Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden

Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden
Lesesaal im Fünfeckpalast

Die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden ist die zentrale Sammel- und Archivstelle appenzell-ausserrhodischer Medien. Sie hat den gesetzlichen Auftrag einer möglichst vollständigen Dokumentation und Archivierung publizierter und unpublizierter Ausserrhoder Informationsträger (Appenzellensia), namentlich solcher Informationsträger, die im Kanton Appenzell Ausserrhoden erschienen sind, von Personen verfasst wurden, die im Kanton wohnhaft sind, oder den Kanton oder seine Bewohner zum Thema haben. Die Kantonsbibliothek beherbergt zudem Sammlungen und Nachlässe aus den Bereichen Literatur und Kunst. Sie übernimmt Dokumente von Privaten und von anderen Bibliotheken oder Institutionen und gewährleistet die Langzeitaufbewahrung an einem sicheren Ort.

Die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden liegt am Landsgemeindeplatz 1 und 7 im Dorfkern von Trogen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Gründung der Bibliothek erfolgte 1896 und basiert auf einem Schenkungsvertrag der Gemeinde Trogen an den Kanton Appenzell Ausserrhoden vom 24./25. August 1895.

Aus dem Kreis der appenzellisch-vaterländischen Gesellschaft herausgewachsen

In ihrem Gründungsjahr konnte die Kantonsbibliothek von der Gemeindebibliothek Trogen einen Bücher- und Handschriftenbestand mit etwa 15-20'000 Titeln übernehmen. Dieser Bestand war seit den 1830er Jahren im Kreis der appenzellisch-vaterländischen und später der Appenzellischen Gemeinnützigen Gesellschaft angelegt worden. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die Bibliothek Zuwachs aus den Sammlungen von Johann Conrad Honnerlag (1777–1838), Johann Caspar Zellweger (1768–1855) und Johann Jakob Frei (1789–1852). Im Übergabevertrag an den Kanton wurde festgehalten, dass, sollte die Kantonsbibliothek in eine andere Gemeinde verlegt werden, die Bücher aus den Nachlässen von Johann Jakob Frei und Johann Caspar Zellweger am angestammten Ort, in Trogen, zu bleiben hätten. Der erste Kantonsbibliothekar, Karl Ritter (1856–1899), verstarb im Amt. Seine Nachfolge übernahm August Blatter (1875–1954), der in seiner kurzen Amtszeit bis 1903 den Zettelkatalog einführte.

Die Kantonsbibliothek im 20. Jahrhundert

Kantonsbibliothekar Adam Marti (1857–1940) erstellte erstmals ein vollständiges Inventar: Anfang 20. Jahrhundert besass die Bibliothek rund 26'000 Bände und Broschüren, 300 Bände Manuskripte, 38 Mappen mit Karten und Stichen sowie 65 Bündel Zeitungen. Marti machte sich einen Namen als Auskunftsperson zur Landesgeschichte und zu appenzellischen Themen und Persönlichkeiten. 1928 wurde Albert Nägeli (1880–1958) Leiter der Kantonsbibliothek. Sein Augenmerk lag auf der Sichtung, Ordnung und Katalogisierung der umfangreichen Briefsammlungen von Laurenz Zellweger, Johann Caspar Zellweger und Johann Jakob Frei. In seiner Amtszeit wurde der Nachlass von Weberpfarrer Howard Eugster-Züst (1861–1932) der Kantonsbibliothek geschenkt; 1972 kamen weitere Teile dieses Nachlasses dazu, 2004 und 2007 noch letzte private Dokumente und Bilder.

