Deutsche Sprachgeschichte

Deutsche Sprachgeschichte
Die historische Entwicklung des deutschen Sprachraumes
Das deutsche Sprachgebiet um 1910
Die heutige Verbreitung der deutschen Sprache in Europa
Titelseite der Übersetzung des Neuen Testaments von Martin Luther
Jacob Grimms Manuskript zum Deutschen Wörterbuch

Die Geschichte der deutschen Sprache geht bis ins frühe Mittelalter zurück, die Epoche, in der sie sich von anderen germanischen Sprachen trennte. Wenn man aber ihre Urgeschichte berücksichtigt, ist die deutsche Sprachgeschichte viel älter und kann unter Einbeziehung ihrer germanischen und indogermanischen Wurzeln dargestellt werden. Deutsch, als eine der Sprachen der germanischen Sprachgruppe, gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und hat ihren Ursprung in der hypothetischen indogermanischen Ursprache. Es wird angenommen, dass sich aus dieser indogermanischen Sprache im ersten Jahrtausend v. Chr. die germanische Ursprache herausbildete; als Zäsur gilt hier die Erste Lautverschiebung, die im späteren ersten Jahrtausend vor Christus stattfand. Die Prozesse, die zur Entstehung der heute gesprochenen deutschen Sprache geführt haben, dürften dagegen erst ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. mit der Zweiten Lautverschiebung begonnen haben.

Die frühe Stufe in der Entwicklung des Deutschen, die von zirka 600 bis um 1050 dauerte, wird als Althochdeutsch bezeichnet. Ihr folgte die Stufe der mittelhochdeutschen Sprache, die in deutschen Gebieten bis zirka 1350 gesprochen wurde. Ab 1350 spricht man von der Epoche des Frühneuhochdeutschen und seit ungefähr 1650 des Neuhochdeutschen – der modernen Entwicklungsphase der deutschen Sprache, die bis heute andauert. Die angegebenen Daten sind nur angenähert, genaue Datierungen sind nicht möglich. Wie bei allen anderen Sprachen sind die Entwicklungsprozesse im Deutschen nur in einem langen Zeitraum zu beobachten und erfolgen nicht abrupt; außerdem unterscheiden sich diese Entwicklungsprozesse hinsichtlich ihres Umfangs und Tempos in verschiedenen Gebieten deutschsprachiger Länder.

Inhaltsverzeichnis

Indogermanisch

Ursprung der indogermanischen Sprachen

Die heutige Verbreitung indogermanischer Sprachen (hellgrün dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt

Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Sprachen Europas und Asiens (zum Beispiel Sanskrit) wurden schon im 17. und 18. Jahrhundert bemerkt; erst Anfang des 19. Jahrhunderts begannen aber die Sprachwissenschaftler (unter anderem Franz Bopp und Jacob Grimm), diese Ähnlichkeiten systematisch auf historischer Basis zu erforschen. Dabei kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass fast alle Sprachen (und somit wohl auch Völker) Europas und mehrere Sprachen (und Völker) Asiens einen gemeinsamen Ursprung hatten. Weil diese verwandten Nationen ein weites Territorium von den germanischen Völkern im Westen bis zu den asiatischen Völkern im Norden Indiens besetzen, wurde das hypothetische Urvolk Indogermanen, und die Sprache, die sie vor mehreren Jahrtausenden sprachen, die Indogermanische Ursprache genannt. Außerhalb des deutschsprachigen Raums wird diese erschlossene Sprache meist als „indoeuropäische“ Sprache bezeichnet.

Nach heutigem Forschungsstand hat sich die Urheimat der Indogermanen wahrscheinlich nördlich und östlich des Schwarzen Meeres befunden, von wo sie sich in andere Regionen Europas und Asiens ausbreiteten. Indogermanische Sprachen sind heute die meistverbreitete Sprachfamilie der Welt; die zu dieser Gruppe gehörenden Sprachen werden als Muttersprachen auf allen Kontinenten (außer der unbewohnten Antarktis) gesprochen. In Europa gibt es nur wenige Sprachen (zum Beispiel Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Baskisch, Türkisch), die nicht zu dieser Sprachfamilie gehören.

Einteilung der indogermanischen Sprachen

Indogermanische Sprachen um das Jahr 500

Die indogermanische Sprachfamilie besteht aus folgenden Sprachgruppen bzw. Einzelsprachen (manche von ihnen sind schon ausgestorben):

Italisch, Keltisch und Germanisch bilden zusammen die westliche Gruppe des Indogermanischen, zu der oft auch die baltische Sprachgruppe gerechnet wird. Innerhalb dieser westlichen Gruppe trennte sich zunächst die Vorläufersprache des späteren Germanischen (die sogenannte prägermanische Sprache) im nördlichen Mitteleuropa von der italo-keltischen Gruppe im südlichen Mitteleuropa. Dies geschah wahrscheinlich (spätestens) im frühen 2. Jahrtausend vor Christus.

Von der Verwandtschaft aller dieser Sprachen, die scheinbar wenig Gemeinsames haben, zeugen viele Ähnlichkeiten sowohl im Wortschatz als auch in grammatischen Strukturen. Als Beispiel dieser Verwandtschaft kann folgende Tabelle dienen, in der Zahlwörter von 1 bis 10 sowie 20 und 100 in verschiedenen Sprachen und in ihrer Wurzel – der indogermanischen Sprache – dargestellt sind[1]:

Deutsch Griechisch Vedisch Kurdisch Latein Walisisch Gotisch Litauisch Serbisch Indogermanisch
eins heīs (< *hens < *sems) eka yak ūnus (vgl.a. semel) un ains vienas jedan *oyno-, oyko-, sem-
zwei duō dvā du dúō dau twai du dva *duwóh₁
drei treīs trayas Se trēs tri þreis trys tri *tréyes
vier téttares catvāras cwar quattuor pedwar fidwor keturi četiri *kʷetwóres
fünf pénte pañca penc quinque pump fimf penki pet *pénkʷe
sechs héks ṣāt seṣ sex chwech saihs šeši šest *swék̑s
sieben heptá sapta havt septem saith sibun septyni sedam *septḿ̥
acht oktō aṣṭā haṣt octo wyth ahtau aštuoni osam *ok̑tō
neun ennéa nava no novem naw niun devyni devet *néwn
zehn déka daśa da decem deg taihun dešimt deset *dék̑m̥
zwanzig wikati (dorisch) vimśati bist / vist viginti ugeint (Mittelwalisisch)   dvidešimt dvadeset *wīk̑mtī
hundert hekatón śatam sat centum cant hund šimtas sto *k̑m̥tóm

Die mit einem Sternchen (*) markierten Wörter sind rekonstruiert. Es sind keine indogermanischen Texte erhalten, und indogermanische Wörter und Laute können nur durch systematischen Vergleich der Lexeme und Phoneme erschlossen werden. Durch den Erkenntnisfortschritt der Linguistik müssen diese rekonstruierten Formen mitunter revidiert werden; auch nach dem heutigen Forschungsstand bleibt Indogermanisch immer noch ein mit Unsicherheiten behaftetes hypothetisches Konstrukt, deren tatsächliche Existenz allerdings von kaum einem Linguisten mehr in Frage gestellt wird. Trotz aller Unsicherheiten haben Sprachwissenschaftler versucht, nicht nur einzelne Worte und Formen, sondern auch kürzere Texte (sogar eine indogermanische Fabel, siehe unten) in dieser Sprache zu verfassen. Es ist evident, dass solche Rekonstruktionen die Änderungen, denen das Indogermanische in seiner Geschichte unterlegen hat, sowie die Vielfalt der Dialekte, die in verschiedenen Gebieten dieser Sprache gesprochen wurden, nicht wiedergeben können.

Auseinanderentwicklung der indogermanischen Sprachen, östliche und westliche Gruppe

Durch sprachwissenschaftliche Forschungen können der Wortschatz und grammatische Strukturen des Indogermanischen bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. erschlossen werden; über die Genese und früheren Entwicklungsstufen des Indogermanischen sind nur wenige Aussagen möglich, etwa mit der linguistischen Methode der sog. internen Rekonstruktion. Schon früh – vermutlich spätestens im 3. Jahrtausend vor Christus – begann der Differenzierungsprozess des Indogermanischen, bereits damals begannen sich aus dem Proto-Indogermanischen die Vorformen der heutigen Sprachgruppen zu entwickeln, wobei nicht immer gesichert ist, in welcher Reihenfolge sich die Untergruppen und einzelnen Nachfolgesprachen trennten.

Am wahrscheinlichsten gilt heute eine primäre Aufgliederung in eine östliche Gruppe (Indoiranisch und Balkanindogermanisch) und eine westliche, „alteuropäische“ Gruppe. Die Aufgliederung kann kaum vor etwa 3400 v. Chr. begonnen haben, weil beide Untergruppen gemeinsame Worte für „Nabe“ und „Rad“ (für „Rad“ sogar zwei verschiedene Lexeme) haben, die Erfindung des Rades lässt sich jedoch mit archäologischen Mitteln auf etwa 3400 v. Chr. datieren. Zur östlichen Gruppe gehören als Nachfolgesprachen Sanskrit, Avestisch, Griechisch und Armenisch, zur westlichen Gruppe die baltischen, italischen und keltischen Sprachen und eben die germanische Sprachfamilie. Der Nachweis der primären Aufgliederung des Proto-Indogermanischen in eine östliche und eine westliche Gruppe gelang mit dem Nachweis einer primären Verwandtschaft des Griechischen mit dem Sanskrit, insbesondere anhand gemeinsamer Archaismen in der Nominalflexion beider Sprachen (Quelle: Wolfram Euler (1979)).

Bis zur Entdeckung des Tocharischen im frühen 20. Jahrhundert nahm man dagegen nach einer Theorie von Peter von Bradke (1853–1897) aus dem Jahre 1890 vielfach an, die primäre Aufgliederung des Indogermanischen sei diejenige in Kentum- und Satemsprachen gewesen. Die Bezeichnungen stammen von dem altpersischen (satem) und lateinischen (centum, in der klassischen Aussprache des Lateins als kentum ausgesprochen) Wort für hundert, das im Indogermanischen *k̑m̥tóm lautete. In den Satemsprachen (zu denen vor allem slawische, baltische und indoiranische Sprachen gehören) wurde das palatovelare *k̑ allmählich zu einem Zischlaut /s/ bzw. /ʃ/, wie in satəm im Avestischen (Altpersischen) oder sto im Polnischen. Romanische und germanische Sprachen (einschließlich des Deutschen), aber auch das Griechische sind dagegen Kentumsprachen, in denen das palatovelare *k̑ und das velare k zum palatalen k (heute h: hundert, engl. hundred) zusammenfielen. Die Indogermanisten im 19. Jahrhundert waren der Meinung, dass alle (ursprünglichen) Satemsprachen im Osten und alle Kentumsprachen im Westen liegen, dem widersprach aber die Entdeckung des ausgestorbenen Tocharischen (einer Kentumsprache, einst gesprochen im heutigen Gebiet Xinjiang in China!) und des Hethitischen in Kleinasien Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch nicht nur deswegen gilt diese Theorie heute als widerlegt. Zu den weiteren Kritikpunkten gehörte von Anfang an, dass es auch bei sogenannten Kentumsprachen eine spätere (sekundäre) Palatalisierung, d. h. Satemisierung gab. So änderte sich die Aussprache von lateinisch „centum“ schon im 2. Jahrhundert n. Chr. von /k-/ zu /ts-/. Im Italienischen wurde daraus „cento“ (gesprochen /tsch-/), im Französischen „cent“ (gesprochen /s-/). Solche „sekundären Satemisierungen“ gab es nach heutigem Kenntnisstand auch im Slawischen und Baltischen. Schon seit langem werden die Begriffe „Kentum- und Satemsprachen“ im wissenschaftlichen Bereich darum nur noch deskriptiv (beschreibend) verwendet, nicht aber im Sinne einer sprachgeschichtlichen Aufgliederung entlang dieses Merkmals.

Textprobe

August Schleicher, Autor der indogermanischen Fabel

Wie gesagt, sind keine Texte oder Inschriften in proto-indogermanischer Sprache überliefert; die Schrift existierte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Trotzdem haben Sprachwissenschaftler den Wortschatz (Lexikon), die Laute (Phoneme) und grammatische Strukturen (Morphologie und Syntax) des Indogermanischen zu wesentlichen Teilen rekonstruiert, und sie versuchen gelegentlich, kurze Texte in dieser Sprache zu schreiben. Der bekannteste davon ist die sog. Indogermanische Fabel Das Schaf und die Pferde, die zuerst 1868 von August Schleicher verfasst wurde. Danach erschienen mehrfach neuere Fassungen, deren Veränderungen den Erkenntnisfortschritt dokumentieren. Weiter folgt die ursprüngliche Version der Fabel von Schleicher.[2] Schleichers Text basiert auf der Annahme, dass das Proto-Indogermanische vor allem auf der Grundlage von Sanskrit und Avestisch zu rekonstruieren sei; er unterschätzte noch die Bedeutung unter anderem der germanischen Sprachen und des Lateins für die Rekonstruktion des Proto-Indogermanischen.

Indogermanisch (Avis akvāsas ka) Deutsche Übersetzung (Das Schaf und die Pferde)
Avis, jasmin varnā na ā ast, dadarka akvams, tam, vāgham garum vaghantam, tam, bhāram magham, tam, manum āku bharantam. Avis akvabhjams ā vavakat: kard aghnutai mai vidanti manum akvams agantam. Akvāsas ā vavakant: krudhi avai, kard aghnutai vividvant-svas: manus patis varnām avisāms karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varnā na asti. Tat kukruvants avis agram ā bhugat. Ein Schaf, das keine Wolle mehr hatte, sah Pferde, eines einen schweren Wagen fahrend, eines eine große Last, eines einen Menschen schnell tragend. Das Schaf sprach: Das Herz wird mir eng, wenn ich sehe, dass der Mensch die Pferde antreibt. Die Pferde sprachen: Höre Schaf, das Herz wird uns eng, weil wir gesehen haben: Der Mensch, der Herr, macht die Wolle der Schafe zu einem warmen Kleid für sich und die Schafe haben keine Wolle mehr. Als es dies gehört hatte, bog das Schaf auf das Feld ein.

Es gibt auch Übertragungen dieser Fabel in die urgermanische Sprache, etwa durch die Linguisten Carlos Quiles Casas (2007) und Wolfram Euler (2009). Nachfolgend die Version von Euler:

Awiz eχwôz-uχe. Awis, þazmai wullô ne wase, eχwanz gasáχwe, ainan kurun waganan wegandun, anþeran mekelôn burþînun, þridjanôn gumanun berandun. Awiz eχwamiz kwaþe: „Χertôn gaángwjedai mez seχwandi eχwanz gumanun akandun.“ Eχwôz kwêdund: „Gaχáusî, awi, χertôn gaángwjedai unsez seχwandumiz: gumô, faþiz awjôn wullôn sez warman westran garwidi; avimiz wullô ne esti.“ Þat gaχáusijandz awiz akran þlauχe. (Quelle: Euler (2009), S. 213)

Urgermanisch

Herkunft der Germanen

Auf den Mediziner Ludwig Wilser geht die Theorie zurück, dass sich die Urheimat der Urgermanen im heutigen Dänemark und den angrenzenden Teilen Südschwedens und Norddeutschlands befunden habe. Wilser vertrat diese Theorie ab 1885, zuvor wurde ganz überwiegend eine mitteleuropäische Urheimat der Vorfahren der Germanen angenommen. Wilsers Theorie wurde ab etwa 1895 durch den prominenten Prähistoriker Gustaf Kossinna übernommen und setzte sich daraufhin durch, sie ist aber bis heute umstritten. Die Stämme, deren Nachkommen später als Germanen bekannt wurden, waren vermutlich nicht autochthone Einwohner dieser Gebiete; sie waren dorthin aus anderen Teilen Eurasiens zugewandert und hatten sich womöglich mit vorgermanischen Bewohnern dieser Gebiete vermischt (ein größerer Teil – früher meinte man ein Drittel – des germanischen Wortschatzes hat keine indogermanischen Wurzeln[3]). Es ist nicht genau bekannt, seit wann Germanen auf jenen Territorien lebten; generell wird angenommen, dass die Anfänge der prägermanischen Kultur und Sprache bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen.

Südöstlich dieser prägermanischen Gebiete, vermutlich in Böhmen und daran östlich und südlich angrenzenden Gebieten, lebten im 2. Jahrtausend vor Christus ursprünglich die Vorfahren der späteren Italiker. Direkt südlich und südwestlich des germanischen Gebietes hingegen lebten keltische Stämme beziehungsweise deren Vorfahren. Sprachwissenschaftler stellten einige Gemeinsamkeiten im Wortschatz zwischen germanischen Sprachen und Latein fest, die auf Kontakte und Nachbarschaftsverhältnisse dieser Völker hinweisen können. So entspricht das Wort Hals (das im Althochdeutschen und Gotischen dieselbe Form hatte: hals) dem lateinischen collus; das althochdeutsche wat (Furt, vgl. waten) dem lateinischen vadum.

