Althochdeutsche Lautverschiebung

Althochdeutsche Lautverschiebung

Als „Deutsche Lautverschiebung” oder Zweite Lautverschiebung (auch: Hochdeutsche oder Althochdeutsche Lautverschiebung) wird ein regelhafter Lautwandel im Bereich des Konsonantismus verstanden, der die hochdeutschen Dialekte entstehen ließ, die sich dadurch von den niederdeutschen Mundarten in einem gemeinsamen Dialektkontinuum unterschieden.

Der Beginn dieser Veränderung wurde traditionell auf ca. 500 n. Chr. datiert, nach neueren Inschriftenfunden begann sie jedoch erst ab ca. 600. Bei der Zweiten Lautverschiebung handelte es sich um einen längerfristigen und mehrphasigen Prozess, der zu Beginn der Überlieferung des Althochdeutschen im 8. Jahrhundert n. Chr. noch nicht ganz abgeschlossen war. Die Ursachen werden in der Forschung seit langem kontrovers diskutiert; erwogen wird unter anderem ein Einfluss der Sprache der Langobarden.

Durch diese Lautverschiebung wurde aus den südlichen westgermanischen Dialekten die althochdeutsche Sprache. Die Grenze dieser Lautverschiebung verläuft von West nach Ost, heute mehr oder weniger am Mittelgebirgsrand; sie wird als Benrather Linie bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Betroffene Konsonanten und Phasen

Von der zweiten Lautverschiebung betroffen sind die Verschlusslaute /p/, /t/ und /k/ sowie in Teilen /b/, /d/ und /g/. Steht ein /p/ im Anlaut eines Wortes, im Inlaut nach den Sonoranten /m, n, l, r/ oder tritt es als Geminate (Doppelkonsonant) auf, so wird es zu der Affrikate /pf/ verschoben, dementsprechend /t/ zu /ts/ (<z>) und k zu /kx/. Steht ein /p/ im Auslaut nach einem Vokal, so wird es zu /f/ verschoben, dementsprechend /t/ zu /s/ und /k/ zu /x/. Im Wortinneren zwischen zwei Vokalen werden die einfachen Tenues zu Geminaten verschoben (Doppel-f, Doppel-s, Doppel-x).

Übersichtstabelle

Die Auswirkungen der Lautverschiebung werden für Nicht-Sprachwissenschaftler besonders offensichtlich, wenn man neuhochdeutsche Lexeme, die verschobene Konsonanten enthalten, mit ihren Entsprechungen im Niederdeutschen und modernen Englischen vergleicht, wo die zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt wurde. Die folgende Übersichtstabelle ist im Bezug zu den entsprechenden Urwörtern der indoeuropäischen Ursprache (G=Grimmsches Gesetz; V=Vernersches Gesetz).

Erste Lautverschiebung
(Indoeuropäisch → Germanisch)
Phase Hochdeutsche Lautverschiebung
(Germanisch→Althochdeutsch)
Beispiele (Neuhochdeutsch) Jahrhundert Geografische Ausdehnung
G: /*b/→/*p/ 1 /*p/→/f/ niederdeutsch: slapen, englisch: sleep -> schlafen;
niederdeutsch und englisch: Schipp, ship -> Schiff
4/5 Süd- und Mittel-Deutschland
2 /*p/→/pf/ niederdeutsch: Peper, englisch: pepper -> Pfeffer;
niederdeutsch: Plauch, englisch: plough -> Pflug; niederdeutsch: scherp, englisch: sharp -> scharf
6/7 Oberdeutscher Sprachraum
G: /*d/→/*t/ 1 /*t/→/s/ niederdeutsch: dat, wat, eten; englisch: that, what, eat -> das, was, essen 4/5 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum1
2 /*t/→/ts/ niederdeutsch: Tiet, englisch: tide (Flut), schwedisch: tid -> Zeit; niederdeutsch: ver-tellen, englisch: tell -> er-zählen; Timmermann -> Zimmermann 5/6 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum
G: /*g/→/*k/ 1 /*k/→/x/ niederdeutsch: ik, altenglisch: ic -> ich;
niederdeutsch und englisch: maken, make -> machen; niederdeutsch: auk -> auch
4/5 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum
2 /*k/→/kx/ Kind -> bairisch: Kchind 7/8 südöstliches Österreich-Bayern und höchstalemannischer Sprachraum
G: /*bʰ/→/*b/
V: /*p/→/*b/
3 /*b/→/p/ Berg, bist -> bairisch: perg, pist 8/9 Teilweise bairischer und alemannischer Sprachraum
G: /*d/→/*đ/→/*d/
V: /*t/→/*đ/→/*d/
3 /*dʰ/→/t/ niederdeutsch: Dag oder Dach, englisch: day -> Tag;
niederländisch: vader -> Vater
8/9 Oberdeutscher Sprachraum
G: /*gʰ/→/*g/
V: /*k/→/*g/
3 /*g/→/k/ Gott -> bairisch: Kott 8/9 Teilweise bairischer und alemannischer Sprachraum
G: /*t/→/þ/ [ð] 4 /þ/→/d/
/ð/→/d/
englisch: thorn, thistle, through, brother -> Dorn, Distel, durch, Bruder 9/10 Ganz Deutschland und Niederlande

