Kirchenschutz

Kirchenschutz
Asylgrenze des Klosters St. Georgenberg (Tirol). Stifter-Wappen der Aiblinger (rechts) und der Säbener. Das Asylrecht wurde dem Kloster kurz nach 1470 verliehen.
Asylgrenze (Georgenberg) von ca. N

Kirchenasyl meint heute die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Kirchengemeinde zur Abwendung einer von den Gemeindemitgliedern als für die Schutzsuchenden an Leib und Leben bedrohlich angesehenen Abschiebung.

Es bezweckt grundsätzlich eine Wiederaufnahme oder erneute Überprüfung des asyl- oder ausländerrechtlichen Verfahrens der Kirchenasylflüchtlinge durch die dafür zuständigen staatlichen Stellen oder die Eröffnung eines Zeitraumes, der es den Flüchtlingen ermöglicht, ihre Weiter- oder Rückreise zu organisieren oder zu verzögern.

Inhaltsverzeichnis

Kirchenasyl in der Geschichte

Religionsgeschichtliche Hintergründe

Der Ursprung des Kirchenasyls ist im Heiligtumsasyl zu sehen, welches wahrscheinlich schon zu den ersten kulturellen Errungenschaften der Menschheit gehörte und, mit den Menschen aus Afrika kommend, Eingang in nahezu alle Kulturen gefunden hat. Das Heiligtumsasyl war an Tempel, sakrale Gegenstände oder tabuisierte Personen gebunden, in deren heiliger Sphäre die Schutzsuchenden der Gottheit unterstanden und deshalb vor den Nachstellungen ihrer Verfolger sicher waren. Kam es dennoch zur Verletzung eines solchen Asyls, so war dies gesetzwidrig und galt als Frevel, der göttliche und oft auch weltliche Strafen nach sich zog.

Ähnliche Vorstellungen begegnen uns auch im Alten Testament. In Ri 9, 42-49 wird erzählt, dass die Bewohner Sichems vor Abimelech in die Gewölbe des Berit-Tempels flohen, David floh nach 1. Sam 19, 18-24 vor Saul zum Propheten Samuel nach Rama und der Heerführer Joab floh nach 1. Kö 2, 28-35 vor Salomo in den Tempel von Jerusalem. Auch die Einrichtung der Asylstädte nach 5. Mo 4, 41-43 bzw. Jos 20 ist als Indiz für die Existenz von Heiligtumsasylen in Israel zu werten, da sie eingerichtet werden sollten, nachdem mit der Kultzentralisation der späten Königszeit die außer dem Jerusalemer Tempel bis dahin anerkannten Tempel als legitime Asylstätten weggefallen waren.

Für die Entwicklung des Kirchenasyls war jedoch die Institution der Hikesie im antiken Griechenland von größerer Bedeutung. Hier flohen die Schutz suchenden Hiketiden unabhängig von ihrer Schuld zu Tempeln, Götterbildern, Altären oder Feuerstellen, um (vorübergehend) sicher zu sein. Junge Frauen konnten so einer Zwangsverheiratung entgehen, zerstrittene Familien sich wieder versöhnen, Ehen gelöst werden und sogar Sklaven war es möglich, ihren Weiterverkauf an einen besseren Herren oder in den Dienst des Heiligtums zu erwirken. Dabei war die Hikesie jedoch nicht auf Dauer angelegt. Konnten sich die streitenden Parteien nicht gütlich einigen, so musste der Staat, auf dessen Territorium sich das Heiligtum befand, über eine dauerhafte Aufnahme der Hiketiden entscheiden. Die Vorstellung, dass die Hikesie eine heilige Angelegenheit sei, prägte dabei den Entscheidungsprozess. Entschied sich der Staat also für eine Aufnahme, so lebten die Schutzsuchenden fortan als Metöken mit eingeschränktem Bürgerrecht unter dem Schutz des Asyl gewährenden Staates.