Expansion germanischer Völker vor unserer Zeitrechnung

Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. zogen die Präitaliker nach Süden und siedelten sich im heutigen Italien an, wo Teile von ihnen später die Stadt Rom und das Römische Reich gründeten. Die einst präitalischen Gebiete wurden von germanischen Stämmen erst ab dem 1. Jahrhundert vor Christus besiedelt. Die Ausbreitung der Germanen im 1. Jahrtausend vor Christus in Mitteleuropa geschah hingegen überwiegend auf Kosten bis dahin keltischer Gebiete. Dies gilt vor allem für die Gebiete zwischen Ems und Rhein und für die Ausbreitung nach Süden bis zum Main und weiter bis zur Donau. Vermutlich in der La-Téne-Zeit wurden die seit jeher bestehenden Kontakte mit den Kelten intensiver, wobei damals die Kelten kulturell und wohl auch militärisch ihren nördlichen Nachbarn zunächst überlegen waren. Kontakte mit keltischen Stämmen in dieser Zeit führten zur Aufnahme vieler neuer Wörter in die urgermanische Sprache, zum Beispiel auf dem Gebiet von Politik (das Wort „Reich“), Gesellschaft (das Wort „Amt“), Technik (das Wort „Eisen“), Bekleidung (das Wort engl. „breeches“ = Hose) und Recht (vgl. altirisches oeth, altsächsisches āth und althochdeutsches eidEid, oder altirisches licud, gotisches leihwan und althochdeutsches līhanleihen).

Andere Nachbarn der Germanen im Osten waren die Veneter (von denen ein Teil nach Angaben antiker Schriftsteller an der mittleren Weichsel lebte) und die Illyrer. Von den ersten übernahmen die Germanen den Begriff selbst (venetisch sselb-, vergleiche gotisches silba, englisches self, althochdeutsches selb), von den anderen stammt das Wort (Vogel)bauer (byrion war eine illyrische Bezeichnung für Wohnstätte).

Das Ergebnis der Kontakte der Germanen mit slawischen und baltischen Stämmen, die östlich ihrer Gebiete lebten, sind dagegen Wörter wie Gold (germanisches ghḷtóm, vgl. polnisches złoto, tschechisches zlato), tausend (gotisches þūsundi, vgl. polnisches tysiąc, litauisches tukstantis).

Entstehung der germanischen Sprache, erste Lautverschiebung

Die germanische Sprache bildete sich aus dem Indogermanischen im Laufe eines langsamen Prozesses heraus, der in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends einsetzte und ein bis zwei Jahrtausende dauerte. Die Änderungen, die zur Entstehung des Urgermanischen führten, betrafen vor allem die Phonologie, zum Beispiel Akzentverhältnisse. Während der Akzent bei den Germanen, wie in anderen indogermanischen Sprachzweigen, anfangs noch auf unterschiedlichen Silben liegen konnte – was auch Bedeutungsunterschiede bezeichnete – setzte sich bei ihnen später der dynamische Akzent auf der Stammsilbe durch. Meistens war dies die erste Silbe eines Wortes, es gibt aber auch unbetonte Vorsilben. Diese Form des Wortakzents gilt bis heute im Deutschen und in den anderen lebenden germanischen Sprachen. In manchen Sprachen (zum Beispiel im Russischen) blieb der Akzent (wie im Indogermanischen) beweglich, d. h., er kann auf verschiedene Silben morphologischer Formen eines Wortes fallen, dasselbe galt für Latein und Griechisch.

Diese Durchsetzung der Initialbetonung führte allmählich zur Abschwächung von Silben ohne Akzent und bewirkte tiefgreifende Änderungen im Lautsystem, von denen die so genannte Erste Lautverschiebung für die spätere Entwicklung germanischer Sprachen die größten Konsequenzen hatte. Die Prozesse der Ersten Lautverschiebung, die auch als germanische Lautverschiebung oder Grimmsches Gesetz bekannt ist, setzten frühestens um 500 v. Chr. ein, um Christi Geburt waren sie abgeschlossen. Sie umfassten drei Änderungen im Konsonantensystem:

  1. Indogermanische stimmlose Verschlusslaute (p, t, k, ) wurden zu stimmlosen Frikativen (f, þ, h, hw).
  2. Indogermanische stimmhafte Verschlusslaute (b, d, g, ) wurden zu stimmlosen Verschlusslauten (p, t, k, ).
  3. Indogermanische aspirierte Verschlusslaute (, , , gʷʰ) wurden zu stimmhaften Frikativen und dann zu stimmhaften Verschlusslauten (b, d, g, gw, dann w).

Die Folgen der germanischen Lautverschiebung im heutigen Deutschen sind nicht immer sichtbar, denn sie wurden zum Teil durch die späteren Prozesse der Zweiten Lautverschiebung (die zur Entstehung des Althochdeutschen führte) verdeckt. Die folgende Tabelle soll eine Übersicht über die Änderungen im Rahmen der Ersten Lautverschiebung geben:

Wechsel nicht-germanische / unverschobene Bsp. germanische / verschobene Bsp.
*p→f 1) Altgr.: πούς (pūs), Lat.: pēs, pedis, Sanskrit: pāda, Russ.: под (pod), Lit.: pėda ;

2) Lat.: piscis

1) Engl.: foot, Deutsch: Fuß, Got.: fōtus, Isländ., Färöisch: fótur, Dän.: fod, Norw., Schwed.: fot ;

2) Engl.: fish, Deutsch: Fisch,

*t→þ Altgr.: τρίτος (tritos), Lat.: tertius, Gaelic treas, Irisch: tríú, Sanskrit: treta, Russisch: третий (tretij), Litauisch: trečias Englisch: third, Althdt.: thritto, Gotisch: þridja, Isländ.: þriðji
*k→χ (χ wurde zu h) 1) Altgr.: κύων (kýōn), Lat.: canis, Gälisch, Irisch:  ;

2) Lat.: capio; 3) Lat.: corde

1) Engl.: hound, Niederl.: hond, Dt.: Hund, Gotisch: hunds, Isländisch, Färöisch: hundur, Dän., Norw., Schwed.: hund ;

2) Got.: hafjan ; 3) Engl.: heart

*→hw Lat.: quod, Gälisch: ciod, Irisch: cad, Sanskrit: ka-, kiṃ, Russisch: ко- (ko-), Litauisch: ką' Engl.: what, Gotisch: ƕa („hwa“), Dänisch hvad, Isländisch: hvað, Färöisch hvat, Norw.: hva
*b→p 1) Lat.: verber;

2) Lit.: dubùs

Engl.: warp; Schwed.: värpa; Niederl.: werpen; Isländ., Färöisch: varpa, Gotisch wairpan ; Got.: diups
*d→t Lat.: decem, Griech.: δέκα (déka), Gaelisch, Irisch: deich, Sanskrit: daśan, Russ.: десять (des'at), Litauisch: dešimt ; Engl.: ten, Niederl.: tien, Gotisch: taíhun, Isländisch: tíu, Färöisch: tíggju, Dän., Norw.: ti, Schwed.: tio
*g→k 1) Lat.: gelū;

2) Lat.: augeo

1) Engl.: cold, Niederl.: koud, Deutsch: kalt, Isländ., Färöisch: kaldur, Dän.: kold, Norw.: kald, Schw.: kall, ;

2) Got.: aukan

*→kw Litauisch: gyvas Engl.: quick, Friesisch: quick, queck, Niederl.: kwiek, Gotisch: qius, Altnorw.: kvikr, Norw. kvikk Isländ., Färöisch: kvikur, Schwed.: kvick
*→b Lat.: frāter, Altgr.: φρατήρ (phrātēr), Sanskrit: (bhrātā), Russ.: брат (brat), Litauisch: brolis, Altkirchenslaw.: братръ (bratru) Engl.: brother, Niederl.: broeder, Deutsch: Bruder, Gotisch: broþar, Isländ., Färöisch: bróðir, Dän., Schwed.: broder, Norw. bror
*→d Irisch: doras, Sanskrit: dwār, Russ.: дверь (dver'), Litauisch: durys Engl.: door, Friesisch: doar, Niederl.: deur, Gotisch: daúr, Isländ., Färöisch: dyr, Dän., Norw.: dør, Schwed.: dörr
*→g 1) Lat.: hostis;

2) Russ.: гусь (gus')

1) Got.: gasts;

2) Engl.: goose, Friesisch: goes, Niederl.: gans, Deutsch: Gans, Isländ.: gæs, Färöisch: gás, Dän., Norw., Schwed.: gås

*gʷʰ→gw→w 1) Sanskrit: gʰarmá

2) [Tocharisch] A: kip, B: kwípe (vulva)

1) Got.: warm

2) Engl.: wife, Proto-Germanisch: wiban (vom vorherigen gwiban), Altsächs., Altfriesisch: wif, Niederl.: wijf, Althochdeutsch: wib, Deutsch: Weib, Altnorw.: vif, Isländ.: víf, Färöisch: vív, Dän., Schwed., Norw.: viv

Die wirklichen Verhältnisse in diesen Veränderungen waren allerdings komplizierter, als es die obige Tabelle darstellt, und kennzeichneten sich durch viele Ausnahmen. Die bekannteste dieser Ausnahmen ist das so genannte Vernersche Gesetz, das zeigt, dass die Erste Lautverschiebung erfolgt sein muss, als der Akzent noch frei beweglich war. Wenn der Akzent auf eine Silbe fiel, die den stimmlosen Verschlusslauten p, t, k, folgte, wandelten sie sich nämlich nicht zu den stimmlosen Frikativen f, þ, h, hw (wie oben dargestellt), sondern zu stimmhaften ƀ, đ, ǥ, ǥʷ. Beispiele werden in folgender Tabelle dargestellt, wo griechische Wörter (in denen die indogermanischen Laute nicht verschoben wurden) mit gotischen Wörtern verglichen sind:

Karl Verner, der das Vernersche Gesetz formulierte.
Wechsel Griechische / unverschobene Bsp. Germanische (gotische) / verschobene Bsp.
*p→ƀ έπτά sibun (sieben)
*t→đ πατήρ fadar (Vater)
*k→ǥ δεχάς -tigjus (Zehner)

Außer diesen Unterschieden in der Phonologie kam es im Germanischen zu Änderungen auch in anderen Teilen des Sprachsystems, vor allem im Gebrauch der Verben. Im Indogermanischen spielte zuerst der Aspekt eine wichtige Rolle. Diese verbale Kategorie, die als imperfektiver Aspekt bzw. perfektiver Aspekt erscheinen kann (vgl. I sang a song und I was singing a song im Englischen, beide Sätze werden ins heutige Deutsch gleich übersetzt: ich sang ein Lied), begann als Sprachkategorie im Germanischen zu verschwinden; aus Formunterschieden, die sich auf den Aspekt bezogen, wurden allmählich Verbformen, die zeitliche Unterschiede (Präsens und Präteritum) darstellten.

Eine andere wichtige Änderung im morphologischen System war die Entstehung der schwachen Verben, die heute das Präteritum mit -te bilden (vgl. die modernen Formen ich machte, ich arbeitete im Unterschied zu den starken Verben ich ging, ich kam).

Wanderungen germanischer Stämme

Wenn man die Sprachregeln des Germanischen bespricht, muss man bedenken, dass die urgermanische Sprache seit Anfang ihres Bestehens kein einheitliches System darstellte. Eine germanische Sprache mit festgelegten Regeln, wie das heutige Deutsch, gab es nicht; einzelne Stämme der Germanen sprachen ihre eigenen Stammessprachen.

Diese Differenzierung vertiefte sich noch, als im 2. bzw. 3. Jahrhundert n. Chr. germanische Stämme begannen in andere Gebiete abzuwandern (dies erfolgte noch vor der eigentlichen Völkerwanderung, die in Europa erst später, mit dem Einfall der Hunnen Ende des 4. Jahrhunderts einsetzte). Im 3. Jahrhundert zogen die Burgunder von ihren Wohnsitzen an der Weichsel und Oder an den Rhein, an ihre Stelle traten später slawische Stämme. Noch früher, nämlich im 2. Jahrhundert, begannen die Goten nach Süden abzuwandern, weshalb sie auf die spätere Entwicklung des Deutschen keinen Einfluss hatten. Im Norden wanderten im 5. Jahrhundert die Angeln nach Großbritannien ab; mit ihrer Stammessprache trugen sie damit zur Entstehung der englischen Sprache bei.

Von den vielen Stammessprachen der Germanen waren es die Sprachen der Alemannen, Bayern, Franken, Thüringer, Sachsen und Friesen, die zur Grundlage des modernen Deutsch wurden.

Einfluss des Lateins auf germanische Sprachen

Sieg der Römer über die Germanen. Relief aus dem Archäologischen Park in Xanten

Durch Kontakte der Germanen mit den Römern, die über den Rhein und die Donau vordrangen, mit germanischen Stämmen Kriege führten und die an das Römische Reich angrenzenden Gebiete mit ihrer Kultur beeinflussten, wurden in die germanischen Sprachen viele lateinische Wörter übernommen. Aus lateinischer Sprache stammen zum Beispiel Wörter aus den Bereichen der Religion (wie opfern, vgl. lat. offerre, altsächsisches offrōn) und des Handelsverkehrs (zum Beispiel kaufen, vgl. lat. caupoSchankwirt, cauponārischachern, gotisches kaupōn; Pfund, vgl. lat. pondo; Münze, vgl. lat. monēta, altnordisches mynt, altsächsisches munita). Aus dem Lateinischen kamen auch Bezeichnungen neuer Handelswaren (Pfeffer, vgl. lat. pīper; Wein, vgl. vīnum), neuer Begriffe aus dem Bauwesen (Mauer, vgl. lat. mūrus; Ziegel, vgl. lat. tēgula, altsächsisches tiagla), Gartenbau (Kohl, vgl. lat. caulis, altnordisches kāl; Kürbis, vgl. lat. curcurbita), Weinbau (Kelch, vgl. lat. calix, altsächsisches kelik; Kelter, vgl. lat. calcatūra), Küche (Kessel, vgl. lat. catinus, angelsächsisches cytel, angelsächsisches ketil; und das Wort Küche selbst, vgl. lat. coquina, angelsächsisches cycene).

Kriege zwischen Römern und Germanen, aber vor allem die Tatsache, dass viele Germanen im römischen Heer als Soldaten dienten, führten zu der Übernahme vieler Wörter auch aus diesem Bereich. So entwickelte sich aus dem lateinischen Wort pīlum (das in dieser Sprache Wurfspieß bedeutete) über das altsächsische und das angelsächsische pīl das heutige Wort Pfeil; aus dem lateinischen pālus (Palisade) entstand der heutige Pfahl (im Angelsächsischen, Altfriesischen und Altsächsischen lautete das Wort pāl).

Im 3. bis 5. Jahrhundert übernahmen die Germanen unter römischem und griechischem Einfluss auch die Siebentagewoche, die eigentlich orientalischen Ursprungs ist. Die germanischen Namen der Wochentage waren zumeist Lehnübersetzungen der lateinischen Bezeichnungen, die von den Namen der Planetengötter stammten. Die heutigen deutschen Wochentage haben folgende Etymologie:

  1. Sonntag ist die wörtliche Übersetzung des lat. diēs Sōlis (Tag der Sonne), vgl. altnordisches sunnu(n)dagr, altsächsisches sunnundag, angelsächsisches sunnandæg.
  2. Montag wurde in gleicher Weise aus lat. diēs Lūnae (Tag des Mondes) übersetzt, vgl. altnordisches mānadadagr, angelsächsisches mōn(an)dæg, altfriesisches mōnendei.
  3. Dienstag, mittelniederdeutsch dingesdach, ist eine Lehnübertragung von lat. diēs Mārtis (Tag des Mars) und geht auf den mit dem latinisierten Namen Mars Thingsus belegten germanischen Gott Tyr, Beschützer des Thing, zurück, vgl. altnordisches tysdagr.
  4. Donnerstag entstand aus dem lateinischen diēs Jovis dadurch, dass der römische Gott Jupiter mit dem germanischen Gott Donar gleichgesetzt wurde, vgl. altnordisches þōrsdagr, angelsächsisches þunresdæg, altfriesisches thunresdei.
  5. Freitag (lat. diēs Veneris) entstand auf eine ähnliche Weise – die germanische Göttin Fria wurde mit der römischen Göttin Venus identifiziert.
  6. Mittwoch scheint hier eine Ausnahme zu sein, hat aber auch Gemeinsames mit der lateinischen Sprache und der germanischen Mythologie. Das Wort ist eine Lehnübersetzung aus kirchenlat. media hebodamas und setzte sich erst im Spätalthochdeutschen (mittawehha) durch. Früher hieß der Tag Wodanstag (engl. „wednesday“ od. niederl. „woensdag“).
  7. Samstag ist hier das einzige Wort, das aus dem Griechischen (sábbaton) und, indirekt, Hebräischen Schabbat (‏שבת‎) entlehnt wurde.

