Jean Vigo

Jean Vigo

Jean Vigo, eigentl. Jean Bonaventure de Vigo Almereyda (* 26. April 1905 in Paris; † 5. Oktober 1934 ebenda), war ein französischer Filmregisseur.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Jugend

Jean Vigo

Er war der Sohn von Eugène Bonaventure de Vigo, einem auch als Miguel Almereyda bekannten französischen Anarchisten, und Emily Clero. In seiner Kindheit lebte er längere Zeit mit seinen Eltern auf der Flucht. Wie sein gesamtes Leben, so war auch schon seine Kindheit stark durch seine Tuberkulose-Erkrankung geprägt.

1917 wurde sein mittlerweile verhafteter Vater unter ungeklärten Umständen tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Freunde seines Vaters schickten Vigo daraufhin unter dem falschen Namen Jean Sales in ein Internat. 1925 begann er in Paris – wieder unter seinem richtigen Namen – Philosophie zu studieren und kam durch Claude Autant-Lara und Germaine Dulac mit dem Film in Berührung. 1926 heiratete er Elisabeth „Lydou“ Lozinska, eine Fabrikantentochter aus Łódź.

Erste Projekte

Mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters drehte er 1929 seinen ersten Film À propos de Nice (Apropos Nizza), einen hochgradig subversiven Dokumentarfilm, der soziale Ungleichheiten in Nizza untersucht. Der Film zeigt Bettler in den Slums ebenso wie auch dekadente Müßiggänger am Roulettetisch. Es handelt sich um satirische Darstellungen mit innovativer Bildsprache. Die Kamera führte bei diesem Film, ebenso wie bei den weiteren Filmen, der Kameramann Boris Kaufman, Bruder des sowjetischen Regisseurs Dsiga Wertow.

1931 folgte ein weiterer Dokumentarfilm, der Kurzfilm Taris, roi de l’eau (Taris, König des Wassers), eine Bewegungsstudie mit dem Schwimmer Jean Taris.

Betragen ungenügend

In seinem ersten Spielfilm, Zéro de Conduite (Betragen ungenügend), entstanden 1933, sind Kinder die Hauptpersonen.

Eine Gruppe von Jungen kehrt nach den Ferien in ihr Internat zurück. Es handelt sich um ein Internat, in dem ihre Freiheit durch eine große Zahl an Verhaltensvorschriften stark eingeschränkt wird. Wer einer Vorschrift zuwider handelt, bekommt eine Note „Betragen ungenügend“ und muss sich auf eine nachfolgende Bestrafung gefasst machen. Oberhaupt des strengen Regimes ist ein autoritärer Schuldirektor, der von einem Zwerg dargestellt wird.

Einige der Schüler kommen zu dem Entschluss, dass man gegen die tyrannischen Lehrer rebellieren muss. Als Termin für den Aufstand setzt man einen Tag an, an dem ehemalige Schüler des Internats zu einer feierlichen Veranstaltung eingeladen sind. Als der Tag gekommen ist, steigen die Schüler auf das Dach der Schule und lassen von dort Gegenstände auf die Versammlung herunterregnen.

Zwar ist es eine simple Geschichte, die erzählt wird, der Film hebt sich jedoch durch eine traumähnliche Grundstimmung hervor. Die Handlung tritt in den Hintergrund; was der Zuschauer präsentiert bekommt, ist eher eine Abfolge von subjektiven Eindrücken als ein konsistenter Handlungsablauf. Besonders eindrucksvoll wirkt eine Kissenschlachtszene. Die Szene ist so gefilmt, dass das Dargestellte einen surrealistischen Eindruck macht.

„Betragen ungenügend“ wurde direkt nach der Fertigstellung von der Zensur verboten. Bei dem Verbot blieb es bis 1945.

L'Atalante

Seinen zweiten Spielfilm, L’ Atalante (1934) drehte Vigo, während sich seine Tuberkulose-Erkrankung weiter sehr verschlimmert hatte.

Die „Atalante“ ist ein Flussschiff, das auf den Wasserstraßen Frankreichs unterwegs ist. Hauptpersonen des Films sind ein frischvermähltes Paar, das zusammen mit einem alten exzentrischen Matrosen (Michel Simon) und einem Schiffsjungen die Schiffsbesatzung bildet. Die Frau, gespielt von Dita Parlo, liebt ihren Ehemann (Jean Dasté), teilt jedoch nicht seine Fixiertheit auf die Wasserstraßen. Sie sehnt sich nach den Aufregungen, die eine Stadt wie Paris zu bieten hat und wird von einem Hausierer an Land gelockt. Der Mann fährt trotzig weiter ohne sie. Aber sie fehlt ihm. Erstmals sieht er, was ihm zuvor nie gelang, ihr Bild, indem er die Augen unter Wasser öffnet: wie ein süßer Geist schwebt sie im Brautkleid vor ihm. Auch sie hält es kaum aus ohne ihn alleine in der großen Stadt. Mit Hilfe des alten Exzentrikers und eines Seemannsliedes finden die jungen Eheleute wieder zusammen.

Auch bei diesem Film, der in den Hitlisten der Filmkritiker weltweit immer wieder unter den ersten 10 auftaucht, wird von den Rezensenten vor allem die Atmosphäre herausgestellt, die mit den Bildern vermittelt wird. Einerseits werden die Filmszenen als realistisch bezeichnet, andererseits wird aber von einer magischen Überhöhung gesprochen. „Vordergründig eine einfache Ehegeschichte, gewinnt der Film durch die surreale Traumlandschaft der Seine eine mythisch-parabelhafte Dimension“ heißt es in einer Rezension.

