Kritische Masse

Kritische Masse
Plutoniumkugel (Modell), teilweise umgeben von Neutronen-reflektierendem Wolframcarbid

Kritische Masse bezeichnet in der Kernphysik und Kerntechnik diejenige Mindestmasse eines aus einem spaltbaren Nuklid bestehenden Objektes, ab der die effektive Neutronenproduktion eine Kettenreaktion der Kernspaltung aufrechterhalten kann.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Eine Menge spaltbaren Materials besitzt genau dann die kritische Masse, wenn von den bei jeder einzelnen Kernspaltung freiwerdenden Neutronen durchschnittlich genau eines eine weitere Spaltung auslöst. Die übrigen Neutronen verlassen das Objekt oder werden ohne Auslösung einer Spaltung absorbiert. Die Reaktionsrate ist also konstant. Übersteigt die vorhandene Masse die kritische Masse, wird pro Spaltung durchschnittlich mehr als eine weitere Spaltung ausgelöst, so dass die Reaktionsrate ansteigt, siehe auch Kritikalität. Man spricht dann von einer überkritischen Masse. Analog bezeichnet man ein multiplizierendes Medium mit einem Multiplikationsfaktor < 1 als unterkritisch.

Die kritische Masse hängt ab von

  • dem verwendeten spaltbaren Material (Nuklid oder Nuklidgemisch),
  • der Dichte und der Form des Objektes,
  • der Anwesenheit von moderierenden oder Neutronen absorbierenden Substanzen
  • und der Anwesenheit eines Neutronenreflektors um das Objekt.

Je höher die Dichte, desto geringer ist die kritische Masse. Die geringste kritische Masse wird benötigt, wenn das Objekt in einer Kugelform vorliegt. Ein Neutronenabsorber vergrößert die kritische Masse, ein Moderator oder ein das Objekt umgebender Neutronenreflektor verringert sie.

Tabellenmäßige Angaben der kritischen Massen verschiedener Nuklide beziehen sich in der Regel auf eine homogene unkomprimierte Kugel aus dem reinen Material ohne Reflektor. Bei anderen Formen als einer Kugel ändert sich die kritische Masse. In folgender Liste sind diese mit der reflektierten und unreflektierten kritischen Masse für schnelle unmoderierte Systeme zusammengefasst. Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Daten aus [1].

Isotop Kritische Masse Link
unreflektiert reflektiert (20 cm H2O) reflektiert (30 cm Stahl)
Thorium-229 2839 kg 2262 kg 994 kg
Protactinium-231 580–930 kg ?  ?  ?
Uran-233 16,5 kg 7,3 kg 6,1 kg [1]
Uran-234 145 kg 134 kg 83 kg
Uran-235 49,0 kg 22,8 kg 17,2 kg [2]
Neptunium-235 66,2 kg 60 kg 38,8 kg
Neptunium-236 6,79 kg 3,21 kg 3,3 kg
Neptunium-237 63,6–68,6 kg 57,5–64,6 kg 38,6 kg [3]
Plutonium-236 ca. 8,04–8,42 kg 5,0 kg 3,74-4,01 kg
Plutonium-237 ca. 3,1 kg 1,71 kg 1,62 kg
Plutonium-238 ca. 9,04–10,31 kg 7,35 kg 4,7 kg [4]
Plutonium-239 10,0 kg 5,42–5,45 kg 4,49 kg [5]
Plutonium-240 35,7–39,03 kg 32,1–34,95 kg 18,3-22,6 kg
Plutonium-241 12,27–13,04 kg 5,87–6,68 kg 5,05–5,49 kg
Plutonium-242 85,6 kg 78,2 kg 36,2–48,1 kg
Americium-241 57,6–75,6 kg 52,5–67,6 kg 33,8–44,0 kg
Americium-242m 9–18 kg 3,2–6,4 kg 3–4,6 kg [6]
Americium-243 50–209 kg 195 kg 88–138 kg [7]
Curium-242 24,8–371 kg 17–260 kg 7–231 kg
Curium-243 7,4–8,4 kg 2,8 kg 2,8–3,1 kg
Curium-244 23,2–33,1 kg 22,0–27,1 kg 13,2–16,81 kg
Curium-245 6,7–12 kg 2,6–3,1 kg 2,7–3,5 kg [8]
Curium-246 38,9–70 kg 33,6 kg 22–23,2 kg [9]
Curium-247 7 kg 3,5 kg 2,8–3,0 kg [10]
Curium-248 40,4 kg 34,7 kg 21,5 kg
Curium-250 23,5 kg 21,4 kg 14,7 kg
Berkelium-247 75,7 kg 41,2 kg 35,2 kg
Berkelium-249 192 kg 179 kg 131 kg
Californium-249 5,91 kg 2,28 kg 2,39 kg
Californium-250 6,55 kg 5,61 kg 3,13 kg
Californium-251 5,46–9 kg 2,45 kg 2,27 kg [11]
Californium-252 5,87 kg 2,91 kg 3,32 kg
Californium-254 4,27 kg 2,86 kg 2,25 kg
Einsteinium-254 9,89 kg 2,26 kg 2,9 kg