Die Praxis der Hikesie wurde mit zunehmender Christianisierung des Imperium Romanum auch auf die Kirchen ausgedehnt. Heidnische und christliche Hiketiden flohen nun zum Bischof oder in kirchliche Gebäude und erfuhren hier Unterstützung und Schutz. Die neutestamentliche Forderung der Gastfreundschaft (Mt 25, 35ff.; Röm 12, 13; Hebr 13, 2; 1. Petr 4, 9 u.ö.) verpflichtete die Christen, für den Rechtsschutz der bei ihnen Schutz Suchenden Sorge zu tragen und die originär christlichen Tugenden „Barmherzigkeit“ und „Nächstenliebe“ bewogen die Christen zu ihrem Einsatz für Flüchtlinge und begründeten die Interzessionsverpflichtung der Bischöfe auf dem Konzil von Serdika, 343.

Von der Alten Kirche bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts

Mittels Interzession traten die Bischöfe gegenüber staatlichen Stellen sowohl für zu unrecht Verfolgte als auch für rechtmäßig Verurteilte ein, um deren Begnadigung zu erwirken. Obwohl die Kirchen lange nicht als Asylstätten anerkannt waren, respektierten die staatlichen Behörden ihren Asylanspruch häufig: Den Delinquenten wurden dann weltliche Strafen erlassen und kirchliche auferlegt, die von einer mit Auflagen versehenen Buße bis hin zum Klosterleben reichen konnten.

Mit der konstantinischen Wende gewannen die Bischöfe an gesellschaftlicher Bedeutung. Sie wurden mit lokalpolitischen und richterlichen Aufgaben betraut und übernahmen Verwaltungsaufgaben im zerfallenden römischen Reich.

399 entsandte ein Konzil von Karthago eine Gesandtschaft an die Kaiser Arkadius und Honorius, um ein gesetzliches Verbot der Verletzung des kirchlichen Asylschutzes für alle Flüchtlinge zu erreichen. Zwischen 405 und 407, als das Reich wegen des donatistischen Streites erschüttert und in seiner Einheit bedroht war, erteilte Honorius den Kirchen das Asylrecht, um sich die Unterstützung der Orthodoxen zu sichern. 419 erweiterte derselbe Kaiser den Wirkungsbereich des Kirchenasyls auf einen Umkreis von 50 Schritten vom Kirchenportal entfernt und legte fest, dass der Bruch eines Kirchenasyls wie Majestätsbeleidigung zu ahnden sei.

Ähnliches beinhaltete auch die Konstitution des Kaisers Theodosius II., die den Kirchen des Ostreiches 431 das Asylrecht einräumte und 538 als Teil des Codex Theodosianus auch im Westreich in Kraft trat. Im Unterschied zu den Gesetzen des Honorius, galt das kirchliche Asylrecht nun auf allen kirchlichen Grundstücken. Sein Bruch wurde weiterhin als Majestätsbeleidigung bestraft und es stand – wohl, weil es nicht mehr die Auseinandersetzungen mit den Donatisten im Blick hatte – Sklaven nur noch einen Tag lang offen und wurde ihnen gänzlich verboten, wenn sie bewaffnet um Asyl baten.

Mit zunehmendem Zerfall des römischen Reiches und dem gleichzeitigen Erstarken von Kirche und Papsttum gewann auch das Kirchenasyl an Bedeutung. Auf einer Synode in Rom wurde 1059 der Friedensbereich der großen Kirchen auf 60 Schritte und der kleinen Kirchen auf 30 Schritte um das Kirchenportal herum festgelegt. Das Konzil von Clermont beschloss 1095 sogar, das kirchliche Asylrecht auf die Umgebungen von Wegkreuzen auszudehnen. Als kirchliches Privileg fand das Kirchenasyl so auch Eingang in etliche frühmittelalterliche Rechtssammlungen Europas, z.B. in die Lex Alamannorum.

