- Abschiebung (Recht)
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Die Zwangsmaßnahme der Abschiebung (Schweiz: Ausschaffung bzw. Rückschaffung) ist der Vollzug der Ausreisepflicht einer Person, die nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzt, aus dem sie abgeschoben werden soll. Begrifflich von der Abschiebung zu trennen ist die Zurückweisung an der Grenze, weil die Einreisevoraussetzungen (z. B das erforderliche Visum) fehlen, und die Zurückschiebung nach der Einreise, in der Regel innerhalb von sechs Monaten, weil die erfolgte Einreise unerlaubt war.
Deutschland
Rechtslage
In der Umgangssprache und in den Medien werden die Begriffe Ausweisung und Abschiebung oft synonym verwendet. Diese haben jedoch unterschiedliche Bedeutungen.
- Die Ausweisung ist ein ausländerrechtlicher Verwaltungsakt nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG), der die Rechtmäßigkeit eines Aufenthalts beendet, eine ggf. vorhandene Aufenthaltserlaubnis zum Erlöschen bringt (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und somit zur Ausreisepflicht führt. Darüber hinaus ist mit einer Ausweisung auch eine Sperrwirkung verbunden. Einem ausgewiesenen Ausländer darf auch bei Vorliegen eines Anspruchs keine Aufenthaltserlaubnis mehr erteilt werden (Ausnahme: humanitäres Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG); es besteht ein absolutes Wiedereinreiseverbot, das auch kurzfristige Aufenthalte, z. B. in der Transitzone eines Flughafens oder kurze Besuchsaufenthalte bei Verwandten ausschließt. Ein Ausländer kann aus Deutschland ausgewiesen werden, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Dies kann bereits beim Begehen einer einzelnen vorsätzlichen Straftat (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) erfüllt sein. Die rechtlich zwingenden Ausweisungsgründe sind in § 53, Regelausweisungsgründe in § 54, Ermessensausweisungsgründe in § 55 AufenthG festgelegt. Zu beachten ist der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 sowie spezielle Schutzvorschriften nach EU-Recht bzw. Assoziationsrecht (insbesondere für EWR-Bürger und türkische Staatsangehörige). Die Sperrwirkung des Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbots tritt im Falle der Ausweisung bereits mit der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung ein; sie bleibt auch dann bestehen, wenn der Betroffene der Ausweisung freiwillig nachkommt.
- Die Abschiebung ist dagegen ein Zwangsmittel im Rahmen des Verwaltungszwangs, mit dem der unrechtmäßige Aufenthalt des Ausländers beendet wird. Abgeschoben werden kann, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist (§ 58 AufenthG) und eine freiwillige Ausreise nicht erfolgt. Worauf die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht beruht (Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde, bloßer Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis, unerlaubte Einreise ohne Aufenthaltstitel), ist grundsätzlich unerheblich. Weder folgt daher einer Ausweisungsverfügung zwingend die Abschiebung (nämlich dann nicht, wenn der Ausgewiesene freiwillig ausreist), noch verlangt eine Abschiebung zwingend die vorherige Ausweisung; eine Abschiebung kommt bereits nach bloßem Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Betracht, wenn der Betroffene nicht freiwillig ausreist und keinen Verlängerungsantrag gestellt hat. Im Unterschied zur Ausweisung tritt die Sperrwirkung des absoluten Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots bei Nichtausgewiesenen erst mit der Abschiebung ein; die bloße Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung löst es noch nicht aus. Wer also, ohne ausgewiesen zu sein, sein Aufenthaltsrecht verloren hat, tut gut daran, freiwillig auszureisen; kommt es zur zwangsweisen Abschiebung, hat das dieselben nachteiligen Folgen wie eine Ausweisungsverfügung.