Diese Daten sind größtenteils theoretisch errechnet. Experimentelle Daten liegen nur zu einigen Uran-, Neptunium- und Plutoniumisotopen vor. Die teils erheblichen Unsicherheiten erklären sich aus den nur unzureichend bekannten Wirkungsquerschnitten der einzelnen Isotope. Auch scheinbar exakte Daten in dieser Tabelle sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Es liegen widersprüchliche Daten vor, ob 231Pa eine Kettenreaktion aufrechterhalten kann. Auch für 228Th ist dies unsicher und kann anhand der bis heute (12/2008) öffentlich bekannten Daten nicht verifiziert werden. Entsprechend den Geometrien beziehen sich diese Daten auf schnelle Spaltungen. In wässriger Lösung kann die kritische Masse für einige Isotope um mehr als eine Größenordnung gesenkt werden. Für die Isotope 248Bk, 248Cf, 252Es und 258Md liegen keine evaluierten Daten vor. 257Fm ist in der Lage, eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten, Daten zur kritischen Masse liegen aber nicht vor.[1]

Kernwaffen

Bei einer Kernwaffe werden zwei je für sich unterkritische Teilstücke, oder auch z. B. eine unterkritische Hohlkugel, mit Hilfe eines chemischen Sprengsatzes zu einer prompt überkritischen Masse zusammengefügt. Um dabei mit möglichst kleinen Spaltstoffmengen auszukommen, werden verschiedene Techniken eingesetzt:

  • Kompression: Durch die chemische Explosion wird das Material sehr schnell zu einer Kugel komprimiert, so dass die Dichteerhöhung zur kritischen Masse führt.
  • Neutronenreflektor: Durch einen Neutronenreflektor kann die kritische Masse herabgesetzt werden. Das Gesamtgewicht einer solchen Konstruktion ist jedoch verhältnismäßig hoch.

Kernreaktoren

Auch ein Kernreaktor enthält je nach Größe ein Vielfaches der kritischen Masse an Spaltstoff. Der Spaltstoff ist jedoch räumlich verteilt angeordnet und mit anderen Materialien durchsetzt, z. B. mit nicht spaltbaren Isotopen, Hüllrohren, Kühlmittel, Neutronen-Absorbermaterial – allerdings auch mit Moderatoren. Eine unkontrollierte Kritikalität wird hier durch mehrere voneinander unabhängige Sicherheitseigenschaften und -einrichtungen verhindert, die (entweder durch Entzug des Moderators oder durch Einbringen von Absorbern) den Reaktor unterkritisch machen können.

Das mögliche Zustandekommen einer kritischen Masse im oben beschriebenen Sinn, also einer genügend großen kompakten Ansammlung von reinem Spaltmaterial, spielt aber bei der Vorsorge gegen schwere Unfälle mit Kernschmelze eine Rolle. Neuere Reaktorentwürfe haben einen Core-Catcher (Kernfänger) zum Auffangen des Coriums, der auch die Rekritikalität unterbinden muss, also die unbeabsichtigte neue Entstehung einer kritischen Masse (bei eventueller Anwesenheit von Moderatoren aus dem beschädigten Reaktorkern).

Quellen und Einzelnachweise

  1. a b Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire: "Evaluation of nuclear criticality safety data and limits for actinides in transport", S. 15; PDF.

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