Myon

Myon

Myon (μ)

Klassifikation
Elementarteilchen
Fermion
Lepton
Eigenschaften
Ladung

−1 e

Masse

0,113 428 9256(29) u
1,883 531 30(11) × 10−28 kg
206,768 2823(52) · me

105,658 3668(38) MeV/c2

Compton-Wellenlänge 11,734 441 04(30) x 10−15 m
magnetisches Moment −4,490 447 86(16) × 10−26 J / T
g-Faktor −2,002 331 8414(12)
Spin 1/2
mittlere Lebensdauer 2,196 980 3(22) × 10−6 s

Das Myon ist ein Elementarteilchen, das dem Elektron ähnelt, jedoch eine deutlich höhere Masse (105,6 MeV/c2 statt 0,511 MeV/c2) aufweist. Wie das Elektron ist es mit einer Elementarladung negativ geladen und besitzt einen halbzahligen Spin. Beide unterliegen der elektroschwachen, nicht aber der starken Wechselwirkung.

Dem Standardmodell zufolge sind Elektron und Myon verwandte Teilchen. Beide gehören zur Klasse der Leptonen, nur dass das Elektron zur ersten der drei Familien gehört, das Myon zur zweiten. Das entsprechende Teilchen der dritten Familie, das τ-Lepton, ist ebenfalls bereits nachgewiesen worden. Das Antiteilchen des Myons, das positive Myon oder Antimyon μ + , ist wie das Positron einfach positiv geladen.

Die Myonen wurden 1936 von Carl D. Anderson bei der Untersuchung von kosmischer Strahlung entdeckt (vgl. Abschnitt Kosmische Strahlung). Künstlich können sie mit Hochenergie-Teilchenbeschleunigern erzeugt werden.

Bis etwa in die 1960er Jahre wurde das Myon als My-Meson bezeichnet; "Meson" bedeutete damals einfach "Teilchen mit einer Masse zwischen Elektron und Proton". Die heutigen Begriffe Hadron, Meson und Lepton entstanden erst später.

Inhaltsverzeichnis

Kosmische Strahlung

Myonen sind einer der Hauptbestandteile der sekundären kosmischen Strahlung, d. h. sie entstehen in 9 [1] km Höhe bis 12 [2] km Höhe (vorwiegend in etwa 10 km [3]) durch Reaktionen der eigentlichen kosmischen Strahlung (vor allem Protonen) mit Atomkernen und Molekülen der Atmosphäre. Dabei entstehen zunächst Pionen und zu einem kleineren Teil Kaonen. Beim Zerfall dieser sehr kurzlebigen Teilchen durch schwache Wechselwirkung entstehen unter anderem Myonen und Myonneutrinos. Wegen der relativistischen Zeitdilatation können diese trotz der kurzen Halbwertszeit die Erdoberfläche erreichen; ohne diesen relativistischen Effekt würde die Reichweite nur etwa 600 m betragen [4]. Bruno Rossi und D. B. Hall haben die Anzahl der Myonen, die in verschiedenen Höhen ankommen, gemessen.[5] Durch eine spezielle Filteranordnung wurde die Messung auf solche Myonen beschränkt, die sich mit 99,94 % der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Der Vergleich der gemessenen Anzahlen ermöglichte es, die Halbwertszeit der schnell bewegten Myonen zu bestimmen. Diese ist mit 13 μs um ein Vielfaches höher als die Halbwertszeit von ruhenden Myonen mit 1,5 μs (diese Halbwertszeit ergibt sich aus der oben genannten Lebensdauer durch multiplizieren mit 0,693…, dem natürlichen Logarithmus von 2). Die schnell bewegten Myonen zerfallen also langsamer als ihre unbewegten Gegenstücke. Dies ist ein Nachweis der Zeitdilatation (siehe auch Lorentzkontraktion). Die Flussdichte kosmischer Myonen beträgt in Meereshöhe 100 m−2·s−1. Das Verhältnis µ+ beträgt etwa 1,2.

Myonzerfall

Feynman-Diagramm des Myonzerfalls [6]

Das freie Myon zerfällt gemäß dem rechts abgebildeten Feynman-Diagramm in ein Myonneutrino, ein Antielektronneutrino und ein Elektron[6]. Das Antimyon zerfällt entsprechend, nur dass jeweils die Antiteilchen der vorgenannten Teilchen entstehen. Zusätzlich kann beim Zerfall noch Gammastrahlung (Photonen) erzeugt werden. Dem Standardmodell zufolge wird der Zerfall des Myons über ein W-Boson (siehe auch Boson) vermittelt.