Runenschrift

Aus der Epoche der germanischen Sprache haben wir schon schriftliche Überlieferungen, obwohl sie noch sehr selten sind und meistens nur aus kurzen Inschriften auf Gegenständen bestehen. Sie wurden vor allem in der Runenschrift niedergeschrieben, die bei den Germanen vom 2. bis zum 12. Jahrhundert im Gebrauch war (infolge der Christianisierung germanischer Gebiete wurde sie später durch die lateinische Schrift verdrängt). Man nimmt gewöhnlich an, dass sich die Runenschrift um die Zeitenwende aus den Buchstaben des nordetruskischen Alphabets entwickelte, das von den Germanen auch kurz benutzt wurde. Davon soll insbesondere die Inschrift eines Helms zeugen, der 1812 in Negau (heute Negova in Slowenien) gefunden wurde – der Text wurde mit Buchstaben des nordetruskischen Alphabets niedergeschrieben, aus dem sich die Runen herausgebildet haben sollen.

Textprobe

Von fragmentarischen Runeninschriften abgesehen, ist bis heute nur ein großes Werk erhalten geblieben, das in einer der germanischen Ursprachen niedergeschrieben wurde, nämlich die so genannte Wulfilabibel, die gotische Übersetzung der Heiligen Schrift aus dem 4. Jahrhundert (allerdings liegen heute von dieser Übersetzung nur der größere Teil des Neuen Testaments und Bruchstücke des Alten Testaments, nicht der ganze Text der Bibel, vor). Weiter folgt der Text des Gebets Vaterunser aus dem Matthäusevangelium (Mt 6, 9–13):

Abschrift der Wulfilabibel
Gotisch (Wulfilabibel) Modernes Deutsch (gegenwärtige ökumenische Fassung)
atta unsar þu ïn himinam
weihnai namo þein
qimai þiudinassus þeins
wairþai wilja þeins
swe ïn himina jah ana airþai
hlaif unsarana þana sinteinan gif uns himma daga
jah aflet uns þatei skulans sijaima
swaswe jah weis afletam þai skulam unsaraim
jah ni briggais uns ïn fraistubnjai
ak lausei uns af þamma ubilin
unte þeina ïst þiudangardi
jah mahts jah wulþus ïn aiwins
amen
Vater unser im Himmel,
Geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme;
Dein Wille geschehe,
Wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute;
Und vergib uns unsere Schuld,
Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
Sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
Und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen

Auch dieser Text wurde von Linguisten in die urgermanische Sprache übertragen. Dies ist relativ sicher möglich, weil der Text außer in einer gotischen Version auch in althochdeutscher, altenglischer und altisländischer Sprache vorliegt:

Fađer unsere ini χiminai, weiχnaid namôn þînan, kwemaid rîkjan þînan, werþaid weljô þînaz χwê ini χiminai swê anâ erþâi, χlaiban unseran sénteinan gebe unsiz χijô đagô, aflête unsiz, þat skulaniz sîme, swé wez aflêtamiz skulamiz unseraimiz, neχ bringaiz unsiz ini fraistôn, ake lausî unsiz afa ubelai. þînan esti rîkjan, maχtiz, wuþus-uχ ini aiwans. (Quelle: Wikipedia-Artikel Sprachvergleich anhand des Vaterunsers, bzw. Euler (2009), S. 214).

Althochdeutsch

Hauptartikel: Althochdeutsch.

Die Ausdehnung des Frankenreichs 481 bis 814

Analog den Schwierigkeiten mit der Chronologie des Urgermanischen, ist die genaue Datierung der althochdeutschen Sprache, insbesondere in Bezug auf ihre Entstehung, kaum möglich. Die Sprachwissenschaftler nehmen nur allgemein an, dass die Prozesse, die zur Herausbildung des Althochdeutschen führten, Ende des 5. Jahrhunderts mit der Zweiten Lautverschiebung einsetzten. Die Periode des Althochdeutschen in der Geschichte der deutschen Sprache dauerte bis um 1050.

Entstehung germanischer Staaten und des ostfränkisch-deutschen Reiches

Das 5. Jahrhundert war die Zeit großer Turbulenzen in der europäischen Geschichte. Infolge der Migrationen, die als Völkerwanderung bekannt wurden, brach das Römische Reich endgültig zusammen, und an seine Stelle traten, oft kurzlebige, Stammesstaaten der Germanen, wie das Reich der Ostgoten in Italien oder das Reich der Westgoten in Spanien. Der mächtigste dieser Staaten war das im Jahre 482 von Chlodwig I. gegründete fränkische Reich der Merowinger, das in folgenden Jahrhunderten auch andere germanische Stämme (zum Beispiel Alemannen, Thüringer, Burgunder) unterwarf. Den Merowingern folgten im 8. Jahrhundert die Karolinger, die unter Karl dem Großen ihr Reich bis zur Elbe und Saale im Osten, dem Ebro im Westen und bis nach Rom im Süden ausdehnten. Auf Grund des Vertrags von Verdun kam es aber bald (843) zum Zerfall des Frankenreichs in drei Teile, und der östliche Teil wurde zur Wiege der modernen deutschen Nation. Der erste ostfränkische König war Ludwig der Deutsche (843–876); als die Geburtsstunde der deutschen Nation gilt aber die Machtübernahme im Ostfrankenreich von Heinrich von Sachsen im Jahre 919.

Christianisierung. Geistig-kulturelles Leben im Frühmittelalter

Nach dem Chaos, das den Zerfall des Römischen Reichs begleitete, begann bald der Wiederaufbau des kulturellen Lebens, insbesondere durch Christianisierung germanischer Stämme, die noch älteren Gottheiten huldigten. Im heutigen Süddeutschland und in der Schweiz begann die Christianisierung der Alemannen von irischen Mönchen schon im 6. und 7. Jahrhundert. Durch ihre Bemühungen entstand 614 das Kloster St. Gallen und dann (724) das Kloster Reichenau. Im Norden Deutschlands bemühte sich vor allem der heilige Bonifatius um die Christianisierung. Die Klöster, die die Missionare gründeten, waren sehr wichtige Zentren der Ausstrahlung nicht nur des christlichen Glaubens sondern auch der Kultur. Die Sprache der Gottesdienste war natürlich Latein, die Mönche und die Herrschenden pflegten aber auch die Volkssprache – in lateinischer Sprache hätten sie der bäuerlichen Bevölkerung neue christliche Ideen nicht näher bringen können. So ordnete Karl der Große 789 im Kapitular Admonitio generalis die Verwendung der Volkssprache in Seelsorge und Predigt an und auf der Synode von Frankfurt im Jahre 794 wurde der Volkssprache der gleiche Rang wie dem Hebräischen, Lateinischen und Griechischen zuerkannt.[4]

Auseinandergehen der germanischen Sprachen

Althochdeutsche Territorialdialekte um 962

Diese Bemühungen der Herrschenden und Geistlichen führten dazu, dass die Volkssprache, einschließlich ihrer geschriebenen Formen, immer mehr an Bedeutung gewann. Kontakte zwischen verschiedenen Stämmen und die Tatsache, dass sie in einem Staat lebten, bewirkten, dass lokale Stammessprachen begannen durch Territorialdialekte ersetzt zu werden. Die Stämme, deren Sprachen bei der Herausbildung dieser Territorialdialekte und des Deutschen die wichtigste Rolle spielten, waren die Alemannen, Bayern, Franken, Thüringer und Sachsen. Die Entwicklung der Dichtung verursachte, dass die Territorialdialekte auch ihre literarischen Varianten entwickelten.

Diese Annäherungsprozesse zwischen den Sprachen einzelner Stämme konnten allerdings nicht verhindern, dass die Sprachen weiter entfernter Stämme begannen auseinander zu gehen. Gemeint sind hier vor allem Unterschiede zwischen dem Ostfrankenreich mit vorwiegend germanischer Bevölkerung und dem Westfrankenreich, dessen Einwohner stark romanisiert waren. Schon im 9. Jahrhundert waren die sprachlichen Unterschiede bei den Bewohnern beider Reiche so groß, dass bei der Straßburger Eide im Jahre 842, als sich Karl der Kahle aus dem Westreich und Ludwig der Deutsche aus dem Ostreich zur gegenseitigen Unterstützung gegen ihren Bruder Lothar verpflichteten, jeder in seiner Sprache schwören musste, um von ihren Heeren verstanden zu werden. Die Dialekte, die sie damals sprachen, entwickelten sich später zum heutigen Deutsch und Französisch; aus dem Ostfrankenreich und dem Westfrankenreich wurden später Deutschland und Frankreich.

Entwicklung des Schrifttums

Die ältesten Werke in althochdeutscher Sprache, die bis heute überliefert sind, verdanken wir Mönchen in Klöstern, die sie aufgezeichnet und aufbewahrt haben. Interessanterweise war es nicht nur religiöse Literatur, sondern auch weltliche Werke, wie das Hildebrandslied, das bereits im 7. Jahrhundert entstand und Anfang des 8. Jahrhunderts im Kloster Fulda niedergeschrieben wurde. Aus dem 8. Jahrhundert stammen auch erste Glossare – lateinisch-deutsche Wörterbücher – von denen Abrogans, das um 765 in der Domschule zu Freising entstand, das bekannteste ist.

Beispiele religiöser Literatur aus dieser Zeit umfassen das Wessobrunner Gebet oder Muspilli – eine Dichtung vom Weltuntergang aus dem 9. Jahrhundert. Es wurden natürlich auch die Bibel und ihre Fragmente übersetzt bzw. überarbeitet, zum Beispiel die Evangelienharmonie des Syrers Tatian. Ein besonders interessantes Beispiel dieser Literatur ist das altsächsische Epos Heliand, in dem Jesus Merkmale eines germanischen Herrschers aufweist.

Entstehung des Althochdeutschen. Zweite Lautverschiebung

Als Zäsur, die zur Entstehung des Althochdeutschen führte, gilt ein Lautwandel im Bereich des Konsonantismus, der als Zweite Lautverschiebung bezeichnet wird. (Die schon erwähnte, frühere, Erste Lautverschiebung bewirkte die Trennung des Urgermanischen vom Indogermanischen.) In der Zweiten Lautverschiebung unterlagen Änderungen die germanischen Verschlusslaute p, t, k, die im Althochdeutschen, je nach ihrer Position im Wort, zu den Zischlauten f', s, h, bzw. Affrikaten pf, ts, kh wurden. Eine andere Gruppe der Laute, die dem Wandel unterlag, waren die germanischen Reibelaute ƀ/b, đ/d, ǥ/g, þ, die zu den althochdeutschen Verschlusslauten p, t, k, d wurden. Die folgende Tabelle enthält eine Übersicht über diese Änderungen, die zur Herausbildung des Althochdeutschen geführt haben. Zur größeren Klarheit wurden in der Tabelle auch die Änderungen der Ersten Lautverschiebung mit berücksichtigt. (Der Buchstabe G (Grimmsches Gesetz) bedeutet, dass bei der Ersten Lautverschiebung normale Regeln funktionierten; der Buchstabe V (Vernersches Gesetz) weist auf Ausnahmen hin, die auf das Vernersche Gesetz zurückzuführen sind. Diese Erklärung betrifft nur die Erste, nicht die Zweite Lautverschiebung.)

Erste Lautverschiebung
(Indoeuropäisch → Germanisch)
Phase Hochdeutsche Lautverschiebung
(Germanisch→Althochdeutsch)
Position im Wort Beispiele (Neuhochdeutsch) Jahrhundert Geografische Ausdehnung
G: /*b/→/*p/ 1 /*p/→/f/ 1. Im Inlaut zwischen Vokalen.
2. Im Auslaut nach Vokal.
1. niederdeutsch: slapen, englisch: sleep -> schlafen;
2. niederdeutsch und englisch: Schipp, ship -> Schiff.
4/5 Süd- und Mittel-Deutschland
2 /*p/→/pf/ 1. Im Anlaut.
2. Im Inlaut und Auslaut nach l, r, m, n.
3. In der Verdoppelung.
1. niederdeutsch: Peper, englisch: pepper -> Pfeffer;
niederdeutsch: Plauch, englisch: plough -> Pflug;
2. gotisch: hilpan, englisch: help -> althochdeutsch helpfan -> helfen; niederdeutsch: scherp, englisch: sharp -> althochdeutsch: scharpf -> scharf.
3. angelsächsisch: æppel, englisch: apple -> althochdeutsch: apful -> Apfel.
6/7 Oberdeutscher Sprachraum
G: /*d/→/*t/ 1 /*t/→/s/ 1. Im Inlaut zwischen Vokalen.
2. Im Auslaut nach Vokal.
1. niederdeutsch: eten; englisch: eat -> essen.
2. niederdeutsch: dat, wat; englisch: that, what -> das, was.
4/5 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum
2 /*t/→/ts/ 1. Im Anlaut.
2. Im Inlaut und Auslaut nach l, r, m, n.
3. In der Verdoppelung.
1. niederdeutsch: Tiet, englisch: tide (Flut), schwedisch: tid -> Zeit.
2. niederdeutsch: ver-tellen, englisch: tell -> er-zählen; angelsächsisch: swart -> althochdeutsch: swarz -> schwarz.
3. angelsächsisch: settian -> althochdeutsch: setzan -> setzen.
5/6 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum
G: /*g/→/*k/ 1 /*k/→/x/ 1. Im Inlaut zwischen Vokalen.
2. Im Auslaut nach Vokal.
1. niederdeutsch und englisch: maken, make -> machen;
2. niederdeutsch: ik, altenglisch: ic -> ich; niederdeutsch: auk -> auch.
4/5 Ober- und mitteldeutscher Sprachraum
2 /*k/→/kx/ 1. Im Anlaut.
2. Im Inlaut und Auslaut nach l, r, m, n.
3. In der Verdoppelung.
1. Kind -> bairisch: Kchind;
2. altsächsisch: werk -> althochdeutsch: werkch -> Werk.
3. altsächsisch: wekkian -> althochdeutsch: wekchan -> wecken.
7/8 südöstliches Österreich-Bayern und höchstalemannischer Sprachraum
G: /*bʰ/→/*b/
V: /*p/→/*b/
3 /*b/→/p/ Berg, bist -> bairisch: perg, pist. 8/9 Teilweise bairischer und alemannischer Sprachraum
G: /*d/→/*đ/→/*d/
V: /*t/→/*đ/→/*d/
3 /*dʰ/→/t/ niederdeutsch: Dag oder Dach, englisch: day -> Tag;
niederländisch: vader -> Vater.
8/9 Oberdeutscher Sprachraum
G: /*gʰ/→/*g/
V: /*k/→/*g/
3 /*g/→/k/ Gott -> bairisch: Kott. 8/9 Teilweise bairischer und alemannischer Sprachraum
G: /*t/→/þ/ [ð] 4 /þ/→/d/
/ð/→/d/
englisch: thorn, thistle, through, brother -> Dorn, Distel, durch, Bruder. 9/10 Ganz Deutschland und Niederlande
Die Benrather Linie teilt das Gebiet der niederdeutschen Dialekte (Gelb) von den Übergangsgebieten (Türkis) zum hochdeutschen Dialekt-Raum ab. Die Speyerer Linie teilt die Übergangsgebiete (Türkis) und den hochdeutschen Dialekt-Raum (Bronzefarben).

Die in der Tabelle dargestellten Prozesse begannen Ende des 5. Jahrhunderts im Alpengebiet und breiteten sich allmählich über drei bis vier Jahrhunderte nach Norden aus. Nur bei den Alemannen und Bayern verliefen sie ziemlich konsequent, die von Franken bewohnten Gebiete erfassten sie nur partiell, und im Norden deutscher Gebiete, den die Sachsen bewohnten, hinterließen sie nur geringfügige oder gar keine Spuren. Aus diesem Grunde spricht man von der so genannten Benrather Linie, die heute von Aachen über Düsseldorf, Elberfeld, Kassel, Aschersleben, Magdeburg bis nach Frankfurt an der Oder verläuft. Nördlich der Linie erfolgten die Prozesse der Zweiten Lautverschiebung nicht oder nur geringfügig; die Linie stellt somit die Grenze zwischen der hochdeutschen und der niederdeutschen Sprache dar.

Andere Änderungen im phonologischen und morphologischen System

Die Zweite Lautverschiebung war die wichtigste Erscheinung, die für die Trennung des Althochdeutschen vom Germanischen von Bedeutung war; in der 2. Hälfte des 1. Jahrtausends erfolgten aber auch andere interessante Prozesse im Sprachsystem.

Der wichtigste Wandel im Vokalismus war der Umlaut des germanischen a zu althochdeutschem geschlossenem e infolge der Wirkung eines i oder j der Folgesilbe. Als Beispiel kann man hier die Singular-Plural Opposition des Wortes gast angeben. Während im Germanischen die Formen noch gastgasti lauteten, änderten sie sich im Althochdeutschen zu gastgesti (diese Assimilation konnte allerdings durch bestimmte Konsonantenverbindungen, zum Beispiel ht oder hs, verhindert werden).

Im Althochdeutschen erschienen auch zum ersten Mal die Formen des bestimmten und unbestimmten Artikels, die im Indogermanischen noch völlig fehlten. Der bestimmte Artikel entwickelte sich aus den Demonstrativpronomina der, das, diu; der unbestimmte aus dem Zahlwort ein. Beide verdanken ihre Existenz der schwindenden Zahl der Kasus und sich vereinfachenden Endungen der Substantive. Die Bedeutung und Beziehungen eines Substantivs zu anderen Wörtern im Satz im Althochdeutschen konnten nicht mehr so einfach, wie es im Indogermanischen der Fall war, auf Grund der Endungen erkannt werden.