Ist die Frist zur freiwilligen Ausreise abgelaufen und liegen keine Abschiebungshindernisse vor (vgl. § 60a Abs. 2 S. 1 und 2 AufenthG), kann die Behörde den Verbleib des Ausländers im Ermessenswege weiter dulden (vgl. § 60a Abs. 2 S. 2 AufenthG) oder hat den Ausländer abzuschieben. Zur Sicherung der Abschiebung kann Abschiebungshaft angeordnet werden, deren Voraussetzungen in § 62 AufenthG festgelegt sind. Für eine geplante Festnahme zum Zwecke der Abschiebungshaft benötigt die Behörde vorab einen richterlichen Beschluss. Im Falle einer zufälligen Festnahme (Spontanfestnahme) ist ein richterlicher Beschluss unverzüglich nachträglich durch die Behörde zu erwirken. Spätestens während der Haft müssen die erforderlichen Voraussetzungen zur Durchführung der Abschiebung geschaffen werden (Beschaffung der nötigen Reisedokumente und ggf. Zustimmung des Herkunftsstaates zur Rücknahme, Buchung eines Flugs, etc.), wobei die Behörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung besonders zügig zu arbeiten hat (Beschleunigungsgebot).
Mit der Abschiebung und/oder Ausweisung entsteht ein Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbot, das auf Antrag in der Regel zu befristen ist (§ 11Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die Behörden verlangen oft, die Kosten einer Abschiebung vor einer Wiedereinreise zu bezahlen. In bestimmten Fällen (illegale Beschäftigung, illegale Einreise) kann auch der Arbeitgeber oder die Fluggesellschaft verpflichtet werden, die Kosten der Abschiebung zu tragen.
Kritik durch Menschenrechtsorganisationen
Die Abschiebepraxis der Bundesrepublik ist gesellschaftlich umstritten.
Gegner verweisen auf die Konsequenzen für die Betroffenen und hier vor allem auf die Tatsache, dass Behördenentscheidungen unter der realen Situation imperfekter Information fehleranfällig sind. Obwohl die Rechtslage in Deutschland eine Abschiebung verbietet, wenn diese den sicheren Tod des Betroffenen bedeuten würde (§ 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), ist es nicht auszuschließen, dass es infolge unzureichenden Vortrags im Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahren oder infolge einer Fehleinschätzung der Gefährdungssituation des Betroffenen zu einer lebensbedrohlichen Abschiebung kommt. Dies war zum Beispiel im März 2005 bei einer Iranerin der Fall, die wegen der Ehescheidung von ihrem muslimischen Mann und dem Übertritt zum Christentum bei erfolgter Abschiebung im Iran mit Steinigung bedroht gewesen wäre. Erst durch massive Proteste von Menschenrechtsgruppen und Kirchenvertretern vom niedersächsischen Landtag neu aufgerollt und als Härtefall zu Gunsten der Betroffenen entschieden.
In einigen Fällen ist eine Ausreisepflicht sofort vollziehbar, auch wenn gegen die entsprechende Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch ein Rechtsmittel gegeben ist. Von der Möglichkeit, zusätzlich Eilanträge zum Aufschub einer Abschiebung zu stellen, könne nicht immer Gebrauch gemacht werden.
Mindestens ein Mensch ist auf Grund des gewaltsamen Vollzugs der Ausreise zu Tode gekommen. Am 28. Mai 1999 erstickte der Sudanese Aamir Ageeb an den Folgen einer Fixierung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes.
Diskutiert werden auch die psychischen Folgen des Abschiebeverfahrens, die von Gegnern mit seit den 50er Jahren etwa 20 dokumentierten Selbstmorden von Abschiebehäftlingen in Verbindung gebracht werden.[1]
Alles in allem sei Abschiebung ein von der Öffentlichkeit angeblich weitgehend unbeachteter Bereich, in dem es immer wieder zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenwürde komme. Dies meint z. B. die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ an zahlreichen Einzelfällen dokumentieren zu können. Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsunterstützer und antirassistische Gruppen setzen sich daher nicht nur für eine Verbesserung der Verfahrensweisen, sondern auch für eine grundlegende Neuorientierung in der Einwanderungspolitik und ein grundsätzliches Bleiberecht für Flüchtlinge ein.
Ausmaß und Hindernisse der Abschiebung
Nach einem massiven Anstieg von Abschiebungen Anfang der 1990er Jahre ist die Anzahl seit dem Jahr 2000 rückläufig, was vor allem auf den starken Rückgang gestellter Asylanträge zurückzuführen ist. Laut Migrationsbericht 2006 des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge [2] wurden im Jahr 2005 13.894 Personen aus Deutschland abgeschoben. Im Jahr 2009 wurden 7.830 Abschiebungen vollzogen [3]. (vgl. Grafik)
Während 2005 allein in Berlin nach geltendem Recht 19.787 Personen sofort ausreisepflichtig gewesen wären, wurden 2005 1.400 Personen tatsächlich abgeschoben, davon laut einer Pressemitteilung des Innensenators Körting, 41 % direkt aus dem Strafregelvollzug.[4] Ähnlich sieht es beispielsweise in Niedersachsen aus, wo laut Innenministerium [5] 1.336 Personen abgeschoben wurden, 369 aufgrund von Straftaten, davon 215 aufgrund schwerer Straftaten.