Mit dem Wiedererstarken der Staatsgewalt begann im 14. Jahrhundert der Niedergang des Kirchenasyls. Die Staaten West- und Mitteleuropas zwangen die Kirche, immer mehr Personengruppen vom Asylschutz auszuschließen. Hinzu kam, dass auch die Kirche ihre grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe aufgegeben hatte und der Staat, durch die Einrichtung des Rechtsinstituts „Landfrieden“ eine zentrale Aufgabe des Kirchenasyls selbst übernommen hatte. Die Kirche hielt dennoch an ihrem Anspruch, Asyl zu gewähren, fest und auch Martin Luther soll noch im 16. Jahrhundert einen Traktat über das kirchliche Asylrecht verfasst haben.

In der Aufklärung wurde das kirchliche Asylrecht vor allem als Behinderung einer geordneten Rechtspflege wahrgenommen. Bis zum 19. Jahrhundert wurde es von allen europäischen Staaten formell aufgehoben. Diese Ablehnung bedeutete jedoch keineswegs, dass auch die römisch-katholische Kirche ihr Asylrecht aufgegeben hätte. Noch im Codex Iuris Canonici von 1917 hieß es: „Ecclesia iure asyli gaudet ita ut rei, qui ad illam confugerint, inde non sint extrahendi, nisi neccessitas urgeat, sine assensu Ordinarii, vel saltem rectoris ecclesiae.“

Erst im Codex Iuris Canonici von 1983 ist das Asylrecht nicht mehr mit aufgenommen worden, was aber in der wissenschaftlichen Literatur nicht einhellig als Hinweis darauf gewertet wird, dass das Asylrecht von der römisch-katholischen Kirche aufgegeben worden sei.

In den Rechtsordnungen der protestantischen Kirchen wurde ein eigenes Asylrecht niemals beansprucht. Eher selbstverständlich wurden die neutestamentlichen Forderungen der Nächstenliebe und die, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, so ausgelegt, dass an Leib und Leben Bedrohten zu helfen sei.

Die Kirchenasylbewegung der Gegenwart

Die Entstehung der bis heute aktiven Kirchenasylbewegung ist im Zusammenhang mit der weltweiten Zunahme der Flüchtlingszahlen seit den 1970er Jahren und dem damit zusammenhängenden Anwachsen der Asylbewerberzahlen in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen [1]. Die Akzeptanz der Ausländer und Asylsuchenden in der Bevölkerung nahm ab, Politiker, vornehmlich der so genannten „christlichen“ Parteien, polemisierten gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Scheinasylanten“ [2] und der Deutsche Bundestag verabschiedete am 1. Juli 1993 sogar mit dem so genannten „Asylkompromiss“ die faktische Abschaffung des bis dahin in der Bundesrepublik geltenden Grundrechts auf Asyl.

In diesem gesellschaftlichen Klima kam es 1983 zum ersten Kirchenasyl in der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg. Drei palästinensische Familien aus dem Libanon baten um Unterstützung, weil sie in den vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon abgeschoben werden sollten [3]. An die Heilig-Kreuz-Gemeinde wandten sie sich nicht ohne Grund. Bereits im Frühjahr desselben Jahres kam es dort zu einem Hungerstreik gegen die Auslieferung Cemal Kemal Altuns an die Türkei. Der junge Mann war vor der türkischen Militärdiktatur nach Berlin geflohen und hatte Asyl beantragt, weil ihm in der türkischen Presse zu Unrecht eine Beteiligung am Attentat auf den einstigen Zollminister Gün Sazak vorgeworfen wurde. Statt seinen Asylantrag zu bearbeiten, leitete man diese Angaben jedoch über Interpol nach Ankara weiter und fragte an, ob „entsprechende Anträge“ gestellt würden. Die Türkei forderte prompt die Auslieferung Altuns und die Bundesregierung zeigte sich willens, dem Auslieferungsgesuch zu entsprechen. Es begann ein Rechtsstreit, in dem die Bundesregierung unnachgiebig an Altuns Auslieferung festhielt und die Richter diese entweder selbst für zulässig erklärten oder keine Mittel fanden, sie auch nur zeitweilig auszusetzen [4]. Bei einer dieser Verhandlungen entschied sich Altun selbst für eine weitere Flucht in den Tod und sprang am 30. August 1983 aus einem Fenster des 6. Stocks des Berliner Verwaltungsgerichts.