Aus ähnlichen Gründen begannen Personalpronomina häufiger im Satz benutzt zu werden. Früher waren sie im Germanischen (wie im Lateinischen) nicht notwendig, denn die Person war an der Personalendung erkennbar. Während die ersten Worte des christlichen Glaubensbekenntnisses in der Sankt Galler Fassung aus dem 8. Jahrhundert noch kilaubu in kot fater almahtîcun lauten, so lesen wir in der Version Notkers aus dem 10. Jahrhundert schon: ich keloubo an got, almahtigen fater.

Zu wichtigen Änderungen kam es auch im Tempussystem. Während es im Germanischen nur zwei Tempora – das Präteritum und das Präsens – gab, begannen sich im Althochdeutschen neue, analytische Zeitformen zu entwickeln, bei denen die Zeitverhältnisse mit einem Vollverb und einem Hilfsverb ausgedrückt werden. So finden wir in althochdeutschen Texten schon Beispiele des Perfekts (ich habên iz funtan, nu ist er queman), des Futurs (nû willu ih scribanich werde schreiben, vgl. I will im Englischen), des Plusquamperfekts und des Passivs (iz was ginoman).

In der Wortbildung tauchte ein neues Suffix-āri auf, das aus dem lateinischen -ārius entlehnt wurde und im Mittelhochdeutschen die Form -er annahm. Das Suffix war zuerst auf Wörter lateinischer Herkunft (zum Beispiel mulināri aus lat. molināriusMüller) beschränkt, später dehnte es sich auch auf einheimische Wörter aus.

Einfluss der lateinischen Sprache

Die Einflüsse der lateinischen und zum Teil griechischen Sprache, die noch in germanischen Sprachen sichtbar waren, verstärkten sich noch mit der Christianisierung deutscher Gebiete. Die neue Religion erforderte die Einführung neuer Begriffe, die den Germanen bisher fremd waren. Viele dieser neuen Wörter waren Lehnbildungen, bei denen es sich um Nachprägungen fremder Wörter mit den Mitteln der eigenen Sprache handelte (bei der Prägung neuer Wörter musste man den Bau und die Etymologie des fremden Wortes kennen). So entstand aus lat. com-mūnio die althochdeutsche gi-meini-da oder aus lat. ex-surgere das althochdeutsche ūf-stān (auferstehen).

Die meisten dieser Neubildungen waren jedoch Lehnbedeutungen, bei denen die Bedeutung eines Wortes aus der eigenen Sprache einem neuen Begriff angepasst wurde. Ein gutes Beispiel ist das althochdeutsche Wort suntea, das zuerst im weltlichen Sinne benutzt wurde und ein Verhalten, dessen man sich zu schämen hat, bedeutete. Durch die Christianisierung wurde diese alte Bedeutung durch eine neue (Sünde) verdrängt.

Schließlich wurden sehr viele Wörter direkt aus dem Latein in die deutsche Sprache übernommen, nicht nur aus dem Bereich der Religion, wie klōstar (Kloster, lat. claustrum), munich (Mönch, lat. monachus), sondern auch der Bildung: scrīban (schreiben, lat. scrībere), scuola (Schule, lat. scōla), des Gartenbaus: petersilia (mittelalterliches Latein: pētrosilium) oder der Heilkunst: arzat(er) (Arzt, lat. aus gr.: archiater).

Viele Ortsnamen, die auf -heim (Pappenheim, Bischofsheim) enden, sind wahrscheinlich auch eine Lehnübersetzung zu lat. villa.

Das Wort "deutsch"

In der Periode des Althochdeutschen erschien auch zum ersten Mal das Wort deutsch in seiner heutigen Bedeutung. Das Wort ist germanischer Herkunft; diot bedeutete im Althochdeutschen Volk und diutiscvolksmäßig, zum eigenen Volk gehörig. Das Wort wurde auch sehr früh in lateinische Quellen in der Form theodiscus übernommen und diente zur Unterscheidung romanischer und germanischer Einwohner des Frankenreiches. Ein interessantes Beispiel seiner Nutzung finden wir im Bericht von einer Reichsversammlung von 788, wo der Bayernherzog Tassilo zum Tode verurteilt wurde. Der Schreiber der Kanzlei erklärte, dies geschah wegen eines Verbrechens, quod theodisca lingua harisliz dicitur (das in der Volkssprache harisliz [Fahnenflucht] genannt wird). Zuerst wurde das Wort nur in Bezug auf die Sprache benutzt; bei Notker von Sankt Gallen finden wir zum Beispiel um 1000 in diutiscunauf Deutsch. Erst fast ein Jahrhundert später, im Annolied, das um 1090 im Kloster Siegburg entstand, lesen wir von diutischi liuti, diutschi man oder diutischemi lande.

Textproben

Aus der Periode des Althochdeutschen sind viel mehr Texte erhalten als aus urgermanischen Sprachen; ihr Spektrum reicht von vorchristlichen, germanischen Heldenliedern bis zu von christlicher Religion geprägten Werken. Weiter folgen nur einige Beispiele althochdeutscher Literatur:

Hildebrandslied

Hildebrandslied
Hildebrandslied (Fragment in althochdeutscher Sprache) Moderne Übersetzung
Ik gıhorta dat ſeggen
dat ſih urhettun ænon muotın •
hıltıbrant entı hadubrant untar herıun tuem •
ſunu fatarungo • ıro ſaro rıhtun •
garutun ſe ıro gudhamun • gurtun ſih • ıro • ſuert ana •
helıdoſ ubar rınga do ſie to dero hıltu rıtun •
hıltıbrant gımahalta herıbranteſ ſunu • her uuaſ heroro man
feraheſ frotoro • her fragen gıſtuont
fohem uuortum • ƿer ſin fater ƿarı
fıreo ın folche … •
Ich hörte das sagen,
dass sich Herausforderer einzeln abmühten:
Hildebrand und Hadubrand zwischen zwei Heeren.
Sohn und Vater bereiteten ihre Rüstung,
richteten ihre Kampfgewänder, gürteten sich ihre Schwerter um,
die Helden, über die Rüstung, als sie zu dem Kampf ritten.
Hildebrand sagte, Heribrands Sohn, er war der ältere Mann,
des Lebens erfahrener, er begann zu fragen,
mit wenigen Worten, wer sein Vater gewesen sei
unter den Menschen im Volke...

Merseburger Zaubersprüche

Merseburger Zaubersprüche
Merseburger Zaubersprüche (Fragment in althochdeutscher Sprache) Moderne Übersetzung
Eiris sazun idisi
sazun hera duoder.
suma hapt heptidun,
suma heri lezidun,
suma clubodun
umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun,
inuar uigandun.
Einst saßen Frauen,
setzten sich hierher [und] dorthin.
Einige banden Fesseln,
einige hielten das Heer auf,
einige lösten ringsumher
die (Todes)Fesseln:
Entspringe [dem] Fesselband,
entflieh den Feinden.

Petruslied

Petruslied (im unteren Teil des Manuskripts)
Petruslied (althochdeutsch) Moderne Übersetzung
Unsar trohtin hat farsalt, sancte petre giuualt,
daz er mac ginerian, ze imo dingenten man.
kyrie, eleyson! christe, eleyson!
Er hapet ouh mit uuortoun, himilriches portun.
dar in mach er skerian, den er uuili nerian.
kyrie, eleyson! christe, eleyson!
Pittemes den gotes trut, alla samant upar lut,
daz er uns firtanen, giuuerdo ginaden!
kyrie, eleyson! christe, eleyson!
Unser Herr hat übertragen St. Peter die Gewalt
dass er retten kann die ihm anvertrauten (gedingten) Menschen (Männer)
Kyrie eleyson Christe eleyson
Er hat auch die Verantwortung über die Pforte des Himmelreichs
dass er hinein lassen kann, den er will retten
Kyrie eleyson Christe eleyson
Bitten wir den Vertrauten Gottes, alle zusammen überlaut
dass er uns Verlorenen (Vertanen) gewähre Gnade
Kyrie eleyson Christe eleyson

Mittelhochdeutsch

Hauptartikel: Mittelhochdeutsch.

Die Anfänge der mittelhochdeutschen Sprache werden auf das Jahr 1050 datiert; diese Entwicklungsphase der deutschen Sprache dauerte bis zirka 1350 und entspricht in der Mediävistik ungefähr der Epoche des Hochmittelalters. Wie bei allen sprachlichen Erscheinungen sind diese zeitlichen Rahmen nur grob angegeben; die Prozesse, die zur Entstehung des Mittelhochdeutschen und dann seines Nachfolgers, des Frühneuhochdeutschen führten, verliefen in verschiedenen Regionen des deutschen Sprachgebiets unterschiedlich schnell; wie in den sonstigen Epochen war die deutsche Sprache auch räumlich weitgehend differenziert.

In der politischen Geschichte Deutschlands begann um 1050 die politische Zersplitterung des Staates; die Herrscher einzelner Territorien machten sich von dem Kaiser immer unabhängiger, was schließlich dazu führte, dass die Macht des Kaisers nur illusorisch war und das deutsche Kaiserreich zu einem Konglomerat praktisch unabhängiger Staatsgebilde wurde. Ein anderer Faktor, der zur Differenzierung der deutschen Sprache beitrug, war die Ostexpansion einzelner Herrscher und der deutschen Bevölkerung, die sich in westlichen Gebieten Polens (zum Beispiel in Schlesien und Böhmen) ansiedelte.

Geistig-kulturelles Leben

Illustration aus dem Parzival

Das geistig-kulturelle Leben im hochmittelalterlichen Deutschland war nicht auf ein Zentrum beschränkt, sondern konzentrierte sich an Höfen des Kaisers und einzelner Herrscher. Von besonderer Bedeutung war der süddeutsche (bayrische, österreichische und alemannische) Raum. Im Einflussbereich der Welfen in Bayern entstanden Dichtungen wie das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht oder die deutsche Übertragung des Rolandslieds des Pfaffen Konrad. Den Höhepunkt erreichte die deutsche Literatur des hohen Mittelalters an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert am Hof der staufischen Kaiser und der Babenberger in Wien. Meist nach französischem Vorbild entstanden hier Epen wie der Erec und der Iwein von Hartmann von Aue, der Parzival von Wolfram von Eschenbach oder der Tristan von Gottfried von Straßburg.

Das literarische Schaffen entwickelte sich auch im Norden Deutschlands – im niederrheinisch-maasländischen Gebiet und in Thüringen, wo Ministeriale schufen, die antike Stoffe verarbeiteten. Der bekannteste Dichter aus diesem Kreis ist Heinrich von Veldeke, Autor des Eneasromans; in diesem Umkreis entstanden auch das Liet von troye von Herbort von Fritzlar und die Übersetzung der Metamorphosen des Ovid von Albrecht von Halberstadt.

Diese Entwicklung der Literatur in verschiedenen Zentren im deutschen Sprachraum bewirkte auch, dass wir von keiner einheitlichen literarischen deutschen Sprache sprechen können. Es gab verschiedene Varianten der Literatursprache, die auf Territorialdialekten basierte; die wichtigsten waren die bairische Variante, die westmitteldeutsch-maasländische Variante und die bedeutsamste von ihnen – die so genannte mittelhochdeutsche Dichtersprache des alemannisch-ostfränkischen Raums, die im Einflussbereich staufischer Kaiser entstand. In dieser Sprache verfassten ihre Werke Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und der unbekannte Autor des Nibelungenlieds.

Änderungen im phonologischen System

Die Änderungen im phonologischen System des Mittelhochdeutschen gegenüber dem Althochdeutschen waren nicht so einschneidend, wie es im Fall des Althochdeutschen im Vergleich zum Urgermanischen war – die mittelhochdeutsche Sprache ist wesentlich näher dem modernen Deutschen, obwohl mittelhochdeutsche Texte unübersetzt nur mit Mühe verständlich sind. Trotzdem kam es im Mittelhochdeutschen zu einigen wichtigen Änderungen im konsonantischen und vokalischen System:

  • Die wichtigste Änderung im phonologischen System des Mittelhochdeutschen war die Abschwächung unbetonter Silben. Der Grund dieses Wandels war der starke dynamische Akzent, der schon im Germanischen und Althochdeutschen auf die Stammsilbe fiel. Dieser starke Akzent bewirkte schließlich, dass sich Vokale in unbetonten Endsilben zum Schwa-Vokal ([ə]), der e geschrieben wurde, entwickelten. So wurde aus dem althochdeutschen boto der mittelhochdeutsche bote, aus dem althochdeutschen hōran das mittelhochdeutsche hœren.
  • Eine andere wichtige Erscheinung im Vokalismus war der Umlaut, der zwar schon im Althochdeutschen begann aber erst jetzt zur vollen Entfaltung kam und jetzt auch lange Vokale und Diphthonge umfasste. So entwickelten sich ahd. sālida zu mhd. sælde, ahd. kunni zu mhd. künne, ahd. hōhiro zu mhd. hoeher, ahd. gruozjan zu mhd. grüezen.

Es kam auch zu wichtigen Änderungen im Konsonantismus:

  • Die Konsonanten b, d, g und h begannen zu verschwinden, wenn sie zwischen Vokalen standen. So entwickelte sich ahd. gitragidi zu mhd. getreide, ahd. magadi zu mhd. meit, ahd. habēn zu mhd. hān. In manchen Fällen setzten sich später allerdings die alten Formen wieder durch (vgl. Magd, haben).
  • Der althochdeutsche Konsonant z, der sich aus dem germanischen t entwickelte (vgl. ezzan – engl. eat) fiel mit dem alten, noch aus dem Germanischen stammenden, Konsonanten s zusammen – ezzan“ wurde zu essen.
  • Die althochdeutsche Lautverbindung sk wurde zu sch. So entstand zum Beispiel aus dem althochdeutschen Wort scōni die mittelhochdeutschen schōne und schœne (beide Wörter – schon und schön – haben im heutigen Deutschen dieselbe Herkunft).
  • Der Konsonant s wandelte sich zu sch, wenn er vor l, m, n, w, p, t stand. Diesem Wandel verdanken wir die mittelhochdeutschen (und heutigen) Formen wie schwimmen, schmerz, schlange, schnē, die aus den althochdeutschen swimmen, smerz, slange und snē entstanden. In der Rechtschreibung war diese Änderung allerdings nicht sofort sichtbar: zuerst wurde im Mittelhochdeutschen zum Beispiel swimmen geschrieben und schwimmen gesprochen. Bei den Buchstabenverbindungen st und sp ist der Unterschied zwischen der Aussprache und Schreibweise bis heute geblieben – vgl. die Aussprache der Wörter stehen, spielen.

Änderungen im morphologischen und syntaktischen System

Änderungen im morphologischen System der mittelhochdeutschen Sprache waren weitgehend vom phonologischen System abhängig. Von entscheidender Bedeutung war hier die Abschwächung der Vokale in unbetonten Endsilben zum Schwa-Vokal ([ə]). Dieser Wandel führte zu einschneidenden Änderungen in der Deklination der Substantive – es kam zu der formalen Übereinstimmung früher unterschiedlicher Kasusformen. Als Beispiel kann man hier die Deklination des mittelhochdeutschen Wortes bote (aus dem althochdeutschen boto) angeben:

Abbild von Hartmann von Aue im Codex Manesse
Kasus Althochdeutsch Mittelhochdeutsch
Nominativ Singular boto bote
Genitiv Singular botin boten
Dativ Singular botin boten
Akkusativ Singular botun boten
Nominativ Plural boton/botun boten
Genitiv Plural botōno boten
Dativ Plural botōm boten
Akkusativ Plural boton/botun boten

Durch diese Entwicklung erhielt der Artikel (der im Althochdeutschen schon existierte) große Bedeutung (zum Beispiel des Boten, dem Boten) – ohne ihn wäre die Identifizierung des Kasus unmöglich.

Die Abschwächung der vollen Vokale zum Schwa-Laut bewirkte auch Änderungen im System der Konjugation der schwachen Verben, die heute das Präteritum mit dem Suffix -te bilden (zum Beispiel ich machte, wir antworteten). Im Althochdeutschen bestanden noch drei Unterklassen dieser Verben mit den Suffixen -jan (zum Beispiel galaubjan), -ôn (salbôn) und -ên (sagên). Nach der Abschwächung lauteten die genannten Verben: glauben, salben, sagen; die alten drei Suffixe verschmolzen zu einem -en.

Bei den Verbformen kam es im Mittelhochdeutschen zur weiteren Differenzierung des Tempussystems. Analytische Tempora, wie das Perfekt, das Plusquamperfekt und das Futur (die schon im Althochdeutschen bestanden) wurden häufiger. So können wir zum Beispiel im Nibelungenlied lesen:

Swaz der Hiunen mâge / in dem sale was gewesen,
Der enwas nu keiner / dar inne mê genesen.[5]

Die Struktur der Sätze war noch nicht zu kompliziert, in der Syntax dominierte noch das Prinzip der Nebenordnung, was das nächste Fragment aus dem Nibelungenlied zeigt:

Dō stuonden in den venstern / diu minneclīchen kint.
Ir schif mit dem segele / daz ruorte ein hōher wint.
Die stolzen hergesellen / die sāzen ūf den Rīn.
Dō sprach der künec Gunther: / wer sol nu schifmeister sīn?[5]

Vereinzelt tauchen aber in mittelhochdeutschen Texten auch ausgebaute Strukturen (Satzgefüge mit Nebensätzen) auf, die es schon in der früheren Periode gab.

