Höhenstrahlung

Höhenstrahlung

Die Kosmische Strahlung (engl. Cosmic Rays), früher auch Höhenstrahlung genannt, ist eine hochenergetische Teilchenstrahlung aus dem Weltall. Sie besteht vorwiegend aus Protonen, daneben aus Elektronen und vollständig ionisierten Atomen. Auf die äußere Erdatmosphäre treffen ca. 1000 Teilchen pro Quadratmeter und Sekunde. Durch Wechselwirkung mit den Gasmolekülen entstehen Teilchenschauer mit einer hohen Anzahl von Sekundärteilchen, von denen aber nur ein geringer Teil die Erdoberfläche erreicht.

Victor F. Hess postulierte die kosmische Strahlung 1912, um die bei einem Ballonflug gemessene höhere elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre mit zunehmender Höhe zu erklären.

Inhaltsverzeichnis

Bezeichnung

Die Bezeichnung Höhenstrahlung geht auf die frühen Nachweismethoden zurück, die nur Gammastrahlung – ein Reaktionsprodukt der eigentlichen kosmischen Strahlung – in Höhen von bis zu 10 km nachweisen konnten. Der Begriff Strahlung hat sich bis heute gehalten, obwohl elektromagnetische Strahlung nicht zur kosmischen Strahlung gerechnet wird. Zur Unterscheidung von der kosmischen Strahlung heißt sie kosmische Gammastrahlung.

Einteilung und Ursprung

Räumliche Verteilung der kosmischen Gammastrahlung mit Energien größer 100 MeV. Ihre Verteilung gibt gleichwohl Hinweise auf den Ursprung der Teilchenstrahlung. Das helle Band ist die Milchstraße, mit ihrem Zentrum in der Mitte.

Abhängig vom Ursprung unterteilt man die kosmische Strahlung in Solarstrahlung, galaktische (Galactic cosmic ray, GCR) und extragalaktische Strahlung:

  • Sonnenwind. Kennzeichen: Teilchenstromdichten um 107/(cm²·s), Energien < 500 MeV (im Mittel um 10 MeV), vorwiegend Protonen und Alphateilchen. Teilchendichte um 5/cm³; Ursache des Polarlichts;
  • Sonnenflares, engl. solar energetic particle events (SEP, SPE). Kennzeichen: Zunahme der Teilchenstromdichte innerhalb weniger Stunden und Tage auf 108/cm² - 1010/cm², Teilchendichte bis 50/cm³, Ausbreitungsgeschwindigkeit 200 km/s - 800 km/s.
  • Manchmal auch den Van-Allen-Strahlungsgürtel, obwohl seine Strahlung die Erde nicht erreicht.
  • Anomale kosmische Strahlung, engl. Anomalous Cosmic Rays (ACR). Entsteht wahrscheinlich durch Wechselwirkung des Sonnenwinds mit der lokalen interstellaren Materie (LISM) im Bereich des Termination Shock nahe der Heliopause. Kennzeichen: energieärmer als GCR, weniger Wasserstoff- und Kohlenstoffionen als Wasserstoff und Kohlenstoff in der LISM.
  • Galaktische kosmische Strahlung (GCR). Kennzeichen: geringe Teilchenflussdichten, hohe Energien (im Mittel 1 GeV), Anteil schwerer Ionen. Mit zunehmender Energie verringert sich die Ablenkung durch Magnetfelder und die Anisotropie der Strahlung nimmt zu.
  • Extragalaktische Teilchen mit Höchstenergien von bis zu 1020 eV. Die Flussdichten liegen unterhalb von 10-20 Teilchen pro Sekunde und Quadratmeter.

Die Quellen der galaktischen kosmischen Strahlung ließen sich erst seit den letzten Jahren identifizieren. Kandidaten hierfür sind unter anderem Schockfronten von Supernovaexplosionen, kosmische Jets von schwarzen Löchern oder Pulsaren. Für Teilchenenergien kleiner als 1018 eV wird ein Ursprung innerhalb der Milchstraße angenommen, während für größere Energien andere Galaxien oder Quasare wahrscheinlicher sind. Kosmische Magnetfelder lenken die Teilchen ab. Sie scheinen deshalb isotrop auf die Erde zu strahlen. Da aber viele Quellen neben Teilchen auch Gammastrahlung aussenden, lässt sich so ihr Ursprung zurückverfolgen.

