Immunisierungsstrategie

Immunisierungsstrategie

Eine Immunisierungsstrategie, Selbstimmunisierung oder Immunisierung gegen Kritik ist die Vorgehensweise, eine Theorie oder eine soziale Institution so zu verändern, dass eine Kritik daran erschwert wird.[1] Die Bezeichnung stammt von Hans Albert.

Inhaltsverzeichnis

In Poppers Methodologie empirischer Wissenschaft

Eine Form der Immunisierung ist in der Wissenschaftstheorie die Vorgehensweise, eine auf die Erfahrung bezogene Theorie in ihren Grundbegriffen und Messverfahren durch zweckmäßige definitorische Setzungen gegenüber widersprechenden Beobachtungen stets aufrechtzuerhalten.

Ein Alltagsbeispiel liefert der Test mit einer allgemeinen Aussage wie „Alle Menschen haben von Natur aus eine Haarfarbe, die zwischen hellblond und schwarz variiert“. Es steht kaum zu erwarten, dass die Beobachtung grünhaariger Menschen nicht als Falsifikation gewertet werden würde. Eine „konventionalistische Wendung“ (wie Karl R. Popper solche Formen der Immunisierung nennt) läge vor, wenn aufgrund dessen grünhaarige Menschen nicht mehr als „Menschen“ akzeptiert oder man diese Farbe nicht mehr als Grün anerkennen würde.

Im wissenschaftlichen Zusammenhang ist die Situation schwieriger, weil hier ein axiomatisches Aussagensystem insgesamt mit empirischen Beobachtungssätzen konfrontiert wird und sich hernach relativ leicht die Axiome der Theorie oder deren Messverfahren den Beobachtungsergebnissen nachträglich anpassen lassen.

Eine weitere Form der Immunisierung im Bereich der empirischen Wissenschaft ist das Vorgehen, falsifizierende Beobachtungssätze mit der falsifizierten Theorie durch Bildung einer Ad-hoc-Hypothese in Einklang zu bringen. Dadurch sinkt der Falsifizierbarkeitsgrad bzw. der empirische Gehalt der betreffenden Theorie. Sie ist also danach durch Beobachtungssätze nicht mehr so leicht angreifbar wie vorher. Ein Beispiel für eine solche Ad-hoc-Hypothese ist die Wegerklärung reproduzierbarer Anomalien als „zufällige Messfehler“.

Ein solches Verfahren verstößt gegen das Ziel von Poppers wissenschaftlicher Methodologie, Aussagen für Widerlegungen offenzuhalten. Dagegen hilft nur die prinzipielle methodologische Entscheidung, solche Immunisierungen nicht vorzunehmen.

Immunisierungsmechanismen

Die Immunisierung einer Aussage ist immer möglich. Enthält sie einen eingebauten Immunisierungsmechanismus, wird eine solche Immunisierung logisch erzwungen. Dies gilt sogar dann, wenn die Aussage in einem kritischen und rationalen Kontext auftritt.[2] Immunisierungsmechanismen sind aus psychologischer Sicht Abwehrmechanismen ebenso wie Immunisierung in der somatischen Medizin eine körpereigene oder therapeutisch herbeigeführte Abwehrmaßnahme darstellt.

Einzelnachweise

  1. Hans Albert: Die Idee der kritischen Vernunft. In: Aufklärung und Kritik. Februar 1994, S. 16 ff.
  2. "Even when such theories are set in a critical context, the theories themselves deflect criticism." (William W. Bartley: Rationality, Criticism, and Logic (Archivversion vom 27. November 2007). Philosophia 11:1-2 (1982), Abschnitt XXIII)

Literatur

  • Karl Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Hrsg. von Troels Eggers Hansen, Tübingen 2. Aufl. 1994. ISBN 3-16-145774-9
  • Ernst Topitsch: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik. Eine Studie zur Weltanschauungskritik. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1982. ISBN 3423041056
  • Ernst Topitsch: Erkenntnis und Illusion. Grundstrukturen unserer Weltauffassung. Mohr Siebeck Verlag, 2. überarb. u. erw. Auflage, Tübingen 1988. ISBN 3-16-245337-2
  • Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft. UTB, 5. verb. u. erw. Aufl. Stuttgart 1991. ISBN 3825216098

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