Kara Spears Hultgreen

Kara Spears Hultgreen

Kara Spears Hultgreen (* 5. Oktober 1965 in Greenwich, Connecticut; † 25. Oktober 1994 Pazifischer Ozean, 50 Meilen vor der Küste von San Diego) war die erste Kampfpilotin der United States Navy im Cockpit einer F-14 Tomcat. Sie starb am 25. Oktober 1994 ca. 50 Meilen vor der Küste von San Diego, als ihr Jet beim Landeanflug auf die USS Abraham Lincoln nach einem Triebwerksschaden außer Kontrolle geriet und ins Meer stürzte.

Kara S. Hultgreen im Alter von 29 Jahren vor einer F-14A

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Jugend

Kara Hultgreen war die jüngste Tochter von Tor Hultgreen und seiner Frau Sally, einer studierten Juristin. Da ihr Vater, der als Makler für Holzprodukte tätig war, häufig versetzt wurde, wuchs Kara an wechselnden Orten auf. In ihrem Junior-Jahr auf der High School fasste Kara nach einem Referat über das Raumflugprogramm den Entschluss, Astronautin werden zu wollen. Sie schrieb sich für ein Studium der Luft- und Raumfahrtingenieurwissenschaften an der University of Texas ein und erwarb 1987 ihren Abschluss.

Offiziers- und Flugausbildung

Eine T-34C Turbo Mentor in den Farben der US-Navy

Hultgreen trat der US Navy bei und wurde nach ausgiebigen physischen und psychischen Tests für die Aviation Officer Candicate School in Pensacola zugelassen. Ihre Leistungen lagen in den oberen 10 Prozent der letzten Ausbildungsklassen und sie verließ die Schule nach 14 Wochen am 6. November 1987 im Dienstgrad eines Ensign.

Die grundlegende Flugausbildung fand in Corpus Christi auf Turboprop-Maschinen des Typs Beechcraft T-34C statt. Die hier erworbene Beurteilung entschied über die weitere fliegerische Verwendung in der Marine und Hultgreen setzte ihr Training ab August 1988 in Beeville bei der Ausbildungsstaffel VT-26 mit North American T-2C Buckeyes fort. Ein wichtiger Bestandteil der Jet-Ausbildung war das Üben von Trägerlandungen. Diese Landungen wurden zunächst an Land „auf dem Trockenen“ geprobt, bevor die Schüler ein echtes Schiff (den Ausbildungs-Flugzeugträger USS Lexington) anfliegen durften. Am 26. Januar 1989 erwarb Hultgreen die Carrier Qualification für die T-2C Buckeye. Die weitere Ausbildung geschah in der Douglas TA-4J Skyhawk und schloss ebenfalls mit der Carrier Qualification ab. Im August 1989 erhielt Kara Hultgreen als 18. Frau in Beeville ihre Fliegernadel (die Wings).

Eine North American T-2 bei Flugzeugträgerlandung
Eine TA-4F in den frühen 1970er Jahren auf einem Flugzeugträger

Für Frauen waren die Möglichkeiten hinsichtlich der weiteren Verwendung sehr begrenzt, da sie auf Grund bestehender Gesetze nicht in kämpfenden Staffeln eingesetzt werden durften. Hultgreen hatte gehofft, Ausbilder auf der F/A-18 Hornet werden zu können, bis sich die Gesetzeslage änderte, allerdings waren die entsprechenden Plätze knapp und sämtlich belegt. Stattdessen wurde sie der Staffel für Taktische Elektronische Kriegführung VAQ-33 „Firebirds“ in Key West zugeteilt, um dort die A-6 Intruder zu fliegen.

