KHM 55

KHM 55
Das Rumpelstilzchen vor dem Haus des Müllers, Freizeitpark Efteling, 2008

Rumpelstilzchen ist ein Märchen (Typ 500 nach Aarne und Thompson). Es ist in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der Erstauflage von 1812 an Stelle 55 enthalten (KHM 55). Jacob Grimms handschriftliche Aufzeichnungen datieren 1808 und 1810.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Rumpelstilzchen trifft die Müllerstochter, Illustration (ca. 1889)
Die Müllerstochter und das Rumpelstilzchen, Illustration von Walter Crane (1886)
Briefmarken der Deutschen Post der DDR (1976)

Ein Müller behauptet von seiner schönen Tochter, sie könne Stroh zu Gold spinnen, und will sie an den König verheiraten. Der König lässt die Tochter kommen und stellt ihr die Aufgabe, über Nacht eine Kammer voll Stroh zu Gold zu spinnen, ansonsten müsse sie sterben. Die Müllerstochter ist verzweifelt, bis ein kleines Männchen auftaucht und ihr gegen ihr Halsband Hilfe anbietet und für sie das Stroh zu Gold spinnt. In der zweiten Nacht wiederholt sich das Gleiche und die Müllerstochter gibt ihren Ring her. Darauf verspricht der König dem Mädchen die Ehe, falls sie noch einmal eine Kammer voll Stroh zu Gold spinnen kann. Diesmal verlangt das Männchen von der Müllerstochter ihr erstes Kind, worauf sie schließlich ebenfalls eingeht.

Nach der Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes fordert das Männchen den versprochenen Lohn. Die Müllerstochter bietet ihm alle Reichtümer des Reiches an, aber das Männchen verlangt „etwas Lebendiges“. Durch ihre Tränen erweicht, gibt es ihr aber drei Tage Zeit, seinen Namen zu erraten. Dann soll sie das Kind behalten dürfen. In der ersten Nacht probiert es die Königin mit allen Namen, die sie kennt; doch ohne Erfolg. In der zweiten Nacht versucht sie es erfolglos mit Namen, die sie von ihren Untertanen erfragt hat. Am Tag darauf erfährt sie von einem Boten, dass ganz entfernt ein Männchen in einem kleinen Haus wohnt, das nachts um ein Feuer tanzt und singt:

„Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß!“

Die Königin fragt zunächst, ob Rumpelstilzchen „Heinz“ oder „Kunz“ heiße und nennt dann erst den korrekt überlieferten Namen. So kann sie das Rätsel nun lösen und Rumpelstilzchen zerreißt sich mit den Worten „Das hat dir der Teufel gesagt!“, vor Wut selbst.

Grimms Anmerkung

Grimms Anmerkungen vermerken Nach vier im Ganzen übereinstimmenden, im Einzelnen sich ergänzenden Erzählungen aus Hessen, in einer davon ist es der König, der auf der Jagd das Männlein belauscht. Sie stammen teils von Familie Hassenpflug, teils von Henriette Wild, das Zerreißen des Männchens (erst ab der Zweitauflage) von Lisette Wild. In einer fünften Fassung (sie entspricht der handschriftlichen Urfassung 1810, Rumpelstünzchen, und einer Beilage zu einem Brief Jacob Grimms 1808) soll ein kleines Mädchen Garn spinnen, doch es wird immer Gold und es ist traurig, sitzt auf dem Dach und spinnt. Da kommt das Männlein, das ihm einen Königssohn verspricht und das Kind fordert. Die Magd belauscht es, wie es auf einem Kochlöffel ums Feuer reitet. Als es verraten ist, fliegt es zum Fenster hinaus. In einer sechsten steigt eine Frau in einen Garten wegen schöner Kirschen, ein schwarzer Mann kommt aus der Erde, fordert das Kind, kommt dann auch trotz aller Wachen des Ehemannes und lässt es ihr nur, wenn sie seinen Namen weiß. Der Mann belauscht ihn in seiner Höhle, die von Kochlöffeln umhängt ist.