Anmerkung: 1Im Ripuarischen und Moselfränkischen bleiben einige Wörter unverschoben, das sind: dat, wat, it, dit, z. T. allet und die Adjektivendung des Neutrums (z. B. schönet). [1]

Textbeispiel

Als Beispiel für die Auswirkungen der Lautverschiebung kann folgender Vergleich der mittelniederdeutschen Sprache und der mittelhochdeutschen Sprache anhand zweier juristischer Bücher dienen, des Sachsenspiegels (1220) und des Deutschenspiegels (1274):

Sachsenspiegel (III,45,3) Deutschenspiegel (Landrecht Art. 283)
De man is ok vormunde sines wives,
to hant alse se eme getruwet is.
Dat wif is ok des mannes notinne
to hant alse se in sin bedde trit,
na des mannes dode is se ledich van des mannes rechte.
Der man ist auch vormunt sînes wîbes
zehant als si im getriuwet ist.
Daz wîp ist auch des mannes genôzinne
zehant als si an sîn bette trit
nâch des mannes ... rehte.

Durchführung der zweiten Lautverschiebung im deutschen Sprachraum

Die Benrather Linie teilt das Gebiet der niederdeutschen Dialekte (Gelb) von den Übergangsgebieten (Türkis) zum hochdeutschen Dialekt-Raum ab. Die Speyerer Linie teilt den mitteldeutschen (Türkis) und den hochdeutschen Dialekt-Raum (Bronzefarben).

Die hochdeutschen Sprachformen (Ober- und Mitteldeutsch) sind von der 2. Lautverschiebung betroffen, die Sprachformen in den niederen Landen (niederdeutschen bzw. niederländischen Sprachformen) nicht oder nur zum kleineren Teil.

Vollständig durchgeführt worden ist die 2. Lautverschiebung nur in den allersüdlichsten deutschen Dialekten, im Südbairischen (Tirolerischen) sowie im Hoch- und Höchstalemannischen (wobei in den beiden letzteren anlautendes /kch/ zu /ch/ vereinfacht worden ist).

k -> kch/ch: kind -> tirolerisch kchind, hoch/höchstalemannisch chind

Die meisten mittel- und oberdeutschen Varietäten haben also die 2. Lautverschiebung nicht vollständig durchgeführt. Viele mitteldeutsche Varietäten sind nur in bestimmten, wenigen Fällen von ihr betroffen, wie es gut am sogenannten rheinischen Fächer zu erkennen ist.

Die 2. Lautverschiebung ist nicht der einzige große Unterschied zwischen den niederdeutschen und den hochdeutschen Mundarten und Sprachen. Hinzu kommen regionale Besonderheiten im Wortschatz, in der Grammatik und im Vokalismus (so haben beispielsweise im Bairischen, im Mitteldeutschen und im Niederländischen Diphthongierungen stattgefunden).

Siehe auch

Literatur

  • Althochdeutsche Lautverschiebung. u. Rheinischer Fächer. in: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Hrsg. v. Werner König. dtv, München 2004 (18. Aufl.), S. 62-65, 147, Karten S.64, 140. ISBN 3-423-03025-9.
  • Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt, Logos Verlag Berlin, 2007, ISBN 978-3832516017.

Einzelnachweise

  1. Hermann Niebaum, Jürgen Macha: Einführung in die Dialektologie des Deutschen, 2., neubearb. Aufl. Tübingen 2006, S. 222


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