Der zukünftige Einsatz in der EW-Staffel bedeutete zunächst eine umfassende Ausbildung in elektronischer Kriegführung, die wiederum in Pensacola stattfand. Daran schloss sich ein Überlebenstraining in den Wäldern von Maine an. Ab Februar 1990 wurde sie auf dem Marinefliegerstützpunkt NAS Oceana auf der A-6E ausgebildet. Da sie allerdings nicht in einer Kampfstaffel fliegen würde, waren Waffenausbildung, Luftkampfmanöver und Trägerlandungen aus ihrem Lehrplan gestrichen, und im Verhältnis zu anderen A-6-Piloten konnte sie nur sehr wenig der wertvollen Flugerfahrung machen. Ende März 1990 wurde sie auf den Stützpunkt in Key West verlegt.

Key West

Anders als die meisten Navy-Staffeln war VAQ-33 eine Composite-Staffel, in der verschiedene Flugzeugtypen geflogen wurden, darunter ältere Modelle wie EA-6A und A-3 Sky Warrior, aber auch „neuere“ A-6 Intruder und P-3 Orion. Alle Flugzeuge waren für elektronische Kriegführung umgebaut worden. Die Tatsache, dass die Flugzeuge aus unterschiedlichen Quellen zur Staffel gelangt waren, teilweise modernisiert waren und teilweise nicht, führte dazu, dass kaum ein Flugzeug dem anderen in der Ausstattung glich.

Anders als ihre Kollegen bei der US-Luftwaffe haben Marineflieger auch einen „Boden-Job“. Kara Hultgreen übernahm die Rolle eines Presseoffiziers. Die Arbeit unterschied sich nicht grundlegend von den typischen Aufgaben einer kombinierten Marketing/PR-Abteilung in einem Wirtschaftsunternehmen. Außer den Kontakt zur Presse zu pflegen, musste das Zwei-Frau-Pressebüro der VAQ-33 auch verschiedene „Events“ des Staffel-Lebens organisieren.

Am 27. Januar 1991 übernahm Hultgreen zum ersten Mal die Führung einer Formation. Außer Hultgreens EA-6A gehörten eine ERA3-B „Whale“ und zwei Hornets dazu. Die Maschinen sollten mit der Trägergruppe der USS Forrestal trainieren. Das Unternehmen endete in einem Fiasko, als die Formation infolge eines defekten Funkgeräts auf der führenden EA-6A auseinanderbrach. Immerhin erhielt die Forrestal das wichtige EW-Training, bevor sie in den Persischen Golf aufbrach, und alle Flugzeuge kehrten sicher zur Basis zurück.

Weitere Missgeschicke festigten das Bild, das einige ihrer männlichen Staffelkollegen von ihr hatten. Nachdem sie im Mai 1991 aus Whidbey Island bei Washington vom „Prowler Symposium“ zurückkehrte, mussten die Flügel ihrer EA-6A getauscht werden, da aus vielen Haarrissen Treibstoff auslief. Dies war ein Symptom für eine Überlastung der Flügel durch zu harte Manöver. Hultgreen hatte die Risse nicht verursacht, konnte den Verdacht aber zunächst nicht ausräumen.

Im Juli 1991 wechselte Hultgreen vom Pressebüro in die Wartungsabteilung. Fortan war sie für das Training von etwa 70 Mechanikern verantwortlich.

1992

Anfang 1992 zerschlug sich die Aussicht, dass VAQ-33 auf F/A-18 Hornets umgestellt werden würde. Es stellte sich als schwierig bis unmöglich heraus, die vorhandenen Elektronikbehälter der Marine an der Hornet anzubringen. Stattdessen stellte sich die Zukunft so dar: Zunächst würde der EA-6A-Bestand der Staffel vergrößert werden, und die alte A-3 außer Dienst gestellt. In etwa einem Jahr würde die Staffel dann aufgelöst werden. Die Aufgaben der EW-Trainingsstaffeln sollten von der Marinereserve mit Grumman EA-6B Prowlern übernommen werden.