Die experimentell bestimmte mittlere Lebensdauer des positiven Myons beträgt 2,196 980 3 µs ± 2,2 ps [7]. Das negative Myon hat in Materie einen zusätzlichen Zerfallskanal entsprechend dem K-Einfang durch ein Proton, wodurch es zu einem Neutron und einem Myonneutrino reagiert. Dadurch ist die experimentell bestimmbare mittlere Lebensdauer des negativen Myons bis zu 1 Promille kleiner als die des positiven Myons [8].

Bestimmte neutrinolose Zerfallskanäle des Myons sind zwar kinematisch möglich, jedoch im Standardmodell verboten. Dies wird durch den Erhaltungssatz des Lepton-Flavour ausgedrückt. Beispiele für solche Zerfälle, die den Lepton-Flavour ändern würden, sind

\mu^-\to e^- + \gamma

sowie

\mu^-\to e^- + e^+ + e^-

Die Beobachtung eines solchen Zerfalls wäre ein eindeutiges Indiz für neue Physik jenseits des Standardmodells. Die obere Grenze für die Verzweigungs-Verhältnisse dieser Zerfälle wurde in zahlreichen Experimenten in den letzten 50 Jahren ständig verbessert. Der aktuelle Wert für den \mu^-\to e^- + \gamma Zerfall wurde 2011 im MEG-Experiment bestimmt und liegt bei 2.4 x 10-12[9].

Magnetische Anomalie des Myons

Myonen eignen sich besonders gut, um fundamentale Kräfte in der Physik auf höchstem Präzisionsniveau zu studieren. Als Leptonen sind sie nach heutigem Kenntnisstand als punktförmig anzusehen. Damit lassen sich ihre Eigenschaften sehr präzise im Rahmen der Quantenelektrodynamik berechnen. Der Einfluss anderer Kräfte als der elektromagnetischen Kraft ist klein, aber durch virtuelle Teilchen, die das Myon umgeben, beobachtbar. Das führt zu einer Abweichung der magnetischen Eigenschaften des Myons.

Eine Präzisionsmessung dieser magnetischen Anomalie wurde am Brookhaven National Laboratory[10] von einer weltweiten Kollaboration um das Jahr 2000 durchgeführt. Sollte es andere als die der Teilchenphysik derzeit bekannten Teilchen geben, und diese nicht allzu große Massen haben, dann müssten sie sich in der magnetischen Anomalie des Myons bemerkbar machen. Da das Experiment keine große Abweichung finden konnte, ist damit das Standardmodell der Teilchenphysik in eindrucksvoller Weise bestätigt worden. Die magnetische Anomalie des Myons wird auch g-2-Wert genannt und ist ein Wert, an dem sich alle Teilchentheorien messen lassen müssen.

Myonische Atome

Myonen (aber nicht Antimyonen) können aufgrund ihrer Ladung wie Elektronen an Atomkerne gebunden werden. Jedoch ist der zugehörige Bohrsche Radius der „Myonbahn“ um den Atomkern im Verhältnis der Massen von Elektron und Myon kleiner. Die Folge ist, dass die Myonen viel stärker gebunden werden als die Elektronen. Üblicherweise gehen Myonen schon kurz nach dem Einfang in einen 1s-Zustand über. Bei schweren Atomkernen liegt aufgrund der kleinen Bahnradien ein großer Teil der Myon-Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Atomkern. Dort kann es dann zum inversen Betazerfall kommen, bei dem das Myon absorbiert und ein Proton in ein Neutron verwandelt wird. Hierbei entsteht zusätzlich ein Neutrino, sowie eventuell eines oder mehrere Gamma-Quanten. Der neu entstandene Atomkern ist in vielen Fällen radioaktiv. Durchläuft dieser in der Folge einen normalen Beta-Zerfall, wird wieder der originale Atomkern hergestellt.

Ein gebundenes Myon hat aufgrund der zusätzlichen Reaktionswahrscheinlichkeit eine deutlich geringere Lebensdauer, zum Beispiel ca. 0,163 µs in Kupfer, was auch zur Myonen-Spin-Analyse genutzt wird.

Da das gebundene Myon einen Teil der Kernladung abschirmt, verschieben sich die Energieniveaus der gebundenen Elektronen. In einem myonischen Atom könnten sich jedoch durchaus ein Myon und zwei Elektronen (d. h. beide gleichzeitig) in einem 1s-Zustand befinden. Das Verbot (Pauli-Prinzip), dass sich keine zwei Fermionen in ein und demselben System im gleichen Zustand aufhalten können, gilt nicht für verschiedenartige Teilchen wie Elektron und Myon.

