Kondratjew-Zyklus

Kondratjew-Zyklus
Kondratjew-Zyklen

Die Kondratjew-Zyklen (ältere Transkription Kondratieff-Zyklen) beschreiben den Kern einer von dem russischen Wirtschafts­wissenschaftler Nikolai Kondratjew entwickelten Theorie zur zyklischen Wirtschafts­entwicklung, die Theorie der langen Wellen. Ausgangs­punkt für die langen Wellen sind Paradigmen­wechsel und die damit verbundenen innovations­induzierten Investitionen: Es wird massenhaft in die neue Technik investiert und damit ein Aufschwung hervorgerufen. Hat die Innovation sich allgemein durchgesetzt, verringern sich die damit verbundenen Investitionen drastisch, und es kommt zu einem Abschwung. In der Zeit des Abschwungs wird aber schon an einem neuen Paradigma gearbeitet.

Bis heute lassen sich Kondratjew-Zyklen allerdings statistisch nicht nachweisen. In der Volkswirtschaftslehre herrscht inzwischen ein breiter Konsens, der davon ausgeht, dass keine zyklischen Konjunkturmuster existieren, also auch der Kondratjew-Zyklus nicht. Nach der Meinung der Mehrheit der Makroökonomen folgt das Wirtschaftswachstum kurzfristig einer Zufallsbewegung und langfristig dem Wachstum der Bevölkerung und dem technischen Fortschritt.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Kondratjew veröffentlichte 1926 in der Berliner Zeitschrift Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik seinen Aufsatz Die langen Wellen der Konjunktur. Hierin stellte er anhand empirischen Materials aus Deutschland, Frankreich, England und den USA fest, dass die kurzen Konjunkturzyklen (siehe auch Schweinezyklus) von langen Konjunkturwellen überlagert werden. Diese 40 bis 60 Jahre dauernden langen Wellen bestehen aus einer länger andauernden Aufstiegsphase und einer etwas kürzeren Abstiegsphase. Die Talsohle wird durchschnittlich nach 52 Jahren durchschritten.

Kondratjew konnte zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb solcher langen Wellen feststellen, wobei er davon ausging, dass sich die dritte Welle Ende der 1920er Jahre ihrem Ende zuneigen würde, was mit dem Börsenzusammenbruch und der Weltwirtschaftskrise auch eintraf. Ursache für diese langen Wellen sieht er in Gesetzesmäßigkeiten des Kapitalismus, während neue Techniken nicht Ursachen, sondern Folgen der langen Wellen seien.

Wichtige Charakteristika der einzelnen Wellen sind, dass in den Aufschwungsperioden die Jahre mit guter Konjunktur überwiegen und in den Abschwungsphasen – wenn ein Überhang an Rezessionsjahren herrscht – meist wichtige Entdeckungen und Erfindungen gemacht werden, so genannte Basisinnovationen. Diese treten stets dann auf, wenn ein Mangel, beziehungsweise ein durch weitergehende Produktivitätssteigerung nicht mehr zu befriedigender Bedarf entstanden sei.

Die Errichtung der europäischen Eisenbahnen wurde demnach deshalb entscheidend vorangebracht, weil die bislang vorhandenen Transportmöglichkeiten (Pferdegespanne auf Landstraßen und ähnliche) nicht mehr in der Lage waren, die bereits industriell hergestellten Waren ausreichend auf den Märkten zu verteilen.

Joseph Schumpeter

Joseph Schumpeter prägte 1939 in seinem Werk über Konjunkturzyklen für diese langen Konjunkturwellen den Begriff der Kondratjew-Zyklen und stellte heraus, dass die Basis für diese langen Wellen grundlegende technische Innovationen seien, die zu einer Umwälzung in der Produktion und Organisation führen. Er prägte für diese den Begriff der Basisinnovationen, wobei er offen ließ, was zu deren Entstehung und damit zu einem neuen Kondratjew-Zyklus führt. Für ihn war hierbei nicht die Entdeckung einer Basisinnovation ausschlaggebend, sondern deren breiter Einsatz.

Weitere

In letzter Zeit haben sich u. a. Leo Nefiodow und Erik Händeler, international Christopher Freeman und Carlota Perez; mit den Kondratjew-Zyklen beschäftigt. Schwerpunkt ist oft die Herausarbeitung eines aktuellen fünften und eines zukünftigen sechsten Kondratjew. Die „internationale“ Schule besteht hauptsächlich aus Neo-Schumpeterianern, wenn auch nicht alle Neo-Schumpeterianer Zyklentheoretiker sind.

Einteilung der ökonomischen Entwicklung in Kondratjew-Zyklen

Über den zeitlichen Ablauf der Kondratjews besteht generell Einigkeit, wenn auch mit einigen Abweichungen.