Eine EA-6B Prowler über Marine Corps Air Station Cherry Point, North Carolina

Schrecksekunde am 10. Oktober 1992: Bei der Landung in Pensacola ließ sich das rechte Hauptfahrwerk nicht ausfahren. Dies ist eine potenziell sehr gefährliche Situation für ein Flugzeug. Der rechte Flügel könnte den Boden berühren und das Flugzeug sich anschließend überschlagen. Während Hultgreen und ihr Navigator Ron Lotz über dem Stützpunkt kreisten, um möglichst viel Treibstoff zu verbrennen und das klemmende Fahrwerk vielleicht doch noch herauszuschütteln, bereitete man am Boden die Notlandung vor. Diese Landung würde wie eine Flugzeugträgerlandung funktionieren. Hultgreen musste mit dem Fanghaken ein ausgelegtes Stahlseil treffen, das das Flugzeug möglichst schnell bremsen würde. Nach einem Testanflug wurde es ernst; sie schaffte es, das Flugzeug mit dem linken Rad aufzusetzen. Der Jet kippte auf das Vorderrad und fing das Seil. Der rechte Flügel blieb bis kurz vor dem endgültigen Stopp in der Luft und setzte dann mit der Spitze auf. Das Flugzeug vollführte noch eine halbe Drehung nach rechts und kam dann zum Stehen. Der Schaden am Flugzeug betrug lediglich 16 Dollar für eine neue Flügelspitze. Wichtiger war, dass der 4 Mio. Dollar teure Störsender unter dem rechten Flügel und natürlich die Besatzung die Landung unbeschadet überstand. Hultgreen sollte für eine Air Medal vorgeschlagen werden, doch ihr kommandierender Offizier lehnte den Antrag ab.

Combat Exclusion Laws

Ehemaliger US Verteidigungsminister Les Aspin

Am 17. April 1993 trat in Falls Church (Virginia) das Defense Advisory Committee on Women in the Services (DACOWITS) zusammen. Dieses Komitee hatte seit 1975 immer wieder empfohlen, die Combat Exclusion Laws aufzuheben. Seit zwei Monaten unterstützte nun auch die Navy ganz offiziell die Frauen in ihrem Anliegen. Alles was gebraucht wurde, war ein Regierungsbeschluss. Hultgreen und weitere Pilotinnen nahmen die Gelegenheit wahr, direkt mit den Komiteemitgliedern sprechen zu können. In einer Podiumsdiskussion standen Hultgreen und eine weitere Pilotin auf und fragten den Luftwaffengeneral McPeak eine simple Frage, auf die er kein Gegenargument wusste: Ob ihm von irgendeiner bestehenden gemischtgeschlechtlichen Staffel bekannt sei, dass dort Probleme bei der Zusammenarbeit von Männern und Frauen existierten. McPeak sagte schließlich, was er wirklich dachte: Dass es keine Gründe gab, warum Frauen nicht im Kampf fliegen sollten und dass er lediglich Vorurteilen nachhing. Dieses Geständnis des einflussreichen Generals war das Moment, welches den Verteidigungsminister Les Aspin dazu brachte, am 28. April 1993 zu verkünden, dass Frauen fortan gleichberechtigt Kampfflugzeuge fliegen durften.

Miramar

Eine F-14 in den Farben der VF-213 mit LANTIRN-Behälter

Für Hultgreen entwickelten sich die Dinge anders als geplant. Sie wollte unbedingt an der Westküste dienen, aber dort konnte die Navy sie nicht auf der F/A-18 ausbilden. Stattdessen entschied sie sich für die aus dem Film Top Gun bekannte F-14 Tomcat und wurde zur Ausbildung an die NAS Miramar versetzt. Sie würde auf der alten F-14A mit ihren störanfälligen TF-30-Triebwerken trainieren, und nicht auf der moderneren F-14D „Super Tomcat“.

