Erlanger Schule der Informationspsychologie

Erlanger Schule der Informationspsychologie

Unter Erlanger Schule der Informationspsychologie wird die empirische und theoretische Arbeit aus den psychologischen, erziehungswissenschaftlichen und medizinpsychologischen Einrichtungen der Universität Erlangen-Nürnberg [1] zusammengefasst, aus der ein informationspsychologisches Intelligenzmodell hervorging.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die Bezeichnung „The Erlangen School“ wurde zuerst von Hans Jürgen Eysenck in mehreren Arbeiten seit 1986 angewandt. In ihnen stellte er ausführlich die empirische und theoretische Arbeit über informationstheoretische und biologische Aspekte der Intelligenz dar, wozu Arbeitskreise in Erlangen (und Nürnberg) um Erwin Roth (1960) und Wolf Dieter Oswald (1971) wesentliche Forschungsergebnisse beigetragen hatten. Die hier geschaffenen Grundlagen wurden mit allgemeinen informationspsychologischen Arbeiten von Helmar Gunter Frank (Stuttgart, dann Berlin und Paderborn) verknüpft und wiederum in Erlangen von Siegfried Lehrl und Mitarbeitern seit 1974 zu umfassenderen Konzepten der Intelligenz geformt. Die Grundlage für dieses Forschungsparadigma hatte 1952 William Edmund Hick gelegt[2], der in Experimenten mit der Jensen-Box den mathematischen Zusammenhang zwischen der Reaktionszeit und der Anzahl der Wahlmöglichkeiten fand.

Als konkurrierende Schulen, die ebenfalls Intelligenz informationstheoretisch zu erklären versuchten, galten die in den 80er Jahren international viel bekanntere „Berkeley School“ um Arthur R. Jensen, der die Erkenntnisse der „Erlangen School“ explizit nutzte, und die ebenso renommierte „London School“ um Hans Jürgen Eysenck. Die Erkenntnisse, die in den drei Schulen gewonnen wurden, ergänzen sich heute.

Stand der wichtigsten Forschungsergebnisse

Die Schlüsselerkenntnis, welche die Erlangen School interessant macht, knüpft an dem „Psychostrukturmodell der menschlichen Informationsverarbeitung“ von Helmar Gunter Frank (1960) an, wonach Informationen aus der Umwelt über die Sinnesorgane in den Kurzspeicher ("Arbeitsspeicher") gelangen können. Was hier hereinkommt, wird bewusst und kann darin weiter verarbeitet, im Gedächtnis abgespeichert oder als Aktion geplant werden und dann als Handlung auf die Umwelt einwirken.

Sobald die aufgenommenen sowie die zu managenden Informationen die Kurzspeicherkapazität überschreiten, bricht der Informationsverarbeitungsvorgang zusammen, und es muss neu begonnen werden. Da sich die Personen in der Kurzspeicherkapazität unterscheiden, erbringen sie unterschiedliche Informationsverarbeitungsleistungen, in anderen Worten „allgemeine Intelligenzleistungen“ (Generalfaktor der Intelligenz). Spezieller ist das Niveau der "fluiden Intelligenz" davon betroffen.

Die Kapazität des Kurzspeichers C (bit) setzt sich aus den beiden Komponenten

  • Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit S (bit/s)
  • Gegenwartsdauer D (s) [~ Gedächtnisspanne, Merkspanne)

nach der Formel: C(bit) = S (bit/s) x D (s) zusammen.

Außer dem dargestellten Konzept entstand der einfach abnehmbare Intelligenztest KAI (= Kurztest für allgemeine Basisgrößen der Informationsverarbeitung) für einmalige und mehrmalige Untersuchungen, zu dem auch eine Version zur Selbsttestung geschaffen wurde (Lehrl, 1997). Mit dem KAI sind S und D in wenigen Minuten messbar. Aus den Werten lässt sich die Kurzspeicherkapazität in Bits ermitteln. Diese Werte können auch IQ-Punkten zugeordnet werden.

Zusammenfassend ergeben sich als Leistungen der Erlanger Schule der Informationspsychologie:

  • Ihre informationspsychologischen Intelligenzkonzepte bilden die Grundlage für eine Reduktion von Intelligenzkonzepten auf wenige elementare Grundgrößen und exakte Intelligenzmessungen im Bit-Sekunden-System auf hohem Messniveau.
  • Hierfür steht auch ein praktikabler Intelligenztest (KAI) zur Verfügung.
  • Das Intelligenzkonzept ist einfach mit biologischen Sachverhalten zu verbinden. Deshalb eignet es sich für viele humangenetische, physiologische und neurologische Fragestellungen über die kognitive Leistungsfähigkeit.

Präzisierung des Generalfaktors der Intelligenz

Die Forscher sehen das informationspsychologische Intelligenzmodell als die Grundlage für die exakte Definitionen des Generalfaktors (g-Faktor) der Intelligenz, insbesondere der fluiden Intelligenz.