Laut einem Bericht des „European Network Agains Racism“ von 2004.[6], sind von allen (mehr als 1 Million) zwischen 1993 und 2004 abgeschobenen Personen 21 in ihrem Heimatland zu Tode gekommen, meist aus ungeklärten Ursachen.
Demgegenüber entschieden deutsche Gerichte 2004 über 61.961 Asylanträge (die Zahl der betroffenen Personen liegt u. U. höher), von denen nur 960 als asylberechtigt anerkannt wurden. 1.107 Personen wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (gemäß § 51 Abs. 1 AuslG oder § 60 Abs. 1 AufenthG), bei 964 wurde ein Abschiebungsverbot (gemäß § 53 AuslG bzw. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) festgestellt. Somit übersteigt die illegale Zuwanderung die Zahl der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen um deutlich mehr als 100 %.[7]
Änderung des deutschen Ausweisungs- und Abschiebungsrechts
Die durch Gesetz v. 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) in den §§ 5 Abs. 4, § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG (zuvor seit 1. Januar 2002 § 8 Abs. 1 Nr. 5 Ausländergesetz) eingefügten zusätzlichen Aufenthaltserlaubnisversagungs- und Ausweisungsgründe beruhen auf den nach dem früheren Bundesinnenminister Otto Schily scherzhaft „Otto-Katalog“ benannten Anti-Terror-Maßnahmen. Danach reicht der begründete Verdacht auf Mitgliedschaft oder Unterstützung einer den Terrorismus unterstützenden im In- oder Ausland tätigen Gruppierung aus, um eine Aufenthaltserlaubnis zu verweigern oder eine Ausweisung zu verfügen.
An diese Gesetzesnovelle richteten sich große Erwartungen, gewalttätige Islamisten künftig leichter abschieben zu können. Diese haben sich nicht erfüllt. Denn der Vorwurf der Terrorismus-Unterstützung muss, um vor Gericht Bestand zu haben, zweifelsfrei nachgewiesen werden. Das ist aber oft kaum möglich, weil die Betroffenen entweder konspirativ agieren oder sich in einem Umfeld bewegen, das für die Behörden nur schwer zu erschließen ist (z. B. Hassprediger in einer Moschee, in der türkisch oder arabisch gesprochen wird).
Verfahrensrechtlich soll eine neue Abschiebungsanordnung ein schnelleres Verbringen von terroristischen Gewalttätern ermöglichen. Nach dem schon am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 58aAufenthG kann die jeweilige oberste Landesbehörde (Innenministerium, Innensenator) gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr auch ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht. Das Bundesinnenministerium kann das Verfahren einleiten, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht (§ 58a Abs. 2 AufenthG). Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung beim Bundesverwaltungsgericht zu stellen (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Bis zum Ablauf der Frist und im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz darf die Abschiebung nicht vollzogen werden (§ 58a Abs. 4 AufenthG). Die Abschiebung darf auch nicht vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG gegeben sind (§ 58a Abs. 3 AufenthG).[8]
Auch diese Vorschrift ist bedeutungslos geblieben. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 58 a AufenthG, in der sich das Gericht mit den materiellen Voraussetzungen befassen musste, ist bisher nicht ergangen.[9]
Abschiebungsverfahren
Die Zuständigkeit für die Abschiebung liegt bei mehreren Behörden. Für den Erlass der Abschiebungsandrohung und für die Durchführung der Abschiebung sind grundsätzlich die Ausländerbehörden der Bundesländer zuständig (§ 71 Abs. 1 AufenthG). Eine Ausnahme besteht im Falle der Durchführung eines Asylverfahrens. Hier erlässt im Falle einer Antragsablehnung bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Abschiebungsandrohung (§ 34 AsylVfG). Für den Vollzug der Abschiebung sind jedoch wieder die Ausländerbehörden der Länder zuständig (§ 40 AsylVfG). Die Abschiebung ist grundsätzlich zuvor schriftlich anzudrohen (§ 59 AufenthG). Dem Betroffenen ist eine Frist zur freiwilligen Ausreise zu setzen. In der Regel ergeht die Abschiebungsandrohung zusammen mit dem Verwaltungsakt, mit dem das Aufenthaltsrecht erlischt.