Diese Erfahrung erschütterte zahlreiche Engagierte und wurde zu einem Schlüsselerlebnis für die Gemeinde. Ihr Pfarrer Jürgen Quandt, einer der Begründer der Kirchenasylbewegung, erklärte, seit dem misstrauisch zu sein „gegenüber dem Argument, dass etwas, was auf gesetzlicher Grundlage geschehe, hinzunehmen sei, weil es eben gesetzlich sei.“ [5]

Vergleichbare Erfahrungen standen wohl auch am Anfang des Kirchenasylengagements manch anderer Gemeinde. Nachdem in der Silvesternacht 1983 sechs Häftlinge in einem Abschiebegewahrsam am Augustaplatz in Berlin-Steglitz zu Tode kamen [6], überlegten die Pfarrer und der GKR der nahe gelegenen Johannesgemeinde, was dieses Ereignis für sie selbst und für die Gemeinde zu bedeuten habe [7]. Im November desselben Jahres erklärte sich der GKR grundsätzlich bereit, einer von Abschiebung bedrohten Person oder Familie im Notfall vorübergehend Unterkunft zu gewähren und schon einige Monate später beschloss derselbe GKR, eine siebenköpfige Familie eines in Abschiebehaft befindlichen Palästinensers aus dem Libanon aufzunehmen und sich für ihre Duldung aus humanitären Gründen einzusetzen [8].

Im Frühjahr 1985 teilten neun Berliner Gemeinden der Kirchenleitung mit, aufgrund fortlaufender Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete Flüchtlingen helfen und schützen zu wollen. Entsprechende GKR-Beschlüsse waren gefasst [9]. Der ökumenische Arbeitskreis „Asyl in der Kirche“ wurde gegründet und bereits 1988 gab es in Berlin 35 Gemeinden, die grundsätzlich bereit waren, Kirchenasyl zu gewähren. Vier Jahre später waren es 50 Gemeinden, die, unterstützt von der Kirchenleitung und von Persönlichkeiten wie Altbischof Kurt Scharf und Helmut Gollwitzer, hunderte Abschiebungen verhindern konnten und denen mehrere Abschiebestoppregelungen und eine großzügige Altfallregelung für Berlin zu verdanken waren [10].

Auch in anderen Teilen der Bundesrepublik kam es Mitte der 80er Jahre zu den ersten Kirchenasylen. Die Asylpolitik der Bundesregierung und ihre öffentliche Diskussion verschärften sich weiter, und es erscheint nahe liegend, dass sich die Kirchenasylinitiativen des gesamten Bundesgebietes schon bald um ihre Vernetzung bemühten. Die evangelische Kirchengemeinde St. Jobst in Nürnberg und die Initiative Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg luden zum ersten bundesweiten Kirchenasyltreffen ein [11]. Auf diesem Treffen wurde am 20. Oktober 1991 die Nürnberger Deklaration verabschiedet, in der sich die Unterzeichner besorgt zeigten, weil die Bundesrepublik Deutschland aufgrund tagespolitischer Erwägungen die Garantie eines uneingeschränkten Asylrechts für politisch Verfolgte zurückgenommen habe und erklärten: „Wir sind fest davon überzeugt, daß es dem Staat nicht erlaubt ist, Menschen ihren Mördern und Folterern zuzuführen. Unser Gewissen schweigt nicht, wenn sich Behörden und Gerichte dazu hergeben, gefährdete Flüchtlinge abzuschieben. Unser Gewissen wird auch nicht ruhig, wenn Abschiebung entsprechend einem gesetzlichen Verfahren geschieht.“ [12]

Ein Jahr später, in einer Zeit heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen um das Asylrecht und zahlreicher gewaltsamer Übergriffe auf Flüchtlinge, luden die Ökumenische Werkstatt der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck, die katholische Kirchengemeinde St. Familia und das Ökumenische Netz Nord- und Osthessen zu einem weiteren Treffen ein. Kontakte zu Vertreterinnen und Vertretern der "Aktion für abgewiesene Asylbewerber" aus der Schweiz und INLIA aus den Niederlanden wurden hier geknüpft. Eine feste Vernetzung oder Organisationsstruktur gingen jedoch nicht aus diesem Treffen hervor [13].