Neben Hultgreen wurden bei der Trainingsstaffel VF-124 „Gunfighters“ in Miramar zwei weitere Frauen als Pilotinnen ausgebildet. Zur selben Zeit wurde in San Diego der Flugzeugträger USS Abraham Lincoln so umgebaut, dass Frauen an Bord mitreisen konnten. Neben den Schlafräumen betraf dies vor allem die sanitären Einrichtungen. Im Frühjahr 1995 würde die Lincoln in den persischen Golf auslaufen, und Hultgreen und ihre Kolleginnen würden dabei sein. Der Zeitplan war nicht eng gesteckt. Während der Kennenlern-Tour durch die Büros der Vorgesetzten lernte Hultgreen auch Lt. Neil „Waylon“ Jennings kennen, mit dem sie später ihren tödlichen letzten Flug absolvieren würde.

Während der Ausbildung schnitt Hultgreen in den meisten Disziplinen als Kursbeste oder Zweitbeste ab. Lediglich die Qualifikation für Trägerlandungen schaffte sie erst im zweiten Anlauf und schloss leicht über dem Durchschnitt als dritte von sieben Piloten ab. Mit ihrer abschließenden Landung auf der USS Constellation am 24. Juli 1994 wurde Kara Hultgreen zur ersten voll qualifizierten F-14 Pilotin der Navy.

VF-213 „Blacklions“

VF-213 F-14 tail markings

Hultgreen trat der VF-213 „Blacklions“ in Miramar bei, die der USS Abraham Lincoln zugeteilt waren. Bei ihrer Ankunft verdiente sie sich das Rufzeichen, unter dem sie nach ihrem Tod bekannt wurde. Da sie kurz vorher für das Fernsehen interviewt worden war, war sie noch entsprechend geschminkt. Ihre Staffelkollegen nannten sie fortan „Revlon“. Die Firma Revlon gehört zu den führenden US-Kosmetikkonzernen.

Im Oktober 1994 begann die Trägergruppe der USS Abraham Lincoln mit Vorbereitungen zum Einsatz im Persischen Golf. Der Air Wing der USS Lincoln übte Langstrecken-Angriffe in Fallon (Nevada). Die Tomcats flogen dabei hauptsächlich Jagdschutz für die bombenwerfenden Hornets und warfen auch selbst einige Bomben ab.

Unfalltod am 25. Oktober 1994

Eine F-14 über einem Flugzeugträger

Am 25. Oktober sollten noch mehrere Tomcats von Miramar zur Lincoln überführt werden. Der Träger hatte San Diego am Tag zuvor verlassen. Mit Hultgreen im Flugzeug Lion 103 (eine F-14A, BuNo 160390) flog als RIO Lt. Matthew Klemish. Die Führung der Zweierformation hatte Lt. Neil „Waylon“ Jennings mit Lion 116, der von der „Aggressor“-Staffel in Miramar zur VF-213 versetzt worden war. Nach knapp einer Stunde Flug näherten sich die Flugzeuge gegen 15 Uhr Ortszeit der Abraham Lincoln. Um das vorgeschriebene Lande-Höchstgewicht einzuhalten, wurde Treibstoff abgelassen.

Hultgreen ging auf Abstand zu Jennings, um ohne Warteschleifen in einem Zug landen zu können. Jennings musste den Endanflug zunächst abbrechen, da das Flugdeck noch nicht geräumt war. Um 15:01 schwenkte Lion 103 zum Endanflug ein, befand sich allerdings rechts von der Ideallinie. Hultgreen korrigierte entgegen den Vorschriften mit viel linkem Seitenruder. Das Handbuch der F-14 warnt ausdrücklich vor einem solchen Vorgehen (Sideslip), da es hierbei zu einem Triebwerksausfall durch verschlechterten Lufteinstrom kommen könne und dies geschah dann auch, das linke Triebwerk erlitt einen Strömungsabriss (engl. Stall) in der Kompressorstufe, so dass das Triebwerk keinen Schub mehr produzierte. Die Nase schwenkte zwar wie gewollt nach links, aber durch den asymmetrischen Schub beim Ausfall eines Triebwerks aufgrund ihrer weit auseinander liegenden Anordnung bei der F-14 kam es zu einer Verstärkung der Seitwärtsbewegung. Das Flugzeug wurde langsamer und verlor unverhältnismäßig an Höhe, die Nase kam hoch und der Jet rollte nach links, da auf der rechten Seite das verbliebene Triebwerk weiter Schub lieferte.

