahren, an der Schwindsucht.

1790 erwarb sie ein repräsentatives Frankfurter Stadthaus in der Großen Eschenheimer Gasse.

Als 1792 die französischen Revolutionstruppen näher rückten, floh Henriette Amalie in ihre Heimatstadt Dessau und bezog dort das Palais Dietrich, eine von ihrem Vater für seinen Sohn Dietrich (der damals bereits verstorben war) gebaute Stadtresidenz, wo sie ein Jahr später starb. In Dessau wurde sie ohne Beisein der Familie beigesetzt.

Nach ihrem Tode gelangte ihr Besitz in die Amalienstiftung, die sich der Hilfsbedürftigen Dessaus annehmen sollte. Die Sammlungsbereiche konnten nur begrenzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, da sie, wie beispielsweise ihre Naturaliensammlung, sehr umfangreich waren. Mit über 4000 Bänden besaß sie eine beachtliche Bibliothek mit den wichtigsten Werken der Geistesgeschichte, Naturkunde und Belletristik. Von ihren über 700 Bildern verwahrt die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau heute noch 482 Gemälde. Vieles aber verlor sich im Zweiten Weltkrieg, bzw. in den Wirren danach bis nach Amerika oder bis zum Puschkin-Museum Moskau und der Ermitage in St. Petersburg, wo heute noch sog. Beutekunst eingelagert ist.

Ihr sog. „Bockenheimer Schlösschen“ erwarb 1793 der Frankfurter Bankier Abraham Chiron. Von 1813 bis 1816 war es im Besitz der Stadt Frankfurt, die hier während der Befreiungskriege 1814/15 ein Lazarett unterhielt. Ab 1823 gehörte das Schlösschen dann der Familie Brentano, bevor es 1856 in den Besitz der Pfarrerswitwe Emilie Stein, einer geborenen Grunelius überging. Dieser Familie gehörte das Bankhaus Grunelius & Co., das 1990 von der Deutschen Bank übernommen wurde. Frau Steins Anwesen wurde 1857 der Familie von Bernus vererbt, die dem Bankhaus Ehrlanger verbunden war und erhielt durch weitere Umbauten seine letzte Gestalt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde es der Stadt Frankfurt als städtisches Jugendheim überlassen. 1944 war die Gegend Ziel zahlreicher Luftangriffe, die alle Gebäude der näheren Umgebung zerstörten. Die Familie von Bernus verkaufte den Grund an eine städtische Baugesellschaft, die hier ein großes Mietshaus errichtete. Übrig blieben nur Reste des Parks, der jetzt von Bernus-Park heißt.

Schnöde Behelfsbauten trugen als Restaurant, Bar, Disco, usw. den Namen „Bockenheimer Schlösschen“ ohne nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg in den vergangenen Jahren. Einzig der Name „Schloßstraße“, der aber auch erst seit 1822 existiert, erinnert an das Bauwerk. Vorher nannte man sie „Schnellgasse“, weil an einer Wasserlache im sumpfigen Gelände eine „Schnelle“ oder „Schnappgalgen“ errichtet worden war. Felddiebe wurden dort in einem Korb ins Wasser „geschnellt“ und wieder herausgezogen, je nach der Schwere der Tat auch mehrmals.

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