Grimms zählen weiter auf: Caroline Stahl S. 85 das Stäbchen; Müllenhoff Nr. 8; Kletkes Märchensaal Nr. 3; Zingerle Nr. 36 und S. 278; Pröhle Nr. 23; Bechstein Nr. 20; Colshorn S. 83; schwedisch bei Cavallius S. 210; Fischarts Gargantua (Kap. 25, Nr. 363); Müllenhoffs Sagen S. 306, 578; Aulnoy Nr. 19; Villandons Ricdin Ricdon in La Tour ténébreuse, dänisch weiterbearbeitet in Ryerup Morstabsläsning S. 173.

Fenia und Menia konnten alles mahlen, so dass sie der König Frieden und Gold mahlen ließ. Die kummervolle Arbeit der Golddrahtfertigung kam oft armen Jungfrauen zu, wozu Grimms ein altdänisches Lied aus Kämpe Viser S. 165, B. 24 zitieren (vgl. Wolfdietrich Str. 89; Iwein 6186-6198):

nu er min Sorg saa mangesold,
som Jongfruer de spinde Guld.

Zum Erraten des Namens vergleichen sie: Eine dänische Sage bei Thiele 1, 45, wo einer einem Troll Herz und Augen schuldet und belauscht, wie die Trollfrau zu ihrem Kind vom Vater spricht; Turandot in 1001 Tag; eine schwedische Volkssage von St. Olav in Gräters Zeitschrift Idunna und Hermode 3, 60. 61. Das Abfordern des Kindes greife in sehr viele Mythen ein.

Vergleiche

Rumpelstilzchen geht ebenso wie die älteste literarische Fassung Ricdin Ricdon aus La Tour ténébreuse von Marie-Jeanne Lhéritier de Villandon (1705) zweifellos auf ältere Volksmärchen zurück. Der Märchentyp heißt Name des Unholds (AaTh 500), wobei ein fließender Übergang zu Volkssagen, oft Teufelssagen, besteht. Dazu passt der Teufelspakt um das Kind, die Verschleierung durch einen lächerlich machenden (aber sagentypisch individuellen) Namen, aber auch Rumpelstilzchens letzte Worte: „Das hat dir der Teufel gesagt!“ [1] Versponnenes Stroh wirkt wirklich, z.B. auf Messgewändern, wie Gold.[2]

Interpretation

Hedwig von Beit deutet tiefenpsychologisch Vater und König als Animusgestalten, die die Heldin beherrschen und ihr Prahlerei und Geldgier eingeben. Diese einseitige Bewusstseinslage führt durch eine Notlage zur Bindung an unbekannte Mächte, in allen Varianten unterweltlicher Art (schwarzer Mann, schwarzer Kobold usw.). Sie fordern letztlich das Selbst, wofür Halsband, Ring und Kind Symbole sind, erstere auch als Pflicht oder magische Fessel deutbar. Kind und Männlein sind das Unbewusste in seiner Doppelnatur. Die Nennung des Dämons fixiert, distanziert oder löst ihn auf. Es ist ein verbreitetes folkloristisches Motiv, dass die Unterirdischen nicht wollen, dass man ihren Namen oder ihr Alter weiß. Naturvölker halten ihre Namen für etwas konkretes, auf das man achten muss. [3]

Eugen Drewermann analysiert, wie der Müller seine Armut durch die Schönheit seiner Tochter kompensiert, was umgekehrt in der Vorstellung mündet, daraus Geld machen zu können. Bei der Tochter führt das zu einer narzisstischen Besessenheit auf Kosten ihres weiblichen Selbst.[4]

Etymologie

Der Name Rumpelstilzchen ist laut dem Erzählforscher Hans-Jörg Uther aus Johann Fischarts Kinderspielverzeichnis in seiner Gargantua-Übersetzung und -Bearbeitung Geschichtsklitterung entlehnt (zuerst 1575, hier 1594), wo er einen Klopfgeist namens Rumpele stilt oder der Poppart erwähnt.[5] Rumpelstilz war eine Bezeichnung für einen bösartigen Kobold, der, ähnlich wie ein Poltergeist, Geräusche macht, indem er an Stelzen (vermutlich sind damit Dinge wie z. B. Tischbeine gemeint) rüttelt („rumpelt“).