Zusammensetzung

Die galaktische kosmische Strahlung besteht ungefähr zu 87 % aus Protonen, 12 % Alpha-Teilchen und 1 % schweren Atomkernen. Einen geringen Anteil stellen Elektronen, Neutrinos und Gammastrahlung. Die Häufigkeit der Atomkerne entspricht in etwa der solaren Elementhäufigkeit. Ausnahmen sind zum Beispiel Li, Be und B, die in der kosmischen Strahlung als Folge von Spallationsreaktionen beim Durchqueren galaktischer Materie häufiger sind als in solarer Materie. Durch Wechselwirkung mit der Atmosphäre beobachtet man auf der Erde nicht die ursprüngliche Strahlung, sondern die Reaktionsprodukte aus der Wechselwirkung mit der Atmosphäre, insbesondere Stickstoff und Sauerstoff.

Die Verteilung der Teilchen pro Zeit, N(E), in Abhängigkeit von der Energie E folgt einem Potenzgesetz:

N(E) ~ E

mit:

γ = 2,7 für E < 4·1015 eV
γ = 3 für 4·1015 < E < 5·1018 eV
γ < 3 für E > 1018 eV
γ >>3 für E > 1020eV (Energien größer als 1020eV werden nicht beobachtet)

Neue Messungen (2008) scheinen den GZK-Cutoff oberhalb 5·1019 Elektronenvolt zu bestätigen. Danach begrenzen Wechselwirkungen mit der kosmischen Hintergrundstrahlung die Teilchenenegie auf 1020 bis 1021eV, sofern die freie Weglänge von 160 Lichtjahren überschritten wird.

Geschichte der Erforschung

1912 entdeckte Victor Franz Hess die Kosmische Strahlung mithilfe von Ballonfahrten in der Erdatmosphäre. Er veröffentlichte die Entdeckung in der Physikalischen Zeitschrift 13 (1912), 1084.

Bereits 1949 postulierte Enrico Fermi einen möglichen Beschleunigungsmechanismus, der eine statistische Beschleunigung an magnetisiertem Plasma („Magnetwolken“) bzw. ebenen Schockfronten beinhaltet. Eine Schockfront kann zum Beispiel durch ein sich im Vergleich zur Umgebung sehr schnell propagierendes Gas gegeben sein. Schockfronten treten vor allem nach Supernovaexplosionen in der abgestoßenen Hülle der Supernova auf. Bei dieser statistischen Beschleunigung wird über längere Zeit mittels „Stößen“ die Energie des Gases auf das Teilchen übertragen. Dabei entsteht ein Potenzspektrum, jedoch mit einem von den Messdaten abweichenden Spektralindex γ.

Scott E. Forbush wies 1946 nach, dass bei Sonneneruptionen Teilchen bis in den GeV-Bereich erzeugt werden.

Walther Bothe und Werner Kolhörster machten sich daran, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Kosmische Strahlung eine hochenergetische Gammastrahlung sei. Für ihre Experimente verwendeten sie eine Messanordnung, die im wesentlichen aus zwei Geiger-Müller-Zählrohren bestand, zwischen die man verschieden dicke Absorber in Form von Eisen- oder Bleiplatten bringen konnte. Sie gingen davon aus, dass ein Gammaquant nur dann mit einem Geiger-Müller-Zählrohr nachgewiesen werden kann, wenn es zuvor ein Elektron aus einem neutralen Atom schlägt. Dieses Elektron würde dann vom Zählrohr nachgewiesen. Die sekundären Elektronen wollten Bothe und Kolhörster untersuchen, und dazu verwendeten sie die Zählrohre. Tatsächlich entdeckten sie sehr bald Koinzidenzen, das bedeutet Ereignisse, die in beiden Zählrohren zur gleichen Zeit stattfanden. Das wies darauf hin, dass ein Elektron, das von einem Gammaquant aus einem Atom geschlagen wurde, im raschen Flug beide Zählrohre durchquert haben musste.

Als nächstes bestimmten sie die Energie dieser vermeintlichen Elektronen, indem sie immer dicker werdende Absorber in Form von Metallplatten zwischen die beiden Zählrohre einbrachten, bis keine Koinzidenzen mehr eintreten würden. Bothe und Kolhörster stellten zu ihrem Erstaunen fest, dass 75 % der Koinzidenzen nicht einmal durch einen vier Zentimeter dicken Goldbarren zu verhindern waren.