Dem gebundenen Myon steht als einzig zusätzlicher Zerfallsweg – neben sämtlichen Zerfallskanälen des freien Myons – der Kerneinfang offen. Kerneinfang ist für schwere Kerne der dominierende Prozess. Nach weiteren Zerfallsmöglichkeiten wird derzeit gesucht, z. B. der so genannten Myon-Elektron-Konversion, \mu^- + Z\ \rightarrow\ e^- + Z. Dies wäre ein eindeutiges Zeichen sogenannter Neuer Physik, was bedeutet, dass dieser Prozess im Standardmodell der Teilchenphysik nicht vorgesehen ist.

Antimyonen können mit ihrer positiven Ladung hingegen, ähnlich wie Protonen oder Positronen, selber ein Elektron einfangen. Dabei entsteht ein exotisches Atom, das Myonium genannt wird.

Myonen-katalysierte Fusion

Wird ein Myon in einem Deuterium- oder einem Deuterium-Tritium-Molekül (D2 bzw. DT) eingefangen, dann entsteht ein positives myonisches Molekülion, weil die relativ große Bindungsenergie des Myons die beiden Elektronen des Moleküls freisetzt. In diesem myonischen Molekül-Ion sind die beiden Atomkerne einander etwa 200-mal näher als in einem elektronischen Molekül. Das ermöglicht durch den Tunneleffekt die Fusion der beiden Kerne. Die sehr große durch die Fusion frei werdende Energie (bei D+D rund 3 MeV, bei D+T 14 MeV) setzt auch das Myon wieder frei, und es kann je nach den Umgebungsbedingungen während seiner Lebensdauer viele weitere (Größenordnung 100) Einzelfusionen katalysieren.

Um mit dieser myonisch katalysierten Kernfusion Nutzenergie zu produzieren, müsste man aus den rund 100 Einzelfusionen mehr Energie gewinnen können, als zur Erzeugung des Myons notwendig ist. Die bisher erzielten Wirkungsgrade der Teilchenbeschleuniger-Anlagen, mit denen Myonen produziert werden können, reichen dazu nicht aus.

Die Myonen-katalysierte Fusion ist auch unter dem Namen kalte Fusion bekannt. Sie wurde ursprünglich von Andrei Sacharow vorgeschlagen.

Anwendungen

Mit Hilfe von Myonen ist es möglich, größere Objekte zu durchleuchten. Dazu werden die Myonen der kosmischen Strahlung verwendet und ihre Absorption gemessen. So wurde in den 1960ern die Chephren-Pyramide von Luis Alvarez durchleuchtet. In jüngerer Zeit wurde der Iwodake-Vulkan durchleuchtet, dadurch konnte die Dichteverteilung des Vulkans ermittelt werden.[11]

Trivia

Das Myon wurde zunächst für ein 1935 von Hideki Yukawa postuliertes Austauschteilchen der Kernkraft gehalten, welches heute als Pion bekannt ist. Dieses Versehen rührte von der ähnlichen Ruhemasse der beiden Teilchen her; es dauerte knapp zehn Jahre, bis die Verwechslung aufgeklärt wurde.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Myon – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Bachelorarbeit: Sekundärteilchenzerfall
  2. Lebensdauer von Myonen - Entstehungshöhe
  3. TU Darmstadt Entstehungshöhe
  4. Roman Sexl, Herbert K. Schmidt: Raum-Zeit-Relativität. Vieweg, Braunschweig 1979, ISBN 3528172363, S. 82–85.
  5. B Rossi, D. B. Hall: Variation of the Rate of Decay of Mesotrons with Momentum. In: Physical Review. 59, 1941, S. 223. doi:10.1103/PhysRev.59.223.
  6. a b Im Diagramm ist als Zerfallsprodukt ein in der Zeit rückläufiges Neutrino eingezeichnet, was einem Antineutrino entspricht
  7. MuLan Collaboration: Measurement of the Positive Muon Lifetime and Determination of the Fermi Constant to Part-per-Million Precision. In: Physical Review. 106, Nr. 4, 2011, S. 041803, doi:10.1103/PhysRevLett.106.041803.
  8. S. L. Meyer, E. W. Anderson, E. Bleser, I. M. Lederman, J. L. Rosen, J. Rothberg, I. T. Wang: Precision Lifetime Measurements on Positive and Negative Muons. In: Physical Review. 132, Nr. 6, 1963, S. 2693–2698, doi:10.1103/PhysRev.132.2693.
  9. J. Adam et al. (MEG Collaboration): In: Physical Review Letters. 107, Nr. 17, 2011, S. 171701-171805, doi:10.1103/PhysRevLett.107.171801.
  10. The E821 Muon (g-2) Home Page. Ernst Sichtermann, abgerufen am 8. Juni 2009 (englisch).
  11. Blick in den Schlund. In: Bild der Wissenschaft. Nr. 10, 2009, S. 61f (online)..

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