Hultgreen brach daraufhin den Landeanflug ab, aktivierte die Nachbrenner und versuchte, das Flugzeug nach links vom Schiff wegzusteuern, da akute Kollisionsgefahr bestand. Dies verschlimmerte die Situation, da der einseitige Schub die Seitwärtsbewegung derart verstärkte, dass sie auch durch Gegenkorrekturen am Ruder nicht aufgefangen werden konnte. Als der Jet schneller zu rollen begann und die Nase in Richtung Wasser zeigte, löste Klemish den Schleudersitz aus. Der hinten sitzende RIO wurde 0,9 Sekunden später als erster aus dem Flugzeug geschossen, der Rollwinkel betrug zu diesem Zeitpunkt ca. 90° links. Damit sich Pilot und RIO in der Luft nicht treffen, werden sie um 0,4 Sekunden zeitversetzt und nicht senkrecht, sondern um je 20° seitlich versetzt herausgeschossen – der RIO nach links, der Pilot nach rechts. Als Hultgreens Sitz auslöste, betrug der Rollwinkel bereits 110° – zu viel für einen sicheren Ausstieg. Mit geschätzt 250 km/h schlug sie mitsamt Sitz auf der Wasseroberfläche auf.

Die spätere Obduktion der Leiche ergab als Todesursache Aufprallverletzungen und Ertrinken. Von den festgestellten Verletzungen war keine direkt tödlich, allerdings ließ sich nicht sagen, ob sie in der Summe zu überleben gewesen wären. Fest steht, dass der Sitz sich durch den Aufprall nicht mehr wie beabsichtigt abtrennte und Hultgreen unter Wasser zog. Lt. Klemish überstand den Ausstieg mit kleinen Blessuren und wurde nach vier Minuten aus dem Wasser gerettet.

Bergung und Begräbnis

Die Bergung von Leiche und Flugzeug gestaltete sich schwierig, da beide auf etwa 1.200 m Tiefe lagen. Nach 19 Tagen konnten Hultgreens Leiche und der Schleudersitz geborgen werden. Erst im dritten Anlauf am 21. Dezember 1994 gelang es, den Jet zu heben. Dazu mussten mit einem Tauchroboter Stahlseile am Wrack befestigt werden. Das Wrack wurde danach zur Untersuchung auf die NAS North Island bei San Diego gebracht.

Am 21. November 1994 wurde Kara Spears Hultgreen auf dem Nationalfriedhof Arlington mit vollen militärischen Ehren bestattet. Zuvor war bereits in San Antonio ein Gedenkgottesdienst inklusive Überflug von vier Tomcats in der Missing-Man-Formation abgehalten worden. In Arlington wurde der Sarg von einer vierspännigen Kutsche zur vorgesehenen Grabstelle gefahren. Bei der Zeremonie war auch der Marineminister John Dalton anwesend und kondolierte der Familie.

