Historie (Musik)

Historie (Musik)

Eine Historie (von lateinisch historia = „Geschichte“) ist eine im 17. Jahrhundert verbreitete Form der lutherischen Kirchenmusik, in der Evangelien hoher Festtage im Stile responsorialer Gesänge oder Geistlicher Konzerte musikalisch gestaltet wurden.

Geschichte

Die Evangelisch-Lutherische Kirche übernahm aus der Katholischen Kirche das Konzept einer festen Perikopenordnung für das Kirchenjahr, also einer verbindlichen Festlegung der Schriftlesungen für die einzelnen Sonntage und Feiertage. Das Sonntagsevangelium wurde zunächst in Form einfacher Melodiemodelle (Lektionstöne) gesungen.

Nachdem sich die Vertonung von Bibeltexten in der Volkssprache zunächst fast ausschließlich auf Psalmtexte beschränkt hatte, wurden gegen Ende des 16. Jahrhunderts erstmals Teile des Evangeliums als deutsche Evangeliensprüche auskomponiert. Andreas Raselius (1594), Christoph Demantius (1610), Melchior Vulpius (ab 1612) und Melchior Franck („Gemmulae Evangeliorum“, auch bekannt als „Deutsche Evangeliensprüche für das Kirchenjahr“, 1623) veröffentlichten Chorzyklen (Evangelienjahrgänge), in denen für jeweils ein ganzes Kirchenjahr für jeden Sonn- und Feiertag ein zentraler Ausschnitt aus dem jeweiligen Perikopentext als Evangelienspruch komponiert war. Bei damaliger Aufführung einer Evangelienspruchs fand vermutlich der größte Teil der Evangeliums-Lesung im Lektionston statt, und der Evangelienspruch wurde an der entsprechenden Stelle (als Figuralmusik) eingeschoben.

Die Historie entstand als besonders festlich gestaltete Darbietung der Evangelien für die höchsten Feiertage des Kirchenjahres: die Auferstungshistorie zu Ostern, die Historie von der Geburt des Heilands zu Weihnachten sowie in schlichterer Form die Historie vom Leiden und Sterben (Passionshistorie) zum Karfreitag.

Evangelienspruch und Historie können als Urformen von Kantate und Oratorium angesehen werden. Bei der Kantate findet die Aufführung nicht mehr anstelle des Evangeliums, sondern im Anschluss statt, die Texte sind länger und nicht auf Lesungstexte beschränkt, die Form wird mehrteilig, die Einbeziehung von Instrumenten wird die Regel.

Beispiele

  • „Es begab sich aber zu der Zeit“ – Weihnachtshistorie
  • „Und da der Sabbath vergangen war“ – Auferstehungshistorie
  • „Historia der fröhlichen und siegreichen Auferstehung unsers einigen Erlösers und Seligmachers Jesu Christi“ – Auferstehungshistorie (SWV 50)
  • „Historia der Geburt Christi“ – Weihnachtshistorie (SWV 435)

Literatur

Jochen Schmedes: „Thomas Selle und die biblischen Historien im 17. Jahrhundert“, Diss., Universität München 1992


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