Messung von prozentualen Demenzausprägungen

Mit Hilfe des informationspsychologischen Intelligenzmodelles kann die globale geistige Leistungsminderung bei Demenzen in Prozentwerten folgendermaßen angegeben werden: prozentuale Demenzausprägung (%) = 100 x (C prämorbid - C aktuell) / C prämorbid Die aktuelle Kurzspeicherkapazität C aktuell misst man mit dem KAI in Bits. Die prämorbide Kurzspeicherkapazität schätzt man durch Verfahren für kristallisierte Intelligenz ab, z.B. durch den Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenz-Test MWT-A, MWT-B oder TPL. Falls man damit einen (prämorbiden) IQ ermittelt, kann man ihn nach den Tabellen im KAI-Manual Bits zuordnen.

Literatur

  • Brand, C.R.: A review of R.J. Sternberg & D.K. Detterman, What Is Intelligence?, Norwood, NJ, Ablex. J. Biol.Soc. Struct. 11 (1988) 396-398.
  • Carena, J.C., L. Ferranti: Aportes de la Cibernetica a la Psicologia y la Pedagogia. Rosario (Argentinien): Irice, 2005, ISBN 987-21938-0-0.
  • Eysenck, H.J.: Toward a New Model of Intelligence. Person. Indiv. Diff. 7 (1986) 731-736.
  • Eysenck, H.J.: The Theory of Intelligence and the Psychophysiology of Cognition. In: R.J. Sternberg (Hrsg.): Advances in the psychology of human intelligence. Erlbaum: Hillsdale, NJ, 1986, Vol. 3, S. 1-34.
  • Eysenck, H.J.: „Speed of Information Processing, Reaction Time, and the Theory of Intelligence“. In: P.A. Vernon (Hrsg.): Speed of Information-Processing and Intelligence. Ablex Publishing Corporation: Norwood, NJ, 1987, S. 21-67.
  • Frank, H.G.: Über grundlegende Sätze der Informationspsychologie. Grundlagenstdn. Kybern. Geisteswiss. 1 (1960) 25-32.
  • Jensen, A.R.: General Mental Ability: From Psychometry to Biology. Diagnostique 16: 1991, 134-144.
  • Jensen, A.R.: Understanding g in Terms of Information Processing. Education Psychol. Rev. 4 (1992) 271-308.
  • Jensen, A.R.: The g Factor. The Science of Mental Ability. Praeger Publishers/Greenwood Publishing Gropup Inc.: Westport, CT 1998.
  • Kline, P., S.G. Draycott, V.M. McAndrew: Reconstructing Intelligence - A Factor Analytic Study of the BIP. Person. Indiv. Diff. 16 (1994) 529-536.
  • Lehrl, S.: Arbeitsspeicher statt IQ - mit Test und Training für geistige Fitness . Ebersberg: Vless, 1987. ISBN 3-88562-079-0.
  • Lehrl, S., B. Fischer: The basic parameters of human information processing: their role in the determination of intelligence. Person. Individ. Diff. 9 (1988) 883-896.
  • Lehrl, S., A. Gallwitz, L. Blaha: Kurztest für Allgemeine Intelligenz KAI. Handanweisung. Vless: Vaterstetten - München, 1980. Später mit B. Fischer unter dem Titel: Geistige Leistungsfähigkeit. Theorie und Messung der biologischen Intelligenz mit dem Kurztest KAI. Vless: Ebersberg, 1992, 2. Aufl. ISBN 3-88562-041-3.
  • Lehrl, S. B. Straub, R. Straub: Informationspsychologische Elementarbausteine der Intelligenz. Grundlagenstdn. Kybern. Geisteswiss. 16 (1975) 41-50.
  • Lindley, R.H., S.M. Wilson, W.P. Smith, K. Bathurst: Reaction-Time (RT) and IQ - Shape of Task Complexity Function. Person Indiv. Diff. 18 (1995) 339-345.
  • Oswald, W.D.: Über Zusammenhänge zwischen Informationsverarbeitung, Alter und Intelligenzstruktur beim Kartensortieren. Psychol. Rdsch. 27 (1971) 197-202.
  • Pueyo, A.A.: La Intelligencia Como Fenomeno Natural. Valencia: Promolibro, 1993.
  • Roth, E.: Die Geschwindigkeit der Verarbeitung von Information und ihr Zusammenhang mit Intelligenz. Z. angew. exp. Psychol. 11 (1964) 616-622.
  • Vernon, P.A.: Der Zahlen-Verbindungs-Test and Other Trail-Making Correlates of General Intelligence. Person. Indiv. Diff. 14 (1993) 35-40.
  • Weiss, H. and V. Weiss: The golden mean as clock cycle of brain waves. Chaos, Solitons and Fractals 18 (2003) 643-652.

Quellen

  1. http://www.uni-erlangen.de
  2. W. E. Hick (1952). On the rate of gain of information. Quarterly Journal of Experimental Psychology 4, S. 11–26

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