Änderungen im Wortschatz. Entlehnungen aus Fremdsprachen

Die deutsche Kultur des Hochmittelalters wurde stark durch die französische Kultur beeinflusst, was in der großen Zahl der Entlehnungen aus dem Französischen zur Erscheinung kam. Diese Entlehnungen kamen nach Deutschland oft über Flandern. Den französischen Entlehnungen im Mittelhochdeutschen verdanken wir zum Beispiel Turnier (mhd. turnei), Palast (mhd. palas), Kissen.

Aus dem Französischen stammen auch bestimmte Lehnprägungen, die nach dem Vorbild dieser Sprache geformt wurden. Dazu gehören zum Beispiel die Wörter hövesch (höfisch), das nach dem altfranzösischen courtois gebildet wurde, und ritter (aus dem altfranzösischen chevalier).

Französischer Abstammung sind auch bestimmte Suffixe, wie -ieren (studieren, marschieren), das aus dem Französischen -ier entstand, und -ei, das sich aus dem mittelhochdeutschen -īe entwickelte (zum Beispiel zouberīeZauberei, erzenīeArznei.

Kontakte der Deutschen mit ihren slawischen Nachbarn im Osten führten auch zur Übernahme bestimmter Wörter, obwohl die Zahl dieser Entlehnungen viel weniger als beim Französischen war. Aus dem Polnischen stammen zum Beispiel Grenze (mhd. grenize, poln. granica) und Jauche (mhd. jûche, poln. jucha).

Textproben

Der arme Heinrich von Hartmann von Aue

Prolog des Armen Heinrich
Der arme Heinrich (mittelhochdeutsch) Moderne Übersetzung
Ein ritter sô gelêret was,
daz er an den buochen las,
swaz er dar an geschriben vant:
der was Hartmann genannt,
dienstman was er zouwe.
Es war einmal ein Ritter, der so gebildet war,
dass er alles, was er in den Büchern geschrieben fand,
lesen konnte.
Er hieß Hartmann
und war Lehnsmann zu Aue.

Tristan von Gottfried von Straßburg (Lob Hartmanns von Aue)

Tristan (mittelhochdeutsch) Moderne Übersetzung
Hartman der Ouwære,
âhî, wie der diu mære
beide ûzen unde innen
mit worten und mit sinnen
durchverwet und durchzieret!
swer guote rede zu guote
und ouch ze rehte kan verstân
der mouz dem Ouwaere lân
sîn schapel und sîn lôrzwî,
Hartmann von Aue
ja, wie der seine Geschichten
'sowohl formal wie inhaltlich
mit Worten und Gedanken
völlig ausschmückt und verziert!
Wer gute Sprache gut
und auch richtig zu verstehen vermag,
der muss Hartmann
seinen Siegerkranz und Lorbeer lassen.

Nibelungenlied

Manuskript des Nibelungenlieds
Nibelungenlied (mittelhochdeutsch) Moderne Übersetzung
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.
Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,
daz in allen landen niht schœners mohte sîn,
Kriemhilt geheizen: si wart ein scœne wîp.
dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.
Uns wurde in alten Erzählungen viel Wundersames gesagt
von ruhmreichen Helden, von großem Leid,
von Freuden, Festen, von Weinen und von Klagen,
vom Kampf kühner Recken sollt ihr nun Wunder hören sagen.
Es wuchs in Burgund ein sehr feines Mädchen heran,
dass in allen Ländern kein schöneres sein konnte,
Kriemhild geheißen: Sie wurde eine schöne Frau.
Deswegen mussten viele Kämpfer ihr Leben verlieren.

Frühneuhochdeutsch

Hauptartikel: Frühneuhochdeutsch.

Nach populärer Auffassung ist Martin Luther der Schöpfer der modernen deutschen Sprache. Obwohl seine Verdienste für die deutsche Kultur unbestreitbar sind, stimmt die noch im 19. Jahrhundert von Sprachwissenschaftlern vertretene Meinung, Luthers Bibel-Übersetzung sei bahnbrechend für die Entwicklung des Deutschen gewesen, mit den Ergebnissen der modernen Forschung nicht überein. Die Entwicklung des heutigen Deutsch begann schon um 1350, als sich die frühneuhochdeutsche Sprache herauszubilden begann. Die frühneuhochdeutsche Periode in der Entwicklung der deutschen Sprache dauerte bis zirka 1650.

Politische und wirtschaftliche Voraussetzungen für die Entwicklung des Frühneuhochdeutschen

Seite aus einer Handschrift der Goldenen Bulle

Im Spätmittelalter wurden in der Innenpolitik des Deutschen Reiches die Tendenzen, die zur Dezentralisierung des Staates und Abschwächung der Kaisergewalt führten, fortgesetzt. Im Jahre 1356 wurde das Reichsgesetz, die Goldene Bulle Karls IV., erlassen, in der das politische System in Deutschland endgültig geregelt wurde – das Deutsche Reich wurde zu einem Wahlkönigtum, in dem der Kaiser von Kurfürsten gewählt wurde. Trotz der großen Zersplitterung des Reichs und der immer größeren Unabhängigkeit der Fürsten, weltlicher und geistlicher Herrscher einzelner Staaten im Reich, vertiefte sich das nationale Bewusstsein der Deutschen weiter – 1442 tauchte zum ersten Mal die Bezeichnung Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation auf.

Handel und Manufakturen erlebten im Spätmittelalter eine Blüte, besonders im Nordwesten des Reichs – in Flandern und Brabant, deren Städte Brügge, Gent und Antwerpen schon seit Mitte des 13. Jahrhunderts führende wirtschaftliche Zentren waren. Im 15. Jahrhundert büßten flandrische Städte an Bedeutung ein, und der Schwerpunkt des Handels ging auf den Norden über, wo die Hanse der wichtigste Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung und Ausstrahlung des Deutschtums war. Handelskontakte, die weit über die Grenzen lokaler Territorien hinausgingen, förderten die Entwicklung einer einheitlichen, genormten Sprache, die nicht an Dialekte gebunden war.

Karl IV. und seine Frau Blanca Margarete von Valois

Einer gemeinsamen Sprache bedurfte auch die Kaiserkanzlei zur Verfassung amtlicher Dokumente. Der Kaiserhof im spätmittelalterlichen Deutschland wechselte im Laufe der Zeit seinen Sitz, was auch auf die Entwicklung der deutschen Sprache Einfluss nahm. Karl IV. aus der Dynastie der Luxemburger residierte im 14. Jahrhundert in Prag, was zu einem starken Anteil bairischer und ostfränkischer Elemente in der an seinem Hofe gebrauchten Kanzleisprache führte. Als die Dynastie der Habsburger die Macht übernahm, wurde die kaiserliche Kanzlei im 15. Jahrhundert nach Wien verlegt, und in der Kanzleisprache gewannen ostoberdeutsche Elemente die Vorrangstellung. Im Osten Deutschlands (vor allem im heutigen Sachsen und Thüringen) gewannen dagegen seit dem 15. Jahrhundert die Wettiner an Bedeutung. Dies führte dazu, dass um 1500 in Deutschland zwei Varianten der Gemeinsprache miteinander konkurrierten: die ostmitteldeutsche Variante der meißnisch-sächsischen Kanzlei (Sächsische Kanzleisprache) und die oberdeutsche Variante der kaiserlichen Kanzlei (Maximilianische Kanzleisprache, die sich später zur Oberdeutschen Sprache entwickelte), die sich auf unterschiedliche Territorialdialekte stützten. Diese beiden Varianten, wie früher die Sprachen der flandrischen Handelszentren und der Hansestädte, wurden nicht nur im Herrschaftsbereich der Wettiner und Habsburger angewandt, sondern fanden auch in anderen Teilen des Reichs Anerkennung.

Entstehung der niederländischen Sprache

Hauptartikel: Niederländische Sprache.

Im Nordwesten des Reichs kam es dagegen Ende des 16. Jahrhunderts es zu der weiteren Emanzipation der Provinzen der heutigen Niederlande. Im Jahre 1588 schlossen sich sieben Provinzen dieses Raums zu der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen zusammen, die heute das Königreich der Niederlande bilden. Obwohl die Republik zuerst im Rahmen des Heiligen Römischen Reichs der Deutschen Nation blieb und sich erst auf Grund des Westfälischen Friedens im Jahre 1648 vom Reich trennte, vertiefte ihre Gründung die Emanzipationsprozesse der niederländischen Sprache. Im Mittelalter noch ein niederfränkischer Dialekt der deutschen Sprache, entfaltete sie sich Ende der frühneuhochdeutschen Periode zu einer selbstständigen Sprache.

Geistig-kulturelle Entwicklung im Spätmittelalter

Das Spätmittelalter war durch die Entwicklung der Wissenschaft und Bildung charakterisiert. Zu nennen ist hier vor allem die Gründung der ersten Universitäten auf deutschem Boden im 14. Jahrhundert. Die erste Hochschule in den Reichsgrenzen war die Universität Prag, gegründet von Kaiser Karl IV. im Jahre 1348; ihr folgten die Universität Wien (1365) und die Universität Heidelberg (1386). Obwohl der Unterricht an den Universitäten in lateinischer Sprache geführt wurde, trugen die Hochschulen zur Vertiefung des Interesses für allgemeines Wissen und somit die deutsche Sprache bei.

Kultur und Bildung wurde auch durch das sich schnell bereichernde und emanzipierende Bürgertum gefördert. Aus dem 15. Jahrhundert datiert die Tradition der Meistersinger, und um 1400 entstand Der Ackermann aus Böhmen von Johannes von Tepl, ein Werk, in dem frühhumanistische Konzepte zu finden sind, einhundert Jahre bevor sie in die deutsche Kultur allgemein übernommen wurden.

Sprachverteilung von Wiegendrucken: In der Frühzeit des Buchdrucks wurde die Bedeutung der deutschen Schriftsprache noch bei weitem von Latein übertroffen.[6]

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Kultur und des Schrifttums war die Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg um 1446. Diese Erfindung eröffnete ganz neue Perspektiven für die Sprachentwicklung – Bücher waren jetzt preiswerter und erreichten einen viel breiteren Bevölkerungskreis als früher. Die Mehrheit der in der frühneuhochdeutschen Zeit gedruckten Bücher war immer noch in lateinischer Sprache verfasst (die Zahl der deutschen Drucke übertraf die der lateinischen erstmals 1681), die Bedeutung der deutschen Sprache im Verlagswesen wuchs aber ständig, zumal die Auflagen deutscher Bücher gewöhnlich größer als die der lateinischen waren. Großer Beliebtheit erfreuten sich Volksbücher, wie Till Eulenspiegel (1515) und Historia von D. Johann Fausten (1587). Noch größere Auflagen hatte die Luthersche Bibelübersetzung, von der in den Jahren 1534 bis 1584 ungefähr 100.000 Exemplare gedruckt wurden[7]. Autoren, die mit ihren Büchern landesweit auf Leser zielten, konnten nicht in lokalen Dialekten schreiben, sondern mussten eine Standardsprache gebrauchen, die überall verständlich war. Anfangs gab es noch mehrere Varianten dieser Standardsprache, in denen in verschiedenen Gebieten des deutschen Sprachraums Bücher gedruckt wurden; im 16. Jahrhundert begannen sie sich anzugleichen.

Änderungen im phonologischen System

Das Spätmittelalter war die letzte Epoche, in der im phonologischen System der deutschen Sprache wichtige Änderungen erfolgten – gerade diese Änderungen ermöglichten die Herausbildung des Frühneuhochdeutschen aus der mittelhochdeutschen Sprache. Diese Änderungen sind in verschiedenen deutschen Dialekten in unterschiedlichem Maß durchgeführt worden. Insbesondere am südwestlichen Rand des deutschen Sprachraums gibt es alemannische Dialekte, wo keine dieser Änderungen Eingang gefunden haben. Die wichtigsten Änderungen waren:

  • Quantitative Änderungen in der Länge der Vokale, die um 1200 im Niederdeutschen einsetzten und sich allmählich nach Süden ausdehnten:
    • Kurze offene Vokale, die in betonter Position standen, wurden gedehnt. So wurden zum Beispiel die mittelhochdeutschen Wörter lěben, gěben, trăgen, bŏte, lĭgen zu frühneuhochdeutschen lēben, gēben, trāgen, bōte, lī(e)gen, welche Aussprache bis heute erhalten blieb.
    • Lange Vokale, denen mehrere Konsonanten folgten, wurden dagegen gekürzt. Aus den mittelhochdeutschen Wörtern dāhte, hērre, klāfter entstanden zum Beispiel die frühneuhochdeutschen Formen dăchte, hěrr, klăfter.
  • Qualitative Änderungen der Haupttonsilben, die die Diphthongierung und Monophthongierung betrafen:
    • Stammsilbenvokale ī, ū, iu wurden zu Diphthongen ei, au, eu. So entwickelten sich zum Beispiel aus den mittelhochdeutschen Wörtern wīse, mūs und triuwe die frühneuhochdeutschen Formen weise, maus und treue, und zum Beispiel Leute, die in ein neues Haus einzogen, sprachen jetzt nicht über mīn niuwez hūs sondern mein neues haus. Diese Änderung tauchte zuerst im 12. Jahrhundert im Ostalpengebiet auf und breitete sich nach Nordwesten aus. Der niederdeutsche und südwestliche alemannische Raum blieb allerdings davon unberührt; deshalb spricht man heute in der Schweiz nicht Schweizer Deutsch sondern Schwizer Dütsch.
    • Gleichzeitig mit der Diphthongierung verlief die Monophthongierung, ein umgekehrter Prozess, in dem sich die Diphthonge ie, uo, üe, die in betonten Positionen standen, zu den langen Monophthongen ī, ū, ü entwickelten. Im Ergebnis des Prozesses wurden die mittelhochdeutschen Wörter miete (im Mittelhochdeutschen wurde das Wort [ˈmiə̯tə] ausgesprochen), bruoder und güete zu frühneuhochdeutschen mī(e)te, brūder und güte; und jemand, der Geschwister hatte, konnte sie jetzt nicht liebe guote brüeder sondern lī(e)be gūte brüder nennen. Diese Neuerung breitete sich im mitteldeutschen Raum aus. Im oberdeutschen Raum werden die Diphthonge bis heute verwendet, während der niederdeutsche Raum diese Diphthonge überhaupt nie entwickelt hatte.
    • Einem Wandel unterlagen auch zwei mittelhochdeutsche Diphthonge: ei und ou, wobei zu bemerken ist, dass die erste Buchstabenverbindung im Mittelhochdeutschen nicht wie jetzt ([ai]) sondern [ei] (wie im englischen say) ausgesprochen wurde. Die Diphthonge ei [ei] und ou wurden im Frühneuhochdeutschen zu ei [ai] und au; zum Beispiel aus stein [stein] entstand die heutige Form stein, aus roubraub.

Änderungen im morphologischen und syntaktischen System

Änderungen im morphologischen System des Frühneuhochdeutschen waren nicht so einschneidend wie in der Phonologie oder Morphologie der früheren Epochen.

Änderungen kamen vor allem beim Numerus vor, bei dem verschiedene Mittel zur Kennzeichnung des Plurals in Gebrauch kamen. Eine größere Bedeutung gewann der Umlaut, der jetzt auch dort auftauchte, wo es, phonologisch gesehen, keine Berechtigung hatte. In der frühneuhochdeutschen Epoche entstanden Singular-Plural-Oppositionen wie hof/höfe, stab/stebe, nagel/negele, sohn/söhne. Häufiger wurde der Plural jetzt auch mit Hilfe des Lauts r gebildet, der früher nur ganz selten bei der Pluralbildung benutzt wurde. Während es im Mittelhochdeutschen noch die Formen diu buoch, diu wort (ohne jegliches Suffix) gab, begegnen wir in frühneuhochdeutschen Texten schon den Formen die bücher und die wörter.

Neue Suffixe waren auch für Ableitungen charakteristisch. In der frühneuhochdeutschen Periode erschienen zum ersten Mal die Suffixe -heit, -nis und -unge – die mit ihrer Hilfe gebildeten Wörter waren oft Verdeutschungen lateinischer abstrakter Begriffe, zum Beispiel hōhheit (lat. altitudo), wunderheit (lat. miraculum).

Als Präfixe wurden be-, ent-, er-, ver-, zer-, abe-, ane-, ūf-, umbe-, uz- und in- oft gebraucht. Neue Suffix- und Präfixbildungen kamen besonders in der mystischen Literatur dieser Zeit vor, die immer nach neuen Mitteln suchte, abstrakte Begriffe und Gefühle auszudrücken. So lesen wir zum Beispiel in einem mystischen Traktat aus dem Spätmittelalter:

Dîn güete ist ein ûzwallender brunne; wan so er ein tûsintist teil einer wîle sînen ûzfluz lieze, sô müeste ê himel under ertrîch zerstoeret werden.[8]

Der Gebrauch der Suffixe und Präfixe schwankte auch je nach Region des Schreibers oder Sprechers. Während zum Beispiel Luther in seinen Schriften die Präfixe ver-, zer- bevorzugte (die sich später durchsetzten), waren in der frühneuhochdeutschen Sprache, besonders in ihrer ostmitteldeutschen Variante, auch vor-, zu- (zubrochen) geläufig. Von den Suffixen wurde zum Beispiel, insbesondere in der oberdeutschen Variante der deutschen Sprache, das Abstraktsuffix -nus (erkenntnus) gebraucht, das erst später durch das ostmitteldeutsche nis verdrängt wurde.

