Identifikation

Identifikation

Identifikation (von lat. idem: „derselbe“, facere: „machen“) bedeutet wörtlich übersetzt „gleichsetzen“. Gemeint ist damit in der Psychologie der Vorgang, sich in einen anderen Menschen einzufühlen. Dabei werden – bewusst oder unbewusst – Teile (z. B.) des Gefühlslebens des Anderen als eigene erkannt, und man empfindet mit dem Anderen mit. Dieser Prozess spielt auch im Theater und im Film eine große Rolle. Dort fragt man einerseits nach der Identifikation eines Schauspielers mit seiner Rolle, andererseits wird der Begriff benutzt, um das Verhältnis des Zuschauers zu den dargestellten Figuren zu bezeichnen.

Identifikation kann sich auch auf eine Gruppe von Personen oder eine Organisation, auf eine Idee oder eine Weltanschauung beziehen.

Inhaltsverzeichnis

Identifikation und Kulturwissenschaft

In der kulturwissenschaftlichen Forschung ist es umstritten, ob der Begriff Identifikation angemessen ist. Schließlich beinhaltet der Prozess kein „sich selbst an Stelle der Figuren setzen“, sondern ein Mitempfinden mit den fiktiven Figuren. Viele Autoren benutzen daher den treffenderen Begriff Empathie.

Rezeptionstheoretiker gehen davon aus, dass ein Theaterstück, ein Text oder ein Film nur dann als spannend empfunden wird, wenn eine Identifikation des Zuschauers mit der fiktiven Figur möglich ist. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Rezipienten mit Figuren identifizieren können, wird unterschiedlich beantwortet und ist abhängig von persönlichem, gesellschaftlichem und kulturellem Hintergrund. So gingen manche Forscher davon aus, dass sich Zuschauer nur mit Figuren identifizieren können, die eine gesellschaftlich anerkannte Moral vertreten. Modernere Forschungen zeigen aber, dass es ausreicht, wenn die Rezipienten eine Beziehung zu der jeweiligen Figur entwickeln können. Dafür müssen sie über Ziele, Motive und/ oder Gefühle der Figuren informiert sein.

Die Identifikation muss nicht zwingend bewusst verlaufen und wahrgenommen werden, sondern unterliegt oft unbewussten Vorgängen, die in der Psychoanalyse als Abwehrmechanismus eine wichtige Rolle spielen.

Identifikation und Theaterpraxis

K.S. Stanislawski legte in seinen Theorien und Anleitungen zur Schauspielkunst großen Wert auf Identifikation des Schauspielers mit der Rolle, die dieser darstellen sollte. Der Schauspieler soll nach Stanislawski seine Rolle nicht spielen, sondern selbst die Figur dieser Rolle sein. In der Regel wird diese Identifikation als Einfühlen in die Rolle bezeichnet und besonders noch in der Schauspiellehre nach Stanislawskis Schüler Lee Strasberg praktiziert. Von besonderer Bedeutung ist diese Identifikation mit der Rolle bzw. Einfühlung in die Rolle im Psychodrama des Jacob Levy Moreno, das dieser in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte.

Der Prozess des Einfühlens beinhaltet körperliche Lockerung, das Imaginieren der Situation, in der sich die zu verkörpernde Figur befindet, und schließlich die tatsächliche Identifikation, indem der Schauspieler eigene Erlebnisse aus der Vergangenheit mit denen der Rolle verbindet. Stanislawski nennt dies emotionales Gedächtnis; der Schauspieler ruft also in sich selbst Gefühle hervor, die denen der Figur entsprechen, auch wenn sie andere Ursachen haben. Die Wirkung dessen ist, dass sowohl Schauspieler als auch Publikum die Handlungen und Reaktionen des Schauspielers als echt und authentisch wahrnehmen.

Bertolt Brecht entwickelte mit seinem Epischen Theater eine Form, die vollständig auf diese emotionale Identifikation verzichten sollte. Der Schauspieler sollte nicht fühlen, sondern zeigen, und das Publikum sollte dementsprechend nicht mitfühlen, sondern nachdenken und reflektieren. Doch auch hier gibt es Identifikation - nicht mit der emotionalen, sondern mit der sozialen Situation der Protagonisten. Gesellschaftliche Zustände sollen gezeigt und wiedererkannt werden; dies ist nur durch Identifikation des Zuschauers mit dem Dargestellten möglich. Lediglich die Identifikation des Schauspielers bleibt aus; nach Brecht sollte der Darstellende bei jeder zu spielenden Situation bereits den Ausgang und die Folgen des Stückes und der Handlungen der Figur mitbedenken, und dementsprechend selbst agieren.

Identifikation und Psychologie

Auch in der psychologischen Betrachtung der Identifikation ist das Einfühlen in eine andere Person bedeutend. Es bezieht sich hierbei allerdings nicht lediglich auf Rollen, die im Theater oder im Film gespielt werden, sondern zumeist auf real existierende Personen. So identifizieren sich bereits kleine Kinder erst mit den Eltern – dabei meist entweder mit der Mutter oder mit dem Vater – und später mit Gleichaltrigen. Die Identifikation mit Geschlechterrollen ist weit verbreitet – es identifizieren sich beispielsweise Mädchen oder Jungen mit dem Frauen- oder Männerbild, das ihnen von ihrer Umwelt oder in den Medien präsentiert wird, und übernehmen dementsprechend bestimmte Verhaltensweisen, die sie als ihrem Geschlecht zugehörig erachten. Übermäßige Identifikation im Erwachsenenalter kann zur Ausbildung bestimmter Fetische führen (vgl. Spiegelstadium, Empathie).

Siehe auch: Identifikation mit dem Aggressor

Politik und Wirtschaft

Identifikation mit einer Gruppe von Menschen ist ein in der Politik bedeutsames Phänomen, wenn es sich um „Eigengruppen“ handelt, d.h. um Gruppen, denen der betreffende Einzelne angehört. Diese Eigengruppe wird in der Regel positiv bewertet. Übersteigerte Formen dieser Identifikation sind der Lokalpatriotismus, der Regionalismus und der Nationalismus. Menschen, die einer anderen Ethnie oder Religion als die Mitglieder der Eigengruppe angehören, werden dabei oft zu Objekten von Fremdenfeindlichkeit.

Oft wird der Begriff heute im Zusammenhang mit: Identifikation mit der eigenen Firma gebraucht. Nach vielen neuen Untersuchungen leidet diese in Deutschland zusehends. Dies kann u. a. zu abnehmender Motivation und Arbeitsmoral sowie zur Zunahme von die Firma schädigenden Vermögensdelikten führen.

Zur Identifikation von Produkten siehe Zertifikat, Typenschild

Literatur

  • Bertolt Brecht: Schriften zum Theater, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1957.
  • Dieter Hoffmeier (Hg.): Konstantin S. Stanislawski – Moskauer Künstlertheater, verlag das westeuropäische buch, 1988.
  • Sonia Moore: The Stanislavski Method, Viking Press, New York 1962.
  • J. L. Styan: Drama, Stage and Audience, Cambridge University Press, 1975.
  • Clive Swift: The Job of Acting, George G. Harrap & Co. Ltd., 1976.
  • Konstantin Stanislawski: An Actor Prepares, Geoffrey Bles Ltd., 1937.

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