Isotopie (Literaturwissenschaft)

Isotopie (Literaturwissenschaft)

Als Isotopie (Verständnisebene) bezeichnet man ein Konzept, das versucht, Textverknüpfungen unter semantischen Gesichtspunkten anzugehen. Daher ist das Isotopiekonzept eine Zwischenstufe zwischen einer kohärenzorientierten- und einer kohäsionsorientierten Textanalyse. Sie bietet einen guten Einstieg in eine Textinterpretation, da intuitive Schlüsse, die wir beim Lesen ziehen, wieder an den Text gebunden werden können.

Die Grundidee für das Konzept formulierte Algirdas Julien Greimas in seinem 1966 erschienenen Werk "Sémantique structurale".

Inhaltsverzeichnis

Funktion des Konzeptes

Durch das Prinzip der Rekurrenz, d. h. das wiederholte Auftreten eines Klassems (syn. dominantes Sem), oder das Prinzip der Substitution können Textverknüpfungen innerhalb des zu untersuchenden Text(-abschnitt)s über die Satzgrenzen hinweg verfolgt werden. Klasseme sind die Bedeutungskomponenten (Seme) eines Wortes; diese können mit der linguistischen Methode der Semanalyse herausgearbeitet und in einer Tabelle dargestellt werden. So spezifiziert man solche Seme als dominant, die innerhalb des Textes aufgrund ihrer Rekurrenz (mehrfachen Wiederholung) auffallen. Indem man ein Klassem bildet, kann man eine Isotopieebene erkennen, um dadurch den gemeinten Sinn eines Textes einzugrenzen. Ein Text kann allerdings über mehrere Isotopieebenen verfügen, welche nebeneinander stehend oder miteinander verknüpft sein können.

Da das Isotopiekonzept unabhängig von der Textkohäsion (also dem syntaktischen Zusammenhang von Texten) arbeitet, eignet sich dieser Ansatz speziell für die Beschäftigung mit Texten, deren grammatische Strukturen und Wortfelder bewusst zerstört wurden, um beispielsweise eine Entfremdung zu erreichen, oder auch für die expressionistische Lyrik (vgl. Expressionismus).

Anwendungsbeispiel

Beispieltext: "Der Turm wankte und der Bauer war fort."

Mögliche Seme der vorgefundenen Wörter:

Turm wankte Bauer fort
Gebäude steht unsicher Lebewesen nicht mehr da
Schachfigur " Schachfigur "

Der Beispieltext kann bis jetzt sowohl eine Schachspielsituation wie auch eine beschreibende Szene z.B. aus einem Märchen darstellen, denn es ist nicht klar, welches der Seme (Schachfigur vs. Gebäude/Lebewesen) dominant ist. Erst wenn eines dieser Seme wiederholt wird, wird klar, welches das Klassem ist.

"Der Turm wankte und der Bauer war fort. Er schrie den ganzen Weg."

"schrie": Seme wären z.B. Tätigkeit, lebendig, usw.

Jetzt wird klar, dass es sich unmöglich um ein Schachspiel handeln kann, da der "Bauer" plötzlich mit dem Sem "lebendig" verknüpft wird, das Klassem somit nicht "Schachfigur" heißt. Daraus folgt, dass der Leser (Rezipient) die Isotopie als "lebendige Szene" definiert und nicht als "Schachspiel".

Zur Bestimmung der Seme existieren in der Sprachwissenschaft semantische Lexika.

Isotopie im Humor

Im Humor ist eine der häufigsten Pointen ein so genannter Isotopiebruch, also ein unerwarteter Wechsel der Bedeutungsebene.

Beispiel:

Mann zum Apotheker: "Haben sie etwas für Erkältungen?"
Apotheker: "Nein, nur dagegen."

Nach dem ersten Satz ist für den Zuhörenden eigentlich klar, dass der Kunde etwas gegen eine Erkältung haben möchte, der Apotheker korrigiert jedoch den Kunden auf einer grammatischen Ebene, was für "verblüffte Erheiterung" sorgt (oder auch nicht).

Literatur

  • Algirdas J. Greimas: Die Isotopie der Rede. In: W. Kallmeyer, W. Klein, R. Meyer-Hermann, K. Netzer, H.J. Siebert (Hrsg.): Lektürekolleg zur Textlinguistik. Band 2: Reader. Athenäum Fischer, Frankfurt, M. 1974, S. 126-152. ISBN 3-8072-2051-8
  • E.U. Grosse: Zur Neuorientierung der Semantik bei Greimas. Grundgedanken, Probleme und Vorschläge. In: W. Kallmeyer, W. Klein, R. Meyer-Hermann, K. Netzer, H.J. Siebert (Hrsg.): Lektürekolleg zur Textlinguistik. Band 2: Reader. Athenäum Fischer, Frankfurt, M. 1974, S. 87-125. ISBN 3-8072-2051-8
  • Margot Heinemann, Wolfgang Heinemann: Grundlagen zur Textlinguistik. Interaktion - Text - Diskurs. Niemeyer, Tübingen 2002. ISBN 3-484-31230-0

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