Histamin-Intoleranz

Histamin-Intoleranz
Klassifikation nach ICD-10
T78.1 Sonstige Nahrungsmittelunverträglichkeit, anderenorts nicht klassifiziert
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Unter Histamin-Intoleranz / Histaminose versteht man die Unverträglichkeit von mit der Nahrung aufgenommenem Histamin, deren Ursache ein Mangel der Histamin abbauenden Enzyme Diaminoxidase (DAO) oder Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) bzw. ein Missverhältnis zwischen Zufuhr und Abbau des Histamins darstellt. Diese Theorie wurde in den 1980er Jahren im Rahmen der Erforschung der biogenen Amine entwickelt.[1] Nach Ansicht einiger Autoren ist die Histamin-Intoleranz nicht angeboren, sondern ein erworbenes Krankheitsbild, von dem knapp 1 % der europäischen Bevölkerung betroffen sei.[2][3] 80 % der erkrankten Patienten sind weiblichen Geschlechts mittleren Alters. Die Krankheitssymptome können in der Schwangerschaft verschwinden, treten jedoch nach der Schwangerschaft wieder auf.

Kontrollierte Einzelstudien[4][5] und eine umfassende Metaanalyse aus dem Jahr 2003 konnten bisher keine wissenschaftlichen Nachweise für die postulierte Nahrungsmittelintoleranz durch biogene Amine wie das Histamin finden.[6]

Die Histamin-Intoleranz ist weder eine Allergie noch eine nicht-immunologische Nahrungsmittelunverträglichkeit sondern eine Abbaustörung. Sie ist möglicherweise Folge oder Begleiter anderer Unverträglichkeiten oder Allergien.

Inhaltsverzeichnis

Symptome

Mögliche Symptome nach Aufnahme histaminreicher Nahrung sind nach Ansicht der o.g. Autoren:

  • Hautrötung, Nesselsucht, Ekzeme, Juckreiz
  • Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Migräne, Schwindel
  • verengte oder rinnende Nase, Atembeschwerden, Asthma bronchiale, Halsschmerzen
  • Blähungen (Flatulenz), Durchfall, Verstopfung, Übelkeit/Erbrechen, Bauchschmerzen, Magenstechen
  • Bluthochdruck (Hypertonie), Herzrasen (Tachykardie), Herzrhythmusstörungen
  • Menstruationsbeschwerden (Dysmenorrhoe), Blasenentzündung, Harnröhrenentzündung und Schleimhautreizungen der weiblichen Geschlechtsteile
  • Wassereinlagerungen (Ödeme), Gelenkschmerzen
  • Erschöpfungszustände, Seekrankheit, Müdigkeit, Schlafstörungen

Pathomechanismus

Histamin wird im Körper durch das Enzym Diaminoxidase (DAO) abgebaut. Bei einer Histamin-Intoleranz soll die Aktivität dieses Enzyms eingeschränkt sein, und durch die Nahrung aufgenommenes und im Körper gebildetes Histamin kann nur teilweise abgebaut werden. Beim Verzehr histaminhaltiger Nahrung (z. B. Rotwein oder Hartkäse) kommt es zu einer pseudoallergischen Reaktion des Körpers. Auch die aktive oder passive Exposition gegenüber Tabakrauch steht im Verdacht, die Histamin-Intoleranz zu begünstigen, ist jedoch noch nicht ausreichend untersucht worden.[7]

Potentiell unverträgliche Nahrungsmittel

Verschiedene Hartkäse

Histamin entsteht in bakteriell fermentierten Nahrungsmitteln, wie:

  • geräuchertes Fleisch, Salami, Schinken, Innereien
  • viele Fischprodukte, insbesondere Fischkonserven
  • Meeresfrüchte
  • gereifte Käsesorten („Hartkäse“), je höher der Reifegrad, desto höher der Histamingehalt
  • Sauerkraut
  • eingelegte Gemüse
  • Bier
  • Essig und essighaltige Produkte wie Senf
  • Rotwein, je höher der Reifegrad, desto höher der Histamingehalt. Trockene Weißweine enthalten praktisch kein Histamin, Sekt ist ebenfalls zu empfehlen. R. Jarisch warnt hingegen [8] vor französischem Champagner mit seinen 670µg/l Histamin.
  • Schokolade: Schokolade enthält zwar kein Histamin, aber die anderen biogenen Amine Tyramin und Phenylethylamin. Diese Amine stammen aus dem Kakao. Bei der Minimierung der Histaminaufnahme durch die Nahrung sind deshalb auch Kakaogetränke und Schokolade in diversen Süßspeisen, siehe S. 34 im Buch [9] bzw. [8]
  • Tomaten, Ketchup und Pizza: siehe „Problemfall Pizza“ in [8]
  • Andererseits soll es Nahrungsmittel (wie z. B. Ananas, Papayas, Nüsse- und Kakaoprodukte [10]) und Medikamente geben, die den Abbau von Histamin verzögern [9] oder sogenannte Histaminliberatoren (wozu z.B. bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe gehören), die verstärkt Histamin im Körper freisetzen.[10]

Medikamentenunverträglichkeit

  • Unverträglichkeit von entzündungshemmenden und schmerzhemmenden Medikamenten bei Personen mit Histaminintoleranz:
    Unverträglich sind antiinflammatorische/analgetische Medikamente, die die allergenspezifische Histaminfreisetzung bei Allergikern steigern:
    Auszug aus Liste auf S.125 in [9]:
Wirksubstanz Medikamente mit der Wirksubstanz
Mefenaminsäure Parkemed
Diclofenac Dedolor, Deflamat, Diclo B, Diclobene, Diclomelan, Diclostad, Diclovit, Dolo-Neurobion, Neurofenac, Tratul, Voltaren
Indometacin Flexidin, Indobene, Indocid, Indohexal, Indomelan, Idometacin, Indoptol, Luiflex, Ralicid
Acetylsalicylsäure Aspirin
Verträglich sind antiinflammatorische/analgetische Medikamente, die die allergenspezifische Histaminfreisetzung bei Allergikern hemmen:
Auszug aus Liste auf S.126 in [9]:
Wirksubstanz Medikamente mit der Wirksubstanz
Fenbufen Lederfen
Levamisol Ergamisol
Ibuprofen Avallone, Brufen, Dismenol neu, Dolgit, Ibudol, Ibupron, Ibuprofen Genericon, Kratalgin, Nurofen, Tabcin, Ubumetin, Urem
  • Kontrastmittel - Röntgenkontrastallergie:
    R. Jarisch: Die Kontrastmittel-Unverträglichkeit wird fälschlicherweise als Allergie und, da Kontrastmittel Jod enthalten, fälschlicherweise fast immer als Jod-Allergie bezeichnet. „Kontrastmittel setzen Histamin frei. Der Grund, warum in den meisten Fällen bei der Gabe von Kontrastmitteln nichts passiert, ist, dass die meisten Patienten keine Histaminintoleranz haben. Aber wenn sie betroffen sind, ist ein anaphylaktischer Schock vorprogrammiert.“ Daher sollte aus Sicherheitsgründen bei Personen mit Histaminintoleranz immer ein Antihistaminikum vor der Untersuchung mit einem Röntgenkontrastmittel verabreicht werden. Darüber hinaus ist das Einhalten einer histaminfreien Diät 24 Stunden vor Röntgenuntersuchungen mit Kontrastmitteln zur Minimierung der Histamin-Belastung sinnvoll.[8], S.127/128 in [9]

Diagnose

Für die Diagnose ist eine Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte) wichtig. Da aber viele Beschwerden wie z. B. Kopfschmerzen, Migräne, Asthma bronchiale, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen und Dysmenorrhö auch andere Ursachen als eine Histamin-Intoleranz haben können, überrascht es nicht, dass die Hälfte der Verdachtsdiagnosen falsch sind.