Tatsächlich waren die Teilchen, durch welche die Geiger-Müller Zählrohre ausgelöst wurden, gerade so durchdringend wie die Kosmische Strahlung selbst. Dies führte zu dem Schluss, dass die Kosmische Strahlung selbst, entgegen der allgemeinen Annahme, keine Gammastrahlung ist, sondern zumindest zu einem Teil aus geladenen Teilchen sehr hoher Durchdringungskraft besteht. Sie konnten zeigen, dass die sekundäre Strahlung, die von der primären Kosmischen Strahlung in der Wechselwirkung mit unserer Atmosphäre erzeugt wird, aus elektrisch geladenen Teilchen besteht.

Wechselwirkung mit Materie

Kosmische Strahlung löst beim Durchdringen von Materie Spallationsreaktionen aus. Durch Messung der Häufigkeiten der Spallationsprodukte in Meteoriten kann so zum Beispiel deren Aufenthaltsdauer im Weltall bestimmt werden (Bestrahlungsalter). Auch konnte so festgestellt werden, dass sich die mittlere Intensität der galaktischen Kosmischen Strahlung seit mindestens 100 Millionen Jahren höchstens um einen Faktor zwei geändert hat.

Wechselwirkung mit der Erdatmosphäre

Kosmischer Teilchenschauer

Beim Eintreten in die Erdatmosphäre in einer Höhe um 20 km über der Oberfläche erzeugt die kosmische Strahlung Teilchenschauer. Aus einem Proton der Energie von 1015 eV entstehen mehr als eine Million Sekundärteilchen. Nur ein kleiner Teil von ihnen erreicht auch die Erdoberfläche.

Durch Spallation von Stickstoff- und Sauerstoffatomen entstehen Neutronen, Protonen, geladene (π+, π-), und neutrale (π0) Pionen. Die neutralen Pionen zerstrahlen, die geladenen zerfallen in Myonen:

\pi^0 \rightarrow \gamma + \gamma
\pi^+ \rightarrow \mu^+ + \nu_\mu
\pi^- \rightarrow \mu^- + \bar {\nu}_\mu

Die Myonen sind ebenfalls instabil und zerfallen in Elektronen und Neutrinos:

\mu^+ \rightarrow e^+ + \nu_e + \bar {\nu}_\mu
\mu^- \rightarrow e^- + \nu_\mu + \bar {\nu}_e

Ein Schauer besitzt

  • eine weiche elektromagnetische Komponente, u.a. durch den Zerfall von π0 und der Zerstrahlung von Positron-Elektronen Paaren
  • eine harte myonische sowie
  • eine hadronische Komponente, die vorwiegend Protonen und Neutronen enthält.

Die Komponenten lassen sich unabhängig voneinander auf der Erde registrieren und dienen dem Nachweis der kosmischen Strahlung.

Die kosmische Strahlung und ihre Zerfallsprodukte tragen zur Entstehung einer Reihe von kosmogenen Radionukliden in der Erdatmosphäre und Erdkruste bei. Oft ist die Produktion durch die kosmische Strahlung die größte natürliche Quelle für diese Radionuklide, was eine Reihe von Anwendungen für die Isotopenuntersuchung bringt. Zu diesen kosmogenen Radionukliden gehören zum Beispiel 14C, 3H, 10Be, 26Al und 36Cl.

Die Möglichkeit der Radiokohlenstoffdatierung beruht auf der kosmischen Strahlung, die Neutronen freisetzt, welche wiederum Stickstoff in das Radioisotop 14C umwandeln können. Dieses wird nur während des Stoffwechsels lebender Pflanzen in diesen gebunden, zerfällt jedoch mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren, sodass nach Ende des Stoffwechsels dessen Gehalt abnimmt und aus dessen Anteil auf das Alter organischer Substanzen geschlossen werden kann.

Intensität und Nachweis

Zum Nachweis der kosmischen Strahlung werden unterschiedliche Ansätze verfolgt. Während der Fluss der Teilchen bei niedrigen Energien noch groß genug ist, um mit Ballon- und Satellitendetektoren direkte Beobachtungen durchführen zu können, sind bei höheren Energien großflächige Detektorarrays zum Nachweis der ausgedehnten Luftschauer nötig (KASCADE-Grande). Um die höchsten Energien detektieren zu können, versucht man, das Fluoreszenzlicht (Fluoreszenz) von Stickstoffmolekülen welches ein Teilchenschauer verursacht, zu beobachten. Mit Hilfe dieser Methode wurde 1991 vom Flye's-Eye-Teleskop in Utah (USA) die höchste bisher gemessene Teilchen-Energie beobachtet. Sie lag bei 3,2·10 20 eV. Ein aktuelles Experiment zur Beobachtung hochenergetischer kosmischer Strahlung ist das Pierre-Auger-Observatorium, das sich über eine Fläche von 3000 km² erstreckt.