Inhaltlich geht der Film über das Frischvermähltsein, die Liebe junger Brautleute vor dem ersten Kind, ein Thema, das in der Filmgeschichte, die es merkwürdig vernachlässigt, nur noch von Satyajit Rays Apur Sansar (Apus Weg ins Leben - 3. Apus Welt) mit ähnlich zauberischer Eindringlichkeit gestaltet wurde.

Der Regisseur François Truffaut hat einige der Erzählungen schriftlich festgehalten, die es um die Entstehung von „L'Atalante“ herum gibt. Diesen Berichten zufolge soll Vigo streckenweise seine Anweisungen von einer Tragbahre her gegeben haben. Truffaut schrieb: „Man kann sich leicht ausmalen, dass er bei dieser Arbeit in einer Art von Fieber gewesen sein muss“. Als ein Freund ihm den Rat gab, mehr auf seine Gesundheit zu achten, soll Vigo geantwortet haben, dass es ihm an Zeit fehle und dass er daher jetzt alles geben müsse.

Nachdem es eine erste Probeaufführung gegeben hatte, die nicht erfolgreich verlaufen war, wurde der Film drastisch zusammengeschnitten und bekam als neuen Titel Le chaland qui passe zugeteilt. Auch in dieser Fassung war der Film kommerziell gesehen ein Reinfall.

Vigo überlebte die Dreharbeiten nur knapp. 1934, im Alter von nur 29 Jahren, fiel er seiner Tuberkulose-Erkrankung zum Opfer.

Der Film wurde über lange Zeit hinweg nur in der verstümmelten Fassung gezeigt; im Jahr 1990 konnte jedoch die Originalfassung wiederhergestellt oder eigentlich erstmals hergestellt werden. Dank der digitalen Tonbearbeitung, die über 10.000 Knackser entfernte, ist der Dialog in Teilen überhaupt erstmals verständlich geworden. Die herbe Originalmusik des ebenfalls früh verstorbenen Maurice Jaubert kommt voll zur Geltung.

Würdigung

Das Werk von Vigo besteht aus nur zwei Dokumentar- und zwei Spielfilmen und umfasst insgesamt nicht einmal 200 Minuten. Gleichwohl hatte Vigos Filmschaffen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Films. Vor allem Regisseure der Nouvelle Vague berufen sich auf seine Filme. Eine 1990 restaurierte Fassung von L’ Atalante erlangte 1992 beim International Critics’ Top Ten Films Poll von Sight & Sound, der Zeitschrift des British Film Institute, den fünften Platz.

1998 wurde Vigos Leben unter dem Titel Vigo – Passion for Life von Julien Temple verfilmt.

Seit 1951 wird zu Ehren Vigos der Prix Jean Vigo vorwiegend an jüngere Regisseure verliehen.

Jean Vigo ist Namenspatron des 1980 in Perpignan gegründeten Filminstituts (L'institut Jean Vigo), der zweitwichtigsten filmkulturellen Einrichtung Frankreichs.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Jean Vigo — Nacimiento 26 de abril de 1905 París Fallecimiento 5 de octubre de 1934 …   Wikipedia Español

  • Jean Vigo — (París, 26 de abril de 1905, París, 5 de octubre de 1934) fue un director de cine francés. Se le conoce sobre todo por dos películas que tuvieron una gran influencia en el desarrollo posterior del cine francés: Cero en conducta (1933) y L… …   Enciclopedia Universal

  • Jean Vigo — Pour les articles homonymes, voir Vigo. Jean Vigo …   Wikipédia en Français

  • Jean Vigo — Infobox actor bgcolour = silver name = Jean Vigo imagesize = caption = birthdate = April 26 1905 location = FRA height = deathdate = October 5 1934 (aged 29) deathplace = yearsactive = birthname = othername = homepage = academyawards =Jean Vigo… …   Wikipedia

  • Jean Vigo-Preis — Der Jean Vigo Preis (Prix Jean Vigo) wird seit 1951 als Hommage an den Filmregisseur Jean Vigo verliehen. Er wird an „einen französischen Regisseur, der sich durch die Unabhängigkeit seines Geistes und durch die Originalität seines Stils“,… …   Deutsch Wikipedia

  • Jean-Vigo-Preis — Der Jean Vigo Preis (Prix Jean Vigo) wird seit 1951 als Hommage an den Filmregisseur Jean Vigo verliehen. Er wird an „einen französischen Regisseur, der sich durch die Unabhängigkeit seines Geistes und durch die Originalität seines Stils“,… …   Deutsch Wikipedia

  • Jean Vigo Prize —    See Prix Jean Vigo.    Historical Dictionary of French Cinema by Dayna Oscherwitz & Mary Ellen Higgins …   Guide to cinema

  • Jean Vigo Prize —    See Prix Jean Vigo …   Historical Dictionary of French Cinema

  • Prix Jean-Vigo — Jean Vigo Prize    Founded in 1951 by Claude Aveline, this annual award is named after the director Jean Vigo. It emphasizes originality and is often granted to emerging directors. After 1960, it was decided that two awards would be given each… …   Guide to cinema

  • Prix Jean-Vigo — Jean Vigo Prize    Founded in 1951 by Claude Aveline, this annual award is named after the director Jean Vigo. It emphasizes originality and is often granted to emerging directors. After 1960, it was decided that two awards would be given each… …   Historical Dictionary of French Cinema

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”