1953 wählte der Regierungsrat den ersten einheimischen Kantonsbibliothekar: Walter Schläpfer (1914–1991). Schläpfer verfasste in seiner Amtszeit mehrere Standardwerke zur Appenzeller Geschichte und Wirtschaft. Mitte der 1950er Jahre wurde die Erfassung von rund 25'000 Einheiten der Bibliothek im Zettelkatalog abgeschlossen. Die Bibliothek richtete sich neu aus als rein Wissenschaftliche Bibliothek. Am 8. August 1957 gelangte sie in den Besitz der umfassenden Büchersammlung des Obergerichtspräsidenten und Gründers und Präsidenten der Säntis-Schwebebahn AG, Carl Meyer (1873–1947). Nach einem grossen Umbau im Stammgebäude der Kantonsbibliothek, dem Pfarr- und Gemeindehaus Trogen, der 1975 bis 1977 stattfand, konnte im 3. OG der ehemalige Festsaal des Hauses als Ausstellungsraum eröffnet werden. 1980 fand dort anlässlich des 250. Geburtstags von Salomon Gessner, Freund von Laurenz Zellweger und Schwiegervater von Johann Caspar Zellweger, eine vielbeachtete Ausstellung statt.

1986 übernahm Johannes Schläpfer (* 1955) die Leitung der Bibliothek. Seine Amtszeit war geprägt durch die seit Jahren knappen Raumverhältnisse und erneute Beständeauslagerungen. Nachdem 1991 der Kanton den Fünfeckpalast, das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus von Johann Caspar Zellweger, erworben hatte, wurde 1996 der Budgetposten für die Bereitstellung verschiedener Räume für den Empfang, den Lesesaal, ein Büro und das Magazin der Kantonsbibliothek im Erdgeschoss des Palastes bewilligt.

Der Umzug in die neuen Räumlichkeiten erfolgte 1998. In diesem Jahr trat Kantonsbibliothekar Matthias Weishaupt (geb. 1961) sein Amt an. Weishaupt konnte erstmals Stellenprozente für eine Bibliothekarin und 1999 für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter schaffen. Die Schwerpunkte seiner Amtszeit lagen in der EDV-Erschliessung aller Bücher und Broschüren und dem Aufbau einer elektronischen Bilddatenbank. Der Entscheid, dem St. Galler Bibliotheksnetz SGBN, einem Verbund mit 46 Bibliotheken beizutreten, fiel im Jahr 2000 und war richtungsweisend für den Schritt ins neue Jahrtausend. Mit verschiedenen Veranstaltungen zur Description de l’Égypte, den 25 Textbänden und 900 grossformatigen Lithografien der 1821 bis 1829 erschienenen zweiten Auflage dieses Monumentalwerks, das im Anschluss an Napoleons Ägyptenfeldzug entstanden war und durch Johann Conrad Honnerlag (1777–1838) erworben sowie umgehend als „ein Cheval de bataille für allfällige Besuche“ der damaligen Gemeindebibliothek Trogen geschenkt worden war, machte Weishaupt eine der wichtigen Sondersammlungen der Öffentlichkeit bekannt. Ferner erfolgte unter ihm die Erschliessung der Sammlung Carl Meyer mit Veröffentlichung eines Katalogs, die Finanzierung der Restaurierung wichtiger Porträts aus den Nachlassmaterialien der Familien Zellweger und Honnerlag und die Intitiierung der Trogener Bibliotheksgespräche, eines periodisch stattfindenden interdisziplinären Kolloquiums, in dessen Zentrum die handschriftlichen Materialien aus dem Nachlass der Familie Zellweger, vor allem von Laurenz und Johann Caspar Zellweger, stehen.

Die Kantonsbibliothek im 21. Jahrhundert

Seit Oktober 2006 leitet Heidi Eisenhut (* 1976) die Bibliothek. 2008 verfügt die Kantonsbibliothek über 230 Stellenprozente (ab 1. Januar 2009: 280). In einem dreijährigen Projekt sollen mittels weiterer 70 Stellenprozente die handschriftlichen Bestände der Familie Zellweger erschlossen werden.

