Huluppu Baum

Huluppu Baum

Inanna und der Huluppu-Baum ist eine sumerische Mythe aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Die Erzählung handelt vom Weltenbaum, der durch Inanna vom Ufer des Euphrats nach Uruk gebracht wurde.[1]

Inhaltsverzeichnis

Die Anfänge

Die Erzählung bezieht sich auf die Zeit, als die Schöpfung der Erde und der Götter vollzogen war und die Zuständigkeitsbereiche der Gottheiten festgelegt wurden.

An bekam den Himmel und Enlil den Luftraum zugeteilt. Enki, der Gott der Weisheit, der zu dieser Zeit auch über die Erde regierte, hatte seinen Sitz jedoch unter der Erde, in der Nähe des Apzu, dem großen Süßwasserozean. Ereškigal, Göttin der brachliegenden Orte, versuchte, ihren Machtbereich auch auf den Apzu auszudehnen und griff immer wieder Enki[2] an, um ihn aus dem unterirdischen Reich zu vertreiben. Alle Versuche scheiterten jedoch.

Die Schöpfung des Menschen wurde geplant, da die Götter die Arbeit auf der Erde noch selbst verrichten mussten. In dieser Zeit war Inanna noch nicht im Besitz von Machtattributen und war deshalb an die Weisungen von An und Enlil gebunden. Als Inanna ziellos durch das Land reiste, entdeckte sie am Ufer des Euphrats einen geheimnisvollen Baum. Keine anderen Bäume waren zu sehen. Inanna wurde bewusst, dass es sich um den Weltenbaum (Huluppu-Baum) handeln musste, der die Weltenteilung darstellte. Jedoch war die Standhaftigkeit des Baumes, durch die Stürme des Südwindes, stark eingeschränkt. Inanna ersann in diesem Augenblick den Plan, aus dem Weltenbaum die typisch göttlichen Machtsymbole anzufertigen, um sich selbst, anstelle des Weltenbaumes, als Regentin der gesamten Welt zu krönen.

Der Huluppu-Baum

Eine Darstellung der Göttin Lilith, ca. 1950 v. Chr., in babylonischer Überlieferung.

Inanna nahm den Weltenbaum und pflanzte ihn in ihren heiligen Garten. Da die Welt gerade erst erschaffen war, hatte der Weltenbaum noch nicht seine volle Größe erreicht. Dennoch wußte Inanna schon genau, was mit ihm geschehen würde, sobald er in voller Pracht die Weltenteilung repräsentierte: „Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich aus dem Weltenbaum meinen glänzenden Thron und mein glänzendes Bett anfertigen.“

Während der nächsten zehn Jahre entwickelte sich der Baum prachtvoll. In dieser Zeit kam der Vogel Anzu und setzte sein Nest in die oberen Äste des Baumes, die bis zum Himmel reichten. Eine Schlange, die sich nicht vertreiben ließ, baute ihr Nest in die Wurzeln des Baumes, unterhalb der Erde. Den Baumstamm machte die Göttin Lilith (sumerisch DINGIRLIL.du und DINGIRSUKUD.du als Gott des Windes in großer Höhe)[3] zu ihrem neuen Sitz, was Inanna beunruhigte, da Lilith mit den Mächten der Luft- und Unterweltsgötter ausgestattet war.

Inanna bat nach einer Weile die Bewohner, ihren heiligen Baum zu verlassen, da die Zeit gekommen war, sich aus dem Holz die göttlichen Insignien anzufertigen. Doch die Bewohner kamen ihrem Wunsch nicht nach. Inanna selbst besaß noch nicht die Macht, sich gegen die göttlichen Wesen zu wehren. Ihr heiteres Naturell verwandelte sich zusehends in Hoffnungslosigkeit. Sie dachte nach, wer stark genug ist, die Baumbewohner zu vertreiben. Die Wahl fiel auf Utu[4], ihren Bruder.

Der Huluppu-Baum wird gefällt

In der Morgendämmerung machte sich der Sonnengott Utu auf seinen täglichen Weg um die Erde. Inanna sprach ihn verzweifelt an:

„Oh Utu, in den Tagen, als die Schicksale beschlossen wurden, als Überfluß das Land durchströmte, als der Himmelsgott die Himmel und der Luftgott die Erde davontrugen, als Ereschkigal das Große Unten als ihren Herrschaftsbereich erhielt, da ging der Gott der Weisheit, Vater Enki, hinab in die Unterwelt, und die Unterwelt stand auf gegen ihn und griff ihn an. In diesen Zeiten wurde ein Baum, ein einzelner Baum, ein Huluppu-Baum, an den Ufern des Euphrats eingepflanzt. Der Südwind zog an seinen Wurzeln und zerrte an seinen Zweigen, ich brachte ihn in meinen heiligen Garten. Ich hegte den Baum, derweil ich auf meinen glänzenden Thron und mein glänzendes Bett wartete. Dann schlug eine Schlange, die nicht vertrieben werden konnte, ihr Nest in den Wurzeln des Baumes auf, und der Vogel Anzu setzte seine Jungen in die Zweige des Baumes, und die dunkle Göttin Lilith baute ihr Haus in seinem Stamm. Ich weinte. Oh Utu, mein Bruder, die göttlichen Bewohner wollen meinen heiligen Baum nicht verlassen. Ich aber brauche ihn für meinen Thron und mein Bett. So hilf mir bitte dabei.“

Utu kam dem Wunsch seiner Schwester nach. Mit der bronzenen Axt, die mehr als sieben Talente wog, betrat er den heiligen Garten von Inanna. Die Schlange wollte den Baum dennoch nicht verlassen, also wurde sie von Utu erschlagen. Der Vogel Anzu flog mit seinen Jungen höher hinauf, bis er in den Bergen des Himmels ein neues Nest bauen konnte. Die Göttin Lilith zerstörte selbst ihren Sitz, floh danach in ein unbewohntes und unerschlossenes Gebiet.