  1. Periode (ca. 1780–1849): Frühmechanisierung; Beginn der Industrialisierung in Deutschland; Dampfmaschinen-Kondratjew. Es gibt Vermutungen, dass es in England schon einen früheren Zyklus gab.
  2. Periode (ca. 1840–1890): Zweite industrielle Revolution Eisenbahn-Kondratjew (Bessemerstahl und Dampfschiffe). In Mitteleuropa Gründerzeit genannt.
  3. Periode (ca. 1890–1940): Elektrotechnik- und Schwermaschinen-Kondratjew (auch Chemie)
  4. Periode (ca. 1940–1990): Einzweck-Automatisierungs-Kondratjew (Basisinnovationen: Integrierter Schaltkreis, Kernenergie, Transistor, Computer und das Automobil)
  5. Periode (ab 1990): Informations- und Kommunikations-Technik-Kondratjew (Globale wirtschaftliche Entwicklung)
Weltwirtschaftswachstum 1950–2011 (projiziert). Eine Wellenform mit einer konjunkturellen Hochperiode von 1950–1973, das Wirtschaftswunder, ist erkennbar, genauso wie die Flaute 25 Jahre danach. Seit 2004 ist das Wachstum wieder sehr hoch, es lässt auf den Anfang des 5. Zyklus schließen.

Seit der 4. Zyklus, das „Wirtschaftswunder“, bis 1990 ausgeklungen ist und die Wachstumsraten kleiner wurden, ist seit 1990 ein Steigen der Wachstumsraten bemerkbar geworden. Das weltweite Wirtschaftswachstum mit Wachstumsraten von 5% ab 2004 ist damit genauso hoch wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders.

Dies lässt darauf schließen, dass 2004 der Anfang der Hochperiode des 5. Zyklus ist. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für die kommenden fünf Jahre Wachstumsraten von nur knapp unter 5 Prozent. Dieser Zyklus könnte, wie schon der vierte, Vollbeschäftigung und eine beschleunigte Entwicklung bringen. Wie schon bei den anderen Zyklen könnte in den nächsten 20 Jahren die Weltwirtschaft ergänzt und erneuert werden, es könnte Durchbrüche in wichtigen wissenschaftlichen Gebieten geben, die der Menschheit nützen werden.

Naturgemäß umstritten ist, welche Technologie den 6. Kondratjew dominieren wird. Leo Nefiodow war der erste, der die Theorie der Langen Wellen zu Prognosezwecken genutzt und damit den 6. Kondratjewzyklus vorausgesagt und beschrieben hat. Mögliche Kandidaten hierfür sind:

Theorien der langen Wellen

Seit langer Zeit wird versucht die Kondratieff Zyklen mit einer Theorie zu unterlegen. Dies gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, weswegen es bisher auch noch nicht möglich war eine allgemein gültige und zufrieden stellende Theorie zu entwickeln. Einer der Gründe könnte sein, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vom ersten bis zum aktuellen fünften Kondratieff zu stark geändert haben.

Es bestehen vier Kriterien die eine Theorie der langen Wellen erfüllen muss:

  1. Kausalität: letztlich muss immer und ausschließlich die Innovationstätigkeit ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Aufschwung sein.
  2. Zyklizität: die Theorie muss zeigen, dass es zu Zyklen von 45 bis 60 Jahren kommt.
  3. Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen: die Auswirkung auf die gesamte Volkswirtschaft geschieht nicht durch einzelne Innovationen, sondern durch die Verknüpfung vieler unterschiedlicher Innovationen über die Grenzen von Wirtschaftssektoren hinweg.
  4. Zeitliche Wiederkehr: es muss gezeigt werden, dass sich die Innovationen oder ihre Determinanten zyklisch verhalten.

Bedeutende Theorien

Es gibt einige bedeutende Theorien bezüglich der langen Wellen. Hervorzuheben sind die Theorien von Schumpeter, Freeman und Mensch.

Schumpeter

Eine der ersten Theorien der langen Wellen lieferte Schumpeter, v.a. in seinem Werk Business Cycles von 1939.

Er geht davon aus, dass Unternehmer immer genügend Inventionen zur Verfügung haben, diese allerdings nicht sofort als Innovation im Wirtschaftssystem durchsetzen. Sie beginnen damit zu innovieren, wenn sich die Wirtschaft im Gleichgewicht befindet. In dieser Situation nehmen dynamische Pionierunternehmer Kredite bei den Banken auf um Innovationen zu tätigen. Mit Hilfe des Geldes werben sie Produktionsfaktoren von anderen Unternehmen ab und schaffen es somit die Invention im Wirtschaftssystem durchzusetzen. In dieser Phase steigt die Nachfrage nach Krediten weiter an, da eine große Zahl an Unternehmern den Pionieren folgen will, was zu einem Anstieg der Zinsen führt. Gleichzeitig steigen auch die Kosten für die Produktionsfaktoren aufgrund der gestiegenen Nachfrage an.

Eine Kalkulation der zukünftigen Gewinne aus Innovationen wird für die Unternehmer immer schwieriger. Aus diesem Grund werden weniger Innovationen durchgeführt und der Aufschwung kommt zum erliegen. Der Mangel an neuen Innovationen führt also zum wirtschaftlichen Abschwung, der so lange andauert bis sich die Wirtschaft wieder in einem neuen Gleichgewicht befindet. Sobald dieses erreicht ist, wird es gemäß Schumpeter wieder Unternehmer geben die Innovationen tätigen und so zu einem neuen Aufschwung beitragen.