Ausrichtung

Basierend auf dem Kulturförderungsgesetz vom 1. Aug. 2006, Art. 2 Abs. 2 setzt sich die Kantonsbibliothek für die lebendige Auseinandersetzung mit dem überlieferten Kulturgut sowie dessen Pflege, Erforschung und Vermittlung ein. Sie optimiert die Erwerbs-, Erschliessungs- und Erhaltungsprozesse für alle Sammlungen, entwickelt die Benutzungs- und Beratungsdienstleistungen, pflegt und verstärkt regionale, nationale und internationale Kooperationen und erhöht ihre Bekanntheit, indem sie sich als Institution auf die Tagesordnung bringt.

Umsetzung

Die Kantonsbibliothek strebt einen möglichst breiten Zugang zu ihren Beständen an, indem sie

  • alles Aufbewahrte erschliesst und über einen Online-Katalog recherchierbar macht.
  • Werke digitalisiert und Sammlungen oder Teile davon vollständig und kostenfrei im Internet zugänglich macht.
  • durch Kooperationen mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen Synergien nutzt.

Die Kantonsbibliothek ist an der Öffentlichkeit präsent durch

  • Publikationstätigkeit.
  • Veranstaltungen wie Vorträge, Präsentationen, Führungen, Ausstellungen, Kolloquien.
  • Pressearbeit.

Die Kantonsbibliothek unterstützt Institutionen wie Museen, Schulen oder Gemeinden und Private, die sich mit der Kultur und Geschichte des Kantons auseinandersetzen, durch

  • Fachauskünfte.
  • Projektcoaching.
  • Schulungen.

Die Kantonsbibliothek übernimmt koordinierende und beratende Aufgaben für andere Bibliotheken im Kanton und vernetzt sich im regionalen und schweizerischen Kontext.

Bestand

Der Bestand der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden umfasst derzeit knapp 47’000 physische und 12'500 digitale Einheiten (Stand: Dezember 2007), darunter unter anderem

  • 36’000 Druckschriften
  • 250 abgeschlossene Periodika
  • 250 laufende Periodika
  • 450 Handschriften
  • 360 Karten und Pläne
  • 9'000 Bilddokumente
  • 670 AV-Medien
  • 12'500 digitale Einzeldokumente

Seit 2000 gehört die Kantonsbibliothek dem St. Galler Bibliotheksnetz (SGBN, koordiniert von der Kantonsbibliothek St. Gallen) an, die verwendete Bibliothekssoftware ist [1]. Die Altbestände sind seit Sommer 2006 vollständig retrokatalogisiert, aber noch nicht sacherschlossen (Stand: Oktober 2008).

Die Spezialsammlungen Carl Meyer, Schauwerk, die Bilddatenbank sowie die kantonale Kunstsammlung sind ebenfalls im Online Katalog [2] recherchierbar; die handschriftlichen Bestände sollen ab 2009 sukzessive online abrufbar werden. Die Benutzung der Bibliothek ist öffentlich und der Bibliotheksausweis [3] oder IDS-Karte) berechtigt zur Ausleihe.

Spezialsammlungen

Ein Merkmal der Kantonsbibliothek sind ihre Sammlungen.

Familiennachlass Zellweger

Innerhalb des Familiennachlasses mit Lebensdokumenten und chronikalischen Aufzeichnungen sind die Briefnachlässe von Laurenz Zellweger (1692–1764), Johannes Zellweger-Hirzel (1730–1802) und von Johann Caspar Zellweger (1768–1855) besonders hervorzuheben. In Kooperation mit dem Staatsarchiv (Firmennachlass Zellweger), dem historischen Seminar der Universität Zürich und den germanistischen Instituten der Universitäten Bern und Bochum (3. Trogener Bibliotheksgespräch 2009) ist 2008 die Erschliessung und Aufarbeitung des Bestandes lanciert worden. Das Material bietet für die Wissenschaft sowie allgemein für an der Landes-, Aufklärungs-, Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte interessierte Öffentlichkeit einen reichen Fundus.