Eine solche wurde, abgesehen von dem Berliner Aktionskreis, erst unter Federführung Wolf-Dieter Justs im September 1993 bei einem Treffen der Kirchenasylinitiativen in Nordrhein-Westfalen in Mülheim an der Ruhr gegründet. Auf Grundlage der Charta von Groningen, in der sich die Unterzeichner aus vielen Staaten Europas verpflichtet hatten, Flüchtlinge oder Asylsuchende aufzunehmen und zu schützen, falls ihnen durch ihre Ausweisung eine unmenschliche Behandlung drohe [14], wurde mit dem Ziel der Unterstützung von Gemeinden und Initiativen, die Kirchenasyl gewährten oder etwas ähnliches beabsichtigten [15], das „Ökumenische Netzwerk Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen“ gegründet [16]. Vergleichbare Landesnetzwerke entstanden zudem in Bayern, Hessen, Nordelbien, Niedersachsen, dem Saarland und Brandenburg. [17]

Ein knappes halbes Jahr später, auf einem weiteren bundesweiten Treffen im Februar 1994, wurde die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) gegründet. Hermann Uihlein, Jürgen Quandt und Wolf-Dieter Just wurden zu den drei Sprechern der BAG gewählt und ein Koordinierungsrat aus je zwei Aktiven pro Bundesland wurde gebildet. Gemeinsam mit dem Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW wurde eine Geschäftsstelle in Köln eingerichtet, die Anlaufstelle für Netzwerksmitglieder, Gemeinden und die Öffentlichkeit werden sollte. [18] Ihre Aufgaben bestanden in der Dokumentation und Auswertung laufender Kirchenasyle, der Unterstützung Kirchenasyl gewährender Gemeinden, ihrer Aufklärung über rechtliche Hintergründe und mögliche Konsequenzen, der Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für die Kirchenasylbewegung und für Flüchtlinge sowie der Förderung einer weiteren Vernetzung der Kirchenasylbewegung.

Seit 1997 ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche ein eingetragener Verein. Ihr erster Geschäftsführer war Dirk Vogelskamp. Ihm folgten, jeweils verbunden mit einem Umzug der Geschäftsstelle von Köln nach Bonn und von Bonn nach Berlin, 1999 Beate Sträter und 2005 Verena Mittermaier.

Praxis des Kirchenasyls

Kirchenasyl wurde bisher von evangelischen und katholischen Kirchengemeinden gewährt.

Das Zustandekommen eines Kirchenasyls

Die Entscheidung, Kirchenasyl zu gewähren, wird meist von den die Kirchengemeinden leitenden Gemeindekirchenräten oder den dem die Gemeinde leitenden Pfarrer beigeordneten Pfarrgemeinderäten getroffen. Diese Gremien sind dann auch für die Unterbringung und Versorgung sowie das weitere Betreiben der asyl- und zuwanderungsrechtlichen Verfahren der Schutzsuchenden und das strategische Vorgehen in einem Kirchenasyl verantwortlich.

„Offene“, „stille“ und „geheime“ Kirchenasyle

Grundsätzlich werden „offene“ von „stillen“ Kirchenasylen unterschieden.

  • Bei „offenen“ Kirchenasylen arbeiten die Kirchengemeinden mit den Medien zusammen und machen ihr Kirchenasyl so in der Öffentlichkeit bekannt. Die Öffentlichkeit eines solchen Kirchenasyls soll dabei den Schutz der Betroffenen vor staatlichem Zugriff verstärken und bietet zugleich die Möglichkeit, die Mängel im einzelnen Asylverfahren und im Asylrecht anzusprechen.
  • Über ein „stilles“ Kirchenasyl wird die Öffentlichkeit zunächst nicht informiert. Auch diese Vorgehensweise kann dem Schutz der Betroffenen dienen und soll die Verhandlungen mit den staatlichen Behörden erleichtern.