Unfallursachen

Eine Turbofanturbine Pratt&Whitney TF30-P-412 beim Einbau in eine F-14A

Bereits kurz nach dem Unfall war ein Kompressor-Stall als Unfallursache in der Diskussion. Aussagen von Klemish und die Auswertung der Videoaufzeichnung des Anflugs bestätigten dies; nur das rechte Triebwerk hatte zuletzt eine Abgasfahne. Das Hauptinteresse bei der Untersuchung des Wracks galt daher dem linken TF-30-Triebwerk. Dabei wurde festgestellt, dass das Triebwerk zum Unfallzeitpunkt voll funktionsfähig war. Allerdings hatte das linke Triebwerk ein verklemmtes „Mid-Compression Bypass“-Ventil (MCB). Über das MCB wird bei drohendem Kompressor-Stall Luft im Triebwerk umgeleitet, damit der Luftstrom in der Kompressorstufe nicht abreißt. Dieses Ventil hatte sich durch Verschleiß und Verschmutzung in geschlossener Position verklemmt, was die Toleranz des Triebwerks für Kompressor-Stalls um geschätzte 26 Prozent verringerte. Diese wurde in geringem Maße auch durch Hultgreens heftige Seitenruder-Kurskorrektur und die während des Anflugs erfolgten Drehzahländerungen des Triebwerks reduziert, die beiden Faktoren befanden sich allerdings innerhalb normaler Parameter und hätten nicht zu einem Strömungsabriss geführt, wenn das MCB funktioniert hätte. Normalerweise hätte ein solcher Schubverlust im Triebwerk sowohl dem Piloten als auch dem RIO deutlich per Leuchtmelder angezeigt werden müssen. Aussagen von Klemish lassen jedoch darauf schließen, dass der Kompressor-Stall nicht gemeldet wurde und die Crew somit nicht wusste, dass sie sich in einer gefährlichen Situation befand, bis es bereits fast zu spät war.

Durch die weit auseinanderliegenden Triebwerke entwickelt die F-14 eine starke Seitwärtsbewegung, wenn ein Triebwerk ausfällt, zusätzlich zu der Tendenz, in Richtung des ausgefallenen Triebwerks zu gieren und zu rollen. Dabei wird in kurzer Zeit ein sehr hoher Anstellwinkel (Angle of Attack, AOA) erreicht. Wenn es dem Piloten nicht gelingt, den Anstellwinkel niedrig zu halten und die Wende zum erloschenen Triebwerk hin zu unterbinden, wird die Vorwärtsgeschwindigkeit so gering, dass der Jet einen totalen Strömungsabriss erleidet und unkontrollierbar in Richtung Boden fällt. Bis etwa 14° AOA ist das Flugzeug laut NATOPS-Handbuch kontrollierbar, in Simulatortests waren auch knapp 20° noch beherrschbar. Bei diesen 20° geriet auch Hultgreens Jet außer Kontrolle.

Wäre der Absturz zu verhindern gewesen?

Diese Frage wurde vor allem in den Medien immer wieder gestellt. Eine mögliche Antwort auf diese Frage geben die Versuche der Schwesterstaffel VF-211, deren Commander James Winnefeld sich mit acht seiner Piloten in den Simulator setzte und den Unfall nachstellte. Obwohl den Piloten gesagt wurde, dass ihr linkes Triebwerk im Endanflug ausfallen würde, gelang es nur dem Piloten mit der meisten Flugerfahrung (Winnefeld), das Flugzeug im ersten Versuch heil aus der Situation herauszufliegen. Die Glaubwürdigkeit dieser Simulatortests wurde später in Zweifel gezogen. Das Auffangen eines Flugzeugs mit nur einem funktionierenden Triebwerk und hohem Anstellwinkel im Endanflug wurde vor Hultgreens Unfall in der Navy nicht trainiert. Die Kritiker wandten nun ein, dass man als Pilot aber sehr wohl darauf gekommen sein könnte, in dieser Situation einfach Standard-Prozeduren zum Abfangen eines Strömungsabrisses auszuführen. Wenn man nun die Piloten der VF-211 vorab über Hultgreens tatsächliches Vorgehen instruiert hätte, hätten diese aber wahrscheinlich versucht, das Flugzeug auf Hultgreens Art herauszufliegen. Die Simulator-Tests wären somit verfälscht worden.

Der Mishap Investigation Report

Obige Überlegungen führten zur offiziellen Erklärung des Unfalls, die im Abschlussdokument der JAGMAN-Untersuchung niedergelegt wurde und von Vizeadmiral Robert J. Spane der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde.