Utu lockerte nun die Wurzeln und fertigte mit der Bronzeaxt den glänzenden Thron und das glänzende Bett. Inanna war glücklich, hatte sie doch nun den ihr gebührenden Platz in der Götterwelt gefunden. Als Dank übergab sie ihrem Bruder, aus dem Material der Äste und Wurzeln, wertvolle Geschenke.[5]

Kulturgeschichtliche Betrachtung

Symbolik

Am Anfang der Zeit, bei Erschaffung der Welt, wächst auf der Erde nur ein einziger Baum. Er symbolisiert die übliche archaische Weltenteilung auf drei Ebenen: Himmel, Erde und Unterwelt. Noch ist die Welt in Unordnung, der Baum droht, durch die fehlende Ordnung, fortzutreiben und damit die noch junge Welt dem Chaos zu überlassen. In diesem Moment greift Inanna ein und rettet den Baum, sinnbildlich die Welt, da der Baum die Weltachse symbolisiert. Es erscheint hier die erste schaffende Kulturhandlung, die durch das Beenden des nomadischen Umherziehens und Gründung von Städten mit Ackerbaukultur, in Form des Pflanzens des Baumes im heiligen Garten, dargestellt wird.

Die zweite kulturschaffende Handlung erfolgt aus der Anfertigung der göttlichen Insignien. Inanna, die zwar den symbolischen Baum betrachtet, aber noch nicht Teil der Weltachse ist, wird durch das Fällen des Baumes und der ihr zugedachten Materialien nun endgültig selbst zur Weltachse. Die Sterne, die auch dann am Himmel stehen, wenn die Sonne längst untergegangen ist, symbolisieren das Universum, welches über die Sonne herrscht. Der Mond steht als weibliches Ur-Prinzip, weshalb in alten Kulturen der Mond mit weiblichen Attributen ausgestattet war und unter der Bezeichnung die Mond tituliert wurde, während die Sonne männliche Attribute eingeräumt wurden und mit der Sonne bezeichnet wurde. Schließlich symbolisiert die Doppelaxt ein typisch männliches Verhalten, da die schweren Tätigkeiten in ihren Ursprüngen auch den männlichen Gottheiten zugedacht war.

Historischer Bezug

Die Erzählung dokumentiert die Entwicklung der sakralen Macht, die sich anfangs in den Händen weiblicher Gottheiten und irdischen Königinnen befand. Die sumerische Königsliste zeigt diese frühe Entwicklung deutlich. Das typische Familienmuster wird eindrucksvoll durch die Hilfe von Utu nachgezeichnet. Der Sippenverband, anfänglich unter der Leitung der jeweiligen Mütter, war eine Symbiose, die ohne gegenseitige Hilfe und Aufgabenverteilungen nicht bestehen konnte. Im weiteren geschichtlichen Verlauf wurden die weiblichen Gottheiten von den männlichen Göttern abgelöst. Ein typisches Zeichen für den Wandel vom früheren Nomadentum zur Ackerbaugesellschaft.

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Die Erzählung ist eine Zusammenfassung, die auf Einzelangaben des Originaltextes fußt. Nähere Einzelheiten können in den Büchern gemäß der Literaturangabe gelesen werden.
  2. In einer späteren Überlieferung wird Enki als segelnder Gott in einem Boot beschrieben. Zu Zeiten der sumerischen Ur-Fassung war die Menschheit noch nicht erschaffen. Es gab für die Götter keinen Grund, ein Segelboot zu benutzen, da die irdischen Transportmöglichkeiten den später geschaffenen Menschen zugedacht waren. Das Segel wurde später, in der babylonischen Fassung des Gilgamesch-Epos, von Gilgamesch selbst, während der Fahrt zu Utnapischtim, erfunden.
  3. Ob die Göttin Lilith mit der in späteren Überlieferungen genannten Lilith gleichzusetzen ist, kann aus dieser Mythe nicht abgeleitet werden, da die Menschheit noch nicht erschaffen war und eine Zuordnung für spätere Bereiche nicht vorgenommen wurde. Die Ableitung des Namens bzw. die Bedeutung des Namens lassen aber die Möglichkeit zu. Der Name Lilith setzt sich aus der sumerischen Komponente Lil (Luft) und aus dem babylonischen (lil)itu: Dunkelheit, Nacht, Welt der Dunkelheit zusammen. In der sumerischen Übersetzung leitet sich deshalb daraus sinngemäß die Übersetzung: Unterweltsdämon der Lüfte bzw. Nachtdämon der Lüfte ab. Des Weiteren: Dämonisch göttliche Verführerin der Nacht bzw. der Unterwelt. Aus dem späteren arab. bedeutet der verwandte Begriff Laila sinngemäß Nachtgeist, Nachtdämon und Nachtgespenst
  4. In späteren Versionen der Erzählung wird die Heldentat Gilgamesch zugeschrieben, Utu dagegen verweigert den Wunsch Inannas. In der sumerischen Ur-Erzählung kann aber Gilgamesch nicht der Held gewesen sein, da die Menschheit zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschaffen war
  5. In der Originalerzählung werden diese Geschenke Pukku und Mikku genannt.

Literatur

  • Diane Wolkenstein, Samuel Noah Kramer: Inanna - Queen of Heaven and Earth -, Rider & Co 1984, ISBN 0-09-158181-8
  • Heide Göttner-Abendroth Inanna, Gilgamesch, Isis, Rhea - Die großen Göttinnenmythen Sumers, Ägyptens und Griechenlands. Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2004, ISBN 3-89741-158-X

siehe auch


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