Die staatlichen Behörden werden jedoch von allen Kirchenasylen in Kenntnis gesetzt.

Die sogenannten „geheimen“ Kirchenasyle, über die weder die Öffentlichkeit noch die staatlichen Behörden informiert werden, werden von der BAG nicht als „Kirchenasyle“, sondern als „vorübergehende Aufnahmen“ oder „vorübergehende Unterbringungen“ bezeichnet. Da bei ihnen die staatlichen Verhandlungspartner fehlen, können sie nicht die gleichen Ziele wie ein Kirchenasyl verfolgen und sollten deshalb tatsächlich nicht „Kirchenasyle“ genannt werden.

Umfang und Erfolg von Kirchenasyl

Nach W.-D. Just gab es bis zum Jahr 2000 etwa 550 Kirchenasyle.[19] Hinzu kamen seitdem jährlich etwa 15 neue Kirchenasylfälle mit meist mehreren Schutzsuchenden. Für das Jahr 2005 zählte die BAG 39 Kirchenasyle, in denen mehr als 120 Personen Zuflucht fanden.[20]

Empirische Studien der BAG über Erfolg und Misserfolg von Kirchenasyl aus den Jahren 1996[21] und 2001[22] kamen zu dem Schluss, dass Kirchenasyle in mehr als 70% aller Fälle die Schutzsuchenden vor unmenschlichen Härten oder Gefahren für Leib und Leben bewahren konnten.[23]

Rechtliche Aspekte des Kirchenasyls

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Juristisch macht es keinen Unterschied, ob ein Mensch in einer Kirche, bei einer anderen Institution oder in einem Privathaushalt Zuflucht sucht. Es gelten die üblichen Regeln wie Hausrecht etc, aber es gibt keine Sonderrechte für Kirchen.

Die Kirchenasylaktivisten beanspruchen jedoch gar keine Rechtsfreiheit für sich, sondern wollen durch ihr Verhalten den Schutzbestimmungen des Art. 16 GG und verschiedener Paragraphen des Asylverfahrensgesetzes und des Zuwanderungsgesetzes zur Geltung verhelfen. Sie rechtfertigen ihr Handeln vor allem mit Art. 4 GG.[24]

Zusammenfassung

Das Kirchenasyl ist die kirchliche Nothilfe, wenn die kirchlichen Entscheider vor Ort der Auffassung sind, es sei „Gefahr im Verzug“, um inhumanes staatliches Handeln im Einzelfall abzuwenden. Kirchenasyl ist höchst umstritten und immer mit Konflikten beladen, da es gültiger Rechtslage widerspricht. Das Kirchenasyl ist derzeit ausschließlich ein Instrumentarium, um angebliche oder tatsächliche Härtefälle des Abschiebungsverhaltens der Behörden zu berichtigen. Es ist allenfalls geeignet, den Staat unter Vorhaltung der moralischen Institution Kirche zu einem Nichthandeln zu veranlassen. Die Verantwortlichen der Kirchengemeinden können der Strafverfolgung unterliegen. Hier spielen ethische, praktische und juristische Probleme eine entscheidende Rolle.