Sammlung Carl Meyer

Der Herisauer Jurist und Politiker Carl Meyer (1873–1947), Initiant der Säntis-Schwebebahn und Obergerichtspräsident des Kantons Appenzell Ausserrhoden, sammelte seit den 1920er-Jahren bibliophile Werke. Sein Ziel war es, die Entwicklungsgeschichte des Buches und der Buchillustration von der mittelalterlichen Handschrift bis zum anspruchsvollen Druckwerk des 20. Jahrhunderts umfassend zu dokumentieren. Bei seinem Tod umfasste die Sammlung rund 800 Werke. Rund 700 Werke befinden sich heute in der Kantonsbibliothek Trogen, darunter 27 Handschriften, die Hälfte aus der Zeit vor der Reformation, 82 Wiegendrucke des 15. Jahrhunderts und 106 Drucke, vorwiegend Holzschnittbücher, aus dem 16. Jahrhundert. Die Sammlung ist seit 2005 in einem gedruckten Katalog [4] erschlossen.

Description de l'Égypte

Description de l’Égypte Das Werk umfasst 25 Bände in Oktav und 900 grossformatige Lithografien und befindet sich seit 1834 in der Bibliothek.

Bildersammlung

Die Bildersammlung hat einen Schwerpunkt im Bereich des publizierten Bildmaterials und umfasst im Kern Druckgrafiken, Plakate und Ansichtskarten. Derzeit (Oktober 2008) sind 12'500 vollständig digitalisierte Einheiten im Online-Katalog abrufbar.

Vor- und Nachlässe aus Kunst und Literatur

Neben dem Familiennachlass Zellweger finden sich in der Kantonsbibliothek verschiedene Vor- und Nachlässe aus Kunst und Literatur, darunter von Victor Tobler, Otto Schmid, Ruedi Peter, Peter Morger, Hans-Ruedi Fricker und Infrasteff Signer. Mit den Nachlässen von Weberpfarrer Howard Eugster-Züst (1861–1932) und der Kämpferin für das Ausserrhoder Frauenstimmrecht, Elisabeth Pletscher (1908–2003), beherbergt die Kantonsbibliothek zwei für die Sozialgeschichte des Kantons bedeutende Sammlungen.
Die Nachlässe werden ab Ende 2008 im [5] Repertorium der handschriftlichen Nachlässe der Schweiz verzeichnet.

Kantonale Kunstsammlung

Seit 2008 verwaltet die Kantonsbibliothek die kantonale Kunstsammlung mit rund 700 Objekten. Die Kunstwerke sind verwaltungsintern ausleihbar und sollten ab 2009 im Online-Katalog recherchiert werden können.

Schauwerk

Das Schauwerk [6] ist ein interdisziplinäres Sammlungsprojekt, das zeitgenössische Kunst aus aller Welt in die Räume der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden in Trogen bringt. Der Urheber ist der ehemals in Trogen wohnhafte Künstler René Schmalz.

Literatur

  • Marti, Adam: Über die Entstehung der appenzellischen Kantonsbibliothek. In: Appenzellische Jahrbücher, 1908, S. 119–132.
  • Schläpfer, Johannes: Das Ausserrhoder Bibliothekswesen. In: Appenzellische Jahrbücher, 124/1996 (1997), S. 5–36.
  • Rudolf Gamper und Matthias Weishaupt (Hrsg.): Sammlung Carl Meyer in der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden in Trogen. Katalog der Handschriften und der Drucke bis 1600. Dietikon/Zürich 2005. [7].
  • Weishaupt, Matthias: Die „Description de l’Égypte“ in der Bibliothek von Trogen. In: Appenzellische Jahrbücher, 130/2002 (2003), S. 14–27.
  • Hanspeter Marti: Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden. In: in: Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz. [8]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. ALEPH
  2. Online-Katalog
  3. (Bibliopass
  4. gedruckten Katalog
  5. Repertorium der handschriftlichen Nachlässe der Schweiz
  6. Schauwerk
  7. (PDF-Ausgabe des gedruckten Katalogs)
  8. Online-Version
47.4077777777789.4647222222222

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