In den Ländern, in denen es Ausreiseeinrichtungen gibt, können die Ausländerbehörden die Wohnsitznahme in einer Ausreiseeinrichtung anordnen, wenn der Betroffene Angaben zu seiner Person oder die Mitwirkung bei der Beschaffung von Rückreisepapieren verweigert (§ 61 Abs. 2 AufenthG). Siehe hierzu den Hauptartikel → Ausreisezentrum.
Ist bei der beabsichtigten Abschiebung mit Widerstand durch den Abzuschiebenden zu rechnen, kann sich die Ausländerbehörde der Unterstützung der Polizei im Rahmen der Vollzugshilfe bedienen. Die eigentliche Rückführung des Ausländers in sein Heimatland obliegt den mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), also in der Regel der Bundespolizei. Für die Vorbereitung und Sicherung der Abschiebung, soweit es um die Festnahme und Beantragung der Haft im Rahmen einer beabsichtigten Abschiebung geht, sind auch die Polizeien der Länder zuständig (§ 71 Abs. 5 AufenthG).
Für die Abschiebung werden normalerweise Linienflugzeuge verwendet. Dabei werden die Ausländer durch Vollzugskräfte der Bundespolizei von der Ausländerbehörde oder der Landespolizei übernommen und in das Luftfahrzeug verbracht. Falls nichtkooperatives oder gewalttätiges Verhalten erwartet wird oder wenn eine Abschiebung bereits einmal gescheitert ist, kann eine Begleitung des Ausländers durch Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei erfolgen. Dadurch soll auch verhindert werden, dass Ausländer durch ihr Verhalten Piloten zur Ablehnung des Transports bewegen. In Ausnahmefällen werden auch Flugzeuge nur mit abzuschiebenden Personen gechartert.
Abschiebungsbesonderheiten bei staatenlosen Personen und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit
Das Aufenthaltsgesetz (und damit die Aufenthaltserlaubnispflicht) gilt für alle Personen, die nicht Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG sind (§ 2 Abs. 1 AufenthG), somit also auch für Staatenlose und Personen, deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist. Was für jeden anderen Ausländer gilt, gilt auch für Staatenlose: Völkerrechtlich besteht nur eine Verpflichtung, die eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. Bei Staatenlosen ist eine Abschiebung daher mangels aufnahmebereiten Staates in aller Regel nicht möglich.
Vor Beginn der Abschiebung muss die Staatsangehörigkeit entweder über den Nationalpass geklärt sein oder es muss eine Zustimmung des Zielstaates vorliegen, die Person aufzunehmen („Laissez passer“). Die Europäische Union hat zudem mit vielen Staaten Rückübernahmeabkommen geschlossen, in denen sich diese Staaten verpflichten, die eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. Der Rückübernahmezusicherung geht eine Prüfung des Zielstaates über seine Rückübernahmepflicht voraus; auch hier wird die Staatsangehörigkeit des Abzuschiebenden vor der Abschiebung geklärt.
Völkerrechtlich ist es unzulässig, sich der Rückübernahmeverpflichtung der eigenen Staatsangehörigen dadurch zu entledigen, dass die betroffene Person im Ausland ausbürgert wird. Die Ausbürgerung mag dann nach dem innerstaatlichen Recht des betroffenen Staates wirksam sein; völkerrechtlich besteht die Pflicht, den ehemaligen Staatsangehörigen wieder bei sich aufzunehmen, aber fort. Es gibt aber Staaten, die gegen Völkerrecht verstoßen und eigene Staatsangehörige nicht zurücknehmen (z. B. Iran, der grundsätzlich keinen Nationalpass ausstellt, wenn der Betroffene erklärt, er wolle nicht aus Deutschland ausreisen). Manche Staaten sind bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit nicht besonders kooperativ und machen die Ausstellung eines Nationalpasses von nahezu unerfüllbaren Voraussetzungen abhängig. Das sind vor allem Staaten, die ein Interesse am Verbleib ihrer Staatsangehörigen haben, weil diese ihre in der Heimat lebenden Angehörigen mit Überweisungen in harten Devisen (US-Dollar, Euro) unterstützen, wovon letztlich auch der Zielstaat profitiert.