Einzelnachweise

  1. Kirchenamt der EKD und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), „... und der Fremdling, der in deinen Toren ist.“ Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht, Bonn u.a., 1997, 33.
  2. Einige Beispiele sollen das belegen: „Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren - kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müßt ihr ins Lager.“ Lothar Späth (CDU, als 1982 die ersten Sammellager für Flüchtlinge errichtet wurden), zitiert nach: Jungle World vom 15. Juli 1998; „Das Boot im Münchner Süden läuft über. Jetzt muss Schluss sein. Deshalb wiederhole ich meine Forderung, den Münchner Süden ab sofort von Scheinasylanten zu verschonen.“ Erich Riedl (CSU) in: Süddeutsche Zeitung vom 16. April 1992 und: „Jedes Jahr kommen etwa 100.000 Flüchtlinge nach Deutschland. Davon sind nur drei Prozent asylwürdig. Der Rest sind Wirtschaftsflüchtlinge.“ Otto Schily (SPD) in: Berliner Zeitung vom 8. November 1999.
  3. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, in: ders. und B. Sträter, Kirchenasyl. Ein Handbuch, Karlsruhe, 2003, 142.
  4. W. Wieland, Ausgeliefert, in: Zuflucht gesucht – den Tod gefunden, hg. von Asyl in der Kirche e.V. Berlin, Internationale Liga für Menschenrechte, Flüchtlingsrat Berlin e.V. und PRO ASYL, Berlin, 2003, 6f.
  5. J. Quandt zitiert nach W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 142.
  6. „Augustaplatz: Skizzen aus der Brandnacht“, in: taz vom 22. 06 1984, 18f.
  7. M. Krannich, Das Kirchenasyl. Eine empirische Studie zu den Auswirkungen auf das Gemeindeleben, Berlin, 2006, 8.
  8. J. Passoth, Keine Rückkehr in das „Land des Todes“, in: W.-D. Just (Hg.), Asyl von unten. Kirchenasyl und ziviler Ungehorsam – Ein Ratgeber, Hamburg, 1993, 149.
  9. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 142f.
  10. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 143.
  11. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 145.
  12. Nürnberger Deklaration, in: W.-D. Just (Hg.), Asyl von unten. Kirchenasyl und ziviler Ungehorsam – Ein Ratgeber, Hamburg, 1993, 209.
  13. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 145.
  14. Die Charta von Groningen, in: „Unter dem Schatten deiner Flügel ...“ Bundestreffen der Kirchenasyl initiativen, hg. von der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr, Mülheim, 1994, 80.
  15. Vgl. Konzeption des Ökumenischen Netzwerks Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen, in: „Jeder Mensch ist ein Heiligtum“ Kirchenasylinitiativen in NRW, hg. von der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr, Mülheim, 1993, ohne Seitenangaben.
  16. Epd Nordrhein/Mittelrhein-Saar Nr. 102 vom 20. 09. 1993.
  17. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 146.
  18. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, 146.
  19. W.-D. Just, 20 Jahre Kirchenasylbewegung, in: W.-D. Just / B. Sträter (Hg.), Kirchenasyl. Ein Handbuch, Karlsruhe, 2003, 155.
  20. http://www.kirchenasyl.de/index.html
  21. D. Vogelskamp / W.-D. Just, Zufluchtsort Kirche. Eine empirische Untersuchung über Erfolg und Misserfolg von Kirchenasyl, Köln, 1996.
  22. W.-D. Just / B. Sträter, "Unter dem Schatten Deiner Flügel ...". Eine empirische Untersuchung über Erfolg und Misserfolg von Kirchenasyl, Bonn, 2001.
  23. W.-D. Just / B. Sträter, "Unter dem Schatten Deiner Flügel ...". Eine empirische Untersuchung über Erfolg und Misserfolg von Kirchenasyl, Bonn, 2001, 1.
  24. S. Töppler, Rechtliche Aspekte des Kirchensyls. Ausgewählte Probleme des Flüchtlings- und Ausländerrechts, Bonn, 2001, 18-28.

Literatur

  • Babo, Markus: Kirchenasyl - Kirchenhikesie. Zur Relevanz eines historischen Modells im Hinblick auf das Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland. Münster u. a. 2003, ISBN 3-8258-5591-0.
  • Derlien, Jochen: Asyl. Die religiöse und rechtliche Begründung der Flucht zu sakralen Orten in der Griechisch-römischen Antike. Marburg 2003.
  • Herler, Gregor: Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat. Dissertation Universität Würzburg 2004.
  • Morgenstern, Matthias: Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, Aktuelle Situation, Internationaler Vergleich. Wiesbaden 2003. ISBN 3-531-14067-1.
  • Schäuble, Martin: Asyl im Namen des Vaters. Norderstedt 2003. ISBN 3831150001.
  • Traulsen, Christian: Das sakrale Asyl in der alten Welt. Zur Schutzfunktion des Heiligen von König Salomo bis zum Codex Theodosianus. Tübingen 2004.

Siehe auch

Weblinks

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