- Wirkungsquerschnitt
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Der Wirkungsquerschnitt ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen einem einfallenden Teilchen und einem anderen Teilchen („Target“) eine bestimmte Wechselwirkung wie z. B. ein Streuprozess oder eine Reaktion stattfindet. Der Begriff findet vornehmlich in der Atom-, Kern- und Teilchenphysik Verwendung.
Formelzeichen für den Wirkungsquerschnitt ist der griechische Buchstabe σ (sigma). Der Wirkungsquerschnitt hat die Größenart Fläche; in der Kern- und Teilchenphysik werden Wirkungsquerschnitte meist in der Einheit Barn angegeben.
Der Wirkungsquerschnitt (im Folgenden als WQ abgekürzt) hängt ab von der jeweils interessierenden Wechselwirkung, von Art und kinetischer Energie des einfallenden Teilchens und von der Art des getroffenen Teilchens (z. B. Atoms, Atomkerns). Die letztgenannte Abhängigkeit bedeutet, dass WQ Materialeigenschaften sind. Beispielsweise sind zur Berechnung von Kernreaktoren oder Kernfusionsreaktoren umfangreiche Kerndatenbibliotheken erforderlich, die die WQ der verschiedenen Materialien für einfallende Neutronen verschiedener Energien für verschiedene mögliche Streuprozesse und Kernreaktionen enthalten.
Insbesondere bei Kernreaktionen wird der WQ, betrachtet als Funktion der Energie des einfallenden Teilchens/Quants, manchmal auch als Anregungsfunktion bezeichnet.
Definition
Jedem Zielteilchen (Targetteilchen) wird eine Fläche σ als gedachte „Zielscheibe“ zugeordnet. Deren Größe wird so gewählt, dass die interessierende Wechselwirkung stattfindet, wenn ein einfallendes, punktförmig – also ausdehnungslos – gedachtes Teilchen diese Scheibe trifft, und dass sie nicht stattfindet, wenn es die Zielscheibe verfehlt. Diese hypothetische Fläche ist der WQ für diese Wechselwirkung bei der gegebenen Energie der einfallenden Teilchen.
Die Vorstellung vom WQ als einer den Targetteilchen zugeordneten Fläche bietet ein anschauliches Maß für die „Stärke“, d. h. Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung. Einer häufigen oder wahrscheinlichen Wechselwirkung entspricht ein großer WQ, einer seltenen ein kleiner WQ.
Die Wahrscheinlichkeit w, dass ein einfallendes Teilchen mit einem Targetteilchen wechselwirkt, errechnet sich aus
- ,
wobei NT die Anzahl der Targetteilchen auf der bestrahlten Targetfläche F ist. Vorausgesetzt wird, dass dieses Verhältnis << 1 ist, damit sich die Targetteilchen nicht gegenseitig abschatten.
Die Wahrscheinlichkeit kann auch ausgedrückt werden als das Zahlenverhältnis von wechselwirkenden Teilchen NW zu insgesamt einlaufenden Teilchen N:
- .
Das Verhältnis des WQ zur Targetfläche ist also die Zahl der Wechselwirkungen pro eingestrahltem Teilchen und pro Targetteilchen:
- .
Abschwächung des einfallenden Teilchenstrahls im dicken Target
Für eine infinitesimal dünne Targetschicht der Dicke dx erhält man aus der obigen Gleichung, wenn man „Teilchen pro Fläche“ durch „Teilchendichte ρT mal Dicke dx" ersetzt:
- .
Hierbei ist ρT nicht die Massendichte eines Stoffes, sondern die Teilchendichte. Diese errechnet sich folgendermaßen:
- mit NA – Avogadrokonstante; ρ – Stoffdichte; M – Molare Masse.
Die wechselwirkenden Teilchen sind nicht mehr Teil des Teilchenstrahls, da sie (bei Reaktion) absorbiert oder (bei Streuung) aus ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt worden sind. Bezeichnet N0 die anfänglich im Strahl vorhandenen Teilchen, sind nach dem Durchlaufen einer infinitesimalen Targetschicht nur noch N0 − NW Teilchen im Strahl vorhanden. Löst man die letzte Gleichung nach NW auf und setzt NW = − dN, erhält man für die Schwächung des Strahls in einem dicken Target die Differentialgleichung
- .
Die Lösung hierfür ist
- .
Hat man ein bestimmtes Volumen, in dem man die Wechselwirkungen beobachtet, so ist x = l, wenn l die Länge dieses Volumens ist. Setzt man dieses ein, kann man zur Berechnung des WQ die Gleichung direkt umstellen, da N(l) = N0 − NW ist:
Es gilt offenbar auch
wobei λ die mittlere freie Weglänge ist. Eingesetzt sieht man sofort, dass dieses die Länge ist, nach der die Intensität des einfallenden Strahls auf ihres ursprünglichen Wertes abgefallen ist. Hieraus folgt:
- .
Sofern mehr als eine Art von Wechselwirkung möglich ist, bezieht sich σ in dieser Gleichung offensichtlich auf alle zusammen, ist also der totale WQ (siehe unten).