Mensch

In der Theorie von Gerhard Mensch (1973) wird zwischen Basisinnovationen und Verbesserungsinnovationen unterschieden, wobei Basisinnovationen eine grundlegende Änderung der etablierten Technologien darstellen, Verbesserungsinnovationen lediglich leichte Änderungen und Verbesserungen der Basisinnovationen sind.

Im Gegensatz zu Schumpeters Theorie sieht Mensch den Ursprung eines neuen Kondratieff-Zyklus nicht in der Phase des wirtschaftlichen Gleichgewichts sondern in der Depression. Hier wollen die Unternehmer die Tristesse dieses Zustandes nicht mehr hinnehmen und führen Basisinnovationen durch. Dadurch kommt es in der Depressionsphase zu einem schubweisen entstehen von Basisinnovationen, was schließlich zur neuen Aufschwungphase führt.

In der Aufschwungphase lassen die Innovationen stetig nach. Der Mangel an Innovationen führt schließlich wieder in eine neue Depression, in der dann wieder ein neuer Aufschwung beginnen kann.

Freeman

Bei Christopher Freeman (1982) spielen nicht einzelne Basisinnovationen die herausragende Rolle, sondern so genannte Technologiesysteme. Eine einzelne Basisinnovation hat gemäß Freeman nicht die Kraft zu einem kompletten Wirtschaftsaufschwung zu führen. Das entscheidende ist die Diffusion der Innovationen in die gesamte Wirtschaft und die Verknüpfung der einzelnen Innovationen. Erst dies kann der Wirtschaft zu einem starken Aufschwung verhelfen.

Kritik an den Kondratjew-Zyklen

Von Gegnern der Kondratjew-Zyklen wird u. a. vorgebracht, die Trennung von Trend (langfristiges Wachstum) und Zyklus (davon abweichende Entwicklungen) sei bis heute ungelöst. Je nach Wahl der Trendkomponente (zum Beispiel durch ein Polynom) würden sich fast beliebige Wellen erzeugen lassen. Die Problematik zeige sich bereits daran, dass die populären graphischen Wellen-Darstellungen nie eine Beschriftung der y-Achse aufweisen. Das sei kein Versehen des jeweiligen Autors, sondern der Tatsache geschuldet, dass es keine langen Reihen (zum Beispiel Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts) gebe, die unmittelbar eine derartige Wellenform aufwiesen.[1]

Die Kritik an den Kondratjew-Zyklen resultiert zumindest teilweise auch daraus, dass deren Existenz wesentliche Prinzipien der Standard Textbook Economics (also der heute dominierenden Universitätsökonomie) in Frage stellen.

Eine Betrachtung historischer Wachstumsphasen, die sich mit evolutionär aufeinander aufbauenden Schlüsseltechnologien in Verbindung bringen lassen, erfordert nicht zwingend die Annahme eines regelmäßigen Zyklus.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Norbert Reuter: Ökonomik der „Langen Frist“. Zur Evolution von Wachstumsgrundlagen in Industriegesellschaften. Metropolis, Marburg 2000, ISBN 389518313X, S. 33 ff. (Die Beschriftung der y-Achse ist in der neueren Literatur, u. a. Perez oder Freeman, jedoch grundsätzlich der Fall).

Literatur

  • Nikolai D. Kondratjew: Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 56, 1926, S. 573–609.
  • Chris Freeman und Francisco Louçã: As Time Goes By. From the Industrial Revolution to the Information Revolution. Oxford University Press, Oxford 2001.
  • Carlota Perez: Technological Revolutions and Financial Capital: The Dynamics of Bubbles and Golden Ages. Edward Elgar, Cheltenham 2002.
  • Joseph A. Schumpeter: Konjunkturzyklen. Eine theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1961.
  • Leo A. Nefiodow: Der sechste Kondratieff. St. Augustin 2006, ISBN 3-9805144-5-5.
  • Erik Händeler: Die Geschichte der Zukunft. Brendow, Moers 2003, ISBN 3870679638.
  • Erik Händeler: Kondratieffs Welt. Brendow, Moers 2005, ISBN 386506065X.
  • Peter F.N. Hörz: Volkskunde im sechsten Kondratieff. Versuch einer Positionsbestimmung der Europäischen Ethnologie in der Wissensgesellschaft. In: Bamberger Beiträge zur Volkskunde. 1, Hildburghausen 2004.
  • Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1972, ISBN 3518105213.
  • Ernest Mandel: Die langen Wellen im Kapitalismus. Eine marxistische Erklärung. 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1987.
  • Wolfgang Hoss: Das kapitalistische System. Norderstedt 2006.
  • Wolfgang Drechsler, Rainer Kattel und Erik S. Reinert (Hrsg.): Techno-Economic Paradigms: Essays in Honour of Carlota Perez. Anthem, London 2009.

Weblinks


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