- Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
-
Die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit ist nach Siegfried Lehrl bzw. der "Erlanger Schule der Informationspsychologie" die Menge an Bit, die ein Lebewesen pro Zeiteinheit mit seinen Sinnesorganen aufnehmen und in seinem Gehirn verarbeiten kann.
Inhaltsverzeichnis
Ein Selbstversuch
Zur Veranschaulichung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit genügt ein einfacher Selbstversuch: Wie setzt man die folgende Zahlenreihe fort? 3 4 6 9 13 18 24 ... Was geht dabei in einem vor? Zuerst muss man die Zahlen erkennen. Das dauert einige Zehntelsekunden. Dann sind zwei benachbarte Zahlen im Kopf zu behalten, und es ist die Differenz zwischen ihnen festzustellen. Anschließend muss man die nächste Zahl wahrnehmen, die Differenz zur vorigen bilden und mit der vorher ermittelten Differenz vergleichen. Alle diese Vorgänge brauchen Zeit. Der Zeitverbrauch summiert sich rasch zu Sekunden. Wird dabei die zeitliche Grenze der Gedächtnisspanne und damit seine Kurzspeicherkapazität, die z. B. bei einem Menschen mit IQ 112 bei 105 Bit liegt, überschritten, so verfügt man nicht mehr über alle Zahlen bzw. nicht mehr über alle für den Denkvorgang notwendigen Begriffe. Eine sachgerechte Antwort bzw. eine Problemlösung ist dann nicht mehr möglich.
Praktische Bedeutung
Anhand des Selbstversuchs ist leicht vorstellbar, dass das individuelle Niveau der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit auf vielen geistigen Leistungsgebieten Grenzen setzt. Davon hängt ab, wie hoch die Leistungen in Tests für Intelligenz, insbesondere fluide Intelligenz, aber auch die Komplexität der noch lösbaren geistigen Probleme in Ausbildung, Beruf und Alltag sind. Letztlich werden auch der Schulerfolg und die berufliche Karriere erheblich von der individuellen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit mit bestimmt. Umfangreiche statistische Studien haben diese Zusammenhänge bestätigt. Die verbreitetste Messung (siehe unten) konzentriert sich auf die Lesegeschwindigkeit bzw. die allgemeine Auffassungsgeschwindigkeit, die in unseren Kulturen von grundlegender Bedeutung sind. Die praktischen Zusammenhänge mit Schule und Arbeitswelt sind dabei offenkundig. Die in der PISA-Studie eingesetzten Tests haben auch gerade diese Fähigkeit gemessen. Dennoch ist der Zusammenhang von IQ und Schulleistung umstritten.
Messung
Eine gebräuchliche Methode, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit zu messen, ist die Zeit zu messen, mit der Entscheidungen zwischen verschiedenen Alternativen getroffen werden. Muss die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten getroffen werden, dann ist es eine 1-Bit-Entscheidung, zwischen vier Möglichkeiten eine 2-Bit-Entscheidung usw. – Pionier dieser Forschung war William Edmund Hick[1], der in Experimenten mit der Jensen-Box den mathematischen Zusammenhang zwischen der Reaktionszeit und der Anzahl der Wahlmöglichkeiten fand. Der Psychologe Siegfried Lehrl entwickelte einen "Kurztest für allgemeine Basisgrößen der Informationsverarbeitung" (KAI), mit dem die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit durch die Lesegeschwindigkeit gemessen wird. Die Testpersonen werden dabei aufgefordert, Zufallsfolgen von Buchstaben, z. B. r z l m s e ... mit größtmöglicher Geschwindigkeit zu lesen.
Unabhängigkeit vom Sinnesgebiet
Es ist ein bemerkenswertes Ergebnis der Informationspsychologie, dass die Beziehung zwischen Kurzspeicherkapazität und IQ unabhängig von der Art der Sinnesorgane besteht, d. h. unabhängig davon, ob die Information zum Beispiel mit Augen oder Ohren aufgenommen wird. Auch bei Blinden, die die Blindenschrift mit ihrem Tastsinn lesen, lassen sich die Zusammenhänge zum IQ auf diese Weise messen. Der hochintelligente Blinde liest, d. h. tastet und verarbeitet die Information, doppelt oder dreimal so schnell wie ein weniger intelligenter Blinder.
Altersabhängige Entwicklung
Von der Geburt bis zum 15./16. Lebensjahr nimmt die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit zu, bleibt bis zu etwa 25 Jahren auf diesem Niveau und sinkt dann wieder. Dies sind Durchschnittsergebnisse der Bevölkerung. Zur Abnahme tragen geistige Fehlforderungen, ungünstige Ernährung und Minderung der Sinnestüchtigkeit bei.
Literatur
- Lehrl, S, und B. Fischer (1990): A basic information psychological parameter (BIP) for the reconstruction of concepts of intelligence. European Journal of Personality 4, 259-286.
- Lehrl, S., Gallwitz, A., Blaha, L. und B. Fischer: Geistige Leistungsfähigkeit. Theorie und Messung der biologischen Intelligenz mit dem Kurztest KAI. Ebersberg: Vless 1992, 2. Aufl. ISBN 3-88562-041-3.
- Aljoscha Neubauer: Intelligenz und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Wien: Springer 1995. ISBN 3-211-82735-8.
Einzelnachweise
- ↑ W. E. Hick (1952). On the rate of gain of information. Quarterly Journal of Experimental Psychology 4, S. 11–26
Wikimedia Foundation.