Die syntaktische Struktur frühneuhochdeutscher Texte kennzeichnet sich durch größere Komplexität als in früheren Epochen; die Sätze wurden länger, mit einem größeren Anteil der Satzgefüge. Diese Tendenz wurde in den nächsten Jahrhunderten fortgesetzt und führte in der Schriftsprache, besonders im 17. Jahrhundert, schließlich dazu, dass literarische und offizielle Texte in ihrer Komplexität und barocken Ornamentik kaum überschaubar waren.

Im Frühneuhochdeutschen war auch schon die moderne Wortfolge der deutschen Sprache erkennbar – mit dem Verb in der Zweitstellung und der Reihenfolge anderer Satzglieder entsprechend ihrer Wichtigkeit im Satz – dem wichtigsten Satzglied am Ende.

Änderungen im Wortschatz

Bedeutungswandel

Wie in den anderen Entwicklungsstufen des Deutschen kam es im Frühneuhochdeutschen oft zum Bedeutungswandel, der geänderte gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelte. Hier sind nur drei Beispiele dieser Änderungen angegeben:

  • FrauJungfrauWeibMagd: In der mittelhochdeutschen höfischen Dichtung wurde das Wort vrouwe nur für adlige Herrinnen und Ehefrauen von Feudalherren benutzt (entsprechend bedeutete juncvrouwe junge Edeldamen). Normale Bezeichnungen für Frauen waren wīp und (in Bezug auf junge Mädchen) maget. Im Frühneuhochdeutschen war das Wort wīp schon, wie heute, als ein Schimpfwort empfunden, maget änderte seine Bedeutung und bedeutete nun „Dienstmagd“, vrouwe wurde zu der neutralen Bezeichnung, und im Wort juncvrouwe wurde die Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit zum wichtigsten Bedeutungsbestandteil.
  • Edel: Im Mittelhochdeutschen war das Wort neutral und bezeichnete lediglich adlige Herkunft bzw. Dinge aus der Lebenssphäre des Adligen. Jetzt wurde das Wort bei der Beschreibung geistiger und moralischer Qualitäten benutzt.
  • Eine ähnliche Bedeutungserweiterung erfuhr auch das Wort leie. Seit der Periode des Frühneuhochdeutschen bedeutet es nicht nur „Nicht-Geistlicher“ sondern auch jemand, der auf einem Gebiet keine Fachkenntnisse hat („Laien“ waren zum Beispiel gebildete Bürger, die ihre Ausbildung nicht einem Studium an einer Universität verdankten).

Einführung von Familiennamen

Im Spätmittelalter (im 13. und 14. Jahrhundert) wurden schließlich in Deutschland feste Familiennamen eingeführt. Immer größere Bevölkerungszahlen in Städten bewirkten, dass Rufnamen nicht mehr ausreichten, um die Einwohner zu identifizieren. Die Familiennamen stammten sehr oft von Berufen (Hofmeister, Schmidt, Müller) aber auch von Eigenschaften der Menschen (Klein, Lang, Fröhlich), ihrer Herkunft (Beier, Böhme, Schweizer) oder Wohnstätte (Angermann, Bachmann).

Entlehnungen aus Fremdsprachen

Rege Handelskontakte der deutschen Städte mit dem Ausland trugen in der frühneuhochdeutschen Periode, wie in früheren und späteren Epochen, zur Aufnahme vieler fremdsprachlicher Wörter bei. Im Spätmittelalter kam dem Italienischen besondere Bedeutung zu – auf dem Gebiet des Geld- und Handelsverkehrs war Italien anderen europäischen Staaten weit überlegen. Aus dem Italienischen stammen zum Beispiel Wörter wie Bank, Risiko, Golf, Kompass, Kapitän.

In der Zeit der Renaissance wurden italienische Einflüsse fortgesetzt, zum Beispiel im Bereich der Musik (Bratsche, Cembalo). Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchten aber auch im Deutschen immer mehr französische Wörter auf, was Ausdruck der Ausstrahlung der französischen Kultur und der absolutistischen Politik Frankreichs war, deren Vorbildern der deutsche Adel und die deutschen Fürsten zu folgen versuchten. Aus dem Französischen übernahm man Wörter aus den Bereichen des Hoflebens (Ball, Ballett, Promenade), der Küche (Kompott, Kotelett, Marmelade), der Mode (Frisur, Garderobe, Kostüm) oder des Militärwesens (Armee, Leutnant, Offizier).

Humanismus, Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Sprache

Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts begannen nach Deutschland in starkem Maße die Ideen der Renaissance und des Humanismus durchzudringen. Obwohl diese Strömungen gewöhnlich mit der Rückkehr zum klassischen Latein und der griechischen Sprache der Antike assoziiert werden, trugen sie auch zur Entwicklung der deutschen Sprache bei. Immer mehr Gelehrte verfassten ihre Werke in deutscher Sprache, zum Beispiel Paracelsus, Autor der Schrift Die große Wundarznei (1536). In deutscher Sprache wurden auch historische Werke, wie Germania oder Chronica des ganzen teutschen Landes (1538) von Sebastian Franck, und schließlich theologische Schriften, insbesondere nach Einbruch der Reformation im Jahre 1517, verfasst.

In das 16. Jahrhundert fallen auch Anfänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der deutschen Sprache, obwohl die die sprachwissenschaftlichen Themen erörternden Werke oft noch in lateinischer Sprache verfasst waren. Die Frucht humanistischer Interessen deutscher Gelehrter waren deutsch-lateinische Wörterbücher, wie Dictionarium latino-germanicum (1535 von Petrus Dasypodius, das erste nach wissenschaftlichen Prinzipien erarbeitete Wörterbuch der deutschen Sprache), oder das gleichnamige Wörterbuch von Johannes Frisius aus dem Jahre 1541.

Aus dem 16. Jahrhundert stammen auch erste theoretische Abhandlungen über die deutsche Sprache: Grammatiken (zum Beispiel Ein Teutsche Grammatica von Valentin Ickelsamer aus 1534) und Handbücher der Rechtschreibung (zum Beispiel Orthographia von Fabian Frangk aus dem Jahre 1531).

Sprachgesellschaften

Sitzung der Fruchtbringenden Gesellschaft

Nach dem Muster ausländischer Gesellschaften (zum Beispiel der italienischen Accademia della Crusca) entstanden in Deutschland auch Sprachgesellschaften, die sich die Pflege der nationalen Sprache und Literatur zum Ziel nahmen. Die erste und bekannteste von ihnen war die 1617 in Weimar gegründete Fruchtbringende Gesellschaft. Die Mitglieder dieser Gesellschaften sowie Dichter (wie Martin Opitz, Andreas Gryphius, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen) kämpften gegen fremde Einflüsse in der deutschen Sprache und setzten sich für die Verdeutschung von Fremdwörtern ein. Oft waren die von ihnen vorgeschlagenen Foren erfolgreich: aus dem 17. Jahrhundert stammen Durchmesser und Erblasser, die die älteren Begriffe Diameter und Testator ersetzten. Manchmal wurde das neue, deutsche Wort in das Allgemeingut übernommen, ohne dass das fremde Wort verdrängt wurde (zum Beispiel Bruchstück, Briefwechsel, Bücherei, die anstelle von Fragment, Korrespondenz bzw. Bibliothek vorgeschlagen wurden); manchmal schlugen aber auch die Vorschläge fehl, wie die Wörter Tageleuchter und Zitterweh, die die Wörter Fenster und Fieber (beide lateinischer Herkunft) ersetzen sollten.

Den Bemühungen der Sprachgesellschaften verdanken wir auch deutsche Entsprechungen grammatikalischer Begriffe, wie Fall (in der Bedeutung „Kasus“), Geschlechtswort („Artikel“), Hauptwort („Substantiv“) und Rechtschreibung („Orthographie“).

Rechtschreibung und Zeichensetzung

In die Zeit des Frühneuhochdeutschen fallen auch erste Versuche der Formulierung orthographischer Regeln.

Zu nennen ist hier vor allem die Frage der Großschreibung der Substantive. Die Annahme der Regel, dass alle Substantive groß geschrieben werden sollen, war ein langwieriger Prozess, der noch in der mittelhochdeutschen Periode eingesetzt hatte, über die ganze Periode des Frühneuhochdeutschen dauerte und erst in der nächsten Periode (im Neuhochdeutschen – Mitte des 18. Jahrhunderts) weitgehend abgeschlossen war[9]. Anfangs waren nur bestimmte Wörter, insbesondere aus der religiösen Sphäre, durch Setzung in Versalien (zum Beispiel GOtt) hervorgehoben. Der Prozess wurde im 16. und 17. Jahrhundert fortgesetzt; es gab aber hier keine klaren Regeln – Schreiber hoben durch Großschreibung diese Substantive hervor, die sie für wichtig hielten. Die folgende Tabelle zeigt Unterschiede in der Großschreibung in zwei Übersetzungen des Psalms 17[10]:

Psalm, Seite aus einem kirchlichen Liederbuch von 1563
Luthers Übersetzung (1523) Übersetzung von 1545
Er ist gleich wie eyn / lewe, der des raubs begerd
wie eyn iünger lewe / der ym verborgen sitzt.
Herr mach dich auff vnd / kom yhm zuor und
krume yhn / errette meyne seele von
den gottlosen / deyns schwerd
Gleich wie ein Lewe / der des Raubs begert
Wie ein junger Lewe / der in der hüle sitzt.
Herr mache dich auff / vberweldige jn, vnd
demütige jn / Errette meine Seele von
dem Gottlosen / mit deinem schwert

Der frühneuhochdeutschen Periode verdanken wir auch die Anwendung der ersten Satzzeichen, die im Mittelhochdeutschen grundsätzlich noch fehlten. Zuerst bediente man sich nur des Punktes am Ende der Sätze. Um die Atempausen beim Lesen zu betonen, begann man im 16. Jahrhundert auch die so genannten Virgeln (Schrägstriche) anzuwenden, wie in dem folgenden Zitat vom Sendbrief vom Dolmetschen Martin Luthers aus 1530 ersichtlich ist:

… den man mus nicht die buchstaben inn der lateinischē sprachen fragē / wie man sol Deutsch redē / wie diese esel thun / sondern / man mus die mutter jhm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen mā auff dem marckt drumb fragen / vn den selbigē auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es den / vn mercken / das man Deutsch mit jn redet.

Die Schrägstriche wurden durch die heutigen Kommas erst Ende des 17. Jahrhunderts, also schon in der nächsten (neuhochdeutschen) Periode, verdrängt. In die Zeit des 17. Jahrhunderts fallen auch erste Beispiele der Anwendung des Ausrufezeichens (!), des Fragezeichens (?) und des Semikolons (;).

Herausbildung der deutschen Gemeinsprache

Ende der frühneuhochdeutschen Periode begannen, nicht zuletzt dank der Arbeit und Bemühungen der Wissenschaftler, Dichter und Humanisten, die Unterschiede zwischen verschiedenen Literatursprachen, die in verschiedenen Regionen Deutschlands im Gebrauch waren, zu verschwinden. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts existierten in Deutschland zwei Varianten der Standardsprache – die im Einflussbereich der Wettiner im mittleren Osten und die im Einflussbereich der Habsburger im Südosten – die auch in anderen Teilen des Landes Anerkennung fanden. Ende des Jahrhunderts war schon die Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Sprache sichtbar, unter anderem dank der Reformation, die in dieser Region ihren Anfang nahm und sich dort besonders gut entfaltete. Die Literatursprache des Wettiner Raums gewann immer mehr an Bedeutung; sie eroberte allmählich sowohl den katholischen Süden, als auch den Norden Deutschlands, wo sie zur Sprache der Bildung und der Literatur wurde, im Gegensatz zu den niederdeutschen Mundarten, die von den dort lebenden Einwohnern vor allem im Alltagsleben benutzt wurden (und werden). Schließlich wurde die ostmitteldeutsche Sprache auch in der Literatursprache der Schweiz akzeptiert, obwohl das erst in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgte. Die obigen Entwicklungstendenzen waren natürlich viel komplizierter, als hier dargestellt. Trotz der Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Variante kann man nicht feststellen, dass sie Ende der frühneuhochdeutschen Periode schon völlig die Funktion der Gemeinsprache der Deutschen in dem heutigen Sinne des Wortes übernahm.

Die Bedeutung Martin Luthers für die Entwicklung der deutschen Sprache

Luther-Bibel, Ausgabe aus 1567

Nach populärer Auffassung gilt Martin Luther als der Schöpfer der neuzeitlichen deutschen Sprache. Diese Betrachtungsweise beruht zum Teil auf Ansichten von Sprachwissenschaftlern im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und auf ihrer Einschätzung der Rolle Luthers. So behauptete zum Beispiel Wolfgang Jungandreas im Jahre 1947, dass:

Luther überall die entscheidenden Schritte zum Neuhochdeutschen hin gemacht hat, dass wir ihn also mit vollem Recht als den Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache ansehen können.[11]

Martin Luther, Porträt von Lucas Cranach d. Ä

Die moderne Forschung schätzt die Rolle Luthers anders ein. Aus der obigen Darstellung ist sichtbar, dass die Entwicklung der frühneuhochdeutschen Sprache viel früher, also vor Luther (Mitte des 14. Jahrhunderts) begann; das moderne Neuhochdeutsch datiert dagegen erst seit um 1650, die heutige Entwicklungsstufe des Deutschen begann also ein Jahrhundert nach Luthers Tode.

Andererseits muss der enorme Beitrag Luthers für die deutsche Kultur anerkannt werden, in der seine Bibelübersetzung auch eine sehr große Rolle spielte. Luther popularisierte viele Sprichwörter und bildhafte feste Wendungen (obwohl sie von ihm selbst nicht erfunden waren). Aus Luthers Schriften verwenden wir bis heute Redewendungen wie Stein des Anstoßes, ein Dorn im Auge, sein Licht unter den Scheffel stellen.

Durch Luthers Schriften und seine Übersetzung setzten sich auch viele Wörter aus dem ostmitteldeutschen Raum durch, die ihre Entsprechungen aus anderen Territorialdialekten verdrängten. Wie er sagen auch wir Heuchler, Hügel, Scheune, Kahn – diese von Luther verwandten ostmitteldeutschen Formen ersetzten ihre oberdeutschen Entsprechungen Gleißner, Bühel, Scheuer und Nachen, die heute nur landschaftlich und in der Dichtersprache zur Anwendung kommen.

Bei Luther finden wir auch Beispiele der ersten Verwendung von Wörtern in neuen Bedeutungen, die später in die Standardsprache übergingen. Dazu gehören zum Beispiel anfahren (in der Bedeutung „in heftigem Ton zurechtweisen“), verfassen („schriftlich niederlegen“) oder fromm (das früher „tüchtig, rechtschaffen“ bedeutete und erst bei Luther in der Bedeutung „gläubig, religiös“ benutzt wurde).

Luthers Beitrag für die Entwicklung der deutschen Sprache ist also unbestreitbar, obwohl die Betrachtungsweise seiner Bibelübersetzung – als eine neue Epoche eröffnend – dem Stand der modernen Forschung nicht mehr standhalten kann.

Textproben

Die Zahl erhaltener frühneuhochdeutscher Texte ist sehr groß und übersteigt die aus früheren Perioden weit. Dies war unter anderem dank der Druckerfindung möglich, wodurch Bücher und Flugschriften in großen Auflagen verlegt wurden. Weiter folgen nur zwei Beispiele frühneuhochdeutscher Literatur[12].

Der Ackermann aus Böhmen von Johannes von Tepl (um 1400)

Der Ackermann aus Böhmen

Grimmiger tilger aller lande, schedlicher echter aller werlte, freissamer morder aller guten leute, ir Tot, euch sei verfluchet! got, ewer tirmer, hasse euch, vnselden merung wone euch bei, vngeluck hause gewaltiglich zu euch: zumale geschant seit immer! Angst, not vnd jamer verlassen euch nicht, wo ir wandert; leit, betrubnuß vnd kummer beleiten euch allenthalben; leidige anfechtung, schentliche zuversicht vnd schemliche verserung die betwingen euch groblich an aller stat; himel, erde, sunne, mone, gestirne, mer, wag, berg, gefilde, tal, awe, der helle abgrunt, auch alles, das leben vnd wesen hat, sei euch vnholt, vngunstig vnd fluchend ewiglichen! In bosheit versinket, in jamerigem ellende verswindet vnd in der vnwiderbringenden swersten achte gotes, aller leute vnd ieglicher schepfung alle zukunftige zeit beleibet! Vnuerschampter bosewicht, ewer bose gedechtnuß lebe vnd tauere hin on ende; grawe vnd forchte scheiden von euch nicht, wo ir wandert vnd wonet: Von mir vnd aller menniglich sei stetiglichen vber euch ernstlich zeter geschriren mit gewundenen henden!

Vorrede Martin Luthers zu seiner Übersetzung des Neuen Testaments (1522)

Lutherbibel

Es were wol recht vnd billich, das dis buch on alle vorrhede vnnd frembden namen außgieng, vnnd nur seyn selbs eygen namen vnd rede furete, Aber die weyl durch manche wilde deuttung vnd vorrhede, der Christen synn da hyn vertrieben ist, das man schier nit mehr weys, was Euangeli oder gesetz, new oder alt testament, heysse, fodert die noddurfft eyn antzeygen vnd vorrhede zu stellen, da mit der eynfelltige man, aus seynem allten wahn, auff die rechte ban gefuret vnd vnterrichtet werde, wes er ynn disem buch gewartten solle, auff das er nicht gepott vnnd gesetze suche, da er Euangeli vnd verheyssung Gottis suchen sollt.

Darumb ist auffs erste zu wissen, das abtzuthun ist der wahn, das vier Euangelia vnd nur vier Euangelisten sind, vnd gantz zuverwerffen, das etlich des newen testaments bucher teyllen, ynn legales, historiales, Prophetales, vnnd sapientiales, vermeynen damit (weyß nicht wie) das newe, dem alten testament zuuergleychen, Sondern festiglich zu halten, das gleych wie das allte testament ist eyn buch, darynnen Gottis gesetz vnd gepot, da neben die geschichte beyde dere die selben gehallten vnd nicht gehallten haben, geschrieben sind, Also ist das newe testament, eyn buch, darynnen das Euangelion vnd Gottis verheyssung, danebe auch geschichte beyde, dere die dran glewben vnd nit glewben, geschrieben sind, Also das man gewisß sey, das nur eyn Euangelion sey, gleych wie nur eyn buch des newen testaments, vnd nur eyn glawb, vnd nur eyn Gott, der do verheysset.

Denn Euangelion ist eyn kriechisch wortt, vnd heyst auff deutsch, gute botschafft, gute meher, gutte newzeytung, gutt geschrey, dauon man singet, saget vnd frolich ist, gleych als do Dauid den grossen Goliath vberwand, kam eyn gutt geschrey, vnd trostlich newtzeyttung vnter das Judisch volck, das yhrer grewlicher feynd erschlagen, vnd sie erloset, zu freud vnd frid gestellet weren, dauon sie sungen vnd sprungen vnnd frolich waren, Also ist dis Euangelion Gottis vnnd new testament, eyn gutte meher vnd geschrey ynn alle wellt erschollen durch die Apostell, von eynem rechten Dauid, der mit der sund, tod vnnd teuffel gestritten, vnd vberwunden hab, vnnd damit alle die, ßo ynn sunden gefangen, mit dem todt geplagt, vom teuffel vberweldiget gewesen, on yhr verdienst erloset, rechtfertig, lebendig vnd selig gemacht hat, vnd da mit zu frid gestellet, vnd Gott wider heym bracht, dauon sie singen, dancken Gott, loben vnd frolich sind ewiglich, ßo sie des anders fest glawben, vnd ym glawben bestendig bleyben.

Neuhochdeutsch

Hauptartikel: Neuhochdeutsch.

Die Entwicklung der modernen deutschen Sprache datiert seit um 1650, also seit Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Im phonologischen und morphologischen System erfolgten in dieser Zeit nur geringfügige Änderungen – die Sprache der 2. Hälfte des 17. und des 18. Jahrhunderts ist grundsätzlich dieselbe, die wir heute sprechen. Größeren Wandel erfuhr in dieser Periode von etwa 350 Jahren der Wortschatz der deutschen Sprache, und zwar durch kontinuierliche Änderungen im politischen und gesellschaftlichen Leben und durch den enormen Fortschritt der Wissenschaft und Technik. Neue Wörter wurden geprägt oder sie änderten ihre Bedeutung, Fremdsprachen übten auch Einfluss auf die deutsche Sprache aus.

Die deutsche Sprache von 1650 bis Ende des 18. Jahrhunderts

Herausbildung der einheitlichen Literatursprache

In der neuhochdeutschen Periode kam es endlich zur Entstehung der einheitlichen deutschen Literatursprache mit überlandschaftlichem Charakter, und das trotz der großen politischen und konfessionellen Zersplitterung deutscher Gebiete nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Zum großen Teil basierte diese Gemeinsprache auf der ostmitteldeutschen Variante des Deutschen, für die noch im 17. Jahrhundert zum Beispiel Martin Opitz und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und im 18. Jahrhundert Johann Christoph Gottsched plädierten. Diese Vorrangstellung der ostmitteldeutschen Variante bedeutete natürlich nicht, dass andere Varianten, zum Beispiel die oberdeutsche Variante, für die sich zum Beispiel süddeutsche Gelehrte aussprachen, völlig verdrängt wurden. In Wirklichkeit war die Literatursprache ein Konglomerat verschiedener Dialekte und Varianten der deutschen Sprache.

Im 18. Jahrhundert entwickelten sich auch verschiedene Umgangssprachen, die sich aus Territorialdialekten herausbildeten, in einem größeren Gebiet gesprochen wurden und eine Zwischenstellung zwischen der Literatursprache und den Dialekten einnahmen. Sie gewannen erst später, im 19. und 20. Jahrhundert, an Bedeutung, als große Menschenmassen auf der Suche nach Arbeit in andere Regionen auszuwandern begannen.

Änderungen im phonologischen und morphologischen System

Im Bereich der Phonologie erfolgten im Neuhochdeutschen keine wesentlichen Änderungen mehr, obwohl es natürlich immer noch Unterschiede in der Aussprache in einzelnen Regionen gab – eine standardisierte, landesweit bindende Aussprache gab es noch nicht.

In der Morphologie wurden Tendenzen fortgesetzt, die auf die klare Unterscheidung der Singular- und Pluralformen zielten. Zu diesem Zweck wurde häufiger der Umlaut (zum Beispiel HahnHähne, BogenBögen) und das -r Suffix (zum Beispiel Männer, Geister, Würmer, die die mittelhochdeutschen Formen manne, geiste, würme verdrängten) benutzt.

In der Flexion entstand ein ganz neues Deklinationsmuster, in dem die so genannte starke Deklination (mit -s im Genitiv) mit der schwachen (mit -n) zusammenfiel. Im Singular werden Wörter dieser Klasse (zum Beispiel Auge, Bett, Ohr) stark und im Plural schwach dekliniert:

Auge der Vorsehung am Aachener Dom, 18. Jh.
Singular Plural
das Auge
des Auges
dem Auge
das Auge
die Augen
der Augen
den Augen
die Augen

Im Präteritum der starken Verben kam es zur endgültigen Angleichung der Singular- und Pluralformen. Während sie im Mittelhochdeutschen oft noch unterschiedlich (ich sangwir sungen, ich fandwir funden) waren, setzte im Frühneuhochdeutschen der Prozess ihrer Anpassung ein, der jetzt im Neuhochdeutschen zum Schluss kam – sowohl die Singular-, als auch die Pluralform haben jetzt den gleichen Vokal im Verbstamm (ich sangwir sangen).

Zu einer Angleichung kam es auch beim Perfektpartizip, das unter anderem zur Bildung des Perfekts dient. Noch im 16. Jahrhundert bildeten manche Verben (werden, kommen, finden, bringen) das Perfektpartizip ohne das Präfix ge- (vgl. darum bin ich kommen und taufe im Wasser[13]); im Neuhochdeutschen werden schon geworden, gekommen, gefunden, gebracht angewandt. Als Relikt der frühneuhochdeutschen Periode ist bis heute nur worden in passivischen Sätzen im Perfekt (wie im Satz er ist nach Berlin versetzt worden) erhalten geblieben.

Änderungen im Wortschatz

Christian Freiherr von Wolff

Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Aufklärung, war das Zeitalter der Anfänge der modernen Wissenschaft, was auch auf den Wortschatz der deutschen Sprache Einfluss hatte. Neue Wörter wurden geprägt (zum Beispiel Sauerstoff, nach Vorbild des französischen oxygène gebildet); die Präzision des Ausdrucks wurde wichtig, was zu Versuchen der klaren Abgrenzung des Bedeutungsumfangs der Wörter führte. Die Sprache der Wissenschaft beeinflusste aber auch die Gemeinsprache, die viele Wörter aus dem Fachwortschatz einzelner Wissenschaftsgebiete übernahm. Aus dem Wortschatz der Philosophie wurden Wörter wie Bedeutung, Bewusstsein, Verhältnis, Verständnis übernommen, aus dem Bereich der Mathematik Abstand, Schwerpunkt, Spielraum (viele dieser philosophischen und mathematischen Begriffe stammen vom Universitätsgelehrten, Philosophen und dem Mathematiker Christian Wolff).

Joachim Heinrich Campe

Wie in früheren und späteren Perioden wurde die deutsche Sprache durch Fremdsprachen, besonders Französisch, beeinflusst. Aus der französischen Sprache übernahm man Wörter, die sich auf die Mode bezogen, aber auch Verwandtschaftsbezeichnungen: Onkel, Tante, Cousin, Cousine sind alle französischer Herkunft.

Viele Dichter und Wissenschaftler versuchten, gegen diese fremden Einflüsse zu kämpfen. Zu nennen ist hier vor allem Joachim Heinrich Campe, der bekannteste Sprachpurist dieser Zeit, der in seinem schon im nächsten Jahrhundert (1801–1804) erschienenen Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke nach der Verdeutschung dieser Fremdwörter rief. Von Campe stammen zum Beispiel Erdgeschoss (das er für Parterre vorschlug), Hochschule (Universität) oder Stelldichein (Rendezvous).

Auch Dichter dieser Zeit trugen zur Bereicherung der deutschen Sprache durch Neuprägungen bei, durch welche sie Fremdwörter zu ersetzen versuchten. Von Johann Christoph Gottsched stammen angemessen (für adäquat), Begeisterung (Enthusiasmus), von Friedrich Gottlieb KlopstockEinklang (Harmonie), von Johann Wolfgang von Goethebeschränkt (für borniert) und hochfahrend (arrogant) und von Friedrich SchillerGaukelbild (für Phantom).

Theoretische Beschäftigung mit der deutschen Sprache

Deckblatt von Adelungs Grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart

Im 17. und 18. Jahrhundert vertiefte sich das wissenschaftliche Interesse für die deutsche Sprache. Wörterbücher wurden verlegt, darunter Großes Teutsch-Italienisches Dictonarium, oder Wort- und Red-Arten-Schatz der unvergleichlichen Hoch-teutschen Grund- und Hauptsprache von Matthias Kramer (1700)), Teutsch-Lateinisches Wörterbuch von Johann Leonhard Frisch (1741) und vor allem der fünfbändige Versuch eines vollständig grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen von Johann Christoph Adelung (1774–1786), mit dem der Verfasser ein normatives Werk für alle Deutsch Sprechenden und Schreibenden zu schaffen versuchte.

Der letzte Autor verfasste auch Werke aus dem Bereich der Grammatik, wie Deutsche Sprachlehre (1781) oder Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache (1782). Früher (1748) erschien die Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts von Johann Christoph Gottsched, der sich auch für die Einfachheit, Klarheit und Sachlichkeit im Geiste der Aufklärung einsetzte.

Die deutsche Sprache im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Industriellen Revolution in deutschen Ländern und deren politischen Aufstiegen, die in der Vereinigung Deutschlands 1871 gipfelten. Vor allem der Fortschritt der Wissenschaft und Technik beeinflusste die Entwicklung der deutschen Sprache durch Neubildung von Wörtern und neue Bedeutungen der Wörter; neue gesellschaftliche Prozesse kamen in der Sprache auch zum Ausdruck.

Entstehung der modernen Sprachwissenschaft

Der allgemeine wissenschaftliche Fortschritt erfasste Anfang des 19. Jahrhunderts auch die Sprachwissenschaft. Seit dieser Zeit datiert die Linguistik in dem heutigen Sinne des Wortes, deren Vertreter sich nicht auf Erarbeitung bestimmter Normen, Sprachpflege oder Bekämpfung von Fremdwörtern (wie im 17. und 18. Jahrhundert), sondern auf die Untersuchung der Geschichte und Gegenwart des bestehenden Sprachsystems konzentrieren.

Die Brüder Wilhelm (links) und Jacob Grimm

Die führenden Sprachwissenschaftler dieser Zeit waren die Brüder Grimm, Autoren des Deutschen Wörterbuchs, dessen erster Band 1854 erschien (das Wörterbuch wurde erst 1960 vollendet), und vieler anderer Werke auf dem Gebiet der Germanistik, zum Beispiel der historisch-vergleichenden Deutschen Grammatik von Jacob Grimm aus 1819.

Den Brüdern Grimm, die als Begründer der modernen Germanistik gelten, folgten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die so genannten Junggrammatiker, die sich auch vor allem für die historische Entwicklung der deutschen Sprache und Indogermanistik interessierten. Zu den Vertretern dieser Richtung gehörten Wilhelm Scherer, Autor des Werks Zur Geschichte der deutschen Sprache (1868) und Hermann Paul, Autor der Prinzipien der Sprachgeschichte. Ihre Forschungen und Vergleichsversuche indogermanischer Sprachen brachten sie zu der Formulierung der These von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Der Versuch der Bestätigung dieser These führte zum Beginn der Arbeiten am Sprachatlas des Deutschen Reiches von Georg Wenker im Jahre 1876, die bis heute fortgesetzt werden (der Versuch widerlegte übrigens auch diese Hypothese und zeigte, dass sprachliche Prozesse viel komplizierter sind, als sich dies die Junggrammatiker vorstellten).

Änderungen im Wortschatz

Im 19. Jahrhundert führte der wissenschaftliche und technische Fortschritt zur schnellen Entwicklung des Fachwortschatzes. Aus der Notwendigkeit, neue Erfindungen und Entdeckungen zu benennen, entstanden neue Wörter wie elektrisch, Elektrizität (lateinischer Herkunft) und vieler neuer Komposita wie Waschmaschine, Nähmaschine, Gasanstalt, Eisenbahn. Neuer Wörter bedurften auch neue Erscheinungen aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben, wie Reichsgesetz, Streik. Viele der neuen Wörter waren fremder, meist englischer oder französischer Herkunft (Lokomotive, Telegramm, Perron, Coupé, Conducteur, Billet), was aus dem wirtschaftlichen Übergewicht dieser Länder Anfang des 19. Jahrhunderts resultierte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie, unter anderem wegen der nationalistischen Stimmungen im damaligen Deutschland, zum Teil durch deutsche Wörter (Bahnsteig, Abteil, Schaffner, Fahrkarte) verdrängt.

Normierung der deutschen Rechtschreibung und Aussprache

Konrad Duden

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die deutsche Rechtschreibung nicht normiert in dem Sinne, dass es keine amtlichen, für alle verbindlichen orthographischen Regeln gab. Die Situation auf diesem Gebiet sah ähnlich aus wie im heutigen Englischen, wo es keine übergeordnete Behörde gibt, die über die Fragen der orthographischen Richtigkeit entscheidet, und wo verschiedene Schreibweisen eines Wortes (zum Beispiel realiserealize) zulässig sind. So kamen zum Beispiel außer den Formen Hilfe, Silbe auch Hülfe, Sylbe vor, beim Suffix -ieren waren auch die Formen ohne e (studierenstudiren) zulässig, auch bei Fremdwörtern konnte man verschiedenen Schreibweisen (MedizinMedicin, KanalCanal) begegnen.

Erst 1880 versuchte Konrad Duden die Fragen der deutschen Rechtschreibung zu regeln, als er in diesem Jahr sein Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache herausgab. Die Vorschläge Dudens wurden weitgehend auf der Orthographischen Konferenz im Jahre 1901 angenommen, auf der erstmals in der Geschichte der deutschen Sprache die deutsche Rechtschreibung amtlich festgelegt wurde. Die Regeln, die damals angenommen wurden, galten bis zur Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996.

Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte auch die Normierung der deutschen Aussprache. Zum Standardwerk wurde hier Die Deutsche Bühnenaussprache (1898) von Theodor Siebs.

Die deutsche Sprache im 20. und frühen 21. Jahrhundert

Die Verbreitung der deutschen Sprache bis 1945

In der Entwicklung der deutschen Sprache im 20. Jahrhundert wurden viele Tendenzen fortgesetzt, die noch im vorigen Jahrhundert begonnen hatten; hinzu kamen die Einflüsse von zwei totalitären Ideologien (Nationalsozialismus und Kommunismus), unter deren Zeichen das 20. Jahrhundert stand. Wie im 19. Jahrhundert, betrafen die Änderungen vor allem den Wortschatzbereich und Ende des Millenniums, wie vor einhundert Jahren, kam es auch zu einem neuen Streit über die Frage der Reform der deutschen Rechtschreibung.

Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft

Ferdinand de Saussure

Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, in dem Sprachwissenschaftler die Sprache in ihren historischen (diachronischen) Aspekten untersuchten, verschob sich das Interesse der Linguistik im 20. Jahrhundert auf die Erforschung der Gegenwart (Synchronie) der Sprache. Zu der dominierenden Richtung in der Sprachwissenschaft wurde der Strukturalismus, der von dem schweizerischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure und seinen nach seinem Tode herausgegebenen Vorlesungsschriften Cours de linguistique générale (1916) begründet wurde. De Saussure lehnte historische Forschungen der Sprache ab; er und andere Strukturalisten sahen die Beschreibung des Sprachsystems in seinen aktuellen Zusammenhängen als einzige Aufgabe der Linguistik; de Saussure war auch der erste, der zwischen der Sprache als System von Zeichen (langue) und dem Sprechakt (parole) unterschied. Auf Grund der Ansichten de Saussures entwickelten sich später verschiedene Richtungen im Strukturalismus, der sich zu einem Konglomerat verschiedener, oft weit voneinander entfernter Strömungen in der Sprachwissenschaft und anderen Wissenschaftszweigen entwickelt hat.

Die deutsche Sprache im Nationalsozialismus

Antisemitische Propaganda im Nazi-Deutschland

Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers wurde die deutsche Sprache, wie andere Lebenssphären des Deutschen Reichs, in den Dienst der NS-Propaganda gestellt. Von 1933 bis 1945 wurde in Deutschland mit der Sprache Missbrauch in einem bisher nicht gekannten Umfang getrieben. Die von der Propaganda genutzten Wörter widerspiegelten die nationalistische und rassistische Ideologie des Dritten Reichs: in Gebrauch kamen zum Beispiel Begriffe wie Rassenbewusstsein, Rassenschande, Arier, Halbjude. Nur wenige dieser Wörter wurden jedoch von den Nationalsozialisten selbst geprägt; die meisten wurden aus der Sprache der nationalistischen Ideologie vom Anfang des 20. oder noch Ende des 19. Jahrhunderts übernommen. Das Dritte Reich hat die wenigsten Worte seiner Sprache selbstschöpferisch geprägt.[14], behauptete Victor Klemperer in seiner Abhandlung über die Sprache des Dritten Reichs (LTI – Notizbuch eines Philologen)

Besonders nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 wurden in der deutschen Sprache auch immer mehr militärische Ausdrücke, auch in Bezug auf das zivile Leben, gebraucht. Dazu gehören zum Beispiel Komposita mit Schlacht (Arbeitsschlacht) oder Wörter wie kämpferisch, Einsatz, marschieren.

Die von den Nazis benutzten Wörter waren oft Euphemismen oder Verhüllungen. Das bekannteste Beispiel ist die Endlösung der Judenfrage für die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und den besetzten Gebieten Europas. Andere Beispiele sind die Heimkehr der Ostmark ins Reich für die Annexion Österreichs (die Nutzung des Namens Österreich war in Deutschland verboten), oder die Rückgliederung des Sudetengaus für die Annexion der tschechoslowakischen Gebiete nach dem Münchner Abkommen im Jahre 1938.

Die deutsche Sprache in der DDR

Der Umschlag des Buches Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik (1965)

Eine besondere Entwicklung erfuhr auch die deutsche Sprache während des Bestehens der DDR, wofür die Keime bereits in der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1949 gelegt worden sind. Die alles übergreifende sogenannte Vergesellschaftung im Staat, in dem die SED das Machtmonopol beanspruchte (gemäß Verfassung war ihre führende Rolle festgeschrieben), erzwang die Bildung neuer Wörter und Wortverbindungen, die die neue Wirklichkeit widerspiegelten, wie Plansoll, Neuererbewegung, Arbeitsbrigade. Mit den sich ebenfalls in der DDR immer verändernden Verhältnissen verschwanden solche Wörter auch manchmal nach einigen Jahren des Gebrauchs, zum Beispiel Neubauer, Aufbauhelfer oder Arbeiter-und-Bauern-Fakultät.

Viele der Neuprägungen waren Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen aus dem Russischen, wie Kulturhaus, Wandzeitung, Pädagogischer Rat (in der Bedeutung „Gesamtheit der Lehrkräfte einer Schule“), Brigade („Arbeitsgruppe in einem Produktionsbetrieb“) oder Lager (das sozialistische Lager).

Wie im Nazi-Deutschland war die deutsche Sprache in der DDR in besonderem Maße zu Propagandazwecken benutzt worden; dabei gebrauchte man ähnliche Methoden zur Verhüllung der wahren Zustände im politischen und gesellschaftlichen Leben. So wurden zum Beispiel der Aufstand des 17. Juni 1953 als gescheiterter konterrevolutionärer Putschversuch und der Bau der Berliner Mauer als Sicherung der Staatsgrenze bezeichnet, wobei in offiziellen Texten (bzw. Reden) die Mauer selbst nie als solche benannt wurde. Dagegen war sie in der DDR-Propaganda meist nur der antifaschistische Schutzwall.

Bezeichnungen für die beiden deutschen Staaten 1949–1989

Einen interessanten Einblick in die propagandistische Funktion der Sprache (sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR) geben die Bezeichnungen für die beiden deutschen Staaten, die besonders in den Medien und im öffentlichen Leben im Gebrauch waren. Der offizielle Name der DDR war in vielen Milieus in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit ignoriert. Stattdessen sprach und schrieb man von der Sowjetischen Besatzungszone, Ostzone oder sogar Mitteldeutschland (was den deutschen Charakter der nach 1945 zugunsten Polens und der Sowjetunion abgetretenen Gebiete östlich der Oder und Neiße implizierte). Noch Ende der 1980er Jahre wurde die DDR in der Zeitung »Die Welt« in Anführungszeichen („DDR“) geschrieben.

Ähnliche Versuche der Diskreditierung des anderen deutschen Staates gab es in der DDR. Deutschland war ein historischer Begriff, und seine Nutzung in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland (wie es im westlichen Teil Deutschlands üblich war) war ausgeschlossen. Die Bezeichnung Bundesrepublik alleine kam in DDR-Medien ganz selten vor; man bevorzugte die Abkürzung BRD, weshalb diese in der Bundesrepublik Deutschland selbst vermieden wurde.

Änderungen im phonologischen und morphologischen und syntaktischen System

Trotz der Festlegung der Ausspracheregeln von Theodor Siebs noch Ende des 19. Jahrhunderts werden immer neue Tendenzen in der deutschen Aussprache sichtbar. Ein Beispiel ist das Verdrängen des Zungenspitzen-r durch das Zäpfchen-r und das Reibe-r, das schon lange her von Sprachwissenschaftlern akzeptiert wurde. Nicht akzeptiert bleibt dagegen noch immer die Aussprache des Buchstaben ä, das von den meisten Deutschen wie das lange, geschlossene e im Wort sehen ausgesprochen wird (dabei gibt es zum Beispiel keinen Unterschied zwischen der Aussprache der Wörter Ähre und Ehre), obwohl die Regel, dass ä offen ausgesprochen werden soll, praktisch nicht mehr befolgt wird.

Im Bereich der Morphologie ist die häufigere Nutzung des Suffix -s, besonders in Abkürzungen (PKWs, LKWs) zu beobachten, was wahrscheinlich zum Teil durch die englische Sprache beeinflusst wird.

Kurzformen der Wörter erfreuen sich ebenfalls immer größerer Beliebtheit, was auch auf den Einfluss des Englischen und der Umgangssprache zurückzuführen ist. Dazu gehören Formen wie Uni (anstatt Universität), Akku (Akkumulator), Labor (Laboratorium), die im täglichen Sprachgebrauch (besonders im gesprochenen Deutsch) die längeren Formen praktisch schon völlig verdrängt haben.

Eine andere Erscheinung ist die Umschreibung der Konjunktivformen durch das Wort würde mit Infinitiv. Der Grund dieser Tendenz ist oft der Wille der Unterscheidung zwischen Konjunktiv und Indikativ. Im Paar ich läse und ich lese können zum Beispiel beide Sätze leicht verwechselt werden; bei schwachen Verben gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen den Formen des Konjunktivs und des Indikativs (vgl. den Satz im Konjunktiv: er hoffte, dass sie diese Gelegenheit nutzte). Die Formen mit würde können jetzt auch in Nebensätzen stehen (wenn du kommen würdest…), was noch in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts als inkorrekt empfunden wurde.

Im Bereich der Syntax ist die immer häufigere Benutzung der Funktionsverbgefüge (der so genannten Streckformen) zu beobachten. Statt erklären wird zum Beispiel eine Erklärung abgeben, statt anzeigenzur Anzeige bringen (er brachte den Diebstahl zur Anzeige) gebraucht. Der Grund für die Beliebtheit solcher Konstruktionen sind kommunikative Vorteile, die sie anbieten: die Endstellung des Substantivs betont die Handlung selbst (die normal mit dem Verb ausgedrückt wird) und nicht das Objekt und kann somit besser auf die Bedeutung des Satzes hinweisen (vgl. der Ministerpräsident erklärt heute seinen Rücktritt und der Ministerpräsident gibt heute zu seinem Rücktritt eine Erklärung ab).

Änderungen im Wortschatz

Wie im 19. Jahrhundert, sorgen der rasche Fortschritt der Wissenschaft und Technik und Änderungen im gesellschaftlichen Leben für die Bereicherung der deutschen Sprache um viele Fachausdrücke und Wörter für neue Erfindungen, Erscheinungen und Prozesse, wie Radio, Stereoanlage, Raumschiff, Minirock, fernsehen. Viele dieser neuen Wörter sind englischer oder amerikanischer Herkunft, zum Beispiel Computer, Job, Team, Comeback, Petticoat, Bikini.

Durch die immer größere Zahl der Wörter und Wortverbindungen ist die stilistische Differenzierung möglich: der gleiche Gedanke kann mit verschiedenen Wörtern auf verschiedenen Stilebenen (gehoben, umgangssprachlich, amtlich usw.) ausgedrückt werden (vgl. seinen Geist aushauchen, entschlafen versus abkratzen; bzw. Automobil, Personenkraftwagen, Auto versus Kiste, Karre). Andererseits wird die Gemeinsprache (im Sinne der Standardsprache) auch mit Wörtern aus verschiedenen Jargons und Gruppensprachen (Soziolekten), wie der Jugendsprache, durchdrungen, zum Beispiel toll (in der Bedeutung „großartig“), total („völlig“) oder spinnen („Unsinniges sagen“). Besonders in Medien, die das Interesse des Lesers, Zuschauers oder Zuhörers wecken wollen, werden Wörter aus verschiedenen Stilebenen gebraucht.

Reform der deutschen Rechtschreibung

Der Duden

Die formale Kodifizierung der Regeln der deutschen Rechtschreibung auf der Orthographischen Konferenz 1901 setzte den Diskussionen über die mögliche Vereinfachung und Vereinheitlichung der deutschen Orthographie kein Ende. Auf einer der nächsten Orthographiekonferenzen im Jahre 1954 formulierte man die so genannten Stuttgarter Empfehlungen, in denen unter anderem die Kleinschreibung aller Substantive mit Ausnahme der Eigennamen (wie in anderen europäischen Sprachen) postuliert wurde. Wegen des Widerstands der Schriftsteller, Journalisten und anderer Kreise wurden diese Empfehlungen abgelehnt.

Seit 1954 wurde das Duden-Wörterbuch separat in der Bundesrepublik Deutschland (im Bibliographischen Institut in Mannheim) und in der DDR (im gleichnamigen staatlichen Verlag in Leipzig) verlegt. Abgesehen von den Unterschieden im Wortschatz, die die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den beiden deutschen Staaten widerspiegelten, gab es nur geringfügige Unterschiede in der Rechtschreibung der Wörter, sie beschränkten sich auch meistens auf fremde Namen (zum Beispiel Costa Rica in der Bundesrepublik Deutschland und Kostarika in der DDR) und manche Entlehnungen (zum Beispiel Woiwodschaft in der BRD und Wojewodschaft in der DDR für den polnischen Verwaltungsbezirk).

In den Achtzigerjahren begannen erneut Diskussionen über die Reform der orthographischen Regeln. Es wurden verschiedene Vorschläge zu der Vereinheitlichung und Vereinfachung der Regeln gemacht; schließlich kam es im Jahre 1995 zur Beschlussfassung der Kultusminister der deutschen Länder über die Einführung der Änderungen zum 1. August 1998 mit einer Übergangsphase bis zum 31. Juli 2005. Eine entsprechende Verpflichtung anderer deutschsprachiger Länder zur Reform der deutschen Rechtschreibung (Österreich, Schweiz, Liechtenstein) folgte im nächsten Jahr (1996).

Seit dem Moment der Annahme der neuen Regelungen stießen sie auf heftige Kritik seitens der Schriftsteller, Intellektuellen, aber auch gewöhnlicher Menschen, die die Änderungen (vor allem den Ersatz von ß mit ss vor kurzen Vokalen) für zu weitgehend hielten. Manche Zeitungen, Zeitschriften und Verlage (wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung) lehnten die Neuregelungen ab, dann entschieden sich einige Verleger und Medien für die so genannte Hausorthographie, in der manche Regeln der neuen Orthographie angenommen und manche abgelehnt wurden. Auf Grund dieser Kontroversen wurden die neuen Rechtschreibregeln 2006 wieder modifiziert, vor allem in Bezug auf die Groß- und Kleinschreibung und Zusammen- und Getrenntschreibung; manche alten Formen, deren Schreibweise geändert worden war (zum Beispiel es tut mir leid, sogenannte) sind jetzt wieder zulässig.

Siehe auch

Literatur

  • Joachim Schildt: Abriß der Geschichte der deutschen Sprache. Akademie-Verlag, Berlin 1976.
  • Peter von Polenz: Geschichte der deutschen Sprache 9. Auflage, Berlin, New York: de Gruyter, 1987 (Sammlung Göschen 2206) ISBN 3-11-007998-4 .
  • Michael Meier-Brügger, Hans Krahe: Indogermanische Sprachwissenschaft. Walter de Gruyter, Berlin 2002 (8. Aufl.), ISBN 3-11-017243-7 .
  • Warren Cowgill: Indogermanische Grammatik. Bd I: Einleitung; Bd II: Lautlehre. Begr. v. Jerzy Kuryłowicz, hrsg. v. Manfred Mayrhofer. Indogermanische Bibliothek, Reihe 1, Lehr- und Handbücher. Winter, Heidelberg 1986.
  • Wolfram Euler, Konrad Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen – Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung, 244 S., ISBN 978-3-9812110-1-6 , London/Hamburg 2009.
  • Claus Jürgen Hutterer: Die germanischen Sprachen: Ihre Geschichte in Grundzügen. Budapest 1999. 4. Auflage.
  • Hans Krahe: Germanische Sprachwissenschaft. Band 1: Einleitung und Lautlehre. Band 2: Formenlehre. Band 3: Wortbildungslehre. 7. Aufl. bearbeitet von Wolfgang Meid. Berlin, New York 1969.
  • Wilhelm Braune: Althochdeutsche Grammatik. Niemeyer, Tübingen 2004, ISBN 3-484-10861-4 .
  • Stefan Sonderegger: Althochdeutsche Sprache und Literatur: eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik. de Gruyter, Berlin (unter anderem) 1987, ISBN 3-11-004559-1 .
  • Thordis Hennings: Einführung in das Mittelhochdeutsche. 2. Auflage. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017818-4 .
  • Hermann Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Niemeyer, Tübingen 2006, ISBN 3-484-64034-0 .
  • Frédéric Hartweg, Klaus-Peter Wegera: Frühneuhochdeutsch. Eine Einführung in die deutsche Sprache des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. 2. Auflage. Niemeyer, Tübingen 2005, ISBN 3-484-25133-6 .
  • Hugo Moser, Hugo Stopp (Hrsg.): Grammatik des Frühneuhochdeutschen. 7 Bände. Winter, Heidelberg 1970–1988.

Weblinks

 Wikisource: Althochdeutsche Texte – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Mittelhochdeutsch – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Frühneuhochdeutsche Texte – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Neuhochdeutsche Texte – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Nach Benjamin W. Fortson: Indo-European Language and Culture. An Introduction, Kapitel 7.14.
  2. Nach: Helmut Arntz (Hsgb.), Hermann Hirt: Die Hauptprobleme der indogermanischen Sprachwissenschaft. Niemeyer, Halle a.d. Saale, 1939 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. B. Ergänzungsheft 4)
  3. Joachim Schildt, Abriss der Geschichte der deutschen Sprache, Berlin (Ost), 1976, S. 29.
  4. J. Schildt, op. cit., S. 56.
  5. a b J. Schildt, op. cit. S. 93.
  6. Incunabula Short Title Catalogue. British Library. Abgerufen am 2. März 2011. Erkennbar daran, daß der Anteil Deutschlands an der gesamteuropäischen Buchproduktion weit höher lag, bei einem Drittel.
  7. J. Schildt, op. cit., S. 135.
  8. J. Schildt, op. cit., S. 114.
  9. Vgl. die Übersicht über die historische Entwicklung der Großschreibung auf Seite Historische Entwicklung der Großschreibung (GS) in der deutschen Sprache (pdf)
  10. J. Schildt, op. cit., S. 146.
  11. Wolfgang Jungandreas, Geschichte der deutschen und der englischen Sprache, Band 2, S. 71, Göttingen, 1947.
  12. Eine reiche Auswahl frühneuhochdeutscher Texte finden Sie auch auf Wikisource.
  13. Johannesevangelium 1, 31.
  14. Victor Klemperer, LTI – Notizbuch eines Philologen, Leipzig, Reclam Verlag, S. 24.

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