Vor dem Hintergrund dieses Märchens werden als Rumpelstilzchen im Volksmund oft eher kleinwüchsige Menschen bezeichnet, die durch ihre aufbrausende, vorlaute oder gar tobsüchtige Art und Weise auffallen – und damit möglicherweise ihren Mangel an körperlicher (oder menschlicher) Größe zu kompensieren versuchen.

Verfilmungen

Das Märchen wurde mehrfach verfilmt, u. a.:

Die Figur des Rumpelstilzchen kommt auch in der Realfilm-Handlung des Films Werner – Beinhart! vor. Hier muss Comiczeichner Brösel den Namen der Figur erraten, bevor er heiraten darf.

Theaterfassungen

  • Rumpelstilzchen, ein Tischfigurenspiel der Piccolo Puppenspiele; Buch und Regie: Gerd J. Pohl; Musik: Jan F. Schulz-Heising; Ausstattung: Arne Bustorff, Bonn 1997
  • Rumpelstilzchen, ein Handpuppenspiel für den „Dresdner Kasperle“ von Oswald Hempel, Leipzig 1931
  • Rumpelstilzchen, ein Handpuppenspiel von Heinrich Maria Denneborg, veröffentlicht in Denneborgs Kasperschule, Ravensburg 1968
  • Rumpelstilzchen, ein Puppenspiel von Walter Büttner, Seevetal-Maschen o.J.
  • Rumpelstilzchen, Schauspiel von Sylvia Hoffmann, Regie: Ellen Schulz, Brüder Grimm Märchenfestspiele Hanau, Premiere 2008[6]

Siehe auch

Literatur

Primärliteratur

  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 314-317. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. S. 106-108, 466. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  • Rölleke, Heinz (Hrsg.): Die älteste Märchensammlung der Brüder Grimm. Synopse der handschriftlichen Urfassung von 1810 und der Erstdrucke von 1812. Herausgegeben und erläutert von Heinz Rölleke. S. 238-243, 379-380. Cologny-Geneve 1975. (Fondation Martin Bodmer; Printed in Switzerland)

Sekundärliteratur

  • Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Berlin 2008. S. 134-139. (de Gruyter; ISBN 978-3-11-019441-8)
  • Röhrich, Lutz: Name des Unholds. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 9. S. 1164-1175. Berlin, New York, 1999.
  • Scherf, Walter: Das Märchenlexikon. Zweiter Band L-Z. S. 1000-1005. München, 1995. (Verlag C. H. Beck; ISBN 3-406-39911-8)

Varianten

  • Peitz, Christian: Rumpelstilzchen schlägt zurück (Hörspiel). Verlag HoerSketch, Münster 2009.
  • Ranke, Kurt (Hrsg.): Schleswig-Holsteinische Volksmärchen. Kiel 1958. S. 96-102.
  • von Beit, Hedwig: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 536. (A. Francke AG, Verlag)

Interpretationen

  • von Beit, Hedwig: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 535-543. (A. Francke AG, Verlag)
  • Wittmann, Ulla: Ich Narr vergaß die Zauberdinge. Märchen als Lebenshilfe für Erwachsene. Interlaken 1985. S. 161-164. (Ansata-Verlag; ISBN 3-7157-0075-0)
  • Drewermann, Eugen: Von der Macht des Geldes oder Märchen zur Ökonomie. Düsseldorf 2007. S. 17-71. (Patmos Verlag; ISBN 978-3-491-21002-8)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Röhrich, Lutz: Name des Unholds. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 9. S. 1164-1175. Berlin, New York, 1999.
  2. Röhrich, Lutz: Name des Unholds. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 9. S. 1168. Berlin, New York, 1999.
  3. von Beit, Hedwig: Gegensatz und Erneuerung im Märchen. Zweiter Band von «Symbolik des Märchens». Zweite, verbesserte Auflage, Bern 1956. S. 535-543. (A. Francke AG, Verlag)
  4. Drewermann, Eugen: Von der Macht des Geldes oder Märchen zur Ökonomie. Düsseldorf 2007. S. 17-71. (Patmos Verlag; ISBN 978-3-491-21002-8)
  5. Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Berlin 2008. S. 135. (de Gruyter; ISBN 978-3-11-019441-8)
  6. http://www.hanauonline.de/content/view/12927/456/

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