Abgesehen von der langfristigen Konstanz gibt es kurzfristige periodische und nichtperiodische Schwankungen der Intensität der Kosmischen Strahlung. So schwankt die Intensität in Abhängigkeit vom elfjährigen Sonnenfleckenzyklus; je mehr Sonnenflecken vorhanden sind desto geringer die Intensität der galaktischen kosmischen Strahlung. Daneben gibt es noch eine 27-tägige Schwankung, die mit der Sonnenrotation verknüpft ist. Von erdgebundenen Detektoren werden auch schwache ganz- und halbtägige Schwankungen beobachtet. Sonnen-Flares oder sonstige Sonnenaktivitäten können auch plötzliche vorübergehende Intensitätsabfälle hervorrufen, welche nach ihrem Entdecker Scott E. Forbush als Forbush-Ereignisse bezeichnet werden. Seltener wird auch ein plötzlicher Anstieg der Intensität beobachtet.

Die sekundären Myonen und deren Flugrichtung kann in Funkenkammern nachgewiesen werden.

Für eine ganze Reihe von physikalischen Experimenten, speziell für den Nachweis von Neutrinos stellt die kosmische Strahlung einen störenden Hintergrund dar, der die Durchführung dieser Experimente an der Erdoberfläche unmöglich macht. Daher gibt es in vielen Teilen der Welt in Minen und Autobahntunneln Untergrund-Laboratorien, in denen − abgeschirmt von der kosmischen Strahlung – solche Experimente durchgeführt werden können.

Höhenstrahlung und Luftverkehr

Energiereiche Strahlung aus dem All tritt in großen Höhen erheblich stärker in Erscheinung als auf Meeresniveau. Daher ist die Strahlenexposition für Flugreisende erhöht. Bereits 1990 ermittelte die ICRP aus Abschätzungen, dass Flugpersonal durch die natürliche kosmische Strahlung Dosen ausgesetzt ist, die vergleichbar oder sogar höher sind als diejenige von Personen, die mit künstlicher Strahlung in Medizin und Technik umgehen. Daher legte die ICRP Empfehlungen über Dosisgrenzwerte vor, die 1996 in europäisches Recht und 2001 in die deutsche Strahlenschutzverordnung übernommen wurden.

Die Einführung von Dosisgrenzwerten verlangt, dass die aktuellen Strahlendosen auch ermittelt werden können. Deshalb legten eine Reihe von europäischen Instituten als Folge der ICRP-Empfehlungen Forschungsprogramme auf, deren Ziel die theoretische und experimentelle Erfassung der natürlichen Strahlenexposition in Flugzeugen war. An der Universität Siegen und am GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit wurde das Programm EPCARD entwickelt. Mit dessen Hilfe ist es möglich, auf beliebigen Flugrouten und Flugprofilen die Dosis aus allen Komponenten der natürlichen durchdringenden kosmischen Strahlung zu berechnen.

Mit der Dosisberechnung im Internet bietet sich kleineren Fluggesellschaften auch eine einfache Möglichkeit an, festzustellen, ob ihre Piloten den in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Grenzwert von 1 mSv pro Jahr überhaupt erreichen, ab dem eine Dosismeldung an das Luftfahrt-Bundesamt regelmäßig erfolgen muss.

Bedeutung in der Wissenschaftsgeschichte

Da man in Kosmischer Strahlung nur geringe Spuren von Antimaterie nachweisen konnte, die vermutlich komplett in Wechselwirkungen der geladenen Teilchenstrahlung mit interstellarem Gas entstanden sind, wird dies als entscheidendes Indiz angesehen, dass in unserem Universum keine natürliche Antimaterie vorkommt und es somit seit dem Urknall zu einer Asymmetrie von Materie und Antimaterie gekommen ist.

Siehe auch

Literatur

  • A. Unsöld, B. Baschek: Der neue Kosmos, Springer-Verlag, ISBN 3-540-42177-7
  • C. Grupen: Astroteilchenphysik, Springer-Verlag, ISBN 3-540-41542-4
  • Gerhard Börner, Matthias Bartelmann: Astronomen entziffern das Buch der Schöpfung. Physik in unserer Zeit 33(3), S. 114 - 120 (2002), ISSN 0031-9252
  • Werner Hofmann: Die energiereichste Strahlung im Universum. Physik in unserer Zeit 33(2), S. 60 - 67 (2002), ISSN 0031-9252

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