- Kentumsprachen
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Der Begriff Kentumsprachen (seltener Centumsprachen) bezeichnet in der Indogermanistik eine Anzahl von Sprachzweigen, die Gemeinsamkeiten in der lautlichen Weiterentwicklung der tektalen Plosive (velare, labiovelare, palatale) aufweisen. Den Kentumsprachen stehen die Satemsprachen gegenüber.
Benannt sind die beiden Gruppen nach dem lateinischen bzw. altiranischen Wort für "hundert", die beide aus einem urindogermanischen *k̑m̥tóm entstanden sind.
Kentum- und Satem-Sprachen
Für die indogermanische Ursprache werden drei Artikulationsorte von tektalen Plosiven (im Bereich des Velums) rekonstruiert:
palatovelar velar labiovelar Stimmlose Plosive k̑ k kʷ Stimmhafte Plosive g̑ g gʷ Aspirierte Plosive g̑ʰ gʰ gʷʰ Die Fortsetzungen in den indogermanischen Sprachzweigen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Bei den Kentumsprachen fielen die Palatale mit den Velaren zusammen (*k, *k̑ –> k), während die Labiovelare erhalten blieben. So wurde im Latein *k̑m̥tóm zu centum (lat. <c> wird als /k/ ausgesprochen). Weitere Kentumsprachen sind das Griechische, die germanischen Sprachen, die Keltischen Sprachen und das Tocharische.
In den Satemsprachen fielen dagegen labiovelare und velare Plosive zusammen (*k, *kʷ –> k) und das palatale *k̑ wurde allmählich zu einem Zischlaut /s/ bzw. /ʃ/. Dieser Lautwandel trat z.B. bei den indoiranischen Sprachen ein, zu denen Sanskrit, Persisch und Avestisch gehören. Im Avestischen wurde *k̑m̥tóm zu satəm. Auch bei den frühen slawischen und baltischen Sprachen sowie dem Albanischen ereignete sich Ähnliches.
In einigen Nachfolgesprachen des Lateinischen geschah später eine ähnliche Entwicklung; so heisst das lateinische centum im Spanischen heute cien /θien/, im Französischen cent /sɑ̃/ und im Italienischen cento /'tʃɛnto/.
Die Kentum-/Satem-Unterscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen (am Beispiel der stimmlosen Plosive):
palatovelar velar labiovelar Protoindoeuropäisch k̑ k kʷ Kentumsprachen k kʷ Satemsprachen k̑ k Relevanz der Einteilung
Anfänglich nahm man an, dass sich das Indogermanische – noch bevor die Völker westwärts nach Europa kamen – zuerst in eine Kentumsprache im Westen und eine Satem-Sprache im Osten geteilt habe, da alle westlichen indogermanischen Sprachen Kentumsprachen und alle östlichen Satemsprachen zu sein schienen. Dieser Theorie widerspricht die Entdeckung, dass das ausgestorbene Tocharische, das relativ weit im Osten gesprochen wurde, eine indogermanische Sprache und eine Kentumsprache ist.
Die Unterscheidung zwischen Kentum- und Satem-Sprachen entstammt einer Zeit, als die vergleichende Sprachwissenschaft noch von sich ständig verästelnden Sprachstammbäumen ausging. Dagegen besteht inzwischen Einigkeit, dass die tatsächlichen Verhältnisse viel komplexer waren und insbesondere das Stammbaummodell spätere Beeinflussungen durch Sprachkontakte ignorierte.
Außerdem ist nicht zu beweisen, dass der Unterschied zwischen Kentum- und Satemsprachen der am frühesten eingetretene Unterschied zwischen indogermanischen Sprachen ist.
Zudem konnte man feststellen, dass in den Satemsprachen einige Wörter existieren, die den bewussten Lautwandel nicht zeigen, sondern noch das ursprüngliche -k- aufweisen. Es kann sich aber auch nicht um Lehnwörter aus irgendeiner Kentumsprache handeln.
Der Rückschluss von der Unterscheidung zwischen Kentum- und Satemsprachen auf zwei Dialekte hat sich also als falsch erwiesen, doch die Unterscheidung kann sehr gut modellhaft aufzeigen, auf welche Weisen sich das dreigliedrige System der Artikulationsorte vereinfacht hat.
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