Ist eine Abschiebung wegen ungeklärter Staatsangehörigkeit oder wegen Fehlens eines Nationalpasses nicht möglich, liegt ein tatsächliches Abschiebungshindernis vor. Der Betroffene erhält dann zunächst eine Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG), seine Abschiebung ist damit ausgesetzt und er darf bleiben, solange die Abschiebung nicht möglich ist. Sein Aufenthalt bleibt wegen der grundsätzlich fortbestehenden Ausreisepflicht weiter rechtswidrig (Diese Frage spielt bei Leistungsansprüchen eine Rolle; geduldete Personen sind oft davon ausgeschlossen). Ist der fortbestehende Aufenthalt unverschuldet (z. B. weil der Betroffene alles von seiner Seite aus Erforderliche veranlasst hat, also die Ausstellung eines Passes bei der für ihn in Betracht kommenden Auslandsvertretung beantragt hat und alle hierfür notwendigen Voraussetzungen erfüllt hat), kann er nach 18-monatiger Duldung eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten (§ 25 Abs. 5 AufenthG). Dann wird sein Aufenthalt rechtmäßig und eine Abschiebung kommt dann endgültig nicht mehr in Betracht.
Abschiebung von Ausländern, die schon in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Schutzgesuch gestellt haben
Besonderheiten bestehen bei Asylbewerbern, die schon in einem anderen Mitgliedstaat der EU einen Antrag auf Aufnahme gestellt haben. Diesen Personen wird das Asylverfahren in Deutschland in der Regel verweigert. Sie werden dann in den Staat abgeschoben, in dem sie zuerst Aufnahme gefunden haben (§ 27 und § 34a AsylVfG). Dieser sichere Drittstaat muss das Asylverfahren durchführen und sie aufnehmen. Die Verfahrensweise beruht auf dem Dubliner Übereinkommen (DÜ).
Jeder Mitgliedstaat des DÜ hat aber − ungeachtet seiner völkerrechtlich nicht bestehenden Verpflichtung – die Möglichkeit, das Asylverfahren auf freiwilliger Grundlage durchzuführen. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bietet hierzu ein Selbsteintrittsrecht. Wegen der unsicheren Aufnahmesituation von Flüchtlingen in Griechenland macht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von dieser Möglichkeit zunächst bis 12. Januar 2012 befristet bei allen Flüchtlingen Gebrauch, die nach Griechenland überstellt werden müssten. Dadurch hat sich ein Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht erledigt.[10]
Schweiz
Der Schweizer Begriff lautet Ausschaffung. Eine Ausschaffung kann verfügt werden, wenn eine Person ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Frist, die zur Ausreise gesetzt wurde verstreichen lässt, bzw. wenn ein rechtskräftiger Aus- oder Wegweisungsentscheid für Personen in Haft vorliegt. Zuständig sind die kantonalen Behörden.[11]
Am 10. Juli 2007 lancierte die Schweizerische Volkspartei (SVP) eine eidgenössische Volksinitiative für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative), die beabsichtigt, die Ausweisung von Ausländern zu vereinfachen. Die Initiative wurde im März 2008 als zustande gekommen erklärt. Der Bundesrat hat sie im Juni 2009 zur Ablehnung empfohlen und die Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags empfohlen.[12] Sie kam zusammen mit dem direkten Gegenentwurf am 28. November 2010 zur Abstimmung und wurde mit einer Mehrheit von 52,9 Prozent angenommen. Der Gegenvorschlag wurde mit 54,2 Prozent abgelehnt.[13]
Europäische Union
Die Europäische Union erließ im Dezember 2008 gemeinsame Normen über das Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Abschiebehaft kann hiernach bis zu sechs Monate, in Ausnahmefällen sind bis zu 18 Monaten verhängt werden. Das Wiedereinreiseverbot wurde auf fünf Jahre begrenzt und es wurden Mindeststandards für das Abschiebeverfahren definiert. Wegen der Einzelheiten vgl. den Hauptartikel → Rückführungsrichtlinie.
Europarat
Das Ministerkomitee des Europarats verfasste am 4. Mai 2005 zwanzig Leitlinien zur Abschiebung, darunter Leitlinie 1 zur freiwilligen Rückkehr, Leitlinie 2 zur Verfügung über die Abschiebung, Leitlinie 3 zum Verbot kollektiver Ausweisungen, Leitlinie 4 zur Mitteilung der Verfügung über die Abschiebung, Leitlinie 5 zum Rechtsbehelf gegen die Verfügung über die Abschiebung, Leitlinien 6 bis 11 zur Abschiebehaft, Leitlinien 12 und 13 zu Zusammenarbeit und Verpflichtungen der Staaten, Leitlinie 14 zur Staatenlosigkeit und Leitlinien 15 bis 20 zur erzwungenen Abschiebung.[14]
Literatur
- Gerda Heck: ›Illegale Einwanderung‹. Eine umkämpfte Konstruktion in Deutschland und den USA. Edition DISS Band 17. Münster 2008. ISBN 978-3-89771-746-6 (Interview heiseonline 10. November 2008)
- Steffi Holz: Alltägliche Ungewissheit. Erfahrungen von Frauen in Abschiebehaft. ISBN 978-3-89771-468-7 (Enthält einen Anhang zur rechtlichen Fragen)
- Julia Kühn: Abschiebungsanordnung und Abschiebungshaft. Eine Untersuchung zu § 58a und § 62 des Aufenthaltsgesetzes in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Berlin 2009, ISBN 978-3-428-13091-7
Siehe auch
- Asylrecht (Deutschland)
- Asylrecht (Schweiz)
- Aufenthaltsstatus
- Duldung
- Härte mit System – Wie Deutschland abschiebt (WDR-Dokumentation)
- Härtefallkommission
- Illegale Einwanderung
- Innere Sicherheit
Einzelnachweise
- ↑ Meldung von www.no-racism.net vom 3. Januar 2008 Selbstmord im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick
- ↑ Migrationsberichte der Bundesregierung
- ↑ Migrationsbericht 2009, S. 194
- ↑ Meldung des Tagesspiegels vom 9. Juni 2006 Berlin schiebt immer weniger Ausländer ab.
- ↑ Innenministerium Niedersachsen (2006): Zahl der Asylbewerber geht zurück
- ↑ European Network Against Racism (2004): Schattenbericht 2004 Deutschland, Seite 32
- ↑ Quelle Migrationsbericht BMI 2005
- ↑ vgl. Julia Kühn: Abschiebungsanordnung und Abschiebungshaft. Eine Untersuchung zu § 58a und § 62 des Aufenthaltsgesetzes in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Berlin 2009, ISBN 978-3-428-13091-7
- ↑ Eine Abfrage bei juris am 15. Januar 2011 ergab lediglich zwei Entscheidungen, in denen das Bundesverwaltungsgericht zwar unter Berufung auf § 58 a AufenthG, nicht jedoch nach ergangener Abschiebungsanordnung, angerufen wurde. Die Anträge wurden für unzulässig erklärt oder an das zuständige Verwaltungsgericht verwiesen. Unter dem Aktenzeichen 10 A 1.06 war ein Verfahren anhängig, dass mit einer Einstellung endete, nachdem der Algerier freiwillig ausgereist ist.
- ↑ Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2011.
- ↑ SR 142.20 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Art. 69
- ↑ Eidgenössische Volksinitiative 'für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)', Schweizerische Bundeskanzlei. Ungeachtet des Titels Ausschaffungsinitiative betrifft der Initiativtext den Verlust des Aufenthaltsrechts bzw. die Ausweisung straffälliger Ausländer; die eigentliche Ausschaffung (Abschiebung) ausgewiesener Personen wird nicht erwähnt.
- ↑ Volksinitiative vom 15. Februar 2008 'Für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)
- ↑ Twenty Guidelines for Forced Expulsion. Abgerufen am 12. September 2010 (PDF, engl.).
Weblinks
- Aktuelle Informationen von Abschiebungsgegnern und kritische Presseschau zum Thema Abschiebung in Berlin
- Informationsportal zum deutschen Aufenthaltsrecht
- Adressen der Flüchtlingsräte in den deutschen Bundesländern
- Asylkoordination Österreich
- Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten
- Informationsverbund Asyl – Rechtsprechung und Beratungsadressen
- Datenbank zur Herkunftsländerrecherche
- Abschiebepolitik am Beispiel Hamburgs (PDF-Datei; 96 kB)
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