Die Diagnose wird üblicherweise durch eine Provokation gestellt. Da aber Histamin potentiell lebensbedrohliche Zustände auslösen kann, empfiehlt sich folgende Vorgangsweise: Vor und nach einer 14-tägigen Diät wird Blut zur Bestimmung des Histamin- und Diaminoxydasespiegels abgenommen und verglichen. Statt Histamin zuzuführen, wird durch die Diät Histamin weggenommen. Diese Vorgangsweise gefährdet den Patienten nicht, ganz im Gegenteil: Bei Vorliegen einer Histamin-Intoleranz sind die Beschwerden gebessert oder ganz verschwunden. Gleichzeitig halbiert sich der Histaminspiegel und die DAO steigt an (beides signifikant). Liegt keine Histamin-Intoleranz vor, ändern sich die Blutwerte nicht und auch nicht die Beschwerden.

Gleichzeitig müssen eine Nahrungsmittelallergie, Kreuzreaktionen mit Pollen, eine Fruktosemalabsorption, eine Laktoseintoleranz und eine Zöliakie ausgeschlossen werden.

Therapie

Die Grundlage der Behandlung besteht in einer Reduktion des mit der Nahrung zugeführten Histamins durch Einhalten einer histaminfreien Diät. Eine Maximalvariante ist die von den Dermatologen seit Jahrzehnten bei der Urticaria mit Erfolg verwendeten „Kartoffel-Reis-Diät“, also eine Woche nur Kartoffeln, Reis, Salz, Zucker und Wasser. Außerdem sollen nach Ansicht der Therapeuten Nahrungsmittel gemieden werden, die zwar selbst nicht viel Histamin enthalten, aber im Körper gespeichertes Histamin freisetzen sollen, z. B. Zitrusfrüchte. Weiterhin können auch bestimmte Medikamente Histamin freisetzen (beispielsweise Morphin).

Wenn sich der Verzehr histaminhaltiger Nahrungsmittel nicht vermeiden lässt, können Antihistaminika und Cromoglicinsäure wirksam sein.

Einzelnachweise

  1. J. Sattler u a.: Food-induced histaminosis as an epidemiological problem. In: Inflammation research. Basel 23.1988, 361-365. doi:10.1007/BF02142588 ISSN 1023-3830
  2. L. Maintz u a.: Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz. Konsequenzen für die Praxis. In: Deutsches Ärzteblatt. Köln 103.2006, A-3477, B-3027, C-2903. ISSN 0012-1207
  3. L.Maintz, N.Noval: Histamine and histamine intolerance. In: American Journal of Clinical Nutrition. Bethesda Md 85.2007,1185-1196. ISSN 0002-9165
  4. J.Lüthy, C.Schlatter: Biogene Amine in Lebensmitteln. In: Zeitschrift Lebensm Unters Forsch. Heidelberg 177.1983, 439-443. PMID 6364621 ISSN 1431-4630
  5. G.Kanny G u. a.: Histamine content does not influence the tolerance of wine in normal subjects. In: Allergie & immunologie. Paris 31.1999,45-48. PMID 10219426 ISSN 0397-9148
  6. SC.Jansen u a.: Intolerance to dietary biogenic amines, a review. In: Annals of allergy, asthma, & immunology. New York 91.2003, 233-240; quiz 241-242, 296. PMID 14533654 ISSN 0003-4738
  7. T. Wilhelm: Tabakrauch ist bedeutende Histaminquelle. Review zu 'Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz'. In: Deutsches Ärzteblatt. Köln 104.2007, A 1758. ISSN 0012-1207
  8. a b c d R. Jarisch: [1] In: Ärztemagazin 40/2004. Pizza, Kontrastmittel, Seekrankheit, Biologicals als Anti-IgE-Antikörper
  9. a b c d e Reinhart Jarisch: Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit. Thieme 2004, ISBN 3-13-105382-8
  10. a b * Schäfers, Nadja: „Histaminarm kochen - vegetarisch“. pala-Verlag 2009.

Literatur

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