Spezielle Bezeichnungen für Wirkungsquerschnitte
Je nach Art der betrachteten Wechselwirkung werden verschiedene Bezeichnungen für den WQ verwendet wie beispielsweise:
- Absorptionsquerschnitt für jede Absorption des einfallenden Teilchens;
- Einfangquerschnitt für eine spezielle Absorption, nämlich den Neutroneneinfang (die (n,γ)-Kernreaktion);
- Streuquerschnitt für Streuung, also Ablenkung des einfallenden Teilchens;
- Elastischer Wirkungsquerschnitt (oft auch nur „elastischer Querschnitt“) für elastischen Stoß, also einen Stoß, bei dem die kinetische Energie erhalten bleibt;
- Inelastischer Wirkungsquerschnitt („inelastischer Querschnitt“) für inelastischen Stoß, also einen Stoß, bei dem kinetische Energie in andere Energieformen übergeht, z. B. wird ein Teilchen angeregt (d. h. in einen Zustand höherer Energie versetzt) oder es werden neue Teilchen erzeugt;
- Ionisationsquerschnitt für die Ionisation des getroffenen Atoms;
- Spaltquerschnitt für die induzierte Kernspaltung.
Totaler Wirkungsquerschnitt
Die Bezeichnung „totaler WQ“ wird in zwei Bedeutungen verwendet:
(1) Manchmal ist damit der WQ für das Eintreten irgendeiner von mehreren möglichen, einander ausschließenden Wechselwirkungen gemeint, z. B. Absorption oder Streuung des einfallenden Teilchens. Dieser totale WQ ist die Summe der Einzel-WQ. Er wird beispielsweise dann benötigt, wenn es nur um die Abschwächung des einfallenden Teilchenstroms geht.
(2) Manchmal wird „Totaler WQ“ auch nur im Sinne des oben definierten WQ verwendet, um ihn vom differenziellen WQ (s. unten) zu unterscheiden; eine bessere Bezeichnung ist in diesem Fall „Integraler WQ“.
Differenzielle Wirkungsquerschnitte
Winkelverteilung
Die Ableitung des WQ nach dem Raumwinkel Ω ist proportional der Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei der Wechselwirkung das gestreute Teilchen (oder Reaktionsprodukt usw.) in einen infinitesimalen Raumwinkelbereich (Kegel) dΩ hinein fliegt, der in einer bestimmten Richtung gelegen ist:
Dieser differenzielle WQ hat die Größenart Fläche pro Raumwinkeleinheit und als Maßeinheit z. B. Millibarn pro Steradiant. Er hängt (außer, wie jeder WQ, von der Primärenergie, der Energie des einfallenden Teilchens) auch von der Richtung ab, d. h. vom Winkel, um den das Teilchen z. B. gestreut wird. Als Funktion dieses Winkels betrachtet heißt er auch Winkelverteilung. Die Summe (das Integral) dieses differenziellen WQ über alle Richtungen ist der (im Sinne von integrale) totale WQ.
Mit der Bezeichnung „Differenzieller WQ“ ohne weiteren Zusatz ist fast immer dσ/dΩ gemeint.
Sekundärenergieverteilung
Seltener benötigt wird der nach der Energie Es des Sekundärteilchens, also des gestreuten Teilchens oder Reaktionsproduktes abgeleitete WQ, dσ /dEs, der die Energieverteilung der Sekundärteilchen beschreibt. Er hängt ab von der Primär- und der Sekundärenergie.
Doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt
Bei komplexen Vorgängen wie etwa dem Eindringen (Transport) schneller Neutronen in dicke Materieschichten, wo ein Neutron an verschiedenen Streuprozessen und Kernreaktionen nacheinander teilnehmen kann, wird auch der doppelt differenzielle WQ d2σ/dΩdEs betrachtet, da er die detaillierteste physikalische Beschreibung erlaubt.
Geometrischer Wirkungsquerschnitt
Im Fall der klassischen Mechanik ist der WQ durch die Geometrie gegeben; eine Wechselwirkung findet genau dann statt, wenn sich Projektil und Targetteilchen berühren. Für zwei Kugeln der Radien R1 und R2 ist der (totale) geometrische Wirkungsquerschnitt die Fläche eines Kreises mit Radius R1 + R2, also:
Makroskopischer Wirkungsquerschnitt
In der Physik der Kernreaktoren wird neben dem oben definierten mikroskopischen (d. h. auf 1 Targetteilchen, meist 1 Atom bezogenen) WQ auch der makroskopische, auf 1 cm³ Material bezogene WQ mit dem Formelzeichen Σ (großes Sigma) verwendet. Er ergibt sich aus dem mikroskopischen WQ durch Multiplikation mit der Atomzahldichte, also der Zahl der jeweiligen Atome pro cm³. Die übliche Einheit des makroskopischen WQ ist cm²/cm³ = 1/cm.
Wirkungsquerschnitt und Fermis Goldene Regel
Fermis Goldene Regel besagt, dass für die Reaktionsrate (Anzahl von Reaktionen pro Zeit)
gilt, wobei Mfi das Übergangsmatrixelement bzw. die Wahrscheinlichkeitsamplitude ist, und ρ der Phasenraumfaktor. Da der (differentielle) WQ direkt proportional zur Reaktionsrate ist,
- ,
wobei L die Luminosität des Teilchenstrahls ist, gilt folglich
- .
Die Wahrscheinlichkeitsamplitude liefert in der Bornschen Näherung dann den Formfaktor.
Siehe auch
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