Zusätzlich zum offiziellen JAG-Report wird bei Unfällen eine zweite unabhängige Untersuchung von einer Kommission (Aircraft Mishap Board, AMB) durchgeführt, in der erfahrene Piloten sitzen. Ziel ist, die Wahrheit herauszufinden und der Unfallursache so auf den Grund zu gehen, dass sie zukünftig verhindert werden kann. Das AMB erstellt ein vertrauliches Dokument, den Mishap Investigation Report (MIR). Er besteht aus einer detaillierten Beschreibung des Unfallhergangs und möglichen Thesen zu Ursachen und Folgen. Jeder mögliche Gedanke wird evaluiert und schließlich von der Kommission entweder akzeptiert oder zurückgewiesen. Es können also auch Vermutungen und Meinungen geäußert werden. Das MIR ist nur allerhöchsten Stellen zugänglich, die daraus ihre Schlüsse ziehen sollen und in ihrem Verantwortungsbereich Maßnahmen treffen sollen, um Unfälle künftig womöglich zu verhindern. Die vertrauliche Vorgehensweise mit MIRs hat sich in der Navy bewährt. Seit Einführung des Marineflieger-Sicherheitsprogrammes haben sich die Unfälle um etwa den Faktor 10 reduziert.

Im Falle von Lt. Hultgreen wurde das vertrauliche MIR von einem Unbekannten mit der Begründung, dass es dem JAG-Report widerspreche und den Unfall vor allem Pilotenfehlern zuschreibe an die Presse weitergegeben. Einige Medienvertreter witterten eine Story. Die Navy könnte etwas vertuscht haben wollen, um nicht zugeben zu müssen, dass eine Frau einen Fehler gemacht hatte. Die Argumente zentrierten sich um die Tatsache, dass Hultgreen es nicht geschafft hatte, das Flugzeug aus der Situation herauszufliegen. Unter Anwendung korrekter Methoden hätte sie es möglicherweise geschafft. Hultgreen hätte somit einen Anfängerfehler begangen, den die Navy gerne unter den Tisch kehren wollte, um nicht zugeben zu müssen, dass Frauen bevorzugt aber schlecht ausgebildet worden waren. Eine Rettung des Flugzeugs wäre jedoch nur möglich gewesen, wenn Hultgreen frühzeitig erkannt hätte, dass das linke Triebwerk erlosch. Das AMB schrieb jedoch explizit in seinem Bericht, dass es davon ausgeht, dass der Kompressor-Stall nicht per Leuchtmelder ins Cockpit signalisiert wurde. Wenn somit keine Chance mehr bestand, das Flugzeug abzufangen, sind darauffolgende Pilotenfehler unerheblich. Dies war auch die – möglicherweise unglücklich kommunizierte – Aussageabsicht des JAG-Reports.

Konsequenzen

Gemäß den Empfehlungen der MIR-Kommission ergriff die Navy Maßnahmen, um zukünftige Unfälle zu verhindern. An der gesamten mit TF-30-Triebwerken ausgestatteten F-14-Flotte wurde eine sofortige Inspektion vorgenommen, um die Freigängigkeit der MCB-Ventile sicherzustellen. Auch zukünftig sollte auf dieses Bauteil mehr geachtet werden, und es mittelfristig durch eine modernere Konstruktion ersetzt werden. Die Triebwerke sollten häufiger auf dem Prüfstand getestet werden, um ihren Schub und Stall-Toleranz zu prüfen. Die Lehrpläne für die Pilotenausbildung wurden um Landeprozeduren mit einem Triebwerk erweitert. Die Tatsache, dass während des Unfalls keine Kommunikation über die Intercom des Flugzeugs stattfand, führte zur Empfehlung an alle Crews, während kritischer Flugphasen intensiv zu kommunizieren.

1997 wurde Kara Hultgreens Mutter Sally Spears als Beraterin ins Defense Advisory Committee on Women in the Services (DACOWITS) berufen. 1998 veröffentlichte sie die Biografie ihrer Tochter unter dem Titel „Call Sign Revlon. The Life and Death of Navy Fighter Pilot Kara Hultgreen“.

Literatur

  • Sally Spears: Call Sign Revlon. The Life and Death of Navy Fighter Pilot Kara Hultgreen. ISBN 1557508097